Materialien 2007
Radio Eriwan und das Asylrecht
Wenn überhaupt, dann wird Armenien in der deutschen Öffentlichkeit immer nur mit einem histo-
rischen Ereignis zusammen erwähnt. Dieses, inzwischen fast ein Jahrhundert zurückliegende Da-
tum jedoch besitzt immer noch eine große, in viele Bereiche der internationalen Politik hineinrei-
chende „Sprengkraft“ – was leider sogar sehr wörtlich zu nehmen ist. Die Ermordung des türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink Anfang des Jahres 2007 hat noch einmal gezeigt, wie tief in die türkische Gesellschaft die „Metastasen des Hasses“ (Kai Strittmatter/ SZ, 27.1.07) hineinrei-
chen. Und selbst in Frankreich, wo besonders viele Exil-Armenier leben, ist die richtige Einord-
nung des Genozids an dem armenischen Volk im Jahre 1915 immer noch ein „heißes innenpoliti-
sches Eisen“.
In Deutschland, in dem weniger Armenier aber dafür viele Türken leben, ist der Genozid vom Par-
lament zwar explizit verurteilt worden, aber um keine Unruhe zu schaffen, blendet man dieses Thema lieber aus der öffentlichen Wahrnehmung aus. Was aber berichteten die Medien über das Armenien heute? Über die für einige Wenige optimale, für die Mehrheit aber katastrophale wirt-
schaftliche Situation im Land, über die wuchernde Korruption, über den Stand der Pressefreiheit? Da muss man in den deutschen Medien lange suchen – oder man lernt eine armenische Journali-
stin kennen: eine Redakteurin der SZ-Lokalausgabe für Dachau hat dem Verein Journalisten hel-
fen Journalisten von einer armenischen Fernsehkollegin berichtet, die sie im Rahmen ihrer be-
ruflichen Arbeit getroffen hätte. Die Kollegin hält sich aber in Deutschland nicht wegen Dreharbei-
ten oder einer Recherche auf. Sie lebte zum Zeitpunkt der ersten Kontaktaufnahme schon seit gut zwei Jahren zusammen mit ihrem Mann in einer ‚Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber’ am Rande von Dachau.
Den Antrag auf Asyl hat sie gestellt, weil sie in Armenien um ihr Leben fürchtet. Mehrfach schon hatte man ihr mehrdeutige Botschaften übermittelt, die auch Verfolgungen nicht ausschließen, wenn sie weiterhin bestimmte sozialkritische Filme dreht. Vor allem aber besitzt die Kollegin das Wissen über ein Video, das die Verwicklung der aktuellen Regierungsspitze in ein Attentat aus dem Jahre 1999 belegt. Obwohl andere im Exil lebende armenische Kollegen die Glaubwürdigkeit ihrer Kollegin bestätigen und zu jeder Zeugenaussage bereit sind, vertraute der deutsche Gericht mehr dem Gutachten einer Armenien-Expertin, die eine Gefahr für kritische Journalisten als unbewiesen ansieht.
Dagegen stehen Recherchen der ‚Reporter ohne Grenzen’ und anderer journalistischer Hilfsorgani-
sationen (wie etwa das kanadische „Committee to protect Journalists“, die für Armenien eine er-
hebliche Einschränkung der Pressefreiheit konstatieren). Die von der Kollegin formulierte Angst vor einer Rückkehr nach Armenien hat demnach gute Gründe. Derzeit wird diese unterschiedliche Einschätzung der Menschenrechte in Armenien noch vornehmlich auf dem Rücken der Asylbewer-
ber ausgetragen. Frei nach Radio Eriwan: Im Prinzip gibt es das Asylrecht noch (!) in Deutsch-
land, aber … bei einem negativen Ausgang des Asylverfahrens ist eine zwangsweise Abschiebung nach Armenien nicht ausgeschlossen.
Derzeit arbeitet die passionierte Journalistin im Wäschedienst des Dachauer Krankenhauses. Alle mit ihr in Kontakt stehenden Personen und Institutionen stellen ihr nur beste Zeugnisse aus. Das Gericht jedoch urteilt nach anderen Kriterien, aber auch nach den Befunden eines anzweifelbaren Gutachtens. Immerhin konnte es jetzt geschafft werden, dass die Kollegin zusammen mit ihrem Mann die Gemeinschaftsunterkunft verlassen hat und in einem kleinen, vom Krankenhaus in Da-
chau zur Verfügung gestellten Appartement lebt. Als Beweis für ihre trotz der widrigen Lebens-
umstände nicht verlorene journalistische Passion produziert die Kollegin inzwischen ein Mal im Monat für einen kleinen lokalen Radiosender eine Sendung über die armenische Kultur. Ohne jedes Honorar und nur aus Liebe zu ihrem Land …
Carl Wilhelm Macke