Materialien 1977

Nicht alles, was grün ist, ist auch natürlich

Da liegst du noch im Bett, träumst, pennst oder du rennst durch die Stadt, hast irgendetwas vor, oder du willst jemand besuchen, oder du gehst nach Hause, du fühlst dich gut oder Scheiße, auf alle Fälle stehen noch eine ganze Masse Sachen an, du hast da und dort was zu tun, du triffst dich noch mit jemand, du freust dich auf etwas, und plötzlich sind die Bullen da, rennen mit ihren Knarren rum, wollen dich fertig machen, dich klein kriegen, stellen deine Bude oder, wenn’s sein soll, dich gleich mit auf den Kopf.

Du bist erst mal fix und fertig, bist eingeschüchtert, zitterst, irgendwo war das alles schon klar, egal, was vorher gelaufen ist, aber irgendwie hast du das nie so richtig wahrhaben wollen und jetzt hat es gedonnert, es ist passiert, dir wird mal klar, was die ganze Scheiße bedeutet.

Später beim nächsten Mal und bei allen nächsten Gelegenheiten kennst du das alles schon, ist fast schon zur Routine geworden, der Schreck des Unbekannten schwindet immer mehr, die Angst relativiert sich, aber sie verschwindet nicht, dir ist auch jedes mal mehr klar, was das alles für dich bedeutet, dass du und die anderen in den Arsch geritten werden sollen.

Du merkst plötzlich, du weißt, dass du morgen nicht das machen kannst, was du tun wolltest, du kannst Leute nicht sehen, ja du kannst nicht mal mit denen sprechen, sie anschauen, sie berühren, mit denen du sonst den ganzen Tag zusammen bist, mit denen du alles zusammen machst, alles ist plötzlich abgeschnitten, du wirst abgesondert, musst alleine Sachen machen, wo du dich gerade jetzt auf die anderen beziehen möchtest, dir fällt unheimlich viel ein, was du eigentlich noch machen wolltest, was du bis jetzt immer versäumt hast.

Die Bullen schleppen dich in eine sterile Umgebung, die du nicht kennst, die dir nicht entspricht, die nur dazu da ist, dich fertig zu machen.

Jetzt musst du alles aus dir selbst ziehen, niemand ist mehr da, der dich kritisiert, dir hilft, sich dir gegenüber als Mensch verhält. Alles muss aus dir selbst kommen; ist dir alles klar, dass du aus ganz bestimmten Gründen, die du nicht allein vertrittst, hier stehst und andere an dich denken, oder in der gleichen Situation sind, dann geht es schon mal etwas leichter. Du weißt von dir selbst, was und wer du bist, was du willst, und du weißt, wer mit dir irgend wie zusammen ist und auch das will, was du willst, dann können die Bullen dich kreuzweise und du hast trotz deines Zitterns einen Punkt, an dem du dich orientieren kannst, über den du auch solche Kisten überleben kannst.

Wenn du weißt, was los ist, und den Kopf nicht verlierst, dann ist die Vernehmung lächerlich, rennen wenigstens noch aufgeschreckte Hühner herum und wenn du deine Fresse hältst, ist das alles eh bald vorbei, oder die Fragerei lässt dich relativ kalt, die Situation an und für sich macht dich fertig, die Fragen nicht, das ist spätestens vorbei, wenn du in der Ettstraße landest, unauffällig zum Diensteingang rein, dann in die Aufnahme, dein Menschsein wird noch weiter reduziert.

Jetzt fängt die ganze Tretmühle erst richtig an, du wirst noch mal abgetastet, egal was die Bullen vorher alles an Kacke gebracht haben, kannst deine letzten Sachen abgeben, deine Identität wird erbarmungslos in eine Nummer verwandelt, noch nicht vollkommen, aber es fängt an, du wirst auch erst mal mehr geplündert als in Stadelheim, so richtig wie in den alten Romanen und Filmen, alles zum „Aufhängen“ weg – weil du denen auch den Gefallen tust und durchdrehst, so einfach geht’s nun auch wieder nicht – nur deine Kohle kannst du behalten, der Konsum muss weiter laufen – Zigarettensorten aller Art zur Auswahl, Nikotin zur Nervenberuhigung, der Staat tut was für seine Gefangenen – später läuft das dann viel perfektionierter, moderner, bargeldlos; mit eigenem Girokonto auf der Knastbank.

Noch ein paar Krickel auf den Einlieferungsbescheid, „einzeln zu halten“, „getrennt zu halten von …“, oder auch nicht, noch eine kurze Unterschrift und dann rauf zu den Zellen, im Aufzug der erste Eindruck von deinem neuen Alltag – die Küche bittet darum, mittags die Treppe statt des Aufzugs zu benutzen, wo du doch weißt, dass es hier nur Scheiße zu fressen gibt, dann stehst du vor deinem neuen „Wohnklo“, Wäsche wird erst abends ausgegeben, Decken auch, wenn du darauf scharf bist, kannst du deine Kanne mit Wasser füllen, wie im Mittelalter. Tür auf, du gehst rein, sie kracht hinter dir zu und du stehst da, allein, abgeschnitten von draußen; Lärm, der nichts mit dir zu tun hat, dringt an deine Ohren. Allein mit einer Kloschüssel, Tisch, Stuhl, Bett, Aschenbecher, jetzt weißt du endgültig, was läuft, jetzt kannst du dich hinsetzen, auf den Schreck erst mal eine rauchen, so du hast, willst und kannst.

