Materialien 1982

Das Geld lag auf dem Acker

Die getarnten Beteiligungen, die den Neue-Heimat-Chef Albert Vietor das Amt kosteten, waren nur ein bescheidener Teil seines heimlichen Reichs. Am größten Städtebau-Projekt der Bundesrepublik, in der Satellitenstadt München-Neu-Perlach, verdienten Vietor und einige seiner Kollegen über eine Strohmann-Firma Millionen.

Der 11. Mai 1967 brachte für Hans-Jochen Vogel, damals Oberbürgermeister von München, „ein glanzvolles Ereignis“. Auf einem Ackergelände im Münchner Osten, nahe bei dem alten Dorf Perlach, wurde der Grundstein für das größte Siedlungsprojekt in der Geschichte der Bundesrepublik gelegt. In der „Entlastungsstadt Neu-Perlach“ sollten in wenigen Jahren schon 80 000 Münchner wohnen, soviel wie in einer Stadt von der Größe Gießens.

Auch im Gewerkschaftskonzern Neue Heimat (NH) gab es Grund zur Freude. Die Stadt München hatte die bayrische NH-Filiale als „Maßnahmeträger“ mit der gesamten Planung für Neu-Perlach beauftragt. In einer Festschrift der Neuen Heimat Bayern feierte Vogel das Ereignis als „die Krönung ihrer schon bisher so erfolgreichen Tätigkeit in München“.

Es war vor allem der Gipfel der Unverfrorenheit.

Mit der Geschichte der Retortenstadt auf den Kartoffeläckern im Münchner Osten verbindet sich ein besonderes Skandal-Stück aus dem Neue-Heimat-Repertoire. Angeführt von dem inzwischen gefeuerten Neue-Heimat-Chef Albert Vietor, wirtschaftete eine kleine Schar von führenden Konzernmanagern mehr als ein Jahrzehnt in die eigene Tasche; sie taten dies quasi unter den Augen der Münchner Stadtverwalter.

Gemessen an dem Coup von München, nehmen sich die heimlichen Geschäfte mit der Heizungsfirma tele-therm und der Wohnungsfirma Wölbern Hausbau (SPIEGEL 6 und 7/1982), die Vietor den Job kosteten, fast bescheiden aus: Vorsichtig geschätzt, räumten Vietor und Genossen bei ihren Geschäften in der bayrischen Hauptstadt gut 30 Millionen Mark ab. Den Schaden trugen der Gewerkschaftskonzern und die Mieter in Perlach.

Wäre nämlich alles mit rechten Dingen zugegangen, hätten die abgezweigten Gelder nach den Regeln des gemeinnützigen Wohnungsbaus entweder in zusätzliche Neubauten fließen müssen – oder hätten für die Bewohner der Neue-Heimat-Siedlungen zu niedrigeren Mieten geführt.

Das System war einfach und sicher. Noch bevor die Neue Heimat Bayern den offiziellen Maßnahmeträger-Vertrag mit der Stadt unterzeichnete, hatte eine private Firma mit dem unverfänglichen Namen „Terrafinanz“ viele Grundstücke für das zukünftige Neu-Perlach zu relativ niedrigen Preisen bei den Bauern zusammengekauft. Mit gutem Gewinn verkaufte die Terrafinanz nach Planungsbeginn Teile ihres Grundbesitzes an die Neue Heimat weiter.

Zudem vermittelte die unscheinbare Firma der Neuen Heimat gegen überhöhte Gebühren weiteren Grund und Boden. Als die Terrafinanz sich später auch mit Wohnungsbau beschäftigte, besorgte sie sich auf ebenso schlichte wie unzulässige Weise überhöhte öffentliche Zuschüsse.

Die Gewinne teilte sich eine kleine Führungsschicht des Gewerkschaftskonzerns auf bewährte Weise.

Über einen Strohmann, den Hamburger Bankier Ernst Wölbern, war an ihr alles beteiligt, was in jenen Jahren bei der Neuen Heimat Rang und Namen hatte: Heinrich Plett, Firmenchef von 1950 bis 1963; Albert Vietor, sein Nachfolger; Ludwig Geigenberger, Chef der Neue Heimat Bayern; Herbert Ritze, der Leiter der Bremer Filiale, und Walter Beyn, der technische NH-Chef.

