Materialien 2005

Wem es gut geht

„Wem es gut geht, der soll dafür sorgen, dass es anderen auch gut geht“. Von Boxidol Max Schme-
ling stammt diese einfache Lebensweisheit. Sie gilt, warum nicht, vielleicht auch für das Medien-
gewerbe. Beispiel München. Irgendwann im wechselhaften Sommer 2005. Biergartenwetter. Nichts wie raus aus Büros und Redaktionen. Ein Privatradiosender hat zur akustischen Begleitung dieses Massenexodus hinein in die Gärten der großen lokalen Brauereien und kleinen Kneipen einen eigenen ‚Biergarten-Korrespondenten’ auf die Piste geschickt. Natürlich – schließlich sind wir in München – reicht dazu keine bescheidene PS-Kutsche. Ein neuer Porsche muss es schon sein, obwohl auch der durch die innerstädtischen Staus oft nur im Schritttempo fahren kann. Egal, in München protzt man gerne. Nur wer seinen Reichtum zeigt, wird in dieser barocken Gold- & Klunkerstadt auch zur Kenntnis genommen. Entsprechend glauben sich auch die diversen privaten Radiostationen ortsüblich präsentieren zu müssen. Also hetzt ein Reporter von einem Biergarten zum anderen in einem Porsche mit dickem Werbeschriftzug des entsprechenden Privatsenders. Nun gut, wenn sich der Sender diesen journalistischen Luxus-Service leisten kann …

Aber gilt nicht auch hier die einfache ‚Max-Schmeling-Formel’? Unter den Aktiven wie unter den Sponsoren von Journalisten helfen Journalisten (JhJ) sind Mitarbeiter, geschweige denn die Be-
sitzer von privaten Funkmedien kaum vertreten. Niemand hindert sie, auch einmal die gesell-
schaftlichen Realitäten jenseits der lokalen Medien- und Schein(e)welt, zur Kenntnis zu nehmen. Aber Gedanken über die Notwendigkeit einer Solidarität mit verfolgten Journalisten in aller Welt und für die Angehörigen ermordeter Kollegen scheint es bei den lokalen Spaßkanälen nicht zu geben.

Vielleicht jedoch fehlen in den Redaktionen und den Büros der einschlägigen Sender und Medien nur Informationen über die konkrete Notsituationen von Journalisten in verschiedenen Ländern? Da kann man nachhelfen: Hier eine kleine Auswahl von Hilfsgesuchen, die in der letzten Zeit an den Verein ‚Journalisten helfen Journalisten’ herangetragen worden sind: die Frau eines in der Milosevic-Ära malträtierten und inzwischen verstorbenen Fernsehjournalisten aus Sarajewo bittet um Hilfe zum Kauf teurer Medikamente für den schwer erkrankten Sohn. Journalisten aus Haiti, einem der ärmsten Länder der Welt in dem der Kampf um Pressefreiheit derzeit mörderisch ist, fragen, ob deutsche Kolleginnen und Kollegen die Familie eines ermordeten Journalisten unter-
stützen könnten. Eine russische, besonders Putin-kritische Journalistin, fragt, ob JhJ sie bei einer dringend notwendigen Zahnoperation unterstützen könnte. Eine armenische, derzeit in Deutsch-
land lebende Journalistin bittet um Unterstützung in ihrem Prozess um Anerkennung als Asyl-
bewerberin. Ein botswanischer Journalist ist gezwungen, sein Land zu verlassen, weil er wegen regierungskritischer Berichterstattung um sein Leben bangen muss.

Er bittet, dass JhJ ihn im Exil unterstützt. Die Ehefrau eines in Deutschland lebenden und heute psychisch schwer erkrankten montenegrinischen Journalisten, fragt, ob JhJ dem einzigen Sohn
bei der Beschaffung eines neuen Computers helfen kann. Noch sind nicht alle Rechnungen für die Operationen eines bei einem Selbstmordanschlag schwer verletzten irakischen Journalisten be-
zahlt. Wenn man in der Redaktion des privaten Lokalradios statt eines teuren Prestigeautos eine ganz normale Mittelklasse-Marke für den Biergarten-Reporter angeschafft hätte, könnte man aus der Differenz in fast allen der geschilderten Fälle helfen. Oder, mit den Worten von Max Schme-
ling: man hätte dafür gesorgt, dass es anderen auch gut geht, wenn es einem selber gut geht.

An die Summen der Schmiergelder, mit denen einige bekannte Sportjournalisten korrumpiert worden sind, soll hier gar nicht erst erinnert werden …

Carl Wilhelm Macke


www.journalistenhelfen.org/archiv-sept05.html.

Überraschung

Jahr: 2005
Bereich: Medien