Materialien 1954

„Verhältnisse untragbar“

Wie 1953/54 die verlängerten Samstag-Ladenöffnungszeiten
beinahe zu einem Bürgerkrieg führten1

Samstag, 20. Juni 1953, nachmittags: Es sind Tausende, die in der Kaufingerstraße stehen, grund-
anständige Leute, das sieht jeder. Frauen mit gepflegten Frisuren im Kostüm oder im Kleid, die Handtasche am Arm, Männer im Anzug, jüngere in kurzer Hose, Hemd und Joppe. Sie blockieren den C&A, in dem rund hundert Kriminalbeamte warten. Zwischen den Demonstrantinnen und Demonstranten befinden sich in den umliegenden Straßen etwa 250 Kriminalbeamte2. Von weit-
her sind die Sirenen des Überfallkommandos zu hören. Durch die Augustinerstraße prügelt sich eine Polizeihundertschaft den Weg frei. Am Ende sind es Zehntausend, die wütend schreien und brüllen und sich weigern, den Platz zu verlassen3. Jetzt erhalten fünf Hundertschaften der Schutz-
polizei den Befehl zur Räumung. Sie schlagen mit den Kolben ihrer Karabiner in die Menge, auf ihren Köpfen blinken Stahlhelme. Aus der Fürstenfelder Straße prasselt ein Steinhagel auf sie herunter. Von den Dächern der Behelfsbauten fliegen Bretter, Dachrinnenteile und Ziegel. Der Wasserwerfer drängt die Menschen Richtung Stachus. Um wieder aufzutanken, fährt er zurück, die Menschen hinterher. Auch in den Nebenstraßen tobt eine erbitterte Schlacht. In der Rosenstraße wird um jeden Verkaufsstand gekämpft, aus Brettern und Leitern entstehen Barrikaden. Drei Hundertschaften mit vollmotorisierten, feldmarschmäßig ausgerüsteten Einheiten der Bereit-
schaftspolizei rücken vom Marienplatz her an.4 Aus der Menge sind Rufe zu hören: „Nazis“, „SS marschiert“, „Schweine!“ Schaufensterscheiben splittern. Gemüsehändler Henk Kay, ein Tourist aus Zeist bei Utrecht, fragt verstört: „Ist das hier in München jeden Samstag so?“

Was vorher geschah

Beschäftigte im Einzelhandel gibt es, seitdem es den Einzelhandel gibt. Immer mussten sie um ihre freie Zeit und erträgliche Arbeitsbedingungen kämpfen. Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhun-
dert sollte die menschliche Arbeitskraft der Entfaltung ökonomischer Potenzen im Rahmen von wirtschaftlicher Selbstbestimmung und Gewerbefreiheit untergeordnet werden. Dagegen organi-
sierten sich die Lohnabhängigen, unter ihnen Handlungsgehilfinnen und -gehilfen, und bevor deren Wut in Rebellion umschlug, erließen die Regierenden einige, allerdings dürftige Gesetze zum Schutze der Arbeitskraft: Durch die Gewerbeordnung von 1869 und ein Ergänzungsgesetz von 1888 wurde die Sonntagsverkaufszeit auf fünf Stunden beschränkt.

Mit dem Umsturz 1918/19 schienen der gesetzliche 8-Stunden-Tag, Arbeitsschutz sowie tarifver-
traglich geregelte Verbesserungen erreicht: Ladenöffnung nur von 7 bis 19 Uhr, am Sonntag sind Geschäfte grundsätzlich geschlossen. Einige Errungenschaften gingen allerdings mit der Rekon-
solidierung der wirtschaftlichen Eliten Schritt für Schritt wieder verloren.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind die Gewerkschaften die ersten, die die Ärmel hoch krempeln und mit dem Wiederaufbau der neuen Gesellschaft beginnen. Diese soll einem Konzept entsprechen, das der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) vor 1933 mit dem Begriff „Wirtschaftsdemokratie“ umschrieb. Nach der Niederlage des III. Reichs denken auch Sozialde-
mokraten und christliche Demokraten daran, dass die Kapitaleigner wesentlich zur Machtübergabe an die Nazis beigetragen hat, und diskutieren Alternativen einer sozialistischen Neuordnung.

Die anglo-amerikanischen Siegermächte stellen die vier großen „Ds“ auf das Programm: Demokra-
tisierung, Denazifizierung, Dezentralisierung und Demilitarisierung, ein Programm, das in den Westzonen bald Makulatur wird. Die großen und machtvollen Demonstrationen der späten 40er-
Jahre können den Weg in die Restauration des Kapitalismus, wie ihn die Westmächte befürworten, nicht aufhalten.

Der „Rheinische Kapitalismus“ der Adenauer-Zeit setzt auf klar abgegrenzte Funktionsteilung. Der Staat regelt die Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich die beiden großen Kontrahenten, das Lager der Unternehmer und das Lager der Lohnabhängigen, gegenüberstehen und im Rahmen der Tarifautonomie ihre Interessen ausgleichen. Das von den Gewerkschaften wieder neu propagierte Gesellschaftsmodell der „Wirtschaftsdemokratie“ scheitert am Bündnis der politischen mit den wirtschaftlichen Eliten.

Im agrarisch dominierten Flächenland Bayern spielt München Anfang der 50er Jahre eine Sonder-
rolle. Führende Münchner Gewerkschafter waren vor 1933 neben ehemaligen Sozialdemokraten und Kommunisten Mitglieder der kleineren, sich links von der SPD der Weimarer Republik ver-
ortenden Gruppen wie der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) und des Internationalen Sozia-
listischen Kampfbundes
(ISK). Die DGB-Zentrale in Düsseldorf, die Zentralen der Einzelgewerk-
schaften und der Parteien SPD und KPD in anderen Städten der Bundesrepublik sind weit weg. So dominieren eher unabhängige5 und rebellischere Einstellungen nicht nur in der Mitgliedschaft, sondern auch bei einigen führenden Exponenten der Münchner Arbeiterbewegung, die mit der defensiv-abwartenden Politik des DGB-Bundesvorstands unzufrieden sind und den Struktur-
wandel in der Gesellschaft mit Sorge verfolgen.

Allerdings haben US-amerikanische Gewerkschaften, die auf gesellschaftsverändernde Perspek-
tiven und eine klassenkämpferische Haltung verzichten und sich ausschließlich um die Regelung der betriebswirtschaftlicher Angelegenheiten kümmern, in den letzten Jahren einige führende bayrische Gewerkschafter in die Vereinigten Staaten zu einem „Informationsbesuch“ eingeladen. Bertl Lörcher, in den 60er und 70er Jahren Geschäftsführer der Bund-Buchhandlung im Ge-
werkschaftshaus, erinnerte sich, dass diese damals wie verwandelt aus den USA zurückgekommen seien.6 Klassenkämpfer und Sozialpartner stehen sich im Gewerkschaftshaus in der Landwehr-
straße gegenüber.

Verlierer sind Gewinner

Manches klingt absurd und zynisch. Ein Krieg, der wie der II. Weltkrieg wesentliche Industrie-
kapazitäten und Infrastruktur zerstört hat, befördert eine notwendige Modernisierung in den Produktionsmitteln und in der Distribution. Kapital wird investiert und so werden die neuesten Technologien im Brachland angesiedelt. Gerade die Unternehmen in dem Land, das den Krieg verloren hat und dessen Produktionsstätten beinahe überall völlig zerstört sind, bekommen auf diese Weise einen Innovationsschub, der ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit wesentlich verbessert.

