Materialien 2011
Ich hab’ eine Stadt zu retten – kommst Du mit?
lailah — Eine unserer Leserinnen hat sich Gedanken über ihre Heimat gemacht und uns folgen-den Text zukommen lassen:
Ich bin jetzt dann gleich 30, aufgewachsen in Haidhausen und Giesing. Und meine Heimat ist noch immer da. Jetzt wohn’ ich in Ottobrunn, weil München kann ich mir nimmer leisten. Ich erinner’ mich gern dran, wie ich als Kind durch Haidhausen gestreunt bin mit meinen Freunden, der Nicky, dem Markus, Eva, Katinka und all den anderen. Mal gab’s Streit, mal war man bestens befreundet. Hat sich angefeindet und vertragen. Da hat man Dramen erlebt. Vor allem mit den Erwachsenen. Was man da alles gesehen hat. Aber man hat auch gesehen, dass man sich hilft. Dass man nicht alleine ist. Man kannte sich. Man schlug und vertrug sich. Oder nicht …
Manche sind tot, manche verzogen. Aber immer noch da. Manche sieht man heut noch und kennt sich, als wär’ nix dazwischen gewesen. Manche findet man bei Facebook wieder und ist gespannt auf eben die Geschichte dazwischen.
Jetzt wohn’ ich da draußen – ist schön, keine Frage – und habe Sehnsucht nach der Heimat. Komm’ ich dann her und schau und seh Zettel an den Bäumen hängen, was wo weg soll und wel-
cher Baum fällt, dann frag’ ich mich, was hätten wir vor 22/23 Jahren gemacht?
Mann, wir wären auf die Barrikaden gegangen, wenn jemand die Postwiese hätt’ anfassen wollen! Meine Mama mit mir. Und wir hätten Lärm gemacht! Eine Mords-Gaudi wär’ des gewesen. Aber noch is’ nix verloren: Es dehnt sich eine Welle, immer weiter. Der Unmut nimmt seinen Lauf. Aus Untätigkeit wird Energie. Daran appelier’ ich! Steht auf und wehrt euch!
Denn wo soll das hinführen? Ich male mir ein Szenario aus und es empört mich. Das Wort Gentri-
fizierung brennt sich in mein Hirn. Anonyme Investoren statt Nachbarn. Unser „Flair“ weicht dem Luxus. Die Schickeria wird von der „Prominenz“ verdrängt. Der Monaco Franze ersetzt durch Mario Barth? Das Sechz’ger wird zum Büroturm mit Brücke zum Flaucher?
Nein! Zefix. Es reicht!
Was heißt das für den Münchner? Der bezahlbare Wohnraum ballt sich auf einige wenige Zentren in der Stadt, der Rest ist Luxus und Büro? Es ist erschreckend, dass in ganz München Künstler weichen müssen, Kneipen dicht machen, Menschen ihre Heimat verlassen, weil sie sie sich nicht mehr leisten können. Schwabing, Giesing, Au, Domagkgelände, Schwabinger 7, Monopol, das Hotel Biss … Es ist egal, in welche Richtung ich blick’, ich seh’ Beton und Glas, Nagelstudios und Matratzenläden. Was soll mir das sagen? Mach’s dir vorm Fernseher gemütlich, aber seh’ um Himmels Willen gut dabei aus? Na, danke. Da hab ’n anderen Plan: Plätze schaffen und erhalten, wo man sich hinsetzt und es kurz genießt mal nix zu tun, einfach nur tief durchatmen und die Schönheit Münchens zu begreifen. Jeden Tag aufs Neue. Nur ein Augenblick Gemütlichkeit. Dann grantlt mich die Bedienung an und der Tag kann weitergehen. I woaß’ scho … Später rennen mich noch a paar Kinder um und flüchten laut kreischend. Auf ’nen Spielplatz. Mit Wiese und Sandkas-
ten.
Jetzt klapp’ ich das Laptop zu und zieh’ mir mein Cape über:
Ich hab’ ’ne Stadt zu retten! Kommst du mit?
Unser Viertel. Spekulanten und Yuppies raus aus Giesing 5 vom Sommer 2011, 7 f., www.unserviertel.blogsport.de/zeitungen/