Materialien 1977

Lächerlichkeit tötet

oder
Der Bayrische Informationsdienst richtet zugrunde

Neue Zeitschriften gibt es viele. Wer bei Montanus1 am Zeitschriftenstand steht und noch seine Sinne beisammen hat, wird bei der Vielfalt des Angebots nicht nur sehr schnell die Einfalt bemer-
ken, sondern sich auch den Gedanken an eine eigene (natürlich bessere) Zeitung aus dem Sinn schlagen müssen.

Und trotzdem. Da ist in München aus dem Nichts eine neue Zeitschrift entstanden, die gekauft – und gelesen wird. Schon auf die O-Nummer kamen Bitten um Gegendarstellungen. Die „Branche“ rätselte, wer dahinter stecke (dementiert ist mittlerweile, dass der Lichtensteiner Geheimdienst etwas damit zu tun hätte), und die Leser bestätigen täglich, wie notwendig die Alternative zur Alternative geworden sei. Da schreiben Carl Amery, Dieter Hildebrandt, Bernt Engelmann, Heinz Jacobi, Elisabeth Endres u.a. Der Stil einiger Berichte ließ vermuten, dass da noch ganz andere Leute mitschreiben.

Da waren Informationen zu lesen, Meinungen vertreten und Argumente vorgebracht, die in der gewöhnlichen Presse kaum zu finden sind. Der Inhalt ist mehr oder weniger auf bayrische Belange ausgerichtet, die jedoch auch die Preußen interessieren musste. Die Redaktion scheute selbst die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus nicht, ist mit Maihofer2 einig, nach den Ursachen zu forschen. Dazu wurde eine Rubrik eingerichtet: Linke Seite – Rechte Seite – Berichte aus dem Untergrund. Einen großen Teil der Berichterstattung machen die Pressemitteilungen der verschie-
densten Verbände aus, die, wenn überhaupt, in der gewöhnlichen Presse nur verstümmelt wieder-
gegeben sind.

Im September erschien die Nr. 1 mit der Titelgeschichte über das Unwesen der türkischen Faschi-
sten in Bayern, über die Kadergruppen der „Grauen Wölfe“. Ein Bild zeigt den türkischen Ex-Vize-Premier und Vorsitzenden der faschistischen Partei MSP, Alparslan Türkesch, beim Verfassungs-
bruch. Der Artikel 140 der türkischen Verfassung verbietet nämlich türkischen Parteien, im Aus-
land Nebenorganisationen zu unterhalten. Auf dem Bild ist Türkesch zu sehen bei einer geheimen Inspektion einer illegalen Kommandozentrale der Faschisten bei Hasan Oraltay, einem türkischen Geheimdienstler mit amerikanischem Pass und Mitarbeiter bei Radio Liberty in München. Die türkische Presse stieg auf diesen Artikel ein, die Tageszeitung Millyet berichtete fast ganzseitig.

Seit dieser Zeit erkundigen sich „südländische“ Männer in der Nachbarschaft der Redaktion nach der Anzahl meiner Kinder, nach meiner Privatadresse und nach der Zahl der Mitarbeiter in dem Verlag.

Vierzehn Tage nach Erscheinen wurden die restlichen hundertachtzig Exemplare dieser Ausgabe beschlagnahmt. Im Beschlagnahmebeschluss wurde dies mit Paragraph 140 StGB begründet: „Be-
lohnung und Billigung von Straftaten.“

Auf der „Linken Seite“ (Berichte aus dem Untergrund) war der so genannte Buback-Nachruf abge-
druckt.

Die Argumentation der Redaktion: „Wenn drei dürre Zitate aus einem seitenlangen Elaborat wo-
chenlang Gegenstand der öffentlichen Diskussion sind und dazu benutzt werden, alles was links von Dr. Gerhard Frey und seiner National-Zeitung angesiedelt ist, in den Sumpf der Mordbuben zu ziehen, dann darf es nicht länger das Privileg der Journalisten, Staatsanwälte und Richter sein, eben dieses Pamphlet zu kennen und darüber zu urteilen.