Diesem Boom des produktiven Sektors, der den Binnenmarkt bedient, will der Handel nicht nach-
stehen. Jeder sucht nach Wettbewerbsvorteilen, um die Umsätze steigern zu können. Da sind Ar-
beitsschutzgesetze Hemmnisse. Die Firma C&A Brenninkmeyer versucht schon 1950 in Bremen, das Samstagnachmittag-Ladenschlussgesetz auszuhebeln und scheitert am Widerstand der ört-
lichen Gewerkschaften.

Die Unternehmer aber lassen nicht locker. Die Arbeiterbewegung engagiert sich an mehreren Fronten. In München streitet sie für Löhne und Arbeitsschutz, protestiert gegen überhöhte Preise, wendet sich gegen den Aufbau einer neuen Armee und gegen die Eingliederung der Bundes-
republik in ein westliches Bündnis, dessen Stoßrichtung auf die Sowjetunion zielt. Die Freie Deutsche Jugend (FDJ) ist schon am 26. Juni 1950 in der BRD verboten worden. Immer wieder werden kommunistische Zeitungen verboten; das kommende Verbot der KPD ist abzusehen.

Die sich hegemonial durchsetzende Blockkonfrontation Ende der vierziger/Anfang der fünfziger Jahre bewirkt die Ausgrenzung aller, die sich nicht hundertprozentig auf die Westintegration der Bundesrepublik einlassen wollen. Zugleich veranlasst sie die Unternehmer bei der Verteilung des erwirtschafteten Reichtums nicht unerhebliche Anteile des Kuchens den Lohnabhängigen zuzuge-
stehen. Viele Arbeitnehmer werden auf diese Weise integriert. „Uns geht es doch jetzt ganz gut“, ist die häufige Antwort auf kritische Stimmen.

Andere Lohnabhängige, aus der Tradition der Arbeiterbewegung kommend, waren bis 1945 im Widerstand und an die Bedingungen der Illegalität gewöhnt. Sie sind konfliktbereit. Ehemalige Soldaten haben während des Krieges bürgerliche und kleinbürgerliche Hemmungen abzustreifen gelernt. Sie reihen sich ebenfalls in die Opposition ein.

Schritt für Schritt wird ihnen immer deutlicher, dass die alten Herrschaftsverhältnisse wieder zurückkehren. Der Kapitalismus sah sich nur kurzzeitig infrage gestellt. Jetzt sind die Fronten wieder klar. Die Großeltern der jetzt Erwachsenen erinnern sich noch an den hoffnungsvollen Aufbruch 1918/19, als man in der Revolution am Ende des Ersten Weltkriegs für den Aufbau des Sozialismus wie ein Tiger sprang und in der Restauration kapitalistischer Zustände als Bettvorleger endete.

Ein Todesfall

Noch finden sich in München viele Ruinengrundstücke und Behelfsbauten, vielen Lohnabhängigen sind die schweren Zeiten anzusehen. In der Stadt existiert eine Vereinbarung aus dem Jahr 1947, die den freien Samstagnachmittag für Verkäuferinnen und Verkäufer festlegt. Auf Bundesebene ist immer noch die Arbeitszeitverordnung von 1938 gültig, die über die Handhabung des Samstag-
nachmittags nichts aussagt. Das wollen einige Geschäftsinhaber ändern. Am Samstag, dem 25. April 1953, demonstrieren mehrere tausend Verkäuferinnen und Verkäufer vor dem Gewerk-
schaftshaus für einen freien Samstagnachmittag.7

Im Münchner Merkur vom 27. April heißt es: „Allerdings hatten die 15 Geschäftsleute, die auch an den Samstagen bis 19 Uhr offen halten wollten, wie alle übrigen ihre Läden um 14 Uhr zugesperrt. Der Inhaber des Porzellanwarengeschäftes an der Sonnenstraße, bei dem es vor einer Woche zu einer Demonstration gekommen war, erklärte unserem Berichterstatter, dies sei nur eine vorbeu-
gende Maßnahme, um den Teilnehmern der Kundgebung keinen Anlass zu Ausschreitungen zu geben. Er stehe mit zahlreichen gleichgesinnten Münchner Geschäftsleuten in Verbindung und könne deshalb ankündigen, dass ‚der 14-Uhr-Ladenschluss an den Samstagen in wenigen Wochen erfolgreich durchbrochen’ sei.“

Der DGB-Vorsitzende Walter Freitag reklamiert am Abend vor dem Ersten Mai 1953 im Kongress-
Saal des Deutschen Museums, was den Gewerkschaften mit der Verabschiedung des Betriebsver-
fassungsgesetzes verwehrt worden ist: Eine „gleichberechtigte Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der Wirtschaft“.

Gastredner auf der Kundgebung zum Ersten Mai ist der englische Labour-Abgeordnete Richard Crossman. Vor etwa achtzigtausend Menschen auf dem Königsplatz sagt er: „Es gibt gewisse Herren in Bonn, die ein großes Interesse haben, dass keine Vier-Mächte-Besprechungen statt-
finden.“ Er fordert damit auch, die Sowjetunion nicht aus den Verhandlungen auszugrenzen. Im Anschluss an die Kundgebung ziehen viele Fahnen tragend durch die Luisenstraße. Ein Transpa-
rent an der Spitze des Zuges wird entrollt.

Was dann geschieht, erläutert der Münchner Merkur vom 2. Mai: „Ins Präsidium wurde gemeldet, ein Zug Demonstranten mit einem staatsfeindlichen Transparent marschiere durch die Luisen-
straße und ebenso prompt kam der Befehl zurück: ‚Der Zug ist aufzulösen.’“

Die Polizei greift auf der Höhe des Luisenbunkers ein. Der Wasserwerfer kommt zum Einsatz. Bereitschaftspolizei, mit altem Reichswehr-Stahlhelm und mit Karabinern bewaffnet, löst den Zug auf. Viele Demonstrantinnen und Demonstranten marschieren aber weiter in Richtung Bahn-
hofsplatz. An der Kreuzung Elisen-/Luisenstraße spritzt wieder der Wasserwerfer; mit Kolben-
hieben räumt die Polizei. Aus der Menge ertönen Rufe: „SS!“ Vom Wasserwerfer gejagt, bricht schließlich der neunundfünfzigjährige Bahnangestellte Georg Bachl Ecke Luisen-/Prielmayerstraße tot zusammen.

Gegenüber dem Telegraphenamt kesselt eine empörte Menschenmenge drei junge Männer ein.
Die Abendzeitung vom 2. Mai berichtet: „Ein älterer Mann griff sofort einen der drei umzingelten Zivilisten an, der plötzlich seine beiden Hände aus der Jackentasche nahm. In der rechten blitzte eine Pistole, in der linken die Marke der Kriminalpolizei. Die Menschen stoben nach allen Seiten auseinander.“

Die Arbeitgeber in der Offensive

Die Auseinandersetzungen zwischen Arbeiterbewegung und Unternehmerschaft nehmen in den folgenden Wochen an Intensität zu. Der Streik der Parkettleger geht Anfang Juni 1953 in die dritte Woche. 1952 und 1953 fordern in der BRD insgesamt etwa zweihundert Berufsgruppen höhere Löhne. Das Statistische Jahrbuch verzeichnet für 1952 etwa 440.000 Streiktage, für 1953 mehr als das Dreifache, etwa 1,5 Millionen.

Die Firma C&A Brenninkmeyer nimmt, nachdem sie in Bremen 1950 gescheitert ist, einen neuen Anlauf. Sie will, dass ihre Angestellten am Samstagnachmittag arbeiten.