Wieviel Geld bei dem Tarnunternehmen hängenblieb, war für Außenstehende kaum nachzurechnen. Denn in einem komplizierten Umlegungsverfahren wurden die ursprünglichen Ackergrundstücke zusammengefasst und als Bauland in neuen Grenzen wieder aufgeteilt: Die Spuren des Landgewinns waren damit bis zur Unkenntlichkeit verwischt.

„Die Grundstückbeschaffung in Perlach war eine Geschichte, so klar wie klares Wasser“, behauptete denn auch vorletzte Woche der langjährige Terrafinanz-Geschäftsführer Gustav-Adolf Blum gegenüber dem SPIEGEL.

Das Perlacher Projekt eignete sich wie kaum ein anderes Städtebau-Vorhaben für dunkle Geschäfte. Bei den meisten Großsiedlungen, die damals die Neue Heimat plante, war der größte Teil des Geländes schon im Besitz der Gemeinde. Am Hin- und Herschieben der Grundstücke war da nichts mehr zu verdienen. Die Perlacher Flur aber teilte sich in rund 500 verschiedene Grundstücke mit 160 Eigentümern, größtenteils alteingesessenen Bauern – Traumland für Spekulanten.

Zunächst wollte die Stadt, erinnerte sich Vogel später, die Grundstücke selber kaufen und an die Bauträger weitergeben. Dann jedoch verzichtete Münchens Oberbürgermeister auf diese in der Tat wichtige Einwirkungsmöglichkeit, „weil die Stadt die notwendigen Kaufsummen niemals hätte finanzieren können“.

Wieso es dann eine frisch gegründete Firma mit einem eingezahlten Kapital von 60 000 Mark können sollte, gehört zu den Rätseln des Coups von Perlach.

Noch bevor jedenfalls die Neue Heimat Bayern im April 1963 amtlich zum „Maßnahmeträger“ ernannt wurde, war die Terrafinanz laut Geigenberger „zum Erwerb von Flächen durch die Stadtverwaltung München beauftragt“. Es war die Eintrittskarte ins Schlaraffenland, und diesen Zutritt hatten die Hintermänner sorgfältig vorbereitet.

Am 20. September 1961 erschienen bei dem Münchner Notar Karl Pfeiffer in der Neuhauser Straße 16 die vier mächtigsten Männer der Neuen Heimat: Heinrich Plett, Albert Vietor, Ludwig Geigenberger und Herbert Ritze.

Gemeinsam mit dem Quartett hatten sich der hanseatische Bankier Ernst Wölbern eingefunden sowie Gustav-Adolf Blum, als Prokurist zuständig für die Grundstücksabteilung der Neuen Heimat Bayern. In seiner Urkunde, mit bayrisch weißblauem Bindfaden geziert, hielt Notar Pfeiffer das Ergebnis der Zusammenkunft fest.

Gegründet werden sollte die Firma „Terrafinanz“ Terrain- und Finanzierungsgesellschaft. An der Unternehmung sollten Vietor, Geigenberger, Plett und Ritze beteiligt werden, allerdings nicht offen im Handelsregister erscheinen. Daher übernahm Wölbern treuhänderisch die Anteile der vier Hintermänner.

Am gleichen Tage wurde auch der Gesellschaftsvertrag der Terrafinanz beurkundet. Für das weniger brisante zweite Vertragswerk wählten die beteiligten Herren den offiziellen Neue-Heimat-Notar Georg Feyock. Als Geschäftsführer der jungen Unternehmung fungierte Gustav-Adolf Blum, der Grundstücksexperte der bayrischen Neuen Heimat.

Blum wurde gleichzeitig zu einem Zwölftel an der Firma beteiligt. Ein weiteres Zwölftel bekam der Sohn des NH-Konzern-Chefs, Norbert Plett, zugesprochen. Mit zehn Zwölfteln des Terrafinanz-Kapitals stand Bankier Wölbern zu Buche.

Der Wölbern-Anteil am Terrafinanz-Kapital fiel zwangsläufig höher aus: Neben seinen eigenen zwei Zwölfteln verwaltete der Vietor-Vertraute ja nochmals acht Zwölftel treuhänderisch für die Herren Vietor, Plett, Geigenberger und Ritze. Die an der Terrafinanz beteiligten Manager der Neuen Heimat blieben mithin im dunkeln. Das Anfangskapital der Terrafinanz betrug 600 000 Mark. Allerdings hatten die Herren nur insgesamt 60 000 Mark eingezahlt. Der Rest sollte durch die so sicher erwarteten Gewinne aufgefüllt werden.

