Materialien 1997
Aufruf zur Vorbereitung überregionaler Innen-Stadt-Aktionen im Sommer ’97
In der Innenstadt kreuzen sich Verkehrs-, Waren- und Passantenströme. Immer wieder tauchen in diesen Strömen Leute auf, die angeblich stören. Obdachlose, die sich in der Stadt aufhalten wollen, Junkies, die Treffpunkte, Ruhe und Stoff brauchen, MigrantInnen, denen es eventuell an touristi-
scher Kaufkraft und Aufenthaltsrecht mangeln könnte usw. Deshalb gibt es Kontrollen, Videoka-
meras, Platzverweise. In allen Städten entstehen neue Allianzen zwischen Geschäftsinhabern, Si-
cherheitsdiensten und städtischen Institutionen, die die Innenstadt dem „gehobenen Kauf-Erleb-
nis“ und der gestylten Repräsentation von Unternehmen vorbehalten möchten. Gegen diese Kon-
trolloperationen werden im Juni dieses Jahres in der BRD, der Schweiz und Österreich Aktionen organisiert, um die neo-rassistische Sauber-City zu überraschen.
« Gleichzeitige Aktionen in möglichst vielen Städten sollen den Konsens stören, dass innerstädti-
sche Räume mehr und mehr einer „qualifizierten Öffentlichkeit“ (Deutsche Bahn AG) zugänglich sind, und dass Geschäftsleute mit Hilfe von Polizei und privaten Diensten bestimmen, wer sich vor ihren Läden aufhalten darf.
« Ausgrenzung und Aufsplitterung sollen aufgehoben werden, indem sich über die Aktionen Leute treffen, die sonst individualisiert Repressionen erfahren.
« Ein Anstoß soll für weitergehende Diskussionen und für lokale wie überregionale Aktionsbünd-
nisse und die Sichtbarkeit linker Politik gegeben werden.
Seit dem Umbau Münchens zur Olympiastadt ist die Innenstadt für Geschäfts- und Dienstlei-
stungszentren vorgesehen. Der Marienplatz zum Beispiel bietet zwar größte Medienöffentlichkeit und wird deshalb gerne für Kundgebungen genutzt, ist aber ansonsten von Touristen und kauf-
kräftigen Einheimischen beherrscht. Die Umstrukturierung von München in Konsum/Tourismus- und Machtrepräsentationszonen ist weitgehend durchgesetzt und wurde in den letzten Jahren nur durch neue Verordnungen vervollständigt (Konsumverbot alkoholischer Getränke in der Fußgän-
gerzone/Aufenthaltsverbote & Platzverweise).
Wir, Aktivistinnen aus dem Kultur- und Politikbereich, planen zur Innen-Stadt-Aktion im Juni 1997 in München einen repräsentativen Raum in der Innenstadt zu bekommen, um hier unseren Forderungen Präsenz zu verleihen, weiter zu arbeiten und um uns ein Stück des Zentrums anzu-
eignen. Unser Aufruf geht nun an alle Gruppen und Initiativen, die von Verdrängung betroffen sind bzw. zu den angesprochenen Themen arbeiten, sich an der Aktionswoche zu beteiligen. Die Räumlichkeiten sollen dazu dienen, möglichst vielfältige Interessen und Arbeitsformen vorzustel-
len und jede Gruppe könnte hier selbstorganisiert ihre Arbeit bzw. ihre Forderungen in der Innen-
stadt präsentieren und behaupten.
Unabhängig von dieser Initiative, sich im Zentrum eigene Räume anzueigenen, sollen bei den In-
nen-Stadt-Aktionen kapitalistische und rassistische Ordnungspraktiken unterbrochen werden. Darüber hinaus können wir uns vielfältige Projekte, die sich mit der Veränderung der Innenstadt beschäftigen, vorstellen. Wir schlagen allen interessierten Gruppen vor, ein gemeinsames Aktions-
programm abzustimmen und laden zu einem Innenstadtplenum ein.
Kontakt: Tel. 089/6971471
zweite hilfe. Hysterieblatt für die absteigenden Mittelschichten, Frühjahr 1997, 72.