Die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG) und die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) rufen am 13. Juni 1953 zur Kundgebung für den Samstag-Nachmittag-Ladenschluss auf. Unter den Klängen des „Hohenfriedberger Marsches“, intoniert von der Blaskapelle Witt, setzen sich Zehntausende vor dem Arbeitsamt in der Maistraße in Bewegung. Sprechchöre werden laut: „Wir werfen faule Eier auf Brenninkmeyer!“ Über den Sendlinger-Tor-Platz und den Stachus ziehen die Menschen in die Altstadt. Die Menge staut sich vor dem
C&A in der Kaufingerstraße.


Ecke Kaufinger-/Fürstenfelderstraße am 13. Juni 1953, links die Fassade von C&A,
in der Mitte hinten die Terrasse der Gaststätte Domhof. Noch gehen die Demonstrantinnen
und Demonstranten friedlich ihrer Wege.
Foto: Berthold Fischer, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

In der Abendzeitung vom 15. Juni ist zu lesen: „Drohrufe und Sprechchöre klangen aus der Men-
schenmenge, die immer zahlreicher und dichter wurde. Ein Lautsprecherwagen der Gewerk-
schaften forderte zur ‚Solidarität im Kampf um die Erhaltung des frühen Ladenschlusses’ auf. Als der Lautsprecher bekannt gab, dass sich auf der Terrasse der Gaststätte ‚Domhof’ einige leitende Angestellte der Firma C. & A. Brenninkmeyer aufhielten, stieg die Erbitterung der Menge auf Siedehitze. Als daraufhin einer der Angestellten mit gezogenem Hut die wütende Menge von der Terrasse herunter grüßte, verschafften sich einige junge Burschen gewaltsam Zutritt zu der Terrasse, misshandelten zwei Angestellte von C. & A. schwer und zerrten sie anschließend auf die Straße, wo sie weiteren Misshandlungen ausgesetzt waren. Einer der Angegriffenen konnte sich in den Lautsprecherwagen retten und wurde von der Polizei in Sicherheit gebracht … Kaspar Tiete, Betriebsleiter der Münchner Filiale von C. & A., erklärte laut dpa, die Verkaufsräume der Firma würden vom nächsten Samstag an auf jeden Fall offengehalten. Lediglich ein ‚Eingreifen Ade-
nauers’ könne das verhindern.“


Angriff auf einen leitenden Angestellten der Firma C&A am 13. Juni 1953,
fotografiert von der Terrasse der Gaststätte Domhof
Foto: Berthold Fischer, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

Konrad Kittl8 erinnert sich: „Es war schon eine Riesengeschichte; fast die ganze heutige Fuß-
gängerzone war voll. Demonstriert haben nicht nur die Gewerkschaften, da waren auch viele Geschäftsleute mit dabei. Das Haus vom C&A war ja ein Neubau, ein Fremdkörper aus dem fernen Holland, der sich ins Münchner Geschäftsleben hineingedrängt hat. Ein Sprechchor lautete ‚Brenninkmeyer C und A brauch ma net, war z’erscht net da.’ Viele der Demonstranten sind auch
in den Laden hineingegangen und haben die neumodischen Rolltreppen besetzt und blockiert.“

Innenminister Wilhelm Hoegner erkundigt sich besorgt über die Vorfälle. Die Neue Zeitung vom 16. Juni warnt: „Der Staatssekretär im Innenministerium, Dr. Paul Nerreter, stellte in einer Note an den Innenminister fest, dass bei den Ausschreitungen die Tatbestände des Landfriedensbru-
ches, des schweren Hausfriedensbruches, der Körperverletzung, der Beleidigung und der Sach-
beschädigung erfüllt worden seien. Der Staatsekretär forderte eine Untersuchung, warum es der Polizei nicht möglich gewesen sei, diese Straftaten zu verhindern. Wenn solche Vorfälle geduldet würden, so bedeute dies das Ende der rechtsstaatliche Ordnung.“

Die Chefs von C&A bleiben unerbittlich; sie wollen am darauf folgenden Samstag wieder offen halten. Der Geschäftsführer der DAG warnt, man werde vor den Eingängen eine „lebende Mauer“ bilden.

Am 20. Juni eröffnet Bundespräsident Heuss die Münchner Verkehrsausstellung und erlebt bei dieser Gelegenheit gesperrte Straßen, umgeleitete Autokolonnen und Hunderte von Polizisten, ausgerüstet mit Karabinern und Stahlhelm. Am Nachmittag des 20. Juni halten C&A sowie Salamander ihre Geschäfte — wie angekündigt — bis 17 Uhr offen. Etwa 10.000 Menschen protestieren.

Der Münchner Merkur vom 22. Juni berichtet: „Um 14.30 singen Tausende Menschen angesichts des Wasserwerfers ‚Wer soll das bezahlen …’. Zwei Minuten später ergeht die letzte Aufforderung, die Straßen zu räumen. ‚Es wird der Wasserwerfer eingesetzt, Sie haben die Konsequenzen selbst zu tragen.’ In Sekundenschnelle rattert der dunkelgrüne Wagen in Richtung Marienplatz an die Menge heran, die kurzen Rohre heben sich, spritzen in die Luft und gleich darauf in die flüchtende Menge. Durchnässt rasen Frauen, Männer und Kinder in die Hausgänge. Die Demonstranten in den anderen Straßen stimmen ein vieltausendstimmiges Protestgeheul an. Nach einer halben Minute setzt der Wasserwerfer aus und fährt zurück. Sofort wimmelt es wieder von Menschen. Doch die Polizisten können sie auf der Höhe der Kammer-Lichtspiele abfangen. Das gleiche Schauspiel wiederholt sich für die Demonstranten in der Liebfrauenstraße. – 15 Uhr: Die Poli-
zeikette am Kino ist zu schwach. Die Demonstranten drängen wieder vor. Der Wasserwerfer dreht erneut in ihre Richtung. Polizei folgt ihm. Plötzlich scheint der Teufel los zu sein! Vom Dach des Behelfsladens Holzmüller fliegen Ziegelsteine, Eisenrohre, Latten, Holztrümmer und rostiges Blech auf die Straße. Einige Personen werden verletzt. Die Wände des gepanzerten Wagens sind zerkratzt. Wohlgezielte Wasserstrahlen fegen die Jugendlichen herunter. Einige von ihnen, Angehörige der FDJ, werden später festgenommen. ‚… und nun hören sie die Pfuirufe einer vieltausendköpfigen Menge’, spricht der Berichterstatter des sowjetzonalen Senders in das Mikrophon. Um sich einigermaßen durchzusetzen, greifen die Polizisten immer wieder zu Karabiner und Gummiknüppel …“

Ernst Grube9 erinnert sich: „In den Zeitungen hieß es, die KPD bzw. die illegale FDJ habe die Proteste ausgelöst und angeheizt. Es ist aber die absolute Unwahrheit, dass die illegale FDJ die ‚Gelegenheit genutzt (habe), um militante Auseinandersetzungen mit der Polizei zu provozieren’. Wir von der FDJ waren eine Handvoll junger Leute. Natürlich waren wir bei den Demonstrationen dabei, aber wie hätten wir diese Massen auch nur im entferntesten mobilisieren und motivieren können. Weder die KPD noch die FDJ waren da bestimmende Kräfte, wie es die bürgerliche Presse mit ihren Verschwörungs- und Rädelsführertheorien herbeiphantasierte. Einzig die Gewerkschaf-
ten waren Aufrufer und Akteure des Geschehens. Die Gewerkschaftsjugend, besonders die IG Bau mit ihrem Jugendvorsitzenden Hans Freundorfer, war von Anfang an mit die mobilisierende Kraft. Die Demonstranten waren gegenüber der Staatsmacht passiv. Erst durch das Eingreifen der Polizei haben sich die Auseinandersetzungen ergeben.“