Schaust dich um, siehst das Grau, das dir nun jeden Tag wieder begegnen wird, sobald du aufwachst.

Nachdem du stumpf eine zeitlang dagesessen bist, fängt es an, du bist nicht dazu geboren, so zu leben, suchst nach was, liest die Sprüche deiner Vorgänger auf den Zellenwänden, erkennst die Wut und Verzweiflung, die hier schon gestanden hat, und deine eigene Wut potenziert sich, du wirst immer saurer, aber du weißt, du musst versuchen, mit all der Scheiße fertig zu werden, musst nach einem Weg suchen zu überleben, deine Identität zu wahren.

Plötzlich kommt dir wieder, du hast noch keinen Haftbefehl, deinen Anwalt musst du noch versuchen zu erreichen oder er muss bald kommen, die Justizmaschine hat dich in ihren Klauen; die Zeit vergeht, dein Anwalt kommt und kommt nicht, du wartest auf jemand von draußen, auf Impulse von draußen, wie auch nachher in U-Haft, bis du kapierst, dass du jetzt dein Tun, deine Kraft und Energie aus dir selbst ziehen musst.

Du fängst an nachzudenken, was du gemacht hättest, wenn …, mit wem du zusammen wärest, wenn …, wenn … und dann kriegst du eine noch größere Wut, du fängst das Phantasieren an, was du hättest tun, lassen und verhindern können, und du malst dir aus, was du gemacht hättest, wenn du in einer etwas anderen Situation wärest, noch mehr Wut hättest, wenn du eines von den Schweinen mal abends alleine irgendwann in die Finger kriegen würdest. Und irgend wann schaust du auf, kletterst zum Fenster hoch und schaust raus, der Himmel, der Innenhof mit den Bullen, willst schreien, schreist.

Und die Zelt verrinnt irre langsam, es wird immer länger und später. Dein Anwalt ist immer noch nicht da.

Es ist noch nicht dunkel, da fliegt die Zellentür auf, nachdem dich ein Auge durch den Spion in sicherer Position beobachtet hat, und so eine grüne Wachtel spaziert herein, grinst dich blöd an, kriegst dein Fressen, Brot trocken und etwas schales Wasser, was wohl Tee sein soll, kaum hast du ein paar Bissen widerwillig heruntergewürgt, gibt es noch Nachtwäsche und Decken, dann heißt es „gute Nacht“, und du spannst wieder mal, was für ein absurdes Theater das alles ist, um fünf Uhr wird dir „gute Nacht“ gesagt und das Licht geht an, eine nackte Glühbirne, von Gittern geschützt, lässt deine Zelle noch unmenschlicher ausschauen, jetzt bist du mit dir alleine für die nächsten 14 Stunden, als Verbindung zur Außenwelt, d.h. zu den Wachteln, nur eine Notklingel, von der du nicht mal weißt, ob sie funktioniert, und wenn sie das tut, ob überhaupt auch einer kommt. Mir geht all die Scheiße, die dich vorher beschäftigt hat, noch mal durch den Kopf, du rauchst eine Kippe nach der anderen, ziehst dich ab und zu zum Fenster hoch und je dunkler es wird, desto trostloser wird auch alles und dann pennst du ein – kannst träumen, alles vergessen.

Rums, die Zellentür fliegt wieder auf, das Licht brennt noch, du weißt erst gar nicht, was los ist, bis dir alles wieder schlagartig bewusst wird. Die Wachtel sagt was von Aufstehen, du sollst zum Haftrichter, stehst auf, schleppst dich dem Geier nach, kommst in ein anderes tristes Zimmer, das sich von deiner Zelle nicht wesentlich unterscheidet, da sitzen sie herum, die schwarzen Vögel der Justiz, der Richter, der Staatsanwalt und ein paar Bullen, damit du nicht auf falsche Gedanken kommen kannst, wer hier der Stärkere ist, wer die Macht hat. Du kannst dich setzen, bist noch immer verschlafen, reibst dir die Augen, kannst kaum was sehen und hören, geschweige denn richtig verstehen, du kriegst nur ein paar Wörter mit, Haftbefehl , wegen … Diebstahl … Urkundenfälschung … Tateinheit … Paragraph … Fluchtgefahr … keine sozialen Bindungen … Verdunkelungsgefahr. Du weißt eigentlich gar nicht so recht, was das ganze Theater soll, dir wird nur eines klar, das mit der 48-Stundenfrist war für die Hose, die wollen dich da behalten, dich in die Kiste hauen. Sie sind mit ihrem Kram schon fertig, da wirst du gnädigst darauf hingewiesen, dass du jemanden von deinem Glück, jetzt auf Staatskosten vor dich hin vegetieren zu dürfen, benachrichtigen kannst. Dein Hirn arbeitet noch gar nicht richtig, es dauert erst eine Zeit, bis du weißt, was die wollen, dann überlegst du, wen benachrichtigen, für wen ist es wichtig, wen kannst du überhaupt benachrichtigen, die Leute, auf die es ankommt, kannst du entweder nicht nennen, oder sie sind in der gleichen Situation wie du, oder sie wissen eh schon Bescheid, also wer? Du sagst dann irgend einen Namen, der dir gerade einfällt, die Alten, der Anwalt oder ein alter Freund, die Adresse und dann ist der ganze Spuk schon vorbei, du wirst wieder abgeführt, kommst in deinem Tran wieder auf die Zelle, die Tür knallt zu, du bist allein, es fällt dir jetzt wieder mehr auf, auch wenn vorher nur diese Geier da waren. Und jetzt wird dir auch ganz klar, was läuft, und jetzt, wo du das Licht haben willst, ist es aus – du kannst es nicht an- oder ausmachen, es wird dir an- oder ausgemacht, du sollst so wenig wie möglich allein machen, selbst machen, sondern du wirst verplant, andere denken und bestimmen deinen Tagesablauf ab jetzt für dich und du musst erst wieder versuchen, dir in Zukunft eine neue Handlungsmöglichkeit, Selbstständigkeit zu schaffen, innerhalb eines Systems, das dazu geschaffen wurde, dich fertig zu machen, deine Identität zu zerstören.

