Materialien 1959

Blick nicht zurück im Zorn

„Ich, Rudolf Franz Ferdinand Höß“ – komischer Name, bestimmt wieder ein Österreicher, immer die Österreicher, die sind an allem schuld! – „sage nach vorhergehender rechtmäßiger Vereidigung aus“ – so spricht doch kein Mensch, das haben sie dem Höß doch untergeschoben! – „und erkläre wie folgt“ – wer weiß, was sie mit dem angestellt haben, dass er solche Erklärungen abgibt! – „Ich befehligte Auschwitz bis zum 1. Dezember 1943 und schätze“ – aha, er schätzt bloß, da haben wir es schon! – „dass mindestens 2.500.000 Opfer“ – wie die mit den Nullen ’rum schmeißen! – „durch Vergasung und Verbrennung hingerichtet“ – waren ja auch Kriminelle! – „und ausgerottet wur-
den“ – ist doch dasselbe, ein Stil ist das! Überhaupt: humaner Tod ist das, das Vergasen! Sonst würden nicht so viele den Gashahn aufdrehen! Was denn noch? Aussage des Zeugen Gerstein. Goldstein? Gerstein. Aber sicher auch Jude. „… kam der erste Transport von Lemberg … 6.700 Menschen, von denen 1.450 schon tot waren“ – schon bei der Ankunft! Na, also! – „200 Ukrainer peitschen die Leute aus den Waggons heraus.“ – Ukrainer! Untermenschen! – „Ein großer Laut-
sprecher weist an: Ausziehen, Wertsachen abgeben, Schuhe zusammenbinden“ – sehr vernünftig, sollte das Zeug etwa unter der Erde vermodern? – Frauen, Mädchen zum Friseur … Haare ab!“ – brauchten wir ja für die U-Boote, war ja schließlich Krieg! – „Ein SS-Mann sagt: Es passiert euch nicht das geringste! Ihr müsst nur in den Kammern tief Luft holen, Inhalation ist nötig wegen Seuchen!“ – na, bitte! Wenn das kein humaner Strafvollzug ist! Ahnungslos, schmerzlos sterben! Und das bei Kriminellen! – „So steigen sie die Treppe hinauf, Mütter mit Kindern an der Brust“ – wieder die sentimentale Masche! – „kleine, nackte Kinder“ – wo gehobelt wird, fallen Späne! – „Männer und Frauen, von den Lederpeitschen der SS getrieben“ – eben von den Ukrainern! – „Die Kammern füllen sich, die Menschen stehen einander auf den Füßen, 700 – 800 auf 25 Quadrat-
metern“ – lächerlich, geht gar nicht! – „Die Türen schließen sich. Mit Dieselauspuffgasen sollen die Menschen zu Tode gebracht werden, aber der Diesel funktioniert nicht. Nach zwei Stunden 49 Minuten springt er an“ – kleine technische Panne, kann ja überall mal vorkommen! – „Nach 30 Minuten ist alles tot. Man sieht es durch ein kleines Fenster“ – die meisten waren aber wohl schon früher tot! Warum denn immer alles dramatisieren! – „Von der anderen Seite öffnen Männer vom Arbeitskommando, selbst Juden, die Holztüren“ – Juden! Ukrainer! Na, bitte! – „Wie Basaltsäulen stehen die Toten … Familien im Tode umschlungen … Mühe, sie auseinanderzureißen, … Schweiß, Urin, Kot, Menstruationsblut“ – muss ja nicht eigens gesagt werden! Aber sehr bezeichnend, wie sie immer in so was ’rum wühlen! „Kinderleichen … Zwei Dutzend Zahnärzte öffnen mit Haken den Mund … Zangen, Hämmer … Goldzähne, Kronen … Kontrolle der Genitalien und After nach Gold, Brillanten, Wertsachen“ – so schlecht ging es denen also doch nicht! – „Leichen … Holztragen … Gruben … Hochgären der Leichen … Zusammensinken nach einigen Tagen … neue Lage“ – kann ja wohl nicht anders sein, verdammt noch mal! – „Alle meine Angaben sind wörtlich wahr … bin mir der außerordentlichen Tragweite … Eid“ – und so weiter, na ja, cum grano salis. Immerhin, huma-
ner Tod, Gas. Was denn? Zeuge Gräbe? – „Lastwagen, Männer, Frauen, Kinder“ – kennen wir ja schon – „Reit-, Hundepeitschen, ausziehen“ – wie gehabt – „ohne Geschrei oder Weinen“ – also halb so schlimm – „standen in Familiengruppen beisammen“ – großzügiger Strafvollzug – „küss-
ten und verabschiedeten sich“ – eben – „warteten auf Wink eines SS-Mannes, dieser teilte 20 Personen ab … Grube … Schüsse von hinten … fielen hinein, übereinander … nur Köpfe zu sehen … Blut … bewegten sich noch … Grube dreiviertel voll … 1.000 Menschen … SS-Mann … Maschinen-
pistole … sitzt am Grabenrand, Beine baumeln, Zigarette“ – kein Wunder, ist ja auch nur ein Mensch! – „Neue Gruppe … nackte Menschen … Lehmtreppe hinunter … rutschten über die Köpfe der Liegenden hinweg, legten sich zu den Toten oder Angeschossenen, einige sprachen leise auf sie ein … Schüsse … neuer Transport … Greise, Kranke, Gebrechliche …“ Na ja. Reichlich unappetit-
lich. Ist ja Gott sei Dank vorbei. Reden wir nicht mehr davon. Bringt ja nichts ein. Krieg ist Krieg. Was will man machen! Nur nicht künstlich aufregen! Bloß nicht dramatisieren! Haben heute andere Sorgen, Steuer, Kreislauf, Termine, Frauen – na, Sie wissen schon.

Paul Anders


Simplicissimus 46 vom 14. November 1959, 722 f.

Überraschung

Jahr: 1959
Bereich: Nazis