Materialien 2009
Ein verspäteter Nachruf auf Peter
Ein Urgestein der Schwanthalerhöh’
Als wir — eine Gruppe von Leuten aus dem Westend — Anfang der neunziger Jahre die Herausgabe einer Stadtteilzeitung, der Westend Nachrichten beschlossen hatten, war uns klar, dass wir Peter Eberlen zur Mitarbeit gewinnen mussten. Wir kannten ihn zwar nicht persönlich, aber seine Artikel im Westendanzeiger lasen wir immer mit großem Interesse und fanden, dass seine Standpunkte zum Stadtteil sich mit unseren deckten.
Ich traf mich also mit ihm in der Wirtschaft „Zur Schwalbe“, die damals noch nicht jährlich einen Pächterwechsel erlebte, sondern ein bodenständiges bayerisches Wirtshaus war. Was die neue Zeitung betraf, konnte ich noch nicht viel vorweisen: nur mein Artikel war bereits geschrieben, eine allgemeine Abhandlung über die Veränderungen im „kleine Leute Viertel“ Westend. Peter blieb zurückhaltend, skeptisch; er fand den Artikel zwar gut (das sagte er, aber ich weiß bis heute nicht, ob nur aus Höflichkeit), würde aber gerne „abwarten, was ihr zustande bekommt“. Sehr tief war sein Misstrauen gegenüber den vor allem studentischen jungen Menschen, die zwar gerne Projekte starteten, aber nicht die Ausdauer besaßen, sie auch über die Mühen der Ebene fort zu führen. Ich hatte den Eindruck, dass die Tatsache, dass wir mehrheitlich nicht aus studentisch-intellektuellen Kreisen stammten, ihn etwas zuversichtlicher stimmte.
Für die zweite Ausgabe der Westend Nachrichten im Juni 1992 schrieb er bereits — wir hatten ihn überzeugt.
Peter Eberlen, gebürtiger Stuttgarter, arbeitete von seiner Lehrzeit bis zum Vorruhestand bei Siemens, war aktiver Gewerkschafter, Vertrauensmann im Betrieb, ein gebildeter, überzeugter, geradliniger Marxist ohne Parteizugehörigkeit, ein aktiver Freidenker, ein Antimilitarist, dem alles Militärische wie Befehl und Gehorsam, Fahne und Eid zuwider waren. Weswegen er auch von vielen „Parteilinken“ immer misstrauisch beäugt wurde, kritisierte er doch in der Tradition Rosa Luxemburgs und August Thalheimers den „real existierenden“ Sozialismus, dessen autoritäre Ausrichtung. Doch auch die reformistische Richtung in der Arbeiterbewegung war für ihn keine Alternative, denn dass der Kapitalismus sich friedlich überwinden ließe oder gar „sozialistisch reformieren“ hielt er für Humbug. Für ihn stand fest: „Die Befreiung der Arbeiterklasse muss das Werk der Arbeiter selbst sein.“
Peter zog Anfang der 70er in das Viertel und engagierte sich in Stadtteilinitiativen und Zeitungen, denn „kleine Leute wie wir müssen sich immer wehren, sonst gehen sie unter.“ Er saß Ende der 80er als Parteiloser für die Grünen im Bezirksausschuss, ließ sich aber nach zwei Jahren nicht wieder aufstellen: Die Erfahrung hatte ihm gezeigt „ohne eine verbindlich arbeitende Gruppe gehst Du als Einzelner im Bezirksausschuss im Papierwust unter.“
Unsere Zusammenarbeit in den Westend Nachrichten dauerte bis Februar 2009, als die letzte Ausgabe der „alten“ Westend Nachrichten erschien. Die letzten zehn bis zwölf Jahre produzierten wir — mal abgesehen von der gelegentlichen Mitarbeit Dritter — zu zweit. Peters anfängliche Skepsis war also nicht unbegründet. Aber aufzugeben, weil wir wenige sind, das war nicht seine Haltung. Vielmehr hat Peter mit großer Beharrlichkeit seine kritische Sicht vermittelt, in dem Bewusstsein, dass unter gegebenen Umständen, aus sehr wenigen sehr schnell auch sehr viele werden können.
Im August 2009 starb Peter unerwartet im Alter von 70 Jahren. Mit ihm habe ich einen großartigen Freund und Genossen verloren. Und auch das Westend und die Schwanthalerhöh’ haben mit ihm einen Kämpfer für die Interessen der Geringverdienenden verloren (auch wenn Peter jegliche persönliche Anerkennung in Worten als Lobhudelei zurückgewiesen hätte).
Münir Derventli
Westendnachrichten 0 vom Mai 2011, 6.