Du musst deine Kippe in Dunkeln drehen und irgendwann schaffst du es trotz der beschissenen Umgebung und des knarrenden Eisengestells und der Lichtschatten an der Decke, der Stimmen der Bullen im Hof, des Motorröhrens der Wägen, einzuschlafen.

Du kannst träumen, kompensierst alles, bist wieder mit Leuten zusammen, auf die du dich beziehen kannst, die du gern hast, verhältst dich ihnen gegenüber, befriedigst im Schlaf Bedürfnisse, von denen du weißt, dass sie real in der nächsten Zeit nicht verwirklichbar sind. Und irgendwann zwischendrin, womöglich, wenn es gerade besonders schön ist, du dich über irgendetwas freust, fliegt mit einem großen Krach die Klappe auf, du willst nicht aufwachen, du willst weiter träumen, da du weißt, dass dich außerhalb der Traumwelt nur abstoßendes erwartet, und doch wachst du irgendwann auf, siehst wieder die grauen Wände, die spärliche Einrichtung, siehst deinen Pott Kaffee und die beiden verschrumpelten Brötchen dastehen, raffst dich auf, stellst die Sachen auf den Tisch und rauchst, bevor du dich anziehst, erst mal ne Kippe, frisst dann etwas, würgst den Fraß hinunter, der dir nicht mal schmecken würde, wenn du besser beieinander wärst. Da kommt schon wieder eine Wachtel rein und nimmt dir die Wäsche ab, wenn du Glück hast, hast du dich schon gewaschen, sonst kannst du das in den Mond schreiben, und solche Kleinigkeiten fangen jetzt gerade an, Bedeutung für dich zu bekommen, eine Beschäftigung mit dir selbst hilft dir, du kannst selbst etwas bestimmen, es entwickelt sich eine Ecke Narzismus, die zum Leben notwendig wird. Dann fangen alle deine Ängste, quälenden Gedanken wieder von neuem an, die ersten Handlungen wiederholen sich, du kletterst zum Fenster, siehst die Sprüche deiner Vorgänger an, versuchst über sie und ihre Situation nachzudenken, rennst in der Zelle auf und ab, wie ein Tier im Zoo, gefangen wie ein Tier, behandelt wie ein Tier und denen geht es manchmal sogar besser. Du verfluchst die Schweine, die dich hierher gebracht haben und kriegst eine immer größere Wut. Dann musst du wieder an die Leute denken, mit denen du jetzt gern zusammen wärst und etwas machen würdest, dir fällt auf, was du gerne noch gemacht hättest, oder wo du Fehler gemacht hast, Leute verletzt hast, denen du jetzt erklären möchtest, dass es nicht so gemeint war, und durch den Entzug merkst du, was für eine Bedeutung alltägliche Dinge für dich jetzt haben, man merkt es nur erst dann, wenn man sie entbehren muss, Musik, bestimmte Kleinigkeiten, Kugelschreiber, Papier, was zu lesen, der Kontakt mit Leuten, ansehen, hören, sprechen, riechen, anfassen, sich umarmen und lieb halten.

Mit den Anwalt war auch noch nichts, du wirst immer sauerer, kannst ja nicht schreiben oder anrufen, kannst nur hoffen, dass er von selbst kommt oder sich jemand darum kümmert, die Bullen lassen komischerweise auch nichts von sich hören, denen reicht es wohl, dass sie dich in die Kiste gebracht haben und alles andere hat Zeit.

Dann wirst du wieder durch die Gegend geschleppt, findest dich mit Handschellen in einem Schubwagen wieder, furchtbar schlechte Luft und Gitter, du wirst durch die Stadt gefahren, erst die Fußgängerzone, Leute starren dich an oder versuchen, den Wagen zu ignorieren, dann immer weiter Richtung Osten, Richtung Stadelheim, du weißt schon, wo es hingeht, und saugst alles, was du siehst, gierig auf, weil dir nicht klar ist, wann du das alles wiedersehen kannst, und wenn es nur die beschissene Stadt ist.

