Materialien 1962

Einsatz für den Umsatz

Unbestätigten Gerüchten zufolge soll es in gewissen Weltgegenden unter manchen Fabrikanten heißbegehrter Fabrikate Sitte geworden sein, darauf zu achten, dass jene Fabrikate erheblich früher ihren Dienst aufkündigen, als es die beglückten Konsumenten erwarten.

Herr M. glaubt, dass sein mühsam auf Stottern gekauftes Modell Super de Luxe Imperial Electronic Special mit den 17 neuen Vorteilen und den gefälligen Psychofarben, die Freude jeder Hausfrau, der Stolz jedes Haushaltsvorstandes, so zirka zehn Jahre halten wird. Obwohl ihm das niemand versprochen hat. In Wirklichkeit hält es nur zwei bis drei Jahre, höchstens. Weil – so munkelt man in erbitterten Konstrukteurskreisen – der Chef es so wünscht.

Das ist nun beileibe nicht auf die übermäßige Profitgier des Chefs zurückzuführen, der etwa mehr Freude daran hätte, wenn Herr M. in den zehn Jahren das bewusste Gerät vier- oder fünfmal neu anschaffen muss – wenn auch jedes neuer und besser als das vorige –, als wenn er zehn Jahre lang das Loblied der tüchtigen Firma sänge. Nein, der Chef erfüllt eine eminent wichtige volkswirtschaftliche Funktion: Er sorgt verdienstvoll dafür, dass seine Mitarbeiter nicht durch das überhandnehmen dauerhafter Kühlschränke, Staubsauger, Radios, Hosen, Schuhe, Autos, Fernsehgeräte und Schreibmaschinen plötzlich ohne Arbeit und Brot dastünden und ihre Kinder der Milch entbehren müssten. Welch edles Denken! Welch perfekte Synthese zwischen humanistischern Idealismus und legitimem Gewinnstreben!

Wir erheben uns zu einer Minute stillen Gedenkens. Und zu einer Minute der stillen Verachtung für jene kurzsichtigen, wenn nicht heimtückischen Fabrikanten, die noch immer darauf achten, dass ihre Erzeugnisse so lange wie möglich ihren Dienst tun, und die auf diese Weise nicht nur ihre eigene Konkurrenzfähigkeit, sondern auch die Volkswirtschaft, das Abendland und somit unsere geschichtliche Aufgabe unterwühlen, weil sie auf Grund missverstandener Grundsätze das neue Prinzip noch nicht anerkannt haben. Wie soll sich denn da der Umsatz heben? Wie die Vollbeschäftigung aufrecht erhalten werden? Wie ein glückliches Volk wachsen und gedeihen?

Es wird Zeit, dass auch jene Eigenbrötler, die noch immer konservativen Gedankengängen anhängen, zur Räson gebracht werden. Man muss sie nur mit der Nase darauf stoßen!

Auf dem Gebiete der Medizin zum Beispiel. Wo sind die Chirurgen, die durch werbetechnisch ausgefeilte Plakate, Funk- und Fernsehwerbung und Postwurfsendungen die Kunden auf die modische Operation des Jahres aufmerksam machen und den prospektiven Patienten alle Vorteile der Vorfinanzierung, Teilzahlung und des Operationsabonnements vor Augen führen?

Hier öffnen sich noch große Möglichkeiten, denn – Hand auf den Blinddarm – wer von uns schleppt nicht noch immer alle möglichen Organe mit und ohne Schäden mit sich herum, die nach Entfernung oder auch Modernisierung schreien? Wer wollte noch mit der Operationsnarbe vom vergangenen Jahr herumlaufen, wenn er die neueste, eben erst auf dem Internationalen Chirurgenkongress zu La Paz herausgebrachte auf bequeme Raten erwerben kann?

Und erst die Dentisten und Zahnärzte! Warum müssen die Menschen eigentlich weiße Zähne haben? Das ist ein Vorurteil, aus alter Gewohnheit und missverstandener Tradition erwachsen. Es gibt entlegene Völkerstämme, die uns da richtungweisend sein können, die sich die Zähne mit Pflanzensäften rot färben und gelegentlich auch spitz zu feilen.

Also her mit den auswechselbaren Modegebissen in vielen gefälligen Farben, vom einfachen lichtgrünen Kauwerkzeug von Format für das anspruchsvolle Büro bis zum edelsteinbesetzten Galagebiss für rauschende Feste. Jedem Dentisten seine eigene Gebiss-Servicestation, in der jedem das nicht mehr schickliche pazifikblaue Sommergebiss gegen das neue, von führenden Zahnschöpfern entworfene zitronengelbe Herbstgebiss bei Inzahlungnahme des alten eingetauscht wird. Wer wollte da mit seinen altmodischen lila Beissern vom vorigen Jahr herumlaufen?

Am wichtigsten wäre es natürlich, wenn das neue Prinzip gleich dort verwirklicht würde, wo es hinsichtlich der Umsatzsteigerung am durchschlagendsten wäre: in der Nationalökonomie. Jedes Jahr die neue dynamische Wirtschaftstheorie, die stromlinienförmige Wirtschaftspolitik, die elegante Handelspolitik mit Pfiff und den elf Vorteilen, o Pardon, das gibt’s ja schon.

Henry Jelinek


Simplicissimus 34 vom 25. August 1962, 540.

Überraschung

Jahr: 1962
Bereich: Kapitalismus