Materialien 1976

Meine Begegnung mit dem Verfassungsschutz

Vom harten Knacken des Zellenschlosses werde ich aus meinen Träumen herausgerissen. Herzflat-
tern, als mir gesagt wird, dass die Bullen zur Vernehmung auf mich warten. OK – ich tappe runter, durch lange, nur mit künstlichem Licht beleuchteten Gänge und treffe auf einen Herrn mit dichten, halblangen, blonden Haaren, breiten Koteletts, Schnauzerschnurrbart, salopp gekleidet mit ner dicken gelben Krawatte. Die Wachtel wartet, da ich ihm zu verstehen gebe, dass ich’s kurz machen werde.

Wir sitzen uns nun gegenüber und der junge Herr mit der dicken gelben Krawatte beginnt sich vor-
zustellen:

„Man hat Ihnen sicherlich gesagt, dass ich von der Kripo wäre!“

„Ja, warum?“

„Stimmt nicht – ich bin vom Verfassungsschutz.“

„WAS! WIE DENN DAS?“ frage ich etwas schockiert und verdattert.

„Wissen Sie, wir kennen Sie ganz gut und ich hätte Ihnen da ein interessantes Angebot zu unter-
breiten.“

„Und das wäre?“ frage ich gespannt.

„Tja also – ich gehe davon aus, dass Sie nicht so weiter machen wollen wie bisher, wo das hinführt, hat man ja bei der Deschler gesehen – so führt das sicherlich in eine Sackgasse, die für Sie nicht attraktiv erscheinen dürfte, und da wir Sie nun etwas kennen, bin ich überzeugt, dass Sie der geeig-
nete Mann sind, der uns Informationen über die Szene vermitteln könnte, die natürlich entspre-
chend honoriert werden würden – auch für Ihre Sicherheit bei Eventualfällen wäre vollauf ge-
sorgt!“

Ich sitze ziemlich verblüfft da und sage vorläufig gar nichts – ich schaue mir den Jungen nur an. Er erzählt ziemlich viel und ausführlich, was ich eben im Wesentlichen zusammen gefasst habe. Bei der Knastbürokratie ist er als Beamter des LKA geführt, der mich offiziell vernimmt, weil er, wie er mir sagt, kein Vertrauen zum Wachpersonal hat und die es nicht unbedingt zu wissen brauchen, um wen es sich bei ihm tatsächlich handelt. Er wiederholt auch öfters, dass ich der richtige Mann für sie wäre, da sie wüssten, dass ich mich schon jahrelang in der Szene bewege und Kontakte zu allen möglichen Leuten hätte. Es wäre klar und für den Verfassungsschutz wenig gewinnbringend, wenn ich als reuiger Sohn wieder in die Arme meiner Eltern flüchten würde; aber das wäre wohl eh nicht meine Perspektive; aber für den Verfassungsschutz könnte ich doch arbeiten. Ich gehe zum Schein drauf ein und zeige mich interessiert.

„Was würde denn finanziell dabei rausschauen?“

„Bei einem Mann mit Ihrem Wissen könnte man schon einen blanken Braunen locker machen – also 1.000 DM – im Monat, wobei natürlich klar ist, dass meine Organisation für wertlose Infor-
mationen nichts bieten kann, – auch könnte man für die Auszahlung einen Modus finden, der gar nicht erst Fragen bei Ihren Genossen über den plötzlichen Reichtum aufkommen lassen würde.“ (Für die Altersrente sparen oder was?)

„Und wenn ich nun abhauen müsste?“

„Sie meinen, wenn’s zu heiß wird und Sie Fliege machen müssten?“ (Ich kann mir bei diesem ge-
spielten Jargon ein Grinsen nicht verbeißen – man bemüht sich so zu sprechen, wie der andere es von einem erwartet, so bekomme ich ein Bild von ihm, durch das Bild, das er von mir hat – im-
merhin bin ich einer der berühmten Revolverschützen – sprich Anarchisten – im Westen anschei-
nend – right on!)

