Materialien 2005

Alle aus der Emma-Ihrer-Straße wollten die Pakete weg haben

von Ahmed D.

Der Essenspakete-Boykott hat angefangen, weil die Familien immer Probleme hatten. Wir waren fünf Familien, Alle wollten, dass sich mit dem Essen etwas ändert, aber wir haben keine Lösung gefunden. Die Familien haben gesagt, sie können nicht mehr mit den Essenspaketen leben. Aber, wie gesagt, eine richtige Lösung konnte keiner für sich selber finden. Am Anfang gab es ein oder zwei Familien, die die Essenspakete nicht mehr annehmen wollten. Alleine fanden wir keinen Weg, wir wussten nicht, wie man das macht und wie man dagegen kämpfen kann. Und dann haben wir Leute von der Karawane kennen gelernt, die haben gesagt: „Wir unterstützen Euch, wenn Ihr das macht“. Und da haben wir gesagt, wenn wir Leute von der Karawane haben, die uns helfen, dann können wir beginnen. Zuerst haben wir eine Demo gemacht und dann kamen viele Familien dazu und wir haben keine Essenspakete mehr angenommen.

Am Anfang waren 50 bis 60 Leute aus verschiedenen Ländern dabei: Kurden, Araber, Turkmenen, Afrikaner. Die Karawane hat die Leute unterstützt, wir haben ein paar Mal ein bisschen Geld be-
kommen, damit vor allem die Familien leben können. Wir haben auch zwei Mal pro Woche durch die Karawane Obst, Gemüse und andere Lebensmittel gekriegt. Zusammen mit der Karawane konnten die Leute weitermachen und weiterkämpfen.

Viele konnten mit der Zeit nicht immer dabei sein, weil sie auf die Kinder aufpassen oder im Lager etwas machen mussten. Aber einige blieben dabei und jeder wollte seine Meinung vorbringen, denn die Essenspakete waren ein großes Problem. Es war das erste Mal, dass die Essenspakete boykottiert wurden. Alle aus der Emma-Ihrer-Straße wollten die Pakete weg haben.

Die Zusammenarbeit zwischen den Leuten unterschiedlicher Nationalitäten verlief gut, denn jeder hatte das gleiche Problem und wollte etwas dagegen machen. Es gab ein paar Probleme wegen der Essensaufteilung – es war eben das erste Mal, dass so etwas gemacht wurde. Aber jeder wusste: Sein Problem ist mein Problem und mein Problem ist sein Problem, und darum hat es geklappt.

Die Leute von der Karawane sind nett, sie wollten den Leuten aus dem Lager helfen. Sie haben auch geholfen, allerdings hatten sie auch keine Lösung. Es gab viele Vorschläge und Ideen, immer wieder etwas Neues. Von unseren Leuten im Lager gab es immer Leute, die nachdachten und Pläne machten, was weiter passieren soll – auch zusammen mit der Karawane. Wirklich, es war schön.

Wir haben mit dem Boykott nicht wirklich etwas erreicht. Aber wir konnten unsere Stimme erhe-
ben und den Leuten sagen, dass wir nicht mehr leben können mit den Essenspaketen. Wir haben uns damals auch mit den zuständigen Leuten von der Regierung getroffen und sie haben sich auch angehört, was für Probleme wir haben. Was ändern konnten wir nicht, aber das Wichtigste ist, dass wir gezeigt haben, dass wir Probleme haben und dass wir nicht zufrieden sind. Und ich glaube, dass die Leute gehört und verstanden haben, warum wir die Essenspakete boykottieren.

Ich habe immer die Hoffnung, dass sich irgendwann die Gesetze ändern. Hier in Deutschland wäre es nicht so schwer, dass alle zufrieden sein könnten und ihre Freiheit haben. Und ich glaube, ir-
gendwann wird sich etwas ändern. Aber man muss immer darum kämpfen. Wenn man Probleme hat, ob große oder kleine, ändert sich nichts, wenn man nicht kämpft. Und wenn man gegen Geset-
ze kämpft, muss man es kraftvoll tun.


Karawane München – die ersten zehn Jahre, München 2008, 32 f.

Überraschung

Jahr: 2005
Bereich: Flüchtlinge

Referenzen