Der Wagen hält, du steigst aus, bist in Stadelheim, wo du die nächste Zeit erst mal verbringen kannst, deine Sachen werden zusammen mit dir mit derselben Sorgfalt abgegeben. Jetzt bist du nur noch eine Nummer, deine Identität wird dir entgültig entzogen. Herr … bist du nur noch für das Gericht, und dass du von daher eh nichts zu erwarten hast, ist klar. Weiter geht’s, du wirst in die Kammer geschleppt, erst mal ausziehen, Untersuchung, irgendwelche Geier zupfen dir mit einer Pinzette in den Haaren herum, ob du Läuse oder anderes Ungeziefer hast, den Arsch brauchst du zu deiner Überraschung nicht vorzeigen, dann duschen, das erste Positive, das Wasser rauscht herunter, du kannst dich etwas entspannen, aber da wirst du schon wieder angetrieben, die nächsten warten schon, du wirst daran erinnert, dass du nicht der einzige hier bist, sondern es gibt viele, die fertig gemacht werden sollen, die eine Gefahr sind für das reibungslose Funktionieren der Gesellschaft oder auch ganz bestimmte Funktionen zur Abschreckung anderer übernehmen.

Auf geht’s ins Büro. Du bekommst ein paar Zettel zum Unterschreiben, immer wieder unterschreiben, angefangen hat es schon mit den Sachen, die sie dir abgenommen haben, wenigstens kann man den Gürtel behalten, die Hose rutscht nicht mehr, unterschreiben für die Sachen, die man bekommen hat, Deckenbezug, Kopfkeilbezug, Bettlaken, 2 Handtücher, alles in dem sattsam bekannten blauweißen Muster, Empfang bestätigt, Unterschrift; Nummer … unterschreibt weiter, bekommt zu den ersten Sachen noch einige nutzbringende Broschüren und Blätter wie den Wegweiser für die JVA München, sieben Seiten, Merkblatt über Sozialversicherung und Arbeitslosenversicherung der Gefangenen, über den Empfang von Besuchen durch Untersuchungsgefangene, aber nirgendwo etwas über deine Rechte, nur die Pflichten.

Dann geht’s weiter, ab in die Wartezelle, Glasbausteine und Holzbank, ab und zu kommen ein paar Leute, du kannst etwas reden, erzählen, fühlst dich nicht so alleine und verlassen, du glaubst schon, die hätten dich vergessen, da bekommst du zwischendrin dein Fressen hineingeschoben, wie ein Hund in seinem Zwinger, du hast keine Lust, die Scheiße zu fressen und donnerst es in die Ecke, läufst lieber rum, rauchst eine Kippe und liest wieder Sprüche, neue Kontakte kannst du aufnehmen, hast mal einen Kamm, ne Zeitung, erzähl mal was. Die Zeit wird immer länger, als du glaubst, es läuft nichts mehr, wirst du auf den Trakt mit den Eingangszellen gebracht, du wirst hineingestoßen, bevor die Tür wieder zuknallt, willst du noch was zu schreiben und zu lesen haben, nichts da, ist die Antwort, später beim Abendessen. Dann knallt es und du bist wieder allein, allein, immer das beschissene Alleinsein, wieder eine Zelle, im Grunde kennst du das jetzt alles schon, hier ist alles nur neuer, weißer, mit fließend Wasser, dafür nur ein französisches Klo, warum, dass weiß nur der Teufel und Justitia. Die Zelle liegt auch recht günstig, halb unter der Erde, dass man dich nicht so gut hört, und so halb fühlst du dich auch, das Fenster fängt erst bei einer Höhe von 2,50 m an und ist nur halb so groß wie das Fenster auf dem Scheißhaus daheim. Lebendig begraben, das schildert die Lage am besten. Alle Augenblicke steht einer an der Tür und beobachtet dich durch den Spion, ob auch alles mit rechten Dingen zugeht und du dich auch ordentlich benimmst.

Deine Wut in deinem Bauch macht dich immer mehr fertig und du hast eigentlich nur einen Gedanken: raus hier, da du aber nicht weißt, wie, überlegst du dir, was du hättest machen müssen, damit sie dich nicht gebustet hätten, aber es hilft alles nichts. Und dann denkst du wieder an die Leute, mit denen du jetzt gern zusammen wärst und mit denen du jetzt gern was machen würdest und deine Emotionalität ihnen gegenüber musst du verdrängen, so verrückt und schizophren das Ganze auch ist, da du die Situation sonst nicht packst, meinst ausfreaken zu müssen, und andererseits musst du eben auch aus der Geschichte deine Stärke und Überlebenskraft ziehen.

Päng, die Klappe geht wieder auf, Abendbrot, wieder ein schaler Tee und Brot mit Hundewurst, Scheiße, wenigstens bekommst du noch was zu lesen, was zum Schreiben gibt’s erst morgen, die Wachtel braucht ihren Schreiberling angeblich noch und mehr hat’s nicht, oh du armes Land, nun ja, dann liest du halt die Scheißillustrierte vier-, fünfmal durch und irgendwann ist Schluss. Du versuchst einzupennen, wieder das Weiß-Blau, es dauert recht lange, erst brennt das Licht bis Zehn, du kannst es wieder nicht an- oder ausmachen, und als es aus ist und du meinst langsam einpennen zu können, dann geht das Scheißlicht wieder jede Stunde an und so ein Geier schaut rein, was denn so los ist, und die können dich dabei etwas nerven, und so dauert es recht lang, bis du einpennen kannst, und dann kannst du auch nur recht unruhig schlafen.