20. Juni 1953, Foto: Berthold Fischer, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung


Der Wasserwerfer in der Kaufingerstraße am 20. Juni 1953
Foto: Berthold Fischer, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

Es kommt zu bürgerkriegsähnlichen Unruhen. Mit Karabinern und Stahlhelmen ausgerüstete Polizeibeamte liefern sich Straßenschlachten mit den Massen, die die ganze Innenstadt blockieren. Die Menschen skandieren: „SS marschiert“. Die Bereitschaftspolizei verprügelt sogar einen Kri-
minalbeamten, der nicht schnell genug seinen Ausweis zückt. Zuletzt erscheinen vier vollmo-
torisierte Hundertschaften der bayerischen Bereitschaftspolizei; die Innenstadt gleicht einem Trümmerfeld. Etwa hundert Personen werden festgenommen, dreißig wegen Aufruhrs und Widerstands gegen die Staatsgewalt angezeigt.

In der Abendzeitung vom 22. Juni heißt es: „Bei dem Besitzer der ‚Taverne’ am Sendlinger-Tor-
Platz, Heinrich Schneider, beschlagnahmten Kriminalbeamte einen Radio-Groß-Super, weil er die Durchsagen des Polizeifunks auf seinen im Garten stehenden Großlautsprecher übertragen hat.“ Offiziöse Darstellungen behaupten später, Mitglieder der illegalen FDJ hätten die Proteste als Gelegenheit genutzt, um militante Auseinandersetzungen mit der Polizei zu provozieren. Die gegen Abend im Zirkus Krone angesetzte Kundgebung der KPD wird verboten und von einer Hundert-
schaft geräumt.

Die Süddeutsche Zeitung vom 23. Juni berichtet: „‚Die Demonstration am Samstag brachte die Bewährungsprobe unseres Wasserwerfers’, sagt Sicherheitsdirektor Hecht. ‚Er ist das humanste Zwangsmittel der Polizei, er schafft keine Märtyrer, wie das vielleicht beim Gebrauch des Gummi-
knüppels der Fall wäre, sondern er macht lächerliche Gestalten aus den Demonstranten.’ In Polizeikreisen ist man der Ansicht, dass es ohne den Wasserwerfer, vor dem die Leute panikartig die Flucht ergriffen, zu blutigen Zusammenstößen gekommen wäre. Allerdings habe sich gezeigt, dass ein einziger Wagen, der nach fünf Minuten wieder in die Ettstraße zum Wassertanken fahren müsse, für solche große Massenansammlungen nicht ausreiche. Übrigens haben jetzt auch andere westdeutsche Städte nach dem Münchner Vorbild einen Wasserwerfer bestellt.“10

Die massenhaften Streiks in der BRD, aber auch der „Ladenschlusskrieg“ wird von der Arbeiter-
klasse in der DDR sehr bewusst wahrgenommen. Der Aufstand vom 17. Juni 1953 ist ohne die vielfältigen Verbindungen zwischen „West“ und „Ost“ nicht denkbar. „Es hat seine Logik, dass sich das Interesse an einem Aufstand der Arbeiter im Osten bei den Eliten im Westen in Grenzen hielt. Der Chef der amerikanischen Nachrichtenagentur AP hielt den Marsch der Bauarbeiter zum Haus der Ministerien am 16. Juni für ein von den ‚kommunistischen Machthabern inszeniertes Schau-
spiel’. Die amerikanische Besatzungsmacht verbot dem RIAS, in seinen Sendungen den Begriff ‚Generalstreik’ zu verwenden. Und Kanzler Adenauer rief am 17. die DDR-Bevölkerung auf, ‚sich nicht durch Provokationen zu unbedachten Handlungen hinreißen zu lassen’. Was sie fürchteten, war, dass ein Aufstand in einem Teil Deutschlands auch für den anderen Folgen haben musste. Eine Ordnung wäre gefallen. Doch so befestigte sie sich.“11

Eskalation

Ein gutes halbes Jahr später, am 13. Februar 1954 stellt die Abendzeitung fest: „… Wir befinden uns ungefähr auf demselben Punkt wie am 13. Juni des vergangenen Jahres. Die Einzelhandels-
geschäfte unserer Stadt und die Münchner Mittel- und Großbetriebe sind sich darin einig, dass an allen Samstagnachmittagen mit Ausnahme vom ersten Samstag im Monat die Geschäfte um 14 Uhr schließen. Die Gewerkschaften sind mit dieser Übereinkunft einverstanden. Nicht einverstanden sind die Firmen C&A Brenninkmeyer und Salamander; sie erklären, dass ihre Tore jeden Samstag-
nachmittag bis 17 Uhr geöffnet sein werden (Salamander) und sie ‚könnten jetzt noch nicht sagen, ob sie offen halten werden’ (C&A Brenninkmeyer) …“

Für eine Demonstration am 20. Februar sollen 20.000 Flugblätter mobilisieren. Darin heißt es:
„… Versagt aus diesen Gründen den Einzelhandelsfirmen, die sich aus offensichtlichem Profitstre-
ben über jedes soziale Bedürfnis hinwegsetzen und nicht davor zurückschrecken, ihr Gewissen selbst mit Familienzwisten, Unruhen, verbunden mit Wasserwerfer und Zuchthausstrafen zu belasten, Eure Sympathie! …“ C&A will die Flugblätter von DAG und HBV beschlagnahmen lassen.

Nach einem Aufruf der DAG blockieren am 20. Februar, einem Samstag, um 14 Uhr etwa tausend Demonstrantinnen und Demonstranten die Eingänge von Filialen der Firmen Salamander und C&A in der Kaufingerstraße. Der Münchner Merkur vom 22. Februar beobachtete: „… Blaue, gelbe und rote Tafeln verkündeten ‚So lang der Alter Peter … Bis zwei Uhr und nicht später’, ‚Dem Profit einiger Firmen wegen sollen zehntausend Einzelhandelsangestellte ihren freien Samstagnachmit-
tag opfern’ oder ‚Lasst Eure guten Münchner Herzen sprechen. Helft uns, die Sucht des Geldsacks brechen.’ …“

Eine Hundertschaft der Polizei mit vorgehaltenen Karabinern, berittene Polizei und der Wasser-
werfer räumen gegen 16 Uhr die Straße. Der Maler Ernst Grube wird festgehalten; er schützt sich, wehrt sich. Ein Polizeibeamter meint später, Grube soll geschrieen haben, „Haut doch die blauen Säue, das wollen Polizisten sein“. Und: Grube habe bei seiner Festnahme mit der Faust auf Kriminalkommissar Kufner eingeschlagen.

