Materialien 1968
Ende der Ostermärsche?
Die Kampagne für Demokratie und Abrüstung (KDA) kam jüngst zu erhellender Erkenntnis. Darüber berichten die „Studien von Zeitfragen“ in Nr. 11/1968:
„Die KDA geht grundsätzlich von folgender Lagebeurteilung aus:
Die Erfahrungen aus der außerparlamentarischen Arbeit der vergangenen Jahre haben die Er-
kenntnis bestätigt, dass eine rasche Umkehrung der Machtverhältnisse zu Gunsten progressiver Kräfte in der Bundesrepublik unter den gegebenen Verhältnissen nicht zu erreichen ist. Dies nicht nur wegen des politischen Bewusstseins des größten Teiles der Bevölkerung. Dieser empfindet keine Notwendigkeit zur Änderung des Systems und tritt selbst progressiven Änderungsvorschlä-
gen, die im Rahmen des Systems liegen, mit Zurückhaltung entgegen. So mussten in der Vergan-
genheit auch alle solchen Versuche scheitern, die auf direkte und spontane Gewinnung der Massen zur Änderung der Verhältnisse abzielten. Dem entspricht, dass es bislang nicht gelang, eine opposi-
tionelle Massenbewegung zu schaffen. Die demokratische Opposition muss hieraus die Folgerung ziehen, dass es im gegenwärtigen Stand der Entwicklung vordringlich ist, die Voraussetzungen für die Bildung einer Massenbewegung weiter auszubauen. Es muss also die Basis der außerparlamen-
tarischen Opposition in Arbeitsformen und Aktionen, die die Abwehrkräfte des Systems unterlau-
fen und nur auf partielle, kalkulierte Konfrontation zielen, verbreitert, nicht aber bereits jetzt die eigene schmale Massenbasis zu einer direkten Konfrontation mit den systemerhaltenden Kräften mobilisiert werden.
Daraus wird, wie aus den Arbeitspapieren des Zentralen Ausschusses der KDA hervorgeht, des weiteren gefolgert:
Die Außerparlamentarische Opposition in der Bundesrepublik und mit ihr die Kampagne für De-
mokratie und Abrüstung steht vor der Notwendigkeit, den Prozess der Politisierung und das Be-
wusstsein über die vorhandenen gesellschaftlichen Widersprüche voranzutreiben und zugleich die Opposition selbst quantitativ auszubauen und politisch und methodisch weiter zu qualifizieren. Erst aus der Kombination dieser beiden Stoßrichtungen der oppositionellen Arbeit können die Voraussetzungen für eine demokratische Massenbewegung entstehen.
Praktische Auswirkungen dessen bestehen darin, dass anstelle der bisherigen Ostermärsche andere politische Aktionsformen vorgesehen werden:
Für Frühjahr 1969 werden regionale große Demonstrationen vorbereitet, die die politische Funkti-
on der bisherigen Ostermärsche übernehmen, das heißt, diese Veranstaltungen haben den Zweck, das bisher vorhandene oppositionelle Potential als Gesamtheit sichtbar und öffentlich werden zu lassen und zugleich per Aktion auszuweiten, sowie Gruppen „am Rande der Opposition“ zum di-
rekten Engagement zu bringen.
Politische Studien. Zweimonatsschrift für Zeitgeschichte und Politik 183 vom Januar/Februar 1969, 62 f.