Am nächsten Morgen wieder das Schlüsselgerassel, du wachst auf, fühlst dich zerschlagen, Scheiße, weißt gar nicht, was das soll, wie das weitergehen soll, auf alle Fälle hast du deine erste Nacht in U-Haft verbracht. Was dich dabei verrückt macht, ist, dass die ganze Kiste für die nächste Zeit dein Alltag sein soll, dein Leben, nichts mehr mit rumrennen, Leute sehen, sich wohlfühlen, sondern jetzt gibt es eigentlich nur noch Gründe, dich schlecht zu fühlen. Das Ganze hier ist dir auch noch unheimlich neu, du hast zwar Sachen gelesen, theoretisch dich damit auseinandergesetzt, weißt aber trotzdem nicht, was genau abläuft, worauf du dich einzustellen hast, mit was du rechnen, gegen was du kämpfen musst. Und wieder dieser laue Milchmalzkaffee und Brot zum Frühstück. Sollst du was essen oder das Zeug einfach gegen die Wand knallen? Im Grunde ist es völlig egal, du bist wieder allein, denkst nach, grübelst, kannst dich mit niemand über die Sachen auseinander setzen, die dir durch den Kopf gehen. Und wenn du mal einen Punkt gepackt hast, dass du deine eigene Kacke so siehst, dass es schon irgend wie laufen wird, du noch nicht tot bist und das hier auch irgendwann ein Ende haben wird oder sich irgend wie was entwickelt, dann hilft dir das noch gar nichts, denn was dich noch viel mehr reinhaut, ist, dass du von den anderen nichts weißt, gestern waren sie noch draußen, aber wie sieht’s heute aus, was treiben die Bullen; können die anderen überhaupt noch was für dich tun oder stecken die in derselben Situation wie du – der Himmel weiß.

Plötzlich kracht wieder mal der Schlüssel ins Loch, ein Grüner kommt rein, zusammenpacken, also sammelst du den Kram zusammen, den sie dir gegeben haben. Dann geht die neue Irrfahrt los, erst mal ein paar Gänge, ein paar Gitter, ein paar Fenster, durch die du was Neues siehst, ein paar Leute, alles zieht wie ein Film an dir vorbei, in einer Wartezelle wieder sitzen, warten, du begreifst, dass Warten und Zeit rumbringen zu deiner Hauptbeschäftigung wird, die Tür geht auf, ein paar Leute kommen, auch zum Warten – worauf eigentlich, fragst du dich – kaum hast du angefangen mit denen über irgendwas zu quatschen, meistens geht’s ja eh darum, weshalb man hier ist, Termin, unschuldig oder Frauen, selbst was du zu regeln hast, wird durch den Terror organisiert, normale zwischenmenschliche Aktionen sind nicht gefragt, sind zu verhindern, aber immerhin ist es kein Selbstgespräch, sondern du hörst Stimmen, siehst, riechst, spürst andere Menschen, inzwischen ist das für dich schon so wichtig geworden, dass du die Inhalte total vernachlässigst, und kaum hat ein Gespräch angefangen, da geht’s schon weiter, du willst noch was sagen, was, wozu, du hast mitzugehen, sonst wirst du schon sehen, woher der Wind weht. Und weiter geht der Marsch, neue Gänge, Gitter, Menschen in grün oder blau, getrennt, die einen mit Schüssel, die anderen ohne, die Schlüssel als Insignien der Macht, der Gewalt, dazwischen wenig Fenster, ganz überraschend geht es auf den Hof, du kannst wieder einmal freie Luft atmen, auch wenn Mauern drumrum sind, aber das dauert nicht lang, nur wenige Meter, dann wieder hinein in dein steinernes Grab, wieder Gänge, Gitter, Treppen, und am Ende sitzt du wieder in einer Zelle, die für die nächste Zeit, für unbestimmte Zeit, die vier Wände sein werden, die dich einschließen, alle deine Wünsche und Vorstellungen bergen und verhindern werden.

Du setzt dich wieder hin. Leere, alles was dich beschäftigt, dir durch den Kopf geht, ist schon mal da gewesen, nichts Neues. Wieder geht die Klappe auf, Essen, die gute, berühmt berüchtigte Dampfkost und eine Suppe davor, schmecken tut’s eh nicht, aber warm könnt’s ja wenigstens sein, was soll’s, dich kotzt eh alles an und du schüttest das Zeug in die Kloschüssel. Geschirr wieder raus, du stellst es auf die Platte und schaust raus, die anderen Leute haben die Türen offen, nicht viel, aber immerhin kurz, da fällt dir auch wieder ein, die Bullen haben ja dafür Sorge getragen, dass du nicht zuviel Kontakt hast, bloß kein menschliches Bedürfnis, außer Scheißen, Fressen, Schlafen, Wichsen, nun ja, das hast du dir schon gedacht, nur war dir auch nicht klar, wie das laufen wird, was das genau zu bedeuten hat, fertiggemacht wird man so und so, also muss man auch so und so widerstehen, überleben.