Ernst Grube selbst schildert das Geschehen wie folgt: „Ich bin aus der Menge heraus verhaftet worden. Eine Lokalisierung, wer was gerufen hat, war bei dem lauten Protest überhaupt nicht möglich – und ich lege auch heute Wert darauf zusagen, dass das nicht stimmt, dass ich das mit den ‚blauen Säuen’ gerufen habe. Mein Widerstand bestand darin, dass ich mit erhobenen Händen die Knüppelschläge der Polizisten abzuwehren versucht habe.“

Andere wie die Büglerin Ingeborg Schell (Jahrgang 1931) wehren sich ebenfalls gegen die Räumung. In der Anklageschrift vom 3. April 1954 beim Amtsgericht München heißt es: „Die Angeschuldigte Schell hielt sich in dem von der Polizei geräumten Abschnitt der Kaufingerstrasse auf der dem Kaufhaus Brenninkmeyer gegenüberliegenden Straßenseite auf. Der polizeilichen Aufforderung, sich aus dem geräumten Straßenteil zu entfernen, leistete sie keine Folge. Als sie nun durch Anwendung unmittelbaren Zwangs von Polizeibeamten gegen die Sperrkette gedrängt wurde, schlug sie mit Ellbogen und Fäusten auf die Beamten ein. Dabei versetzte sie dem SW Kirchner zwei Faustschläge an den linken Unterarm und SW Ohantel mehrere Faustschläge ins Gesicht. Auch auf dem Wege zum Polizeipräsidium versetzte sie SW Ohantel noch mehrere Schläge.“12

Insgesamt werden sechs Personen verhaftet, einige Hundertschaften der Einsatzpolizei sowie der Wasserwerfer bleiben in Bereitschaft, zum Einkaufen kommt niemand. Die Firma C&A zerrt die DAG und die HBV vor Gericht, will Schadensersatz für entgangene Gewinne und die finanziellen Verluste von umsonst gezahlten Angestelltengehältern. Streitwert 250.000 Mark.

DGB und Gewerkschaften mobilisieren zu einem neuen Protestmarsch am Samstag, den 27. März 1954. Die dritte Kammer des Verwaltungsgerichts München verbietet wenige Stunden vor Beginn auf Antrag des Kaufhauses C&A die Demonstration. Trotzdem beginnt ein Protestzug von etwa zweitausend Menschen in der Herzog-Wilhelm-Straße.

Der Donau Kurier vom 29. März schreibt: „Für die in Alarmbereitschaft stehenden Polizeihun-
dertschaften wurde nun der Einsatzbefehl gegeben. Etwa 50 berittene Polizisten sprengten mitten unter die jetzt erst richtig aufbrausenden Passanten und versuchten, die Menschen in die Seiten-
gassen abzudrängen. Mehrere hundert Polizisten gingen mit ihren Karabinern gegen die Menschen los, schlugen zum Teil auf diese ein, nahmen zahlreiche Verhaftungen vor und drohten durch Lautsprecher schließlich mit dem Einsatz der bereits aufgefahrenen Wasserwerfer. Polizeipferde traten die Scheiben einiger Schaufenster ein, der Verkehr war für Stunden unterbrochen und erst in den Abendstunden setzte wieder das normale Leben ein.“ Einige Menschen werden schwer verletzt, dreiundfünfzig werden festgenommen.

Heinz Huber13 erinnert sich: „Also, da ist es wirklich zur Sache gegangen. Einer der Schandis ist mit seinem Gaul mitten in die Menge geritten und hat mit einem langen Schlauch in die Leute hineingedroschen. Mich hat er dabei von hinten voll erwischt, dass es mich aufs Pflaster ge-
schmissen hat. Ich kam dann nimmer hoch und bin auf allen Vieren in die Dom-Arkaden gekro-
chen.“

Gerhard Specht14: „Ich bin wirklich ein friedlicher Mensch. Aber als ich dieses martialische Aufgebot sah, diese blitzenden Helme und die Karabiner, und als dann Berittene in die Menge preschten, so dass ich in die zersplitternde Schaufensterscheibe eines Geschäfts gedrückt wurde, bekam ich eine unheimliche Wut, einen heiligen Zorn, und dann griff ich mir die Pflastersteine, die herumlagen und warf sie auf die Polizisten. Da konnte ich mich nicht mehr zurückhalten. Eigent-
lich bin ich ein sehr umgänglicher Mensch.“

Konrad Kittl meint: „Nachdem die Auseinandersetzungen sich wiederholten, kamen bei uns stehende Redenarten auf: ‚Buam, am Samstag is’ wieder Klassenkampf, geh’ ma hi’ zur revolu-
tionären Gymnastik?’ In einer reaktionären Studentenzeitschrift fand sich ein Foto, das die SDS-
Mitglieder bei einer der Ladenschluss-Demonstrationen zeigte. Darunter stand, dass diese Burschen, die unter dem Foto mit Namen genannt wurden, das verfassungsmäßige Recht der Geschäftsleute, über die eigenen Ladenöffnungszeiten zu beschließen, in Frage stellen würden.“


27. März 1954, Foto: Berthold Fischer, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung


Berittene Polizei in der Neuhauser Straße am 27. März 1954
Foto: Berthold Fischer, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung


Blick durch die Kaufingerstraße aufs Alte Rathaus am 27. März 1954
Foto: Berthold Fischer, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

Die Nürnberger Zeitung vom 29. März berichtet: „‚Wir werden uns mit Hunderttausend wieder-
sehen’, kommentierte der Kreisausschuss München des DGB die Entscheidung der Dritten Kammer des Verwaltungsgerichtes München. Der Ausschuss wies darauf hin, dass die Demon-
stration vom Amt für öffentliche Ordnung und von der Regierung von Oberbayern ausdrücklich bestätigt worden sei. Für das in der Verfassung gewährleistete Demonstrationsrecht der Gewerk-
schaft gebe es keine ‚Bannmeile’. Die Tatsache, dass die Polizei auf Grund der Verfügung die Neu-
hauser- und Kaufingerstraße für die Demonstration sperren müsse, bedeute auch einen Angriff auf die Freiheit der Gewerkschaften, der abgewehrt werde.“

Im Münchner Stadtrat gehen die Wogen hoch. Die Mehrheit der Stadträte von SPD und KPD unterstützt zwar die Haltung der Gewerkschaften, Oberbürgermeister Wimmer findet jedoch die „Verhältnisse untragbar“ und Polizeipräsident Heigl nimmt, wie die Abendzeitung vom 29. März vermeldet, „von niemand, auch nicht vom Oberbürgermeister einen gesetzwidrigen Befehl ent-
gegen“.15

Immer häufiger werden die Konflikte gerichtsmassig und Gewerkschaftsfunktionäre wirken auf ihre Mitglieder ein, sich an Recht und Gesetz zu halten, obwohl manche Kollegen warnen, dass die „Verrechtlichung“ der Politik die Kastration der Politik bedeute. Andere halten sich ja auch nicht an Recht und Gesetz:

Im März 1954 entlassen die BMW-Werke in Allach – hier sind viertausendsechshundert Menschen beschäftigt – vierzig Arbeiter, unter ihnen zwei Betriebsräte, fristlos. Etwa dreißig der Gefeuerten arbeiten seit mehr als zwanzig Jahren in der Firma und sind Mitglieder der IG Metall. Die Begrün-
dung für die Entlassung lautet, dass dies „im Interesse der Regierung der Vereinigten Staaten liegend für notwendig gehalten werde.“16

Ein letztes Aufbäumen

Im Gewerkschaftshaus wird erbittert gestritten. Die einen, die in Führungspositionen sitzen und eher der SPD zuzurechnen sind, beharren auf einem strikt legalen Vorgehen. Sie haben akzeptiert, dass die Gewerkschaften dabei sind, ihren politischen Gestaltungswillen aufzugeben und sich auf das tarifvertragliche Feld reduzieren zu lassen. Die anderen, die über den sozialpartnerschaftlichen Tellerrand hinaussehen, meinen, dass nur durch den Druck der Straße und mit einer Strategie der begrenzten Regelverletzung etwas zu erreichen sei. Die gewerkschaftliche Führung setzt sich durch. Am 10. April 1954 wird ein Flugblatt verteilt:


Fotobestand „Ladenschluss-Krieg“, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

An diesem Tag halten Salamander, C&A und Woolworth ihre Geschäfte wieder offen. Etwa 5.000 Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter demonstrieren hinter einer Musikkapelle aus dem bay-
rischen Oberland durch die Neuhauser- und Kaufingerstraße zum Jakobsplatz und ziehen laute Parolen rufend an den geöffneten Geschäften vorbei. In einem beinahe symbolischen Akt gehen
an der Spitze des Zuges die beiden DGB-Führer Ludwig Linsert und Max Wönner, der Münchner SPD-Vorsitzende Franz Marx sowie der Münchner DGB-Chef Gustav Schiefer. Dies soll zwei Botschaften transportieren: 1. Wir lassen uns nicht auseinanderdividieren und versprechen, an
der Einheit der Gewerkschaftsbewegung und SPD festzuhalten. 2. Wir akzeptieren die temporäre Niederlage und beschränken uns auf strikten Legalismus. Auf dem Jakobsplatz spricht Ludwig Linsert zum Thema „Was haben wir Gewerkschaften jetzt zu verteidigen?“

Am Ersten Mai 1954 sind neue Plakate auf Litfass-Säulen und Tafeln zu sehen: „Samstags gehört Vati mir“. Der DGB fordert die Einführung der Fünf-Tage-Woche und eine Wochenarbeitszeit von 40 Stunden. Der Konflikt um die Meinungsführerschaft in der Arbeiterbewegung findet seinen letzten Höhepunkt. Der sozialdemokratisch orientierten Führung der Gewerkschaften stehen immer noch viele Gewerkschaftsmitglieder entgegen, die den Konflikt als Klassenkampf ansehen.

Im „Ladenschluss-Krieg“ schließen C&A mit den Gewerkschaften Ende Mai/Anfang Juni 1954 einen Vergleich. Die Firma verzichtet auf 250.000 Mark Entschädigung und die Gewerkschaften entschuldigen sich für den „beleidigenden Inhalt“ ihres Flugblatts, das am 20. Februar verteilt worden war. Inzwischen haben sich auch viele andere Groß- und Mittelbetriebe dafür ausge-
sprochen, am Samstag nach 14 Uhr offen zu halten. Der Widerstand bricht zusammen.

Der Münchner Ausblick. Mitteilungen der Gewerkschaft Handel – Banken – Versicherungen HBV, Ov. München vom Februar 1958 beklagt: „Maßnahmen betriebsverfassungsrechtlicher Art waren trotz der Bereitschaft einiger Betriebsräte zum Scheitern verurteilt, weil in vielen betroffe-
nen Betrieben Betriebsräte überhaupt nicht bestanden oder die Betriebsräte sich zu keiner Maß-
nahme gegen den eigenen Arbeitgeber verstehen konnten. Seit der Kehrtwendung der Arbeitgeber ergriff die meisten Angestellten eine tiefe Depression, so dass von der Belegschaftsseite her eine erforderliche Rückenstärkung der Betriebsräte bei den von unserer Gewerkschaft geplanten Aktionen nicht ins Gewicht fiel. Blutenden Herzens gaben viele Betriebsräte schließlich ihre Zustimmung zu der veränderten Ladenzeit am Samstag oder ergriffen zumindest keine Maßnahme gegen deren Einführung.“

Für einige Demonstrantinnen und Demonstranten kommt es ziemlich dick. Am 30. August 1954 findet vor dem Amtsgericht am Mariahilfplatz in der Au der Prozess gegen Ingeborg Schell, Ludwig Spreng und Ernst Grube statt, die an der Demonstration vom 20. Februar teilgenommen haben. Die Süddeutsche Zeitung vom 31. August berichtet, ohne die parteiischen Behauptungen der Polizeibeamten zu hinterfragen:

„Sieben Monate Gefängnis wegen Teilnahme an einem Auflauf, wegen Aufforderung zu strafbaren Handlungen und wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt erhielt der 22jährige verheiratete Ernst G. Bewährungsfrist wurde nicht zugebilligt, da er wegen Teilnahme an einem Auflauf und Widerstands gegen die Staatsgewalt bereits vorbestraft war. Zwei Monate Gefängnis wegen fort-
gesetzten Widerstands gegen die Staatsgewalt und wegen Körperverletzung erhielt die 23jährige ledige Ingeborg Sch. Zwar wurde ihr Bewährung eingeräumt, jedoch muss sie 75 Mark an den Bayerischen Blindenbund zahlen. Der 29jährige Ludwig Sp. wurde wegen Teilnahme an einem Auflauf zu 150 Mark Geldstrafe, ersatzweise 30 Tage Haft, verurteilt. – G. hatte in der Liebfrau-
enstraße aus der Menge heraus gegen Beamte der Schutzmannschaft mit Rufen wie ‚Haut doch die blauen Säue!’ aufgewiegelt. Bei seiner Festnahme leistete er Widerstand. Sch. weigerte sich, der Aufforderung, die geräumte Kaufingerstraße zu verlassen, nachzukommen und beschimpfte die sie abführenden Beamten mit ‚Saubayern’ und ‚Polizeischweine’.“

Grube tritt im Frühjahr 1955 seine Haft an. Dort erreichen ihn Solidaritätsbekundungen von den Gewerkschaften. Die Industrie-Gewerkschaft Bau-Steine-Erden zahlt Grubes Ehefrau während seiner Gefängniszeit eine Inhaftiertenunterstützung. Am 1. Mai ist auf Transparenten zu lesen „Freiheit für Ernst Grube“.


DGB-Kundgebung auf dem Königsplatz am 1. Mai 1955, Sammlung Ernst Grube

Ernst Grube: „Verheiratet war ich mit Erika, der Tochter des Widerstandskämpfers Otto Binder, den die Nazis ermordet hatten. Wir hatten ein kleines Kind und eine neue Wohnung in einer Genossenschaft am Waldfriedhof. Dann trat ich im Frühjahr 1955 meine Haft an. Inhaftierte Maler besaßen immer die Möglichkeit zu arbeiten. Mich ließen sie nie, sondern hielten mich immer iso-
liert. Eines Tages bekam ich zweifelhaften Besuch. Zwei Herrn mit US-amerikanischem Akzent boten mir an, dass meine Frau mit ihrem Kind in der neuen Wohnung am Waldfriedhof bleiben dürfe, wenn ich für den CIA spitzeln würde. Ich lehnte ab, meine Frau flog aus der Wohnung und ich bekam keine vorzeitige Haftverschonung, wie sie eigentlich üblich ist, sondern saß bis zum letzten Tag in Stadelheim. Bei meiner Freilassung am 17. November 1955 bereitete mir die Gewerk-
schaftsjugend der IG Bau-Steine-Erden einen triumphalen Empfang im Heim der Arbeiterwohl-
fahrt in der Gravelottestraße.“

Niederlage

Massenhaft verlassen Gewerkschaftsmitglieder die HBV. Auch wenn führende Gewerkschafter es schönreden, der Eindruck bleibt, dass DGB, DAG und HBV eingeknickt sind. Dies wirkt sich auch auf die Metallarbeiter aus, die trotzig mit einem „Jetzt erst recht!“ in die kommende Tarifausein-
andersetzung gehen. Die IG Metall (IGM) kündigt den alten Lohntarif und fordert acht Prozent mehr Lohn. Nachdem die Unternehmer anlehnen, sprechen sich bei der Urabstimmung am 29./
30. Juli 90,4 Prozent der Metallarbeiter für einen Streik aus. Sie fordern jetzt eine Erhöhung der Ecklöhne um zwölf Pfennig pro Stunde und der Gehälter um zwölf Prozent.

