Materialien 1992
Quod licet Nazi, non licet Sozi*
*lateinisches Sprichwort: Was dem Nazi erlaubt ist, darf der Sozi noch lange nicht.
Wann wird uns das Gerede vom „Asylproblem“ endlich zu blöd? Oder anders gefragt, weniger hoff-
nungsvoll: was macht dieses Thema so unendlich attraktiv? Warum hält sich die Panik vor der „Asylantenschwemme“ soviel länger als die Aufregung um Aidsgefahr, Waldsterben und Ozonloch? Und wie konnte es passieren, dass das Gerede vom „Asylproblem“ alle anderen gesellschaftlichen Diskurse überlagert?
Beim Thema „Asyl“ kann endlich jede und jeder mitreden. Übers Ozonloch kann der Laie nur staunen. Der Rest ist Wissenschaft und tun lässt sich eh nichts dagegen. Aber über Flüchtlinge braucht mann/frau nix zu wissen, muss noch nie welchen begegnet sein, um jederzeit allen erzäh-
len zu können, dass sie es nur darauf abgesehen haben, in unseren Wohnzimmern die Füße auf den Tisch zu legen. Und vor allem: jede und jeder kann etwas tun: Tür zu, Frau Nachbar, wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf. Unser aller „Asylproblem“ schweißt uns zur Volksgemeinschaft zusammen.
In München gibt es (Stand Ende Februar 1992) 6.800 Asylbewerberinnen und Asylbewerber. 1986 waren es noch 5.016. Es sind also mehr geworden. Nämlich in sechs Jahren 1.784 Leute. Dass das keine „Asylantenschwemme“ ist, müßten auch die wissen, die ständig davon reden. Wenn es sich hier um ein Problem handelt, dann ist es ein verwaltungstechnisches. Ein Problem der Stadtver-
waltung: Sozialreferat, Wohnungsamt. Die Verwaltung hat bei der Unterbringung der Flüchtlinge versagt, wie in so vielen anderen Fällen auch (Wohnungspolitik, Obdachlosigkeit, etc.). Also nichts besonderes, nur dass diesmal die Untätigkeit der Verwaltung einem politischen Kalkül gehorcht hat: schon im Sommer 1991 war die Stadt bei der Unterbringung von Flüchtlingen mit 600 Bett-
plätzen im Rückstand. Obwohl mit einem Zuweisungsbescheid der Regierung von Oberbayern gerechnet wurde, traf die Stadt keinerlei Vorbereitungen. So konnte Kronawitter, nachdem die Stadt im November 1991 den Rechtsstreit gegen die Regierung von Oberbayern erwartungsgemäß verloren hatte (Rückstand inzwischen 1.210 Personen), von einer „neuen Asylantenflut“ sprechen und den „Asylnotstand“ ausrufen.
Nachdem Kronawitter erst mal die Stadt zum Opfer staatlicher Zuweisungspolitik stilisiert hatte, konnte er zur Jagd auf die eigentlichen Schuldigen aufrufen: die angeblichen „Wirtschaftsflücht-
linge“, „Scheinasylanten“ und „Asylschmarotzer“, die dreifach Sozialhilfe abkassieren und sich hier auf unsere Kosten dumm und deppert verdienen. Die von der Presse auftragsgemäß weiterver-
breitete Hetze wurde von Schikanen gegen die Flüchtlinge selbst begleitet: frühmorgendliche „Zählappelle“ in den Lagern, Ausweiskontrollen und Durchsuchungen der Bewohnerinnen und Bewohner, polizeiliche Razzien, willkürliche Festnahmen, Streichung von Sozialleistungen. Mitte März konnte sich Kronawitter schon erster „Erfolge“ rühmen: aus Angst vor Übergriffen begannen vor allem nigerianische Flüchtlinge München zu meiden. Kronawitter: „…es hat sich herumgespro-
chen, dass München ein heißes Pflaster für sie wird.“ (SZ, 10. März 1992)
Das ist es, was den Kronawitterschen sog. „Populismus“ ausmacht: erst dem Volk die Gebrauchs-
anweisung für Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in die Hand zu geben, um sich dann als ach so gemäßigter Vertreter der Volksmeinung auszugeben. Erst Intoleranz verbreiten und dann schein-
heilig Verständnis äußern, dass „die Bürger mit ihrer Toleranz am Ende sind.“ Kronawitter ist die gesellschaftliche Durchsetzung einer neuen Schamlosigkeit gelungen: „progressiv“ sein und zu-
gleich rassistisch, darin liegt kein Widerspruch mehr. Die neue Bürgerbewegung, die sich im Schat-
ten der Rathauspolitik gegen die Flüchtlinge formiert, vereinigt sich nicht zu den Klängen von Marschmusik, sondern unterlegt ihre demonstrativen Auftritte mit den Songs der Protestbewe-
gung: „Während gerade der Woodstock-Song ‚Freedom’ über die Lautsprecheranlagen lief … zer-
brach Versammlungsleiter Heinz Schwindler … unter dem Beifall der Umstehenden den Holzmast eines Spruchbandes, das eine Handvoll Gegendemonstranten aufgespannt hatten.“ (SZ, 23. März 1992)
Das neue Münchner Modell: nicht mehr nötig, zu den Republikanern zu gehen, um den eigenen fremdenfeindlichen Ressentiments freien Lauf zu lassen. In den Nachbarschaftsinitiativen „Gegen Asylcontainer im Wohngebiet“ rotten sich nicht überzeugte Faschisten zusammen, sondern jene unbescholtenen Bürgerinnen und Bürger, die „nur ihre Ängste artikulieren“. Und für Ängste, mö-
gen sie auch noch so dumpfen Phantasien entspringen, kann ja niemand was: „’Können unsere Kinder noch allein in die Schule gehen, wenn in dem Lager 360 junge Männer hausen?’ … Die Bür-
gerin warnte sogar wörtlich vor dem ‚Sexualstau’ der eingepferchten Männer.“ (Stadtanzeiger, 16. April 1992) Oder weniger triebtheoretisch formuliert: „Wenn dort in der warmen Jahreszeit 20 bis 30jährige Männer herumlungerten, sei ‚im Nu die Hose runter’, sagte eine Mutter.“ (SZ, 14. April 1992) Doch nicht nur der Sexualstau droht, sondern auch Verkaufshemmung: „Hier wollte jemand seine Wohnung verkaufen und ist sie nicht mehr losgeworden.“ (Stadtanzeiger, 12. März 1992) So lautet dann der Ratschlag der neuen Nachbarschaftsgemeinschaft an die Flüchtlinge: „Die sollen sich doch gegenseitig umbringen.“ (Stadtanzeiger, 12. März 1992)
In diesem neuen Klima der rassistischen Un-Verschämtheit fällt es dann einer Figur wie Erich Riedl (für die CSU im Bundestag) leicht, die Hose vom breiten Arsch zu lassen und „auszuspre-
chen, was alle denken“: „Der Münchner Süden muss ab sofort zur asylantenfreien Zone erklärt werden.“ (Stadtanzeiger, 9. April 1992) Gedacht haben wird er sich solches Zeug schon immer. Dass er solche Parolen aus dem Wortschatz faschistischer Aussonderungs- und Vernichtungs-
politik jetzt ungeniert und unter allgemeinem Beifall von sich geben kann, das haben jene „gute Demokraten“ zu verantworten, die mit der Konstruktion und der dramatischen Inszenierung des „Asylproblems“ den Rassismus gesellschaftsfähig gemacht haben.
Westend Nachrichten Stadtteilzeitung für das Westend und die Schwanthalerhöh’ 2 vom Juli/ August 1992, 7 f.