Viel Ruhe hast du heute nicht, dir fällt es schon langsam schwer, die Sachen zu verarbeiten, wenn mehrere am Tag passieren, von früher kennst du das nicht, durchziehen tut sich nur der Gedanke, dass sie dich fertig machen wollen, und du alles tun wirst, das zu verhindern, und du weißt auch, dass das möglich ist. Du denkst über die Leute nach, die bei den Bullen ausgepackt haben, durch-
gedreht haben, überlegst dir die Geschichte, spürst keinen Bezug zu dir, und kannst dich echt freuen, fühlst dich wieder einmal etwas besser, weil du merkst, dass du es schaffen kannst, nicht durchzudrehen und auch nicht in dieser Situation den Wunsch oder die Überlegung aufkommen lässt zu reden, sondern im Gegenteil, du wirst nur noch saurer auf die Bullen, noch mehr Hass, und das ist gut.

Die Tür geht wieder auf, mitkommen, Vorführung beim Sani, – du stehst vor einem Bullen in Weiß, Schlachter wäre der wohl lieber geworden, er schaut gar nicht von seinem Blatt auf: Kinder-, Erb-, Geschlechtskrankheiten, du willst nachdenken, das dauert schon zu lange, etwas schneller, heißt es, also sagst du irgend etwas, noch schnell hinter den Röntgenschirm, der Nächste, wird’s bald? Und wieder geht es zurück, du sitzt auf deiner Pritsche, rennst auf und ab, weißt nicht, wie die Zeit vergangen ist, ob es früh oder spät ist, wieder geht die Tür auf – mit kommen – wieder Weißkittel, Oberkörper freimachen, als ob es die interessiert, wie du beieinander bist. Auf dem Rückweg versucht der Grüne ein Gespräch mit dir anzufangen, was du gemacht hast, was du bist, du denkst dir, du kannst mich mal, und hältst die Klappe. Bevor die Tür wieder zukracht, kommt dir noch, dass du ja auch mal einen Hofgang haben müsstest, fragst danach, hörst dann, gibt’s nicht mehr, ist schon zu spät, und du bist heut angeblich schon genug rumgeführt worden. Du bist sauer, kannst aber nichts machen, verlangst noch Schreibzeug, willst endlich mal dem Anwalt und den anderen Leuten schreiben, was läuft, wie du dich fühlst, – gibt’s später.

Du meldest auch einen Wunsch nach Büchern an, die Hausel sind einigermaßen freundlich, organisieren dir noch schnell ein Buch für den Abend. Es gibt Vanillesoße und süßes Brot, wenigstens etwas, du stopfst das Zeug rein, rauchst eine Kippe und schnappst dir dein Schreibzeug, das dir vorher ausgehändigt worden ist. Erst mal der Anwalt, bist hier gefangen, im Haftbefehl steht dies und jenes, ist so und so Schwachsinn, und er soll doch mal schleunigst reinkommen. Dann willst du an die Leute schreiben, mit denen du immer zusammen warst, mit denen du geredet, geschlafen hast, und checkst, wie beschränkt das Papier als Medium ist, dir fällt nichts ein, das Denken an sie macht dich nur noch mehr beieinander, du denkst an all die guten, positiven Sachen, die dir Kraft geben, die deine Identität bedeuten und gleichzeitig macht dich die Erkenntnis, dass das alles Vergangenheit ist und nur noch im Kopf existiert, total fertig, du könntest heulen, so stöpselst du irgendwas vor dich hin, wie was war, wie es hier ist und dass eigentlich alles Scheiße ist und du die Leute viel lieber sehen, umarmen möchtest als ihnen schreiben. Du schmeißt den Brief hin, machst ihn dann aber doch für die Post fertig, weil du weißt, dass dir nichts anderes übrigbleibt; um deine Stimmung in den Griff zu bekommen versuchst du etwas zu lesen, nach ein paar Zeilen stehst du wieder auf, läufst rum, betrachtest zum x-ten Mal die Inschriften an der Wand – du bist allein, und doch herrscht totales Chaos, die Türken, Araber, Griechen und die ganzen Emigranten unterhalten sich schreiend quer über den Hof, ab und zu brüllt einer „Scheißkümmeltürke“, aber die lassen sich überhaupt nicht stören, dauernd geht irgendeine Spülung, auf dem Gang hämmert einer auf einer Schreibmaschine herum und nebenan flippt einer aus, schreit, brüllt und trommelt gegen die Tür. Du bist in der schizophrenen Situation, dass du das überhören musst, nicht darauf reagieren kannst, um den Rest Eigenstabilität zu erhalten, da es klar ist, dass du nichts machen kannst, außer mit ausflippen, du versuchst dich abzulenken, weil du merkst, wie verrückt das ist, dich aber nicht zu verhalten weißt. Du hangelst dich zum Fenster hoch, aber da gibt’s nur Mauern, Lichtkegel und die allgegenwärtige Kirche, die sich auch um die lebendig Begrabenen kümmert, mithilft, sie zu begraben. Als Zeichen der Freiheit nur ein paar Dächer in der Ferne und Flugzeuge, die über dich hinwegfliegen – du kannst dir nur vorstellen, wie es wäre drin zu sitzen.