Am 9. August 1954 beginnen rund 200.000 bayrische Metallarbeiter ihren Ausstand. Dies ruft nun Politiker auf den Plan. Irgendwo müssen die Drahtzieher sitzen, die die ansonsten doch so beson-
nenen und braven bayrischen Arbeiter aufhetzen. Der bayerische Ministerpräsident Hans Ehard (CSU) bezeichnet die Arbeiter als politisch ferngelenkte Unruhestifter: ‚Eine so schwere Störung des Arbeitsfriedens, wie es dieser Streik und in anderen Gegenden Deutschlands zur Zeit herr-
schende Streiks darstellen, wirft die Frage auf, ob letzten Endes es nicht uns allen wohlbekannte, von jenseits des Eisernen Vorhangs her gesteuerte politische Kräfte sind, die sich die in der Bundesrepublik ausgesprochenen Lohnkämpfe für die Ziele ihrer politischen Strategie zunutze machen wollen … Der Aufruf der Landesleitung Bayern der KPD lüftet die letzten Schleier.’“17

Die Streiknachrichten der IGM-Bezirksleitung vom 12. August sind wütend: „Die Unternehmer haben die Maske fallen lassen. Sie haben Zehntausende ‚Blaue Briefe’ verschickt. Und den gleichen Arbeitnehmern fristlos gekündigt, denen sie vor Tisch noch süße Worte von ‚menschlicher Verbun-
denheit’ und ‚sozialer Partnerschaft’ ins Ohr geflüstert haben. Mit brutalen Methoden des Klassen-
kampfes von oben, die schon ihre Vorgänger vor fünfzig und mehr Jahren auszeichneten, haben sie ihre ‚Mitarbeiter’ von gestern heute wie eine Ware auf die Straße geworfen. Das ist der Dank dafür, dass die Arbeiter und Angestellten für Hungerlöhne die Betriebe nach dem totalen Zusammen-
bruch, den die Unternehmer mit verschuldet hatten, wieder aufbauten.“

Am 18. August stehen mit verschränkten Armen etwa tausend Streikende vor den Toren des Münchner Zweigwerks der Firma Siemens & Halske, die von auswärts Streikbrecher unter Polizeischutz anfahren lässt. Vier Hundertschaften der Polizei versuchen, sich durch den Kordon der Streikenden, die sich mit allen Mitteln wehren, hindurchzuprügeln. Ein Steinhagel prasselt auf die Beamten, einer von ihnen wird schwer verletzt. Zwanzig Streikbrecher sind ebenfalls lädiert, wie viele der Streikposten verletzt sind, ist unbekannt. Auch in den folgenden Tagen wiederholen sich Angriffe gegen Streikposten; zuweilen gelingt es Streikbrecher in die bestreikten Firmen einzuschleusen.

Der am 27. August vom bayrischen Arbeitsminister Richard Öchsle vorgeschlagene Kompromiss mit einer Erhöhung der Ecklöhne um zehn Pfennige pro Stunde und der Gehälter um fünf bis sieben Prozent wird bei der Urabstimmung am 30./31. August von 52,8 Prozent der Metallarbeiter abgelehnt. Es hätten allerdings 75 Prozent sein müssen und daher ist die Schlichtung angenom-
men. Drei Wochen lang wurde der Streik erbittert geführt, viele Metaller sind maßlos enttäuscht. Einige werden wegen ihrer Teilnahme am Streik fristlos entlassen, auch der Gang zum Arbeitsge-
richt bleibt erfolglos.

Am 20. September 1954 demonstriert die Münchner Gewerkschaftsjugend gegen die „Pariser Verträge“. Es sind nur noch wenige hinhaltende Abwehrscharmützel. Die Arbeiterbewegung muss zur Kenntnis nehmen, dass der Weg in den kapitalistisch dominierten Klassenstaat mit Militär und Einbindung in die NATO endgültig nicht mehr aufzuhalten ist.

Ausblick

Ab 1. Januar 1958 gilt mit einigen Ausnahmen der freie Samstagnachmittag ab 14 Uhr. Der Münchner Ausblick. Mitteilungen der Gewerkschaft Handel — Banken — Versicherungen HBV, Ov. München vom Februar 1958 vermeldet vier Jahre nach dem „Ladenschluss-Krieg“ stolz: „Der Kampf ging nunmehr verstärkt auf Bundesebene vor sich. Wenn unsere Gewerkschaft schließlich im Jahre 1956 endlich eine geringe Mehrheit im Bundestag für ein Ladenschlussgesetz nach unseren Vorstellungen gewinnen konnte, so waren es vorwiegend mit die Ereignisse in München, die zu einer Beschleunigung beitrugen.“

Allerdings schreibt die Gewerkschaftszeitung schon ein dreiviertel Jahr später in ihrer Nummer 9: „Das Ladenschlussgesetz ist am 9. November in das dritte ‘Lebensjahr’ eingetreten. Es waren, wie wir wissen, keine geruhsamen 2 Jahre, denn die Kräfte, die das Gesetz von Anfang an mit allen Mitteln zu verhindern suchten, waren seitdem eifrig bemüht, das Gesetz möglichst wieder abzu-
schaffen, es aber zumindest hinsichtlich der fortschrittlichen Regelungen zu verwässern.“

Das 2. Änderungsgesetz zum Ladenschluss eröffnet 1960 die Verkaufsmöglichkeit an vier Samstagen vor Weihnachten bis 18 Uhr.

Mit der Jahrtausendwende erringt die neoliberale Ideologie die Diskursvorherrschaft in der Gesellschaft. Aus allen Medien tönt es, dass der „vormundschaftliche Staat“ der „Freiheit“ allenthalben Fesseln angelegt habe. Man müsse endlich privatisieren und das Regelwerk lockern. Dass das Ladenschlussgesetz einmal als Arbeitsschutzgesetz für Lohnabhängige diente und darüberhinaus die kleineren, nicht konkurrenzfähigen Händler vor der Manövrierfähigkeit der großen Einkaufsketten und Warenhäuser schützten sollte, wird ausgeblendet. Die Gewerkschaften sind in der Defensive. Am 14. März 2003 kündigt Bundeskanzler Schröder die „Reform der Sozialsysteme und des Arbeitsmarktes“ an und verkündet die „Agenda 2010“. Schließlich verlän-
gert der Bundestag die Verkaufszeiten am Samstag bis 20 Uhr wie an den Werktagen. Damit wird erstmals am 7. Juni 2003 ein „langer Samstag“ möglich. Proteste von Seiten der Gewerkschaften bleiben wirkungslos.

Tatsächlich kommt jetzt eine Verkäuferin mit Abschlussarbeiten und Heimfahrt am Samstag oft erst nach 21 oder 22 Uhr nach Hause. Die längeren Öffnungszeiten müssen vom gleichen oder sogar von weniger Personal bewältigt werden, Arbeitspläne werden durch extreme Flexibilisierung ersetzt. Immer mehr Teilzeitbeschäftigte stehen zu Hause auf Abruf bereit. Der kleine Einzelhandel bleibt hier nicht mehr konkurrenzfähig; er verschwindet Schritt für Schritt.

ver-di-Sekretär Georg Wäsler schreibt in den Westend Nachrichten. Stadtteilzeitung für das Westend und die Schwanthalerhöh’ vom Juni 2003: „Aber dabei bleibt es nicht – durch die Liberalisierung der Ladenschlusszeiten nimmt der Druck auf die Beschäftigten in öffentlichen und privaten Dienstleistungsbereichen wie Kindergärten, Bibliotheken, Banken usw. auch weiter zu. Die gesamte Arbeits- und Lebenszeit wird flexibilisiert.“

Nicht genug: Langfristig sollen alle Schranken fallen. Mit Ausnahmeregelungen führen die großen Geschäftsleute der Münchner Innenstadt begleitet durch die mediale Unterstützung der großen Münchner Zeitungen gegen erneute Proteste der Gewerkschaften seit Jahren das sogenannte Mitternachts-Shopping durch. Ihre Salamitaktik stellt darauf ab, Schritt für Schritt die, wie sie es nennen, „Liberalisierung der Geschäftszeiten“ durchzusetzen.

