Materialien 1973

Ein unredlicher Minister - eine unredliche Schulpolitik

Es gibt Leute in diesem Lande, die nennen ihn den „besten Kultusminister der Bundesrepublik“. Er selbst sagt über sich: „Ich entstamme einer bäuerlichen Familie und habe keinerlei akademische Verwandte.“ Die Fronten haben sich verkehrt: Bauernkind Hans Maier, Kultusminister im CSU-
Land Bayern, hält sich für das lebende Denkmal schulischer Chancengleichheit. Das bestehende Schulsystem ist für ihn im Prinzip – Flickschustern will auch er, denn das Wort Reform ist politi-
sches Lebenselixier – richtig. Abkömmlinge alter Adelsfamilien, wie Hessens Kultusminister Lud-
wig von Friedeburg und sein Niedersachsen-Kollege Peter von Oertzen, wollen das überkommene Schulsystem radikal ändern: Die Zahl der Klassenverräter scheint im Berufsstand der Bildungsmi-
nister in der Republik prozentual der höchste zu sein. Zurück zum Eingangsrädikat: Für diejeni-
gen, die noch immer die Macht der wenigen wollen über die vielen – die Macht der wenigen, die man, so der Tübinger Literatur-Professor Walter Jens, „bequem in einem Kino unterbringen könn-
te und die Millionen bevölkern das Land“ -, für diese wenigen scheint Hans Maier in der Tat der beste Kultusminister zu sein. Doch auch hier – untersuchen will ich es weiter unten – trügt der Schein. Die in ihrem wohlverstandenen Interesse fortschrittliche Fraktion der bundesdeutschen Industrie hat auch dieses schon erkannt.

Die Kapitalfraktion allerdings, die entsprechend ihrem Horizont immer nur in den Kategorien ihrer kurzfristigen Interessen denkt, muss in Hans Maier gleichsam den Schutzheiligen ihrer Pfründe sehen. Einige Beispiele:

Das dreigliedrige Schulwesen soll in Bayern überleben, weil die Hauptschulen die Hilfs- und Facharbeiter, die Realschulen die Angestellten und ihre Abteilungsleiter und die Gymnasien die Elite produzieren sollen.

Berufsschulen und Berufsbildungseinrichtungen in Bayern sollen ein „eigenständiger Zweig“ bleiben, weil dadurch Bewusstsein – kritisches und politisches -leichter vermieden werden kann, als wenn man den berufsbildenden Zweig in den allgemeinbildenden integriert.

Die Allgemeine Schulordnung, in Bayern auf dem Erlasswege verordnet, soll jeden Ansatz von De-
mokratisierung in Bayerns Schulen unterdrücken.

An den Hochschulen soll weiterhin die Ordinarius alleinbestimmend sein, die Studenten Spielball wiederkäuender Katheder-Philosophen bleiben. Mitbestimmung, Demokratisierung – die Forde-
rungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes – das hat Hans Maier deutlich gemacht („Es können nicht Unqualifizierte über Qualifizierte bestimmen“), sind für ihn Begriffe aus dem kommunisti-
schen Sprachschatz. Denn der (selbsternannt) qualifizierte Unternehmer kann doch auch nicht die Belegschaft, die das Kapital erarbeitet, über dieses Kapital mitbestimmen – oder gar bestimmen -lassen!

Bayerische Bildungspolitik – auch ein Lehrer im Dienste dieses „Freistaates“ sollte es sagen dürfen – zeichnet sich derzeit, dank Hans Maier, durch Unredlichkeit aus. Es ist unredlich, wenn Herr Maier dem Versuchsprogramm mit Gesamtschulen im Bildungsgesamtplan zustimmt, aber ledig-
lich drei integrierte Gesamtschulversuche in diesem Lande zulässt. Es ist unredlich, wenn Hans Maier dann in einem Interview mit „internationes“ – bei dem nur von integrierten Gesamtschulen die Rede war – von 12 bayerischen Gesamtschulen spricht: Er hat einfach die drei integrierten mit den neun kooperativen addiert. So einfach ist das. Kooperative Gesamtschulen indes unterschei-
den sich vom herkömmlichen Schulsystem fast nur dadurch, dass die drei Schularten (Volksschule, Realschule, Gymnasium) sich unter einem gemeinsamen Schuldach befinden und infolgedessen einen gemeinsamen Hausmeister haben. Die Schularten für sich werden beibehalten. Die koope-
rative Gesamtschule ist also ein Etikettenschwindel, nicht mehr.

Integrierte Gesamtschulen, und das weiß Hans Maier sehr gut, bieten die Chance, allen Kindern ohne Sackgassen bessere Schulbildung zu ermöglichen. Sie tragen auch eine Gefahr in sich. Und hier zurück auf die Bemerkung, Hans Maier sei auch für die fortschrittliche Kapitalfraktion nicht mehr der beste Kultusminister. Denn Konzerne wie Siemens, Bosch und Pfaff haben längst er-
kannt, dass eine integrierte Gesamtschule, die man technokratisch betreibt, nur „spezialisierte Produktionstrottel“ (Hans Joachim Heydorn) hervorbringen kann. Diese Konzerne finanzieren nämlich integrierte Gesamtschulen. Wenn die jeweiligen Kultusminister bei Einführung der inte-
grierten Gesamtschule nicht gleichzeitig neue Bildungsinhalte – wie zum Beispiel in den hessi-
schen Rahmenrichtlinien festgelegt – mit einführen, dann ist die integrierte Gesamtschule tatsäch-
lich auch für die Katz.