Knapp ein halbes Jahr nach der Zusammenkunft, am 8. März 1962, bemühten die NH-Manager den Notar Pfeiffer noch einmal: Walter Beyn, neben Plett und Vietor damals drittes Geschäftsführungsmitglied der Neuen Heimat, beteiligte sich ebenfalls an dem Gewinnspiel. Zunächst hatte die Vierer-Truppe den Bautechniker als moralisch zu pingelig für das heiße Geschäft eingestuft.

Dann aber, als die Terrafinanz rasch eine rege Geschäftstätigkeit entwickelte, dämmerte Vietor und seinen Kollegen, dass es sicherer war, Beyn einzubinden. Irgendwann, so kalkulierten sie, würde er ihr Spiel ohnehin durchschauen.

Unter dem 2. Juli findet sich der Vermerk im Handelsregister: „Die Einlage des Kommanditisten Ernst Wölbern ist um 90 000 Mark erhöht“; der fünfte Mann war hinter den Vorhang geschlüpft.

Nur noch eine Kleinigkeit war zu erledigen: Die Terrafinanz brauchte Geld. Um die Grundstücke von den Perlacher Kartoffelbauern einzukaufen, reichten die bescheidenen Einlagen der stillen Teilhaber nicht aus.

Das Hindernis wurde elegant genommen. Der Neue-Heimat-Gewaltige Heinrich Plett unterschrieb im Namen seines Unternehmens eine selbstschuldnerische Bürgschaft zugunsten der Terrafinanz über 7,5 Millionen Mark. Durch die Finanzkraft des Gewerkschaftskonzerns abgesichert, gewährte die Bayerische Vereinsbank dem jungen Unternehmen „praktisch unbegrenzt Kredit“, wie ein Münchner Bankier erläutert.

Derart gerüstet, kaufte die Strohmann-Gesellschaft mehrere hunderttausend Quadratmeter Land in Perlach auf. Noch bevor die Stadt München die Neue Heimat im Frühjahr 1963 zum Maßnahmeträger auserkor, war das junge Unternehmen zum Großgrundbesitzer in München-Ost geworden. In stolzer Offenheit verkündete Bayerns Neue-Heimat-Chef Ludwig Geigenberger später, bei der Grundsteinlegung in Perlach, dass die Terrafinanz bis zum Frühjahr 1963 schon 550 000 Quadratmeter Grund zusammengekauft hatte.

Die ersten Grundstücke erwarb die Firma zu Preisen zwischen zehn und zwanzig Mark pro Quadratmeter. Da allein die Terrafinanz von den Bauplänen der Münchner Stadtoberen wusste, konnte zunächst kein anderer Immobilienhändler die Preise verderben.

Bald freilich kursierte unter den Kartoffelbauern das Gerücht von der „goldenen Fruchtfolge“, die ihrem Ackerland beschieden sein würde. Innerhalb weniger Jahre kletterten die Grundstückspreise auf 100 Mark; heute wird Land in Perlach in der Spitze mit knapp 1000 Mark je Quadratmeter gehandelt.

Neben ihren eigenen Grundstückskäufen verdingte sich die Terrafinanz der Stadt sowie der Neuen Heimat als Makler. Ihre Bemühungen ließ sich die Firma mit einer Provision honorieren.

Besonders lukrativ war die Makler-Tätigkeit, wenn die Terrafinanz für die Neue Heimat aktiv wurde. Nach einem Provisionsvertrag kassierte die Terrafinanz zehn Prozent der Grundstückskosten – ein Satz, der für die Immobilienbranche völlig überhöht ist; üblich sind zwei bis höchstens drei Prozent für den Käufer.

Bald war die aufstrebende Firma mit der Grundstücksbeschaffung in Perlach nicht mehr ausgelastet. Die Terrafinanz kaufte und verkaufte Grundstücke in den Münchner Außenbezirken Forstenried, Taufkirchen und Unterhaching. Wie bei dem Märchen vom Hasen und dem Igel war die Terrafinanz immer schon da, wo Grund gebraucht wurde.