G. Gerstenberg


1 Eine kürzere Fassung dieses Textes findet sich in in Zara S. Pfeiffer (Hg.), Auf den Barrikaden. Proteste in München seit 1945. Im Auftrag des Kulturreferats der Landeshauptstadt München, München 2011, 61 ff.

2 Selbstverständlich sind diese Mitglieder einer nicht uniformierten Abteilung in der Ettstraße. Ihre Aufgabe ist es, Straf-
taten in flagranti zu erkennen und die Täter zu verhaften. Es kommt im übrigen öfter und nicht nur einmal vor, dass uniformierte Polizisten Kripoleute, die sich nicht rechtzeitig zu erkennen geben, zusammenschlagen.

3 Das ausgesprochen charakteristische Geräusch der Sirene des Überfallkommandos löst in der städtischen Geräuschkulisse der Stadt traditionell Angst aus und signalisiert Gefahr. Die schon vorhandene Erregung der Menschen wird durch diese Sirene weiter verstärkt. Der Eindruck entsteht: Die sind jetzt wegen uns unterwegs. Erst nach dem Ertönen der Sirene des stadtbekannten Überfallkommandos prügelt sich die erste Einsatzhundertschaft der blau uniformierten Polizei von der Augustinerstraße her in die Menge.

4 Die anderen Einsatzwägen der Bereitschaftspolizei sind natürlich Lastwägen ohne Sirene, auf denen die grün uniformier-
ten Polizisten von ihrer Kaserne in Fürstenfeldbruck herbeigefahren werden. Im Konvoi der Bereitschaftspolizei fährt auch eine ganze Staffel von Motorradfahrern.

5 In München findet sich in den Köpfen der Gewerkschaftsmitglieder keine besonders dezidierte, von den Zentralen vorformulierte offiziöse und durchformulierte Position. Viel eher tauschen Gewerkschaftsmitglieder unterschiedlichere Meinungen und Positionen kontrovers aus.

6 Albert Lörcher (12. Juni 1913 in München — 6. Februar 1997 in München), Kürschner, ab 1933 im Widerstand, Gefängnis, KZ, SPD, Leiter der Buchhandlung des gewerkschaftseigenen Bund-Verlags 1948 — 1979, am 3. Oktober 1991 zum Verfasser.

7 Das alte Gewerkschaftshaus steht in der Landwehrstraße. Hier befinden sich die Büros der verschiedenen Gewerkschaften und somit auch die Einsatzzentralen für Demonstrationen und Manifestationen. Manchmal sammelt die zentrale Ein-
satzleitung ihre Mitglieder erst einmal um sich. Es geht darum, erstens eine „Heerschau“ abzuhalten und zweitens befindet man sich noch quasi auf eigenem Territorium.

8 Konrad Kittl (München 12. Januar 1931 – 31. Mai 2015 München), damals Sozialistischer Deutscher Studentenbund (SDS), Rechtsanwalt, SPD, am 9. November 2010 zum Verfasser.

9 Ernst Grube (geboren am 13. Dezember 1932 in München), noch 1945 als Kind im KZ, damals Maler, FDJ, IG Bau Steine Erden, heute DKP, VVN und stellvertretender Vorsitzender der Lagergemeinschaft Dachau am 21. Oktober 2010 zum Verfasser.

10 Die Behauptung, Wasserwerfer seien humane Zwangsmittel, verschleiert, dass für das repressive Vorgehen der Exekutive gegen unbotmäßige Bevölkerungsgruppen üblicherweise in der Intensität abgestufte Methoden und Mittel zum Einsatz kommen. Wasserwerfer sind nicht human.

11 Thomas Moser, Zum 17. Juni 1953: Aufstand im Osten — Streiks im Westen. Gab es deutsch-deutsche Zusammenhänge und Wechselwirkungen? In: Horch & Guck. Zeitschrift zur kritischen Aufarbeitung des SED-Diktatur, Berlin, 42/2003, 1 ff.

12 Sammlung Ernst Grube.

13 Heinz Huber (geboren 1927 in München), SPD, Vorsitzender der Internationale der Kriegsdienstgegner (IdK), Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, Transport und Verkehr (ÖTV), Münchner Personalratsvorsitzender, am 10. November 2010 zum Verfasser.

14 Gerhard Specht (geboren am 10. März 1934, gestorben am 10. Juni 2010 in München), SPD, IG Metall, Leiter der Abteilung Wirtschaft im DGB-Landesbezirk, am 15. September 2009 zum Verfasser.

15 Einige sozialdemokratische Stadträte bestürmen den sozialdemokratischen OB, die Polizeieinsätze mit Hilfe von Anordnungen an den sozialdemokratischen Polizeipräsidenten zu unterbinden. OB Wimmer ist hin und hergerissen und diskutiert heftig mit Heigl, ob und wie die Polizeieinsätze zurückgefahren werden können. Heigl entscheidet sich zwischen zwei Positionen. Einmal ist sein unmittelbarer Dienstvorgesetzter OB Wimmer, andererseits wurde er vereidigt und über dem Stadtregiment befindet sich ja die Regierung von Oberbayern und darüber das Innenministerium, das allerdings auch vom Sozialdemokraten Wilhelm Hoegner geleitet wird, der aber mit den Gewerkschaften weniger Kontakt hat und von dem eruptiven Ausbruch der Ladenschlussdemonstrationen eher überrascht wird. Nicht zuletzt ist Heigl ein Polizist alter Schule, dem obrigkeitsstaatliches Denken und Ruhe und Ordnung als höchste Tugend zutiefst in den Knochen sitzt. Wenn Wimmer von ihm verlangen würde, seine Polizisten zurückzurufen, dann wäre dies für Heigl „gesetzwidrig“ nicht im juristischen Sinn, sondern im politischen Sinn.

16 Wolfgang Kraushaar, Die Protest-Chronik 1949 — 1959. Eine illustrierte Geschichte von Bewegung, Widerstand und Utopie. 4 Bde., Hamburg 1996, 949.

17 Kraushaar, a.a.O., 1024 f.

Weiterführende Literatur:

Udo Achten, Geschichte des Ladenschlusses. Dokumente — Bilder — Lieder, Düsseldorf 1988.

Alfred Horné (Hg.), Zwischen Stillstand und Bewegung. Eine kritische Untersuchung über die Gewerkschaften in der modernen Industriegesellschaft. Mit Beiträgen von Siegfried Braun, Burkart Lutz, Theo Pirker, Heinz Theo Risse, Frankfurt am Main 1965.

Theo Pirker, Die blinde Macht. Die Gewerkschaftsbewegung in Westdeutschland. Teil 1. Vom „Ende des Kapitalismus“ zur Zähmung der Gewerkschaften, Teil 2. 1953 — 1960. Weg und Rolle der Gewerkschaften im Kapitalismus, Berlin 1979.