Unredlich ist es, wenn Herr Hans Maier von seinem neuen Lehrerbildungsgesetz als einem „epo-
chalen Ereignis“ spricht. Dieses Gesetz fügt sich in sein schulpolitisches Gesamtkonzept nahtlos ein. Es gibt vor, „Stufenlehrer“ für ein Schulsystem auszubilden, das – perpetuum mobile von Hundhammer bis Maier – keine Stufenschule kennen wird: Die CSU hat dem Philologenverband im Frühjahr ’74 zugesichert, dass Bayern auf jeden Fall an einem eigenständigen neunjährigen Gymnasium festhalten wird, solange die „sozialen Christen“ regieren.

Wozu brauchen wir aber in Bayern Stufenlehrer, wenn diese doch wiederum nur an den über-
kommenen Schularten unterrichten sollen? Die Stufenschule, auch das weiß Herr Maier genau, muss längerfristig zu einer integrierten Gesamtschule führen, und das will er nicht.

Zu einer weiteren „bayerischen Spezialität“ (L. von Friedeburg): Den Berufsschulen. Kultusmini-
ster Hans Maier hatte – zum Entsetzen selbst der CDU-Kultusminister – am Tag der Verabschie-
dung des Bildungsgesamtplanes in Bonn noch eine eigene bayerische Fußnote in den Bildungsge-
samtplan eingebracht: Sie lehnt die Formulierung ab, dass Pläne des Lehrens und Lernens (Curri-
cula) zwischen allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen abgestimmt und verzahnt werden sollen. Dies alles mit dem Ziel, in den nächsten Jahren zu einer Eingliederung des allgemeinen in das berufliche Schulwesen zu kommen. Hans Maier will das berufliche Schulwesen weiterhin vor theoretischer Bildung abschirmen, die es den Berufsschülern ermöglichen würde, komplexe gesell-
schaftliche Strukturen durchschauen zu können. Wie einseitig politisch Hans Maier die Schulen begreift, beweist seine Allgemeine Schulordnung: Nach Paragraph 82 zum Beispiel kann Kindern der Besuch einer weiterführenden Schule untersagt werden, wenn Erziehungsberechtigte „die ihnen der Schule gegenüber obliegenden Verpflichtungen in grober Weise verletzen“. Die GEW-Bayern hatten in diesem Zusammenhang von politischer Sippenhaftung gesprochen. Maiers Pres-
sesprecher Eberhard Dünninger erläuterte diesen Paragraphen: „Das kann angewendet werden, wenn Schüler außerhalb der Schule in gewisser Weise politische Agitation betreiben.“

Hans Maier ist nicht der „beste“, sondern der „unredlichste“ Kultusminister der Bundesrepublik. So behauptete er zum Beispiel bei einer Pressekonferenz, der ASTA der Universität München habe Gelder missbraucht. Maier wörtlich (laut AZ vom 13.12.73):

„Ist es kein Missbrauch, wenn die nach Kuba fahren?“

Ein Journalist fragte: „Wer ist nach Kuba gefahren?“

Maiers Antwort:

„Das war doch nur ein von mir erfundenes Beispiel.“

Wie unredlich Hans Maier ist, bewies sich auch während einer Diskussion im III. Bayerischen TV-Programm. Der Minister erklärte, die Vertreter des DGB im bayerischen Senat hätten seinem Ord-
nungsrecht an den Hochschulen zugestimmt. DGB-Pressesprecher Peter Sander:

„Kein DGB-Vertreter im bayerischen Senat hat für das Ordnungsrecht gestimmt.“

Doch selbst wenn die CSU den „unredlichsten“ Kultusminister der Bundesrepublik durch einen redlichen ersetzen sollte – würde sich an der Bildungspolitik nicht viel ändern. Die CSU ist und bleibt eine Partei, die die Macht der wenigen über die vielen erhalten will. Wer als Arbeiter oder Angestellter, wer als Lohnabhängiger weiterhin nicht will, dass er und seine Kinder wenigstens den Schatten einer Chancengleichheit erhalten, dessen Partei ist die CSU. Bewusste Bürger aber sollten eine Frage zu ihrem politischen Credo machen: Welche Politik nützt wem? Hans Maiers Politik nützt jedenfalls nur denen, die im von Walter Jens zitierten Kino sitzen.

Rüdiger Offergeld


Stephan Schmidt (Hg.), Schwarze Politik aus Bayern. Ein Lesebuch zur CSU, Darmstadt/Neuwied 1974, 80 ff.

Überraschung

Jahr: 1973
Bereich: Bürgerrechte

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