Dann am Abend hast du viel Zeit für dich, ab vier oder fünf, wenn man dir „gute Nacht“ sagt, bis zehn, wenn das Licht ausgeht – fünf lange, endlose Stunden, in denen nichts passiert, die du garantiert für dich allein hast, fängt dein Hirn wieder das Arbeiten an, du überlegst dir, der Wievielte eigentlich ist, legst dir mit einer Strichliste hinter dem Datum des Haftbefehls einen Kalender an, nimmst dir vor, ab Morgen Gymnastik zu machen, die ersten Gedanken, die von dir kommen, die du bestimmst, auch wenn sie der allgemeinen Situation entspringen, du merkst, wie wichtig das ist, du musst selbst ein System schaffen, du musst dich selbst bestimmen, auch wenn es nur in einem vorgegebenen Rahmen ist. Dir wird klar, wie wichtig das ist, du nimmst dir Sachen vor und denkst daran, Morgen weitere Sachen herauszubekommen, was du machen kannst. Wenn du wieder etwas lesen kannst und es gerade beginnt, dir Spaß zu machen, du das außerordentliche Glück gehabt hast, ein einigermaßen vernünftiges Buch erwischt zu haben, die Geschichte dich fesselt, du deine Realität etwas vergessen kannst, da geht das Licht aus und du weißt wieder, was läuft, deine Wut erinnert dich wieder daran, warum der Knast schlecht ist und von wem er benutzt wird. Du denkst nach, du stellst dir vor abzuhauen, wie du die Wachtel zusammenschlägst, den Schlüssel nimmst und rausgehst – auch wenn du noch nicht mal genau weißt, wo du liegst und wo es rausgeht, zu wem du dann gehst und dir was holst, dir fällt dazu ein, dass das und jenes nicht geht und du versuchst, das Problem zu lösen, dir ist klar, dass es nur theoretisch ist, aber der Gedanke mit dem Abhauen gibt dir ein Ziel, zu dem du dir was überlegen kannst und auf das du irgendwie hinarbeiten kannst, auch wenn dir klar ist, wie gering die Chancen sind, so ist dir auch klar, dass du nur darauf hinarbeiten kannst. Irgendwann schläfst du dann ein.

Du träumst, du wärst draußen, siehst die Leute wieder, mit denen du zusammenwarst und sein wirst, machst mit ihnen Sachen zusammen, agierst mit und zwischen ihnen, bis … das erste Gitter knallt, Schlüssel rasseln, Schritte hallen, Stimmen brüllen, du wirst wieder brutal zurückgerissen in deine Wirklichkeit, keine positiven Gefühle mehr, sondern nur Angst, Alleinsein, der Knast ist wieder voll da, tritt dir mit aller Kraft ins Gesicht und du kannst nichts machen. Du schmeißt die Decken weg, aus ist es mit dem süßen Schlaf, du stehst auf, reibst dir den Schlaf aus den Augen, bist wieder voll gefangen in der Scheiße, die dich umgibt. Du stellst dich vors Waschbecken, vor den Spiegel, betrachtest dein Gesicht, wäscht dich erst mal, putzt dir die Zähne, rasierst dich, ja du entwickelst im Gegensatz zu sonst einen richtigen Sauberkeitsfimmel, das hat wenigstens was mit dir selbst zu tun, da geht die Klappe wieder auf, Frühstück, du nimmst den Fraß und willst rausschauen, den Kopf zur Klappe rausstrecken, etwas reden, aber da kommt gleich eine Wachtel angerannt, läuft nicht, du hast Einzelhaft – Isolation, also Kopf zurück und Klappe zu, du ziehst dich an, frisst was, läufst etwas auf und ab, treibst ne Stunde Gymnastik. Danach brauchst du erst mal Luft und hangelst dich zum Fenster hoch, siehst Leute beim Hofgang, drüben rennt einer alleine mit Sonderbewachung rum, du erkennst einen Typen, schreist was rüber, aber kaum hast du was gesagt, da fliegt auch schon die Zellentür auf, runter da, Zellendurchsuchung, alles wird durchgewühlt, umgedreht, die Gitter abgeklopft, ob du auch ja keins durchgebissen hast.