Angesichts der blühenden Geschäfte musste Strohmann Wölbern im Sinne des Paragraphen II Absatz 3 der Treuhandverträge tätig werden: „Etwa bestehende Überschüsse aus dem Treuhandanteil hat er unverzüglich an den Treugeber weiterzuleiten.“

Die Überweisungen aus München trafen bei dem Hamburger Bankier mit steter Regelmäßigkeit ein. Alle Vierteljahr, jeweils kurz vor dem 10. des Monats, wenn die Herren ihre Steuervorauszahlungen zu leisten hatten, bekam Wölbern einige hunderttausend Mark zur Weiterverteilung geschickt.

Im Schnitt galten pro Quartal und stillem Teilhaber 60 000 Mark. Die offenen Gesellschafter Blum und Plett junior erhielten gemäß ihrem Anteil je 30 000 Mark. Jedes Jahr kassierten Vietor und Kollegen somit jeweils vorab 240 000 Mark aus dem Gewinn der Terrafinanz.

Diese vierteljährlichen Abschlagzahlungen waren für die Vorauszahlungen der Treugeber an das Finanzamt gedacht. Dabei wurde mit dem höchsten Steuersatz von gut 50 Prozent kalkuliert. Der Bruttogewinn lag mindestens doppelt so hoch – pro stillem Teilhaber bei knapp einer halben Million im Jahr.

Die Terrafinanz warf die Beträge locker ab. In den goldenen Sechzigern erwirtschaftete die tüchtige Tarnorganisation in der Spitze Gewinne von jährlich vier Millionen Mark – ganz abgesehen von den stillen Reserven, die in dem umfangreichen Grundbesitz angehäuft wurden.

Besonderen Schub bekam die Unternehmung im Herbst des Jahres 1964 durch eine Ausweitung der Tätigkeit. Die Gesellschafter nahmen nun auch noch den Bau von Wohnungen ins Firmenprogramm auf.

Zu diesem Zweck gründete die verschworene Crew die Wohnbauverwaltung-Terrafinanz, eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Terrafinanz.

Mit Hilfe der neuen Firma stiegen Blum und seine Hintermänner auf eine überaus ertragreiche Art in den Perlacher sozialen Wohnungsbau ein.

Erbbaurechte, die von der Terrafinanz günstig bei den Bauern aufgekauft worden waren, verkaufte sie für ein Vielfaches an die Tochter Wohnbau. Auf der Basis des teuren Grundstücks vereinnahmte die Terrafinanz-Tochter alsdann die üblichen Staatszuschüsse für den Sozialwohnungsbau – im Schnitt 40 bis 45 Prozent der gesamten Kosten, die sich aus Grundstück plus Baukosten zusammensetzten.

Den angenehmen Effekt dieser Konstruktion beschreibt ein Eingeweihter: „Die haben praktisch ohne eigenes Geld gebaut.“ Die Vermietung der Wohnungen hingegen – allein in Perlach gebietet die Terrafinanz über 1500 Sozialwohnungen – brachte und bringt den Eignern tüchtig Geld.

Welch überaus wohlhabendes Unternehmen Vietor und Genossen bereits Mitte der sechziger Jahre geschaffen haben, erhellt eine Episode aus der Frühzeit des Selbstbedienungsladens:

Zum Nachfolger des NH-Grundstücksprokuristen Blum, der als Geschäftsführer in die Terrafinanz gewechselt war, ernannte der Gewerkschaftskonzern den Münchner Rechtsanwalt Hans-Werner Kirchner. Der hoffte, aus dieser Position in die Geschäftsführung der bayrischen NH-Niederlassung aufzusteigen. Doch statt Kirchner holte Ludwig Geigenberger, der unumschränkte Herrscher im Südreich und neben Vietor der Mächtigste in der NH-Hierarchie, den späteren Geschäftsführer Otto Loderbauer in die bayrische NH-Führung.

Der aufgebrachte Kirchner, der in die Geschäfte der NH-Manager besten Einblick hatte, wurde üppig entschädigt. Zur Jahreswende 1963/64 nahm der allgegenwärtige Strohmann Ernst Wölbern den Juristen unter seine Fittiche: Kirchner wurde mit einer Beteiligung von 70 000 Mark nach Vietor, Geigenberger, Ritze, Beyn und den Plettschen Erben zum sechsten stillen Partner der Terrafinanz.