Wir trauen unseren Lesern zu, dass sie in der Lage sind, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Deshalb erfolgte kommentarlos der Abdruck in der Rubrik „Berichte aus dem Untergrund“. Kommentarlos deshalb, weil sich irgendeine fadenscheinige Rechtfertigung schon durch den klaren Standpunkt erübrigt, den der Bayrische Informationsdienst in seinen redaktionellen Beiträgen einnimmt.

Die rechtliche Situation zur Veröffentlichung war nach dem Gespräch mit dem Rechtsanwalt ein-
deutig: In Düsseldorf war es in gleicher Sache nicht zur Verhandlung gekommen; bekannt war zu diesem Zeitpunkt dem Rechtsanwalt nicht, dass weitere Ermittlungsverfahren anhängig sind. So gab und gibt es bis heute keine gesetzliche Grundlage für diese Beschlagnahme.“ (aus der Presse-
mitteilung)

Der US-Journalist Paul Moore übernahm in Höfers Frühschoppen3 diese Argumentation.

Gegen die Judos in Berlin und Saarbrücken laufen keine Strafverfahren; der RCDS verteilte diesen Nachruf auf dem Deutschlandtag seiner Partei, ohne mit dem Gesetz noch mit der Parteispitze in Konflikt zu kommen; die Dokumentation kann auch heute noch in der Buchhandlung offen gekauft werden.

Die eigentlichen Schwierigkeiten begannen jedoch erst nach der Beschlagnahme. Sie begannen mit der, wenn auch geringen Publizität. Diese Publizität ist ein zweischneidiges Schwert. Sie bringt eine kostenlose Werbung, und diese Werbung transportiert ein negatives Image. Im Spiegel wurde der Bayrische Informationsdienst wegen der Beschlagnahme im Rahmen der Berichterstattung über Sympathisanten erwähnt und versucht, die Autoren wie Dieter Hildebrandt und Carl Amery gleich mit in den Sumpf zu ziehen; in der berüchtigten Neuen Passauer Presse versuchte dies CSU-MdB Günther Müller auch mit dem Münchener Oberbürgermeisterkandidaten der AUD, Max Winkler, und die Bild-Zeitung rief, für die Normalleser mehr als unverständlich, indirekt zum Anzeigenboy-
kott auf. – Chefs der Werbeetats einiger namhafter Verlage versicherten zu eilfertig, dass ihre leere Kassen nichts mit der Beschlagnahme zu tun hätten; ein gewisser Becker vom Bertelsmann Verlag erdreistete sich sogar, einen impertinenten Brief schreiben zu lassen.

Der Vertriebsleiter des Bayrischen Informationsdienstes hatte die größten Schwierigkeiten, noch einige Kioskbesitzer zum Verkauf der Nr. 2 zu überreden.

Die Beschwerde gegen die Beschlagnahme wurde „als unbegründet verworfen“.

Statt dessen kam die sechzehnseitige Anklageschrift. Darin behauptet der Staatsanwalt Dr. Stocker u.a. ernsthaft, dass die Verunglimpfung durch den Nachdruck des Buback-Nachrufs darin gipfle, dass die bestehende Ordnung und ihre Repräsentanten als so nichtswürdig dargestellt werden, dass sie auf lange Sicht und Dauer an ihrer eigenen Lächerlichkeit zugrunde gehen müssen.

Wenn Stocker beim Prozess im Februar derartig argumentiert, kann der Abbau von Rechtsstaat-
lichkeit auch noch heiter werden.

Armin Witt, Bayrischer Informationsdienst, München


Entwicklungen. Künstlergemeinschaft Erich Mühsam, München 1978, 31 ff.

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1 Verkaufskette für Printerzeugnisse.

2 Bundesinnenminister.

3 Beliebte sonntägliche Diskussionssendung im Fernsehen.

Überraschung

Jahr: 1977
Bereich: Militanz