Danach wieder lesen, endlose Minuten, Stunden, dein erster Hofgang, eine Stunde. Du drehst allein deine Runden, lässt die frische Luft, die Sonne auf dich wirken, schaust die Blumen, die Gräser an, hörst Musik aus irgendwelchen Fenstern, siehst den Leuten im Keller beim Arbeiten zu, saugst alles in dich hinein, langsam merkst du, was dir so abgeht, Sachen fallen dir auf, die du sonst nie bewusst beobachtet hast, und über deinem Kopf immer wieder die Flugzeuge, in denen du gerne sitzen würdest. Du könntest stundenlang hier herum gehen, aber die Zeit ist schnell vorbei, und du findest dich in deiner Zelle wieder, zwischen tristen Wänden. Der Rest des Tages ist dir schon bekannt. Am nächsten Morgen fällt, als die Klappe aufgeht, ein Zettel auf den Fußboden, du stellst schnell deinen Fuß drauf und wartest darauf, dass die Klappe wieder zugeht, hebst ihn auf, jemand hat gecheckt, dass du isoliert bist, er kommt aus Ebrach, war dort mit Leuten zusammen, die du vom Namen her kennst, die ähnliche Sachen im Kopf haben wie du, der Typ kommt nach Landsberg, fragt, ob er eine Nachricht mitnehmen soll, du wirst langsam in ein Subsystem integriert, du weißt zwar nicht, ob in Landsberg jemand ist, dem du was zu sagen hast, aber du weißt, dass jemand da ist, der sich auf dich bezieht, auf den du dich beziehen kannst. Als die andern zum Hofgang gehen, hörst du ein Rascheln unter der Tür, Zeitungsausschnitte werden durchgeschoben, du nimmst sie schnell, der Spion geht hoch, ein Auge sieht dich an, du wechselst ein paar Worte, dann muss er wieder weg, du bist wieder allein, überlegst dir, wie das Gesicht, der Mensch, der zu dem Auge gehört, aussieht. Du weißt plötzlich, du bist trotz allem nicht allein, hast auch hier Leute, die sich dir gegenüber verhalten, du gerätst in ein neues Bezugssystem hinein. Du liest die Ausschnitte, RAF, Attentat, Demos, Entführungen, du musst die Sachen zerreißen und wegspülen, denn die nächste Zellendurchsuchung kommt bestimmt. Nach dem Hofgang findest du dann die Zeitungen, endlich mal wieder was zu lesen, was draußen läuft, was sich tut. Die Stunden rinnen dahin, nichts verändert sich, alles wiederholt sich, du kennst jeden Tag schon vor dem nächsten.

Eines Tages geht die Tür auf, Besuch, du freust dich, weißt nicht mehr, warum so relativ schnell, kommst runter in ein Zimmer, die Tür geht hinter dir zu und zwei lächelnde Bullen stehen vor dir. Sie wollen dir die Hand geben, aber du übersiehst sie, sagst ihnen, dass sie erst gar nicht das Reden anfangen brauchen, du zitterst, bist wütend, sie machen ein paar blöde Bemerkungen, warum sind Sie denn so aufgeregt, du sagst, du willst sofort wieder weg und sie sollen dich in Ruhe lassen. Schließlich kommst du wieder weg, bist froh die Geier loszuhaben, deine Ruhe wiederzuhaben, pervers.

Dann kommt das erste Duschen, natürlich auch allein, hängst zwischendrin im Fenster, weil die Dusche nach außen liegt, du die Mauern sehen kannst, abchecken kannst, ob du über die Mauer, durch das Tor, durch das die Laster reinkommen, rauskannst. Ein Großteil deiner Gedanken beschäftigen sich mit der Flucht, du hast alles schon im Kopf durchgespielt, beim Hofgang die Wachtel zusammenschlagen, ihn wegschaffen, die Schlüssel wegnehmen, bis zum Tor, oder nachts die Wachtel in die Zelle locken, zusammenschlagen, mit den Schlüsseln weg, oder die Gitter irgendwie raus, sich abseilen, du versuchst alles abzuchecken, soweit es geht, findest Schwierig-
keiten, suchst nach den verschiedenen Lösungen, alles im Kopf… wenigstens ist es etwas, für das es sich lohnt den Kopf zu zerbrechen.

Zwischendurch dein erster Versuch zu pendeln, zwei Typen in der Zelle neben dir haben keine Kippen mehr, du willst ihnen irgendwie helfen, unbrauchbare Versuche mit zu dünner Schnur, mit Papierknäueln, es klappt einfach nicht, bis die es dann schaffen mit ihren Schnürsenkeln, die Schur ist lang genug, mit einer Seife am Strickende kommt es vor dein Fenster geflogen, du bindest einen Tabak dran, es hat geklappt. Inzwischen hast du schon öfters mit den Leuten gesprochen, hast sie auch schon mal gesehen, bei der Essensausgabe, hast Grüße empfangen von Leuten, die gegenüber liegen, ihnen was ausrichten lassen, weißt, wie du dir Zeitungen besorgen kannst, wenn du deinen Dreck aus der Zelle schaffen musst – putzen musst du selbst – aber das alles lässt die Zeit nicht schneller vergehen, verkürzt nicht die endlosen Stunden, das Herumsitzen ohne Ziel und Zweck, die Grübeleien, die ständigen downs, du weißt nur, dass du einen gewissen eigenen Spielraum gewonnen hast, ein Subsystem, das dir hilft, in einem System des Terrors zu überleben.

Endlich ist der Anwalt da, du kennst ihn nicht, aber er erzählt dir von den Leuten draußen, was läuft, richtet Grüße aus, du erzählst, es geht darum, was er sagen soll, du fragst ihn nach diesem und jenem, die Zeit ist viel zu kurz, um über alles zu reden, du merkst auch plötzlich, dass dir das Reden schwer fällt, die Gedanken lassen sich nicht mehr so leicht formulieren, Isolationser-
scheinungen, und dann ist er wieder weg und du sitzt wieder allein auf der Zelle – was eben noch gut war, haut dich jetzt um so mehr rein, lässt alles noch viel hoffnungsloser erscheinen. Eines Tages reicht dir die Wachtel einen Zettel herein