Nach drei Jahren schied Kirchner, der sich inzwischen als Rechtsanwalt selbständig gemacht hatte, aus den Reihen der Hintermänner aus. Seinen Anteil teilten die verbleibenden Gesellschafter unter sich auf. Für seine Kapitalbeteiligung, die nach einer zwischenzeitlichen Kapitalerhöhung lediglich ein Fünfzehntel des Terrafinanz-Kapitals ausmachte, kassierte der Rechtsgelehrte 2,4 Millionen Mark. Die Transaktion wurde über Wölbern in zwei Jahresraten von 1,2 Millionen abgewickelt.

Die Kirchner-Episode verdeutlicht, welchen Wert die Terrafinanz nach Einschätzung ihrer Inhaber innerhalb von nur einem halben Dutzend Jahren bekommen hatte: Wenn Vietor und Genossen den abtrünnigen Rechtsanwalt korrekt ausgezahlt hatten, war die Terrafinanz inzwischen 36 Millionen Mark wert. Für die Anteile von Vietor, Geigenberger und der anderen vier Hauptbeteiligten errechnete sich ein Anteil von jeweils 4,8 Millionen Mark.

Bei einem derart augenfälligen Geschäftserfolg schien eine Ausdehnung der Aktivitäten dringend geboten. Schon 1965 war die Terrafinanz ins Westfälische vorgedrungen und hatte eine Mehrheit an der Dortmunder Treubau-Gesellschaft für Rhein-Ruhr erworben. Die Kommanditbeteiligung wurde von anfangs 262 500 Mark auf schließlich 712 500 Mark ausgebaut.

Strohmann Ernst Wölbern hatte sich bereits wieder in München nützlich gemacht und war als Partner in die Baubetreuung GmbH & Co. KG eingetreten. Jahre später, im Februar 1979, landeten die Wölbern-Anteile an der Baubetreuung bei der bayrischen Filiale Neue Heimat Städtebau – „infolge neuer Erkenntnisse“, wie Albert Vietor in einer Vorstandsvorlage notierte.

Die Terrafinanz selbst dehnte ihre Geschäfte unaufhaltsam Richtung Norden aus. In Frankfurt wurde ein Zweigbüro in der Großen Bockenheimer Straße eröffnet, an das heute noch ein überklebtes Klingelschild erinnert. In Assenheim bei Frankfurt baute die Terrafinanz Eigenheime. Auch in der Nähe Bremens, bei Platjenwerbe, entstanden unter der Regie der tüchtigen Münchner Firma schmucke Bauten.

Anfang der Siebziger bahnte sich dann eine neue Rollenverteilung zwischen den stillen, inzwischen reich gewordenen Teilhabern an.

Die Veränderungen gingen von dem bayrischen NH-Chef Ludwig Geigenberger aus. Der überaus tatkräftige Manager fühlte sich unausgelastet. Geigenberger entwickelte einen Plan, wie der Neuen Heimat ein besserer Ruf verpasst werden könnte und die ständigen Klagen der gewerkschaftlichen Basis über den unkontrollierten Moloch einzudämmen wären.

Bayerns NH-Chef wollte den Baukonzern in das direkte Eigentum der damals sieben Millionen Gewerkschaftsmitglieder überführen. Jeder Gewerkschafter sollte sich mit 100 Mark an dem Bauriesen beteiligen. Mit dem Geld, so Geigenbergers Überlegung, sollte die Neue Heimat in weniger entwickelten Ländern Sozialwohnungen bauen und die NH damit einen imagefördernden Beitrag zur internationalen Solidarität leisten. Als Vater der Neuordnung rechnete Geigenberger sich gute Chancen aus, Albert Vietor an der Spitze des Konzerns abzulösen.

Doch aus dem schönen Plan wurde nichts. Gemeinsam mit den Führern der Einzelgewerkschaften bügelte Vietor den Plan ab: Die Vorstellung, Millionen von aufsässigen Gewerkschaftsmitgliedern in die Bücher schauen und mitreden zu lassen, missfiel den NH-Oberen.

Ernüchtert gab Geigenberger zum Jahreswechsel 1972/73 seinen NH-Führungsjob ab. In einem Abschiedsbrief an die Neue Heimat offenbarte sich Geigenberger als ein feinsinniger Mensch, den es drängte, „frei zu sein für das, was über dem Tagesgeschehen steht“.

