Materialien 1967
Im Juli 1967 wurde das „Studentenwerk“ fertiggestellt ...
ein großes neues Verwaltungsgebäude, in dem in den beiden Untergeschossen der AStA mit seinen zehn oder zwanzig Räumen für die verschiedenen Referate untergebracht werden sollte. In einer feierlichen <Schlüsselübergabe> sollte mir vom stellvertretenden Kultusminister Lauerbach, Jagdflieger und Waffen-SS-Mitglied bis 1945, die Schlüssel übergeben werden. Da waren die Honoratioren der Stadt und der Kirche mit dunklen Anzügen und so anwesend, Blumentöpfe überall usw. In dieser feierlichen Atmosphäre haben die Studenten – so wie wir es vereinbart hatten – Flugblätter mit Zitaten von Lauerbach an die Honoratioren und Zeitungsleute verteilt. Was der so von sich gegeben hatte in öffentlichen Reden in der Nazizeit, wie zum Beispiel in seiner Rede auf dem letzten Treffen der SS. Und ich sollte dann die Dankesrede halten für die Schlüssel. Das habe ich auch getan und mich ganz ruhig für die Schlüssel bedankt, und dass wir jetzt schöne neue Räume haben für unsere Arbeit.
Aber wir bräuchten auch ein bisschen mehr Rechte, um an der Universität mitbestimmen zu können. Bisher durften wir nur beim Sport mitreden. Wir wollten aber auch über Lehrinhalte und Forschungsgegenstände mitbestimmen, über alles in der Universität. Es ging um Demokratisierung innerhalb der Universität. Und dann habe ich den Lauerbach direkt angesprochen und ihm ganz ruhig gesagt: «Gerade Sie, Herr Staatssekretär, Sie haben ja während des letzten Treffens der Waffen-SS die Wiederherstellung der alten Traditionsverbände aus der Weimarer Republik gefordert: Und dass wir dagegen antreten wollen, weil wir genau das Gegenteil anstreben.» Das habe ich ganz ruhig gesagt, aber in der Sache natürlich scharf. Und damals war schon mein äußeres Auftreten eine Provokation, weil ich eben keinen Schlips, weißes Hemd und schwarzen Anzug trug, sondern einen Rollkragenpullover und eine Cordhose. Es war so, als wenn ich den Lauerbach tätlich angegriffen hätte.
Das war tabu, offen auszusprechen, dass eben nicht alles anders geworden ist und nichts mehr mit der Nazizeit zu tun hat. Mit den Zitaten auf den Flugblättern und dem, was ich gesagt hatte, haben wir das Tabu durchbrochen. Der evangelische Bischof von München stürzte auf Lauerbach zu und erklärte ihm, ich sei noch vom Schmerz über den Tod meines Vaters überwältigt und verwirrt, der zwei Wochen vorher gestorben war. Der war überhaupt leicht nervös, der Bischof. Bei der Trauerrede auf der Beerdigung meines Vaters war er auch schon ausgerutscht und um ein Haar in die Grube zu meinem Vater gefallen … Aber der Staatssekretär ließ sich auch nicht durch den Bischof besänftigen, kommt auf mich zu und sagt in schneidendem Ton: «Wie heißen Sie denn?» Da habe ich ihm meinen Namen gesagt, und daraufhin hat er gesagt: «Studieren Sie erstmal und machen Examen!» Dann habe ich so ein bisschen militärisch-kurz geantwortet, vielleicht auch militärisch strammgestanden oder Zeichen gemacht und gemeldet: «Ich bin Rechtsreferendar, Herr Staatssekretär!»
Damals hatte ich nämlich mein Jurastudium schon beendet und machte im Zweitstudium Soziologie. Am nächsten Tag war diese in den Schlagzeilen der Münchner Zeitungen. Und kurz darauf machte die Süddeutsche Zeitung eine Serie, die sie dann auch als Sonderdruck herausgab mit dem Titel: «Was ist an den deutschen Universitäten los?» Und die Schlagzeile über München hieß aus Anlass dieses Vorfalls und mit einem großen Foto von mir, natürlich im Rollkragenpullover: «Die Linke begibt sich auf den Kriegspfad.» Also war das für die da oben, was wir auf der zeremoniellen Einweihung gemacht haben! Ich glaube heute, rückblickend sagen zu können: Diese öffentliche Tabuverletzung von mir, das war der Punkt, an dem man sich entschlossen hat, mich zunächst als AStA-Vorsitzenden, also als öffentliche Person, so schnell wie möglich auszuschalten. Beispielsweise schaltete sich Strauß persönlich ein, dass anstelle der alten wirkungslos gebliebenen Studentengruppen seiner Partei eine neue organisiert und finanziert wurde. Statt hieß die nun ganz neutral <Münchener-Studenten-Union – MSU – Modern-Sachlich-Unabhängig>.
Der linke AStA und ich als dessen Vorsitzender sind dann schon ein halbes Jahr später abgewählt worden, eben auch aufgrund der Kampagne der Zeitungen, wo ich das erste Mal erlebt habe, wie stark die geballte Staatsmacht ist mit allen ihren Zeitungen und ihren Mitteln, auch finanziellen Mitteln, wenn sie quasi ein gewisses Bild von einem vermitteln will. Diese Abwahl hatte aber nur zur Folge, dass viele Studenten gerade durch die Art und Weise, wie wir abgewählt worden sind, durch diese Lügenkampagnen gegen uns mobilisiert worden sind. Die Zahl derer, die auf Demonstrationen gingen, auch zu den öffentlichen Parlamentsversammlungen, verdoppelte sich plötzlich. Also die Mehrheit der Wähler hatte uns zwar abgewählt, aber die Art und Weise, wie diese Abwahl von der Staatsmacht organisiert worden war, hat sehr viele Leute dazu gebracht, sich nicht nur mit Wahlen zu begnügen, sondern selbst auf die Straße zu gehen und selbst aktiv zu werden.
Rolf Pohle, Mein Name ist Mensch. Das Interview, Berlin 2002, 35 ff.