Materialien 2011

Gegen jeden Krieg

Für eine emanzipatorische antimilitaristische Perspektive
Winter 2011 – Wir haben uns entschlossen, mit diesem Papier eine Diskussion über antimilitaristische Politik in der linksradikalen Szene in München anzustoßen.

Als neu konstituierter Zusammenhang, aus dem einige Leute seit 2002 in der linksradikalen Mobi-
lisierung gegen die Münchener Sicherheitskonferenz (Siko) aktiv waren, hat uns gleich zu Beginn unserer Reflexion eine große Ratlosigkeit überfallen. Das ist vielleicht nicht sehr überraschend: denn zehn Jahre Siko-Mobilisierungen stehen in München neben einer sehr wichtigen Bewegungs-
geschichte nicht nur für Positives. Das Interesse an der Mobilisierung ist im Laufe der letzten Jahre kontinuierlich abgeflaut und einige prägende autonome Zusammenhänge haben sich lokal wie bundesweit zurückgezogen. Szeneinterne Streitigkeiten bei der diesjährigen Sicherheitskonferenz haben darüber hinaus grundsätzliche Fragen zur Zukunft dieser Kampagne aufgeworfen. Wir sind mit dem aktuellen Stand der Diskussion mehr als unzufrieden und wollen gerne klären, warum die Mobilisierung für so viele scheinbar an Relevanz verloren hat.

Doch es geht uns hier nicht nur Linie darum, wie es perspektivisch mit der Mobilisierung gegen die Siko weitergehen könnte, obwohl uns diese nach wie vor am Herzen liegt. Wir wollen in München eine kritische und breite Auseinandersetzung über Antimilitarismus und antimilitaristische Politik und Praxis lostreten.

Gleichmal vorne weg: Wir haben mehr Fragen als Antworten zu bieten. Unsere Diskussion über das Thema Antimilitarismus und unsere praktischen Erfahrungen der letzten Zeit haben bei uns nicht nur Kritik an einer gewissen Ignoranz bei einigen Gruppen hervorgerufen, sondern auch eigene Widersprüche in diesem politischen Feld deutlich gemacht.

Das führt uns gleich zu Beginn zu grundsätzlichen Fragen, die wir hier aufwerfen wollen:

Was verstehen wir unter Antimilitarismus?

Was hat das eigentlich mit unserem Alltag zu tun?

Warum ist Antimilitarismus für uns als Linksradikale und autonome Linke überhaupt wichtig?

Wieso ist die Auseinandersetzung mit globalem Krieg und Militarismus in der Gesellschaft sowie der Münchner Szene nur partiell präsent?

Bei welchen Themen fühlen wir uns ohnmächtig?

Wie entkommt man einem grob vereinfachenden Schwarz-Weiß-Denken innerhalb der Auseinandersetzung mit komplexen Themen?

Welche Positionen sind für uns in diesem Feld problematisch bis unerträglich?

Wie verstehen wir die Begriffe internationale vs. antinationale Solidarität, und wen interessiert das überhaupt?

Wo geht es in unseren aktuellen Diskussionen noch um eine reale Veränderung der herrschenden Verhältnisse?

Und wo geht es eher um einen bestimmten Hype im Sinne einer politischen Mode oder Konjunktur?

Bevor wir näher auf diese Fragen eingehen werden, möchten wir noch etwas zu unserer Motivation für diesen Text sagen:

Vor einigen Monaten wurden wir durch einen Aufruf auf die europaweite Kampagne „Krieg be-
ginnt hier“ – „War Starts Here – Kriegerische Normalität markieren und angreifen“ aufmerksam. Wir waren davon erst mal ziemlich begeistert: Offensichtlich gibt es verschiedene Gruppen und Initiativen, die ihre Aktivitäten und Mobilisierungen in dieser Kampagne bündeln wollen, um einen gemeinsamen antimilitaristischen Prozess zu ermöglichen und die europäische Kriegsma-
schinerie zu sabotieren – sei es durch politische Agitation, zivilen Ungehorsam oder direkte Akti-
on. Aber was heißt es, die kriegerische Normalität hier anzugreifen? Wer ist in München bereit, bei dieser Kampagne mitzumachen? Inwiefern wird Krieg auch von hier aus organisiert und geführt? Wir haben uns also mit vielen Zweifeln auf die Suche nach Antworten gemacht …

Im folgenden Text werden wir uns hinsichtlich kriegerischer Konflikte auf der Beispielebene vor allem auf den Libyenkrieg beziehen – aus aktuellem Anlass und weil wir finden, dass sich an die-
sem Beispiel einige grundsätzliche Widersprüche innerhalb linker Positionen diskutieren lassen.