Dazu zählte auch die Terrafinanz, die Vietor und Anhang nach und nach – für treue Dienste oder sonstwas – dem bayrischen Spezi überließen. Zunächst mussten nur noch die Erben des inzwischen verstorbenen Kollegen Ritze sowie Plett junior und die Plettsche Erbengemeinschaft herausgekauft werden.

Im Herbst 1973 war es soweit. Auf einer Terrafinanz-Gesellschafterversammlung am 17. September 1973 im Hamburger Restaurant Mühlenkamper Fährhaus inszenierte Geigenberger-Spezi Blum eine Horror-Show, indem er die Zukunft des Unternehmens in den düstersten Farben beschrieb.

Noch im laufenden Jahr, barmte Blum, seien 4,3 Millionen Mark Verlust zu erwarten. In den nächsten beiden Jahren seien weitere vier Millionen abzusehen. Eine Kapitalspritze von anderthalb Millionen durch die Gesellschafter sei dringend geboten.

Allerdings, so fügte Blum hinzu, böte sich ein Ausweg: Er wäre bereit, als Freundschaftsdienst sozusagen, die Anteile der verbliebenen Gesellschafter zu übernehmen. Als Kaufpreis offerierte Blum einen Kurs von 124 Prozent. Verglichen mit den gut 3000 Prozent, die Rechtsanwalt Kirchner wenige Jahre zuvor erhalten hatte, war das nicht viel. Aber angesichts der erschreckenden Zukunftsaussichten ließen sich die Gesellschafter überreden.

Die Verluste, die Blum beschworen hatte, traten nie ein. Geigenberger, der nicht mehr in den Diensten der Neuen Heimat stand, hatte nun keine Veranlassung mehr, sich zu verbergen. Nach einer Schamfrist, in der der Münchner Wirtschaftsprüfer Jakob Conrad und der in Lugano nicht weit von Vietors Refugium angesiedelte Kaufmann Kurt Bächthold als Treuhänder fungierten, wurde der ehemalige Hintermann Ludwig Geigenberger im Sommer 1975 offiziell in den Registerakten als Partner geführt. Als ein Jahr später der Gründungs-Strohmann Ernst Wölbern starb, war die Aktion beendet. „Herr Wölbern“, sagt Blum, „hat mir seine Anteile versprochen, und ich habe sie mit Herrn Geigenberger geteilt.“

Nach seinem feierlichen Abschied von der Neuen Heimat richtete sich Geigenberger am Englischen Garten als „freier Finanzberater“ ein. Der Wohnungsexperte nutzte die neue Freiheit nicht nur zur Kontemplation. Es gab noch viel zu tun. Da war, vor allem, der Fall Keferloh gütlich abzuwickeln.

Im Oktober 1970 hatte die Terrafinanz als federführender Bauträger zusammen mit einigen anderen Unternehmen ein rund 50 Hektar großes Gelände in Keferloh am Münchner Stadtrand gekauft. Dort sollten nach den ersten Plänen Wohnungen für 12 000 Menschen gebaut werden. Doch nach kurzer Zeit bekamen die Ratsherren der zuständigen Gemeinde Grasbrunn Angst vor den Folgelasten der Großsiedlung.

Am 14. Januar 1974 – Geigenberger war bei der Neuen Heimat ausgeschieden, seine Beteiligung an der Terrafinanz aber noch nicht offen erkennbar – legte die Terrafinanz daraufhin ein Gutachten des Finanz- und Vermögensberaters Geigenberger vor. „Aus der Sicht meiner wohnungswirtschaftlichen Erfahrungen“, rechnete der den Gemeinderäten vor, wie vernünftig das Großprojekt sei. Zur Firma Terrafinanz, so verzeichnet das Protokoll, habe Geigenberger keinerlei Geschäftsverbindungen. Das Gutachten half nicht, 1976 wurden die Planungen durch einen Gemeinderatsbeschluss abgebrochen.

Die Terrafinanz aber zeigte nun die Zähne und verlangte Schadenersatz. Sie erwirkte gegen Grasbrunn den wohl größten Zahlungsbefehl in der Geschichte der Bundesrepublik: 91 Millionen Mark. Der Rechtsstreit ist noch immer nicht ausgestanden. Aber die Terrafinanz hatte sich inzwischen gut abgesichert.

