Flusslandschaft 1967

Religion

Jesuitenpater Johannes Leppich wirbt unermüdlich. In jedem zehnten deutschen Hotel liegt sein »Evangelium nach Markus« auf den Nachtkästchen, so auch im Bayerischen Hof und in den Vier Jahreszeiten. Ob allerdings die Gäste wohlig einschlafen, wenn sie in den Schriften blättern: »Das biblische Gleichnis vom Sämann beispielsweise kommentiert der Ordensmann: ,Welcher Same wird aufgehen? der kommunistische oder der Same der Botschaft Jesu Christi? Solange uns Revue-Filme und oberflächliche Fernseh-Programme mehr interessieren als die Existenz der christlichen Universitäten in den gefährdeten afro-asiatischen und südamerikanischen Ländern, haben wir diese Bibelstelle nicht ernst genommen.‘ Und den Bericht über die Stillung des Sturms durch Jesus (,… sprach zum See: Schweig! Verstumme! da ließ der Wind nach, und es ward große Stille’) versah Leppich mit dem Nachspruch: ,Christus hat den Sturm der Französischen Revolution und den Na-
zismus gebändigt. Er ist der Herr der Geschichte. Haben Sie keine Angst! Seine Kirche wird auch der „Rote Sturm“ nicht vernichten. Doch nicht durch Diskussionen, sondern durch echtes Gebet können wir dazu beitragen.«1

Die Münchner Protestsonggruppe des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes thematisiert
die uralte Verknüpfung von Kirche und herrschender Politik.2

Die Trennung von Kirche und Staat wird zwar in der Verfassung garantiert oder zumindest postu-
liert, in Bayern aber hat der politische Katholizismus ein Auge darauf, dass christliche Symbole in Form von Kreuzen auch in Schulen und Gerichtssälen hängen. Die Forderungen nach einer konse-
quenten Umsetzung der Trennung von Kirche und Staat führt zu Kontroversen.3

Am 16. Juli 1985 stirbt Heinrich Böll. In einem Nachruf auf den Dichter erinnert sich Carl Amery an eine Begegnung mit Kardinal Döpfner 1967, beschreibt die gegenwärtige Spannung zwischen Amtskirche und kritischen Gläubigen und erwähnt Joseph Ratzinger.4

(zuletzt geändert am 25.2.2021)


1 Der Spiegel 1-2/1967, 47.

2 Siehe „Gott stand uns bei“.

3 Siehe „Leserbrief“ von Karl Weißhäupl und „Antwort“ von Rainer Haun.

4 Siehe „Der Dichter, der Kardinal und der Abgrund“ von Carl Amery.