Der Krieg beginnt hier … als Normalzustand

Wir haben uns zunächst mal gefragt, inwiefern man von „kriegerischer Normalität“ sprechen kann. Tatsächlich ist Krieg nicht nur in den direkt betroffenen Regionen sichtbar, sondern auch in den kriegführenden Ländern. In einem Beitrag des antimilitaristischen Netzwerkes KiF (Krieg ist Frie-
den) heißt es dazu: „Der Frieden hier ist Teil des Kriegs woanders – und nicht seine Auflösung. Unser Normalzustand erfordert Krieg anderswo. Und unsere Normalität erfordert die Normalisie-
rung von Militär und Kriegsführung, von Repression und Aufrüstung, und sie erfordert die Ab-
straktion davon, dass diese mit den eigenen Verhältnissen zu tun haben. Denn solche/unsere Ver-
hältnisse erfordern eine Reihe von Ausblendungen, sonst lassen sie sich nicht aufrecht erhalten.“

Vielleicht ist hier schon ein Punkt angesprochen, warum Militarisierung, welche die Gesellschaft so grundlegend durchzieht, momentan selten explizit zum Thema linker Politik gemacht wird – sie ist auf so vielen Ebenen Teil des Alltags geworden, dass wir ihre Auswirkungen als „ganz normal“ bzw. als irgendwie Scheiße im Rahmen der allgemeinen kapitalistischen Verhältnisse wahrnehmen. Auch wenn letzteres sicherlich richtig ist, reicht diese Feststellung nicht, um Militarismus in seinen vielen Facetten sichtbar und angreifbar zu machen.

„Krieg beginnt hier“ heißt, dass hier im Alltag Geschlechternormen (re)produziert werden, die mi-
litärische Männlichkeiten begründen. Die heteronormative Einteilung der Welt in „männlich“ und „weiblich“, die nach wie vor die gesellschaftlichen Verhältnisse hegemonial strukturiert, bereitet den Boden für die Legitimierung und Mobilisierbarkeit für Kriege. Sie schränkt den Denk-, Erfah-
rungs- und Handlungsraum jenseits von Rollenzuschreibungen, die in die Logik des Krieges ver-
flochten sind, ein. Was uns an soldatischen Männerbünden oft so anwidert – „Heldentum“, Gehor-
sam, Gewalt gegen als „schwache“ Wahrgenommene, Homophobie und Sexismus – sind dabei die extremen Formen von Denkmustern und Verhaltensweisen, die Teil unseres Alltags sind.

Nicht zuletzt in der medialen Vermittlung von Krieg stoßen wir auf genau solche Muster, die mei-
stens auch rassistisch aufgeladen sind – und sich in die alltäglichen Wahrnehmungsweisen ein-
schreiben. So z.B. entfaltet der Begriff „war on terror“, der seit 2001 verharmlosend für eine bru-
tale Kriegspolitik steht, eine bilderreiche Wirkungskraft, die bipolare Denkweisen auf den Plan ruft. „Zivilisatorisch bzw. aufgeklärt“ vs. barbarisch“, „westliche Demokratie“ vs. „religiöse, auto-
ritäre Herrschaft“, „mit Bart und Kopftuch“ vs. „frisch rasiert und modisch gekleidet“, „westlicher Retter“ vs. „islamistischer Unterdrücker“, „emanzipierte und aktive Frauen“ vs. „unterdrückte und passive Frauen“. Dies sind nur einige der platten homogenisierenden Stereotype, die im „war on terror“-Diskurs mitschwingen, welcher mit diesen Bildern ein vermeintliches Bedrohungsszenario entwirft, das ebenso zur Legitimierung von Kriegen wie als Schablone der alltäglichen Ausgren-
zung funktioniert. Das ist keine neue Erkenntnis, aber eine Realität, die auch nach zehn Jahren an Aktualität nicht verloren hat und deren auf kolonialen Bildproduktionen fußenden Konstruktionen sich auch in den aktuellen Diskurs um den „arabischen Frühling“ einschreiben.