Dabei halfen wiederum die guten Verbindungen zur Neuen Heimat: Einen Teil der Grundstücke, deren Verwertung als Bauland höchst ungewiss ist, verkaufte die Terrafinanz inzwischen – teils auf Umwegen – an Neue-Heimat-Tochtergesellschaften weiter. Für einen mit 39,5 Millionen Mark verbuchten Grundstücksanteil gab die Neue Heimat sogar eine „unbefristete Abnahmeerklärung“, wie aus einer Vorstandsvorlage des inzwischen gefeuerten NH-Vorstands Horst Städter hervorgeht.

Eine vortreffliche Aufgabenteilung: Das gemeinnützige Gewerkschaftsunternehmen darf die Fehlspekulation der Privatfirma allein ausbaden; doch wo es was zu verdienen gibt, darf sich die Terrafinanz allein tummeln.

Für Blum und Geigenberger, die neuen Herren des Unternehmens, fiel dabei genügend ab: Geigenberger residiert auf seinem Giglhof in Reichersdorf im oberbayrischen Vorland, Blum kann sich auf einem Anwesen am Starnberger See entspannen.

Auf die Dauer mochten sich die beiden nicht allein auf den Profit an Grund und Boden beschränken. Wenn die Neue Heimat in ihre Neubauten den Estrich legt, verdienen Blum und Geigenberger nebst Ehefrauen inzwischen mit. Letztes Jahr übernahmen sie die Mehrheit an der „Walter E. Kramer Fußbodenwerk GmbH & Co.“ in München.

Die Firma wird von der Neuen Heimat mehr als reichlich mit Aufträgen bedacht. Allein in Perlach-Süd legt das Familien-Unternehmen der ehemaligen NH-Mitarbeiter in 830 Wohnungen und Eigenheimen 1981/82 den Estrich. Für die gesamte Konkurrenz blieben nur rund 300 Objekte übrig.

Von dem, was sich da alles im Süden des NH-Reichs tat, war über die Jahre hinweg auch einiges in den Norden, in die Zentrale der Neuen Heimat, gedrungen. Die Feinheiten all der vielen Geschäfte, die bayrische Neue-Heimat-Manager außer Diensten tätigten, blieben zwar im verborgenen. Aber die Umsätze, die da eine Firma namens Terrafinanz über die Jahre hinweg tätigte, waren viel zu groß, als dass nicht üble Gerüchte die Runde machen mußten.

Bei einer Sitzung der Aufsichtsratspräsidien der Neuen Heimat und der Neuen Heimat Städtebau im Düsseldorfer Hotel Interconti am 10. Oktober 1979 brachte schließlich der Betriebsrats-Vorsitzende Klaus-Otto Cordua das Thema auf höchster Ebene zur Sprache. Es stünden Informationen im Raum, so Cordua laut Protokoll, „wonach die Terrafinanz vor 20 Jahren oder mehr von Vorstandsmitgliedern oder Geschäftsführern der Neuen Heimat gegründet worden sei“.

NH-Finanzchef Harro Iden, der den erkrankten Albert Vietor vertrat, wies den bösen Verdacht weit von sich und seinesgleichen: „Nach seiner Kenntnis“ gebe es keine Beteiligung von Vorstandsmitgliedern an der Terrafinanz.

Während Iden noch seine Kenntnis als Einschränkung benutzt hatte, wusste es der Aufsichtsratschef Heinz Oskar Vetter ganz genau: Er stelle fest, dass eine direkte oder indirekte Beteiligung des Vorstands nicht bestehe; damit, so Vetter, sei „allen weiteren Diskussionen und Mutmaßungen der Boden entzogen“.

Für die Präsidiumsmitglieder – dabei waren unter anderem der Gewerkschaftsbankier Walter Hesselbach und die Gewerkschaftsvorsitzenden Rudolf Sperner, Erich Frister und Eugen Loderer – hatte Vetter alsdann noch ein Anliegen.

Was die Terrafinanz angehe, bitte er „alle, eine entsprechende Haltung auch in der Öffentlichkeit einzunehmen“. Dies, so fügte der oberste NH-Aufpasser hinzu, „sei die einzige Methode, den in der Sache unrichtigen Presseveröffentlichungen in der vorliegenden Art entgegenzuwirken“.


Der Spiegel 20 vom 17. Mai 1982, 34 ff.