„Auch dafür wäre gesorgt, man könnte Ihnen im Ernstfall eine Existenz im Ausland mit Papieren besorgen, aber dieser Eventualfall ist so gering von Seiten unserer Organisation, dass dies nur eintreten könnte, wenn Sie selbst einen Fehler begehen. Schließlich könnten Sie jederzeit wieder bei uns aussteigen, ohne dass es für Sie die geringsten Konsequenzen hätte. Ich verlange von ihnen auch nicht, dass Sie sich gleich entscheiden – überlegen Sie sich die Sache nochmals in Ruhe.“

Dieses Gespräch dauert etwa 10 Minuten und wir verabreden uns in den nächsten zwei Tagen (verabreden ist natürlich ein Witz, denn ich sitze ja). Das ich mit niemanden darüber quatschen soll, wird mir dringendst ans Herz gelegt. Wieder in meiner Zelle angelangt, lach ich mich erst mal halbtot über diesen Scherz und soviel Dreistheit und Dummheit, wobei mir klar wird, wie meine Person als Ware eingeschätzt wird. 1.000 Emmchen gegen entsprechende Infos bin ich wert; seine Beteuerungen über den „richtigen Mann mit den interessanten Informationen“ sind klar in den Wind zu schießen und nur als psychologischer Trick zu verstehen bzw. als solcher angewandt.

Pünktlich wie ein Maurer werde ich ihm zwei Tage später wieder vorgeführt. Beim Wachpersonal gibt er sich als Herr Kerr (oder so ähnlich) vom LKA aus. Diese Unterredung dauert nun länger (ca. ne halbe Stunde) und bringt nicht sehr viel neues, da wir uns beide vorsichtig abtasten, solange keine entgültige Entscheidung von mir vorliegt. Ich versuche meine Entscheidung von ein paar Fragen abhängig zu machen.

„Wie sind Sie eigentlich auf mich gekommen?“

„Nun, wir wissen, dass Sie ein Mann mit Kopf sind (mit was’n sonst – immer diese psychologi-
schen Lobhudeleien – ich grinse), der deshalb auch eingesehen hat, dass der bisherige Weg nicht mehr so weiter gehen kann, und der auch an seine Zukunft denkt. Außerdem haben Sie sich in ihrer jetzigen Geschichte freiwillig gestellt – auch ein Zeichen dafür, dass Sie einen Schlußstrich ziehen wollen. Und schließlich sind Sie eben für uns der Mann, der Licht ins Dunkel bringen könnte.“

Auf Einwände wie z.B. Ruhland (siehe Bericht im Spiegel, der ihm natürlich bekannt ist) versucht er den Bereich des Verfassungsschutzes abzustecken. Ruhland war V-Mann für die Bullen, wo so was vorkommen mag, der Verfassungsschutz hingegen befasse sich nicht mit Straftaten und greife dort auch in keiner Weise ein, sondern versuche nur sich über das „Vorfeld des Anarchismus“ und die Bewegungen, die darin vonstatten gehen, klar zu werden. Lediglich bei brisanten Sachen, wenn z.B. um eine bestimmte Uhrzeit das Justizgebäude in die Luft fliegen soll, werde die Meldung wei-
tergereicht, da Leib und Leben natürlich Vorrang hätten (Was ist das Leben für die – Leben als Ware), ohne jedoch den Informationsträger preiszugeben, davon hätte die Organisation ja nichts (sehr wahr!). Von mir begangene Straftaten wären sämtlich gedeckt – er konstruiert einen Fall, der bald überstrapaziert worden ist – „angenommen, Sie wären bei dem Banküberfall der Deschler be-
teiligt gewesen, hätte das keine Konsequenzen“. Was zukünftige Straftaten anbelangt, könnte alles, was unter einer Bank liegt, gedeckt werden. Freibrief !!

„Sie haben ein bestimmtes Bild von mir, das Ihnen 1.000 Eier im Monat wert wäre, – welche Art von Informationen erwarten Sie sich?“

„Es ist klar, dass wir von Ihnen nicht gleich erwarten, dass Sie nach Frankfurt oder Berlin reisen, um dort Mollies zu werfen – Ihre Aufgabe wäre lediglich, Ihre Kontakte spielen zu lassen – Sie kennen ja genügend Leute – sich umzuhören, was so läuft und wie einzelne Personen einzuschät-
zen sind – Sie kennen ja z.B. Peter Schuldgefühl – ist das nun ein Mann, der sich lediglich verbal äußert oder betreibt er weitergehende Aktivitäten. (Oh, Mann, dachte ich mir, lass doch die Toten ruhn.) Oder es würden Gruppen von mir aus von Paris oder Berlin kommen – solche Informatio-
nen könnten uns schon weiterhelfen. Wissen Sie, wir sind keine Strafverfolgungsbehörde und arbeiten mit diesen auch nicht zusammen – wir wollen lediglich wissen, welche Gruppenkonstel-
lationen existieren, welche Bewegungen sie machen, welche Kreise sie ziehen, welche Aktivitäten sie entfalten, damit man ein Bild von der Szene bekommt, um sie einschätzen zu können, was ja auch in Ihrem Interesse liegen würde, um z.B. einem überproportionierten Bild von terroristischen Aktivitäten in der Öffentlichkeit vorzubeugen. (Mir bricht das Herz !) Mir ist klar, dass Sie mir von geplanten Banküberfällen und Bombenanschlägen vielleicht einmal in Jahr oder zwei Jahren be-
richten könnten – auch wenn z.B. eine Person daran beteiligt ist, die Ihnen nahe steht, brauchen Sie diese nicht zu erwähnen, in vergangenen Fällen hätte dies auch keine Konsequenzen. Nehmen wir z.B. Frl. Blättner, – angenommen sie wäre an der Planung oder etwas in dieser Richtung beim Banküberfall der Deschler beteiligt gewesen – diese Informationen wären ohne strafrechtliche Konsequenz. Ich stelle mir das so vor, dass Sie uns anfänglich aus der Vergangenheit berichten, welche Gruppen existiert haben in Nürnberg, was z.B. mit der Schwarzen Hilfe gewesen ist, was in München losgewesen ist – ich weiß mit Sicherheit, dass Sie uns darüber eine Menge berichten können. Solange Sie jedoch sitzen, könnten Sie uns wenig helfen, denn das Schwergewicht liegt natürlich auf den gegenwärtigen Verschiebungen innerhalb der Szene, die Sie für uns ideal aus-
kundschaften könnten.“

Langsam ermüdet mich das Spiel und ich mache Andeutungen, dass dies kein Job für mich wäre. Als Grund gebe ich zunächst mangelndes Vertrauen in den Verfassungsschutz an, was er sogar vorgibt zu verstehen, aber das käme eben auf einen Versuch an. Der Verfassungsschutz habe noch niemanden hängen lassen (ich grinse) und sorge für jeden Mitarbeiter, auch was die Zukunft an-
gehe – man würde mir bei Schwierigkeiten jeglicher Art helfen, auch einen meinen Wünschen entsprechenden Beruf könnte man mir längerfristig verschaffen (was mir natürlich ansonsten verwehrt bleiben würde – Gott sei Dank!). Auf die Sicherheit meiner Person dem Verfassungs-
schutz gegenüber geht er nochmals mit hinreichend bekannten Argumenten ausführlich ein. Schließlich erkläre ich ihm, wie er sich einbilden könne, dass ich eine 180-Grad-Wendung mache, wenn ich nach seinen eigenen Aussagen zufolge schon Jahre in der Szene stecke. Das müsste nicht sein, die politische Überzeugung könne ich weiterhin behalten – da platz ich raus, ob das wohl ein Witz wäre, eine politische Identität beizubehalten, wenn man für den Verfassungsschutz arbeitet – er relativiert etwas, nichtsdestoweniger mache ich ihm die Unmöglichkeit klar, auf der einen Seite für den Verfassungsschutz zu arbeiten und andererseits eine Gesellschaft anzustreben, wo Instan-
zen wie der Verfassungsschutz überflüssig sind. Er gibt dabei sogar zu, dass er auch nicht umsonst (weder kohlemäßig noch von der Einstellung her) für seine Organisation arbeitet. Die Fronten haben sich nun abgeklärt. Über eine Erfolgsquote seiner Arbeit will er mir keine Angaben machen. Er bittet mich noch Stillschweigen über unser Gespräch zu bewahren, was ja auch in meinem In-
teresse liegen müsste, um nicht bei den „Genossen“ in Verruf zu geraten.

Dieses Gedächtnisprotokoll, wie der Herr mit der dicken gelben Krawatte sicherlich bestätigen kann, wenn er dies liest, ist unvollständig und gibt nur bruchstückhaft Wesentliches wieder, ver-
mittelt jedoch wenig oder gar nicht die psychologischen Momente der Unterredung, vom vorsich-
tigen Abtasten – keine unvorsichtigen Äußerungen auf beiden Seiten – deshalb blieb der Text bis auf Ausnahmen ziemlich allgemein – bis hin zum Anpassen an den Gegner – z.B. „Wir würden Sie nicht nur finanziell unterstützen“, nicht nur Ware gegen Geld, sondern auch persönlich, oder: „Auch Ihre Identität können Sie beibehalten, wir wollen gar nicht, dass Sie der CSU plötzlich in die Arme laufen.“ Dem Gegner, also mir sollte vermittelt werden, dass alles ganz harmlos wäre, mit einem Hauch von Abenteuer (straffreies Molliswerfen für den V-Schutz!!), mein bisheriges Leben könnte ich nicht nur, sondern sollte ich sogar intensiver wie bisher weiter leben. D.h.: Ist dem Gegner nur die Kohle wichtig, wird auf der Geldebene verhandelt, bringt er andere Bedenken, z.B. Sicherheit gegenüber dem Verfassungsschutz, übernimmt dieser Vaterstatt. Dieses psychologische Anpassen an den Gegner äußert sich natürlich auch in der Sprache – Unterweltsjargon (der so peinlich wirkte, die gelbe dicke Krawatte passte wohl nicht dazu), wenn man beim Gegner diesbe-
züglich Anlagen zu entdecken glaubte. Schließlich immer diese Anspielungen, „unsere Organisa-
tion gibt keine Steuergelder für Dummköpfe aus, Sie sind der geeignete Mann, das wissen wir“ – damit sollte Anerkennung gezollt werden, über sonstige Differenzen hinweg und ein Bewusstsein von „Ich bin wer!“ geschaffen werden, das nur noch in bestimmte Kanäle geleitet zu werden braucht.

Trotzdem kann man sich nur schwer vorstellen, auf eine derart plumpe Anfrage reinzufallen (auch wenn sie im psychologisch richtigen Moment gestellt wurde – Knast!), oder derjenige hat nichts oder noch nie etwas begriffen. Umso fataler, dass diese Arbeit Erfolge zeitigt und inzwischen genü-
gend Verräter angeworben wurden – eine traurige Erfolgsbilanz für eine Linke, die es immer noch nicht verstanden hat, den Verrat mit anderen Mitteln zu bekämpfen, wie das System ihn produ-
ziert, denn Verräter werden nur die Leute, die keinen Zusammenhang aufweisen, hilflos von jegli-
chen sozialen und emotionalen Bezügen entfernt umherirren.

Billy the Kid


Roter Herzfleck. Revue für subversive Poesie und leidenschaftliches Leben, November 1976, 11 ff.

Überraschung

Jahr: 1976
Bereich: Bürgerrechte

Referenzen