Der Krieg beginnt hier … im entweder oder

Die bipolare Logik, die jeder kriegerischen Situation innewohnt, wurde vor kurzem wieder in der Diskussion um den NATO-Krieg in Libyen deutlich. In dem autonomen Positionspapier „Den Krieg, den alle lieben“ wird dieses Dilemma des Entweder-Oder auf den Punkt gebracht: „Wer gegen Gaddafi ist, ist für Demokratie. Wer gegen die Intervention der NATO ist, ist für Gaddafi und Massenmord. Wer die Interventionen der NATO in einen kolonialen Kontext setzt, ist ein verkür-
zender Antiimp. Wer gegen einen verkürzten Antiimperialismus ist, ist antideutsch. – Genau dieses Schwarz-Weiß-Denken ist kompatibel mit einer militarisierten Weltsicht.“ Dieses Denken blendet historische Kontexte aus und erzwingt Positionierungen innerhalb einer Kriegslogik, die sich auch in den medialen Inszenierungen widerspiegelt.

Auch wenn wir den NATO-Staaten natürlich keine humanitären Anliegen bei ihren Interventionen unterstellen, steht das Beispiel Libyen trotzdem für die Schwierigkeiten einer linken Positionie-
rung. Wir halten die Aufstände gegen die Diktaturen in den arabischen Ländern für richtig und wichtig. Unsere Sympathie ist auf Seiten der emanzipatorischen sozialen Bewegungen in der Regi-
on. Auch wir wissen, dass die Militarisierung des Konfliktes in Libyen stark vom durch den „We-
sten“ hochgerüsteten Gaddafi-Regime ausging, und uns ist klar, dass die Aufständischen diesem militärischen Druck vermutlich nicht lange Stand gehalten hätten. Obwohl wir auf dieses Problem zur Zeit keine praktische Antwort geben können, halten wir an einer prinzipiellen Ablehnung kriegerischer Interventionen fest!

Wir weigern uns, eine vorgegebene Position im kriegerischen Feld zu beziehen. Wir sind gegen jeden Krieg! Krieg – egal unter welchem „humanem“ und „demokratischen“ Label er vermeintlich geführt wird – führt immer zur Eskalation von Gewalt und zur verschärften Militarisierung von Gesellschaften. Die Militarisierung des Aufstandes markiert in aller Regel bereits sein Scheitern. In der Form der militärischen Niederschlagung des alten Regimes ist eine erneute Gewaltherrschaft bereits angelegt. Der von den verschiedensten Aktivist_innen vor Ort erkämpfte Raum für Verän-
derung wird begrenzt und emanzipatorische Kräfte verlieren an Einfluss.

Was kann man in diesem Kontext unter einem neuen Internationalismus verstehen?

Krieg trifft immer die Ärmsten und Schwächsten der Gesellschaften, in denen Krieg geführt wird. Die Toten und Verletzten in militärischen Auseinandersetzungen sind größtenteils Zivilist_innen. Sie haben die wenigsten Möglichkeiten sich zu schützen, sei es vor der Gewalt der Waffen, Verge-
waltigungen, Folterung oder der massiven Verschlechterung der Lebensbedingungen. Krieg ist also schon insofern ein Ausdruck kapitalistischer Verhältnisse, als dass die ohnehin Unterprivilegierten am meisten unter ihm zu leiden haben. Diejenigen, die ihre Interessen kriegerisch verfolgen, haben in den allerwenigsten Fällen ernsthafte Konsequenzen zu befürchten. Krieg bedeutet die brutale Zuspitzung der kapitalistischen Widersprüche und Gewaltverhältnisse.

Um Privilegien, Hegemonie und Deutungsmacht, um die Absicherung globaler Ausbeutungsver-
hältnisse, um Ressourcen und um die Kontrolle von Migration und Aufruhr wird Krieg geführt. Kriege werden dabei zu einem integralen Bestandteil einer imperialen Weltordnungspolitik, die mit unterschiedlichen Mitteln und Methoden die Interessen der führenden „westlichen“ Staaten durchsetzt. Mal wird in einem Teil der Welt militärisch interveniert, dann leisten wieder „westli-
che“ Truppen in einem anderen Teil „zivile Wiederaufbauhilfe“. Der Krieg ist zeitlich entgrenzt, er wird zum einem dauerhaften Ausnahmezustand. Es gibt keinen definierten Anfang und erst recht kein Ende, die „neuen“ Kriege sind der Normalzustand einer repressiven Politik und Motor einer blühenden Kriegsökonomie aus Think Tanks und Beratungsfirmen, Rüstungsunternehmen, Söld-
nern und privaten Sicherheitsfirmen.

Kriege sind Instrumente einer kapitalistischen Weltinnenpolitik. Die Anlässe und Orte der Inter-
vention sind keineswegs willkürlich gewählt. Es ist sicherlich kein Zufall, dass die NATO – mit Unterstützung aus Deutschland nicht zuletzt in Form von Munitionsversorgung und mehr als 100 SoldatInnen, die sich an der Zielauswahl beteiligten – in dem ölreichen Libyen auf Seiten der Auf-
ständischen gegen das Regime intervenierte, während sie z.B. die brutale Repression des Regimes in Syrien gegen den massiven Protest dort nicht auf den Plan ruft. Am Beispiel Libyen wird auch deutlich, dass es um mehr als ökonomische Motive geht – und wie schnell sich die Haltung der politischen Eliten in den europäischen Staaten gegenüber einem autoritären Regime verändern kann.

Nachdem Gaddafi im Zuge des Kalten Kriegs jahrelange zur Ikone „des Bösen“ stilisiert wurde, war er in den letzten zehn Jahren ein willkommener Kooperationspartner der europäischen Staaten. Libyen galt als wichtiger Handelspartner und Empfänger von Rüstungsgütern, libysche Spezial-
einheiten wurden durch europäische Polizisten und Soldaten ausgebildet und in jüngster Zeit war Libyen ein wichtiger Vorposten bei der Abwehr von Flüchtlingen aus afrikanischen Ländern. Nach-
dem im Zuge der Revolten in vielen arabischen Ländern sich auch in Libyen ein bewaffneter Auf-
stand entwickelte und die Machtposition von Gaddafi in Frage stellte, setzte die „westliche“ Politik schnell auf die neuen AkteurInnen – galt das Gaddafi-Regime trotz der intensiven Zusammenar-
beit doch immer noch als tendenziell unberechenbarer Verbündeter.

Die „westlichen“ Interessen bleiben im „neuen“ Libyen die gleichen. Nicht nur deutsche Unter-
nehmen wollen schnellstmöglich an ihre guten Beziehungen nach Libyen anknüpfen und beim Wiederaufbau Geschäfte im großen Stil machen. Auch mit den neuen Regierungen in Nordafrika verhandelt die Europäische Union zuerst über Abkommen zur Flüchtlingsabwehr. In Tunesien hat die italienische Regierung beispielsweise unmittelbar nach dem Sturz Ben Alis mit dem Über-
gangsrat ein Rücknahme-Abkommen abgeschlossen.

Wir lehnen die weltweit herrschenden, gewalttätigen kapitalistischen Verhältnisse ab, die den Krieg immer wieder aufs Neue hervorbringen. Wir sind gegen die brutale Ausbeutung und Unter-
drückung eines Großteils der Menschheit durch eine privilegierte Minderheit, die weltweit kriege-
risch durchgesetzt wird.

Der Krieg beginnt hier – mit der Bundeswehr und der Militarisierung des Sozialen

Der Krieg militarisiert die Gesellschaft nach „Innen“: Am sichtbarsten wird das in Form von öffent-
lichen Gelöbnissen und Zapfenstreichen. Diese militärischen Propagandaspektakel dienen in erster Linie der Verankerung der Bundeswehr in der Bevölkerung und somit der Normalisierung des „Soldatentums“. In den Schulen, auf den Arbeitsämtern und selbst in der Fernsehwerbung tritt die Bundeswehr als „attraktiver Arbeitgeber“ auf, um junge Leute für einen Kriegseinsatz zu rekrutie-
ren. Doch es gibt noch eine Dimension der Militarisierung, die weniger offensichtlich ist: Die auf-
fallende Gleichzeitigkeit zwischen der Ausweitung des Krieges und der Aufrüstung nach „Innen“.

Der kriegführende Staat weitet die Möglichkeiten, seine Bevölkerung zu kontrollieren und zu überwachen, aus, nicht zuletzt um sich im Zweifelsfall schnell Ruhe an der „Heimatfront“ ver-
schaffen zu können. Die massiv zunehmende Internet- und Video-Überwachung sind ebenso wie der Einsatz der Bundeswehr im „Inneren“, u.a. in Form von Spähpanzern bei den Protesten gegen den G8 in Heiligendamm wie auch durch „Amtshilfe“ für die Polizei beim Castor-Transport Aus-
druck dieser Entwicklung. Was ein kriegführender Staat am wenigsten brauchen kann, ist eine mündige Bevölkerung, die den Krieg kritisch hinterfragt. Dies wird auch an dem immer wieder-
kehrenden, medienwirksamen Gejammer der Bundeswehr deutlich, dass sie so wenig Unterstüt-
zung von Seiten der Zivilgesellschaft genieße.

Die Militarisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse trifft grundsätzlich einmal jede_n von uns. Doch sind nicht zuletzt durch die materiellen Auswirkungen vor allem die Prekarisierten und Mar-
ginalisierten betroffen. Mit dem Schlagwort „Sicherheit“, das für Repression und Ausgrenzung steht, wird ein umfassender Abbau politischer Rechte legitimiert. Die vermeintlich dringend not-
wendig gewordenen Sparmaßnahmen im Zuge der Krise setzen sich zuerst als massive Kürzungen im sozialen Bereich um, während die Milliardenausgaben für den Krieg nicht mal ernsthaft in die Spar-Debatte eingebracht werden. Soziale Unzufriedenheit und sozialer Protest, der sich an vielen Orten regt, werden als „Sicherheitsproblem“ verhandelt und entsprechend repressiv beantwortet.

Die Militarisierung der Gesellschaft hat unmittelbare politische Folgen. Sie engt den Spielraum für emanzipatorische Politik ein – auch in den „friedlichen“ Metropolen.

Vielen ist bekannt, dass Deutschland weltweit der drittgrößte Rüstungsexporteur ist, München ist zudem ein zentraler Rüstungsstandort. Daneben gibt es in dieser Stadt ein Wochenende, wo wich-
tige Absprachen zwischen den Kriegstreibern im Rahmen der „Sicherheitskonferenz“ stattfinden.

Seit über 40 Jahren findet jedes Jahr das Treffen hochrangiger Politiker, Generäle und Rüstungs-
manager der NATO-Staaten, ihrer Verbündeten und ein paar ihrer Gegenspieler statt. Die Siko ist kein homogener Planungsstab, manchmal stehen handfeste Konkurrenz oder Streitigkeiten im Mittelpunkt. Was die Herren und wenigen Damen, mögen Sie nun die Bundeswehr, das US-Kriegs-
ministerium oder die Öldiktatur in Quatar vertreten, eint, ist das Setzen auf Rüstung, Krieg und Repression als Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele. Gemeinsam ist ihnen die Sorge um die Sicher-
heit von Investitionen, um geostrategische Einflussnahme und die Überwachung von Grenzen.

Durch sicherheitspolitische Veranstaltungen wie die Siko wird das Bild einer unsicheren, bedrohli-
chen Welt gezeichnet, in der Militär, Polizei, Geheimdienste und Rüstungsindustrien weniger de-
mokratische Kontrolle, dafür aber mehr Mittel für ihre repressive Politik und mehr Unterstützung für ihre kriegerischen Geschäfte brauchen.

Seit zehn Jahren gibt es deshalb sichtbaren Widerstand gegen diese NATO-Kriegstagung. Angefan-
gen hat die Kampagne im Herbst 2001, nach dem G8 in Genua. Einerseits waren damals viele Ak-
tivist_innen begeistert von der Dynamik der globalisierungskritischen Bewegung, davon, dass sich verschiedene Spektren offen aufeinander bezogen und gemeinsam kraftvolle Aktionen vorbereite-
ten. Anderseits war die Mobilisierung auch eine Ergänzung oder konstruktive Kritik an der globali-
sierungskritischen Bewegung, die die militärische Seite der kapitalistischen Zurichtung nur wenig beachtete.

Die Aktionen gegen die Siko waren vor allem in den ersten Jahren sehr groß und vielfältig. Die Siko war ein festes Datum nicht nur im linksradikalen Kalender Münchens und ein Protestevent, im Zu-
ge dessen sich viele junge Leute politisiert haben. Die radikale Linke trat dabei als ein selbstbe-
wusster Teil des breiteren Bündnisses auf und es gab eine klare spektrenübergreifende Solidarität. Neben Blockadeversuchen, Jubel- und Fahrraddemos und drei größeren Antikriegskongressen, waren auch direkte Interventionen gegen die Bundeswehr oder Kriegsdenkmäler Teil der Kampag-
ne. Es gelang inhaltlich wie praktisch eine gute Verbindung mit anderen Gipfelmobilisierungen herzustellen wie gegen den G8 in Heiligendamm oder das NATO-Jubiläum in Straßbourg.

Doch über die letzten Jahre wurde die Siko-Mobilisierung schwächer. Die Zusammenarbeit im breiten Bündnis wurde zu einer routinierten Organisation der technischen Umsetzung, doch der politische Prozess, in Form einer tiefergehenden inhaltlichen Auseinandersetzung, wie er in den ersten Jahren der Mobilisierung stattfand, fehlte zunehmend. Der Bruch im Bündnis ist am deutlichsten im Sommer 2009 in der folgenreichen Kontroverse um die Einladung Wolfgang Ischingers, aktueller Organisator der Siko, durch attac und Teile des Friedensbündnisses zu einer Podiumsdiskussion in das Eine-Welt-Haus zu sehen. Von autonomer Seite wurde die Veranstal-
tung blockiert und durch lautes Rufen verhindert. Die Tatsache, dass sich attac und einzelne Personen des Friedensbündnisses über den Bündniskonsens, nicht mit Kriegstreibern in den Dialog zu treten, hinweggesetzt und somit versucht hatten, die Mobilisierung zu dominieren, markierte einen Bruch in der Zusammenarbeit.

Auch bundesweit hat die Beteiligung an den Protesten gegen die Siko abgenommen, dafür wären sicher zahlreiche Gründe zu nennen – viele linksradikale Zusammenhänge, die für eine emanzi-
patorische Politik gegen Militarismus stehen, kommen leider nicht mehr nach München. Neben dem repressiven Klima in Bayern und dem martialischen Auftreten der Polizei liegt dies sicherlich auch an den politischen Schwächen der Kampagne und fehlenden Ideen für eine neue aktionisti-
sche Dynamik.

Trotzdem ist die Mobilisierung gegen die Siko lokal nach wie vor bedeutsam. Es gibt nicht sehr viele andere Tage, wo die radikale Linke in Bayern von vielen Menschen außerhalb der engeren Szene mit ihren Inhalten wahrgenommen wird. Wir sehen die Problematik einer abflauenden Mobilisierungskraft sowie die Notwendigkeit, bestimmte ritualisierte Protestmuster zu hinterfra-
gen – gleichzeitig aber liegen uns die Proteste gegen diese Konferenz und die Verhältnisse, für die sie steht, nach wie vor am Herzen!! Es geht uns nicht darum, alle antimilitaristischen Aktionen auf dieses Ereignis zu fokussieren, wir wollen jedoch Ideen für einen „Ganzjahres-Antimilitarismus“ entwickeln, in dem die Proteste gegen die Siko auch eine Rolle spielen.

War starts here – let’s stop it here!

Es gab und gibt in München und um München noch viele weitere Proteste, die wir als antimilita-
ristische Proteste begreifen:

# Dazu gehören die Kampagnen gegen die Tradition der Gebirgsjäger in Mittenwald und Bad Rei-
chenhall, die erfolgreich Täter-Gedenken und Kriegsverherrlichung angegriffen haben, und die Erinnerung und das Gedenken an die Opfer der geschichtsrevisionistischen Erzählung der Bundes-
wehr entgegengesetzt haben. Im Jahre 2011 hat die Veröffentlichung von Kinder-Kriegsspiel-Fotos durch das RABATZ-Bündnisse einen bundesweiten Skandal hervorgerufen, der international Er-
wähnung in der Presse fand.

# Die rechte Traditionspflege der Bundeswehr ist keine Schrulle dummer Offiziere: Eine Armee, die Krieg führt, muss Ihren Soldat_innen auch über Vorbilder und Traditionen ein soldatisches Selbstbild und eine dazu passende Identität vermitteln. Die entsprechenden Rituale ebenso wie die Gelöbnisse und andere nationalistische Inszenierungen finden häufig in der Öffentlichkeit statt – hier lassen sie sich markieren, skandalisieren, übertönen und stören!

# Doch auch die wachsenden Proteste gegen die alltäglichen Auftritte der Bundeswehr sind Bei-
spiele antimilitaristischer Intervention. In unseren Augen bekommt die Bundeswehr noch viel zu selten Stress, wenn sie in Schulen und Arbeitsämtern auftaucht! Die Präsenz der Bundeswehr mit Personal und Geldern in den verschiedensten Forschungsbereichen an Universitäten ist ein The-
ma, das Linke noch viel mehr zum Fokus ihrer Kritik machen könnten.

# Ein gelungenes Beispiel antimilitaristischer Praxis war für uns auch die Pink-Silver-Demo gegen den Burschenschaftskommerz, bei der heteronormative Muster als Voraussetzung für militaristi-
sche Männerbünde entlarvt wurden.

# Ein unserer Meinung nach zentraler Aspekt antimilitaristischer Politik ist der Kampf gegen die Migrationsregimes und die Flüchtlingsabwehr, wie sie z.B. durch FRONTEX an den EU-Außen-
grenzen exekutiert wird. Zahlreiche antirassistische Proteste und No-border-Camps haben auf die schockierenden Verhältnisse und Tausende Tote im Mittelmeerraum aufmerksam gemacht. Gera-
de antirassistische Gruppen setzen internationale Solidarität in die Praxis um, in dem sie sich z.B mit Gruppen in Tunesien vernetzen, um gemeinsam gegen das rassistische Migrationsregime und dessen militärische Absicherung zu kämpfen!

# Last but not least: Vor wenigen Wochen war eine Radldemo unterwegs, die viele Orte in Mün-
chen markierte, wo Krieg beginnt. Unter anderem wurden Münchner Rüstungskonzerne ange-
fahren, die mit Waffengeschäften in aller Welt riesige Gewinne einstreichen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Gleich neben der S-Bahn Linie in Allach hat „Krauss-Maffei Wegmann (KMW)“ seinen zentralen Produktionsstandort: Hier werden u.a. die Leopardpanzer produziert, die nach Saudi-Arabien verkauft wurden und bei der brutalen Niederschlagung der Aufstände in Bahrain gegen das dortige autoritäre Regime zum Einsatz kamen.

Alle diese Beispiele zeigen einerseits, dass antimilitaristische Politik in München durchaus noch eine Rolle spielt. Andererseits wird im Hinblick auf diese Mobilisierungen und Kampagnen auch deutlich, dass jede für sich isoliert steht und sich von den jeweiligen Akteur_innen nur selten auf-
einander bezogen wird.

Wir denken: Es lohnt sich für uns als radikale Linke, sich über Widersprüche in unserer antimili-
taristischen Sichtweise bzw. Praxis zu streiten, szeneinterne Polarisierungen zu hinterfragen und unsere Bemühungen um eine antimilitaristische Gesellschaft zu bündeln.

Eine europaweite Kampagne wie „War starts here“ könnte dabei ein guter Ausgangspunkt sein.

Wenn wir die Kriegsmaschinerie wirklich lahm legen wollen, wenn das alles keine Floskel bleiben soll, wird es notwendig sein, antimilitaristische Politik neu zu bestimmen, indem wir Militarisie-
rung und globalen Krieg gemeinsam, solidarisch und aus unterschiedlichen Kontexten heraus angreifen. Wir denken, eine emanzipatorische linksradikale Politik ist ohne eine grundlegende antimilitaristische Ausrichtung nicht möglich!

Dies alles ist ein Zwischenresümee, erste Thesen und Ideen – aber sicherlich keine fertige Welt-
erklärung und noch viel weniger „der Weisheit letzter Schluss“! Wir würden gerne mit möglichst vielen Leuten in München und darüber hinaus eine Diskussion über unsere Vorschläge beginnen und hoffen auf euer Interesse.

Achtet auf weitere Ankündigungen! Aktionen vor und während der NATO-Kriegskonferenz sind bereits in Planung!!

Solidarische Grüße,
Gruppe 11


Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

Überraschung

Jahr: 2011
Bereich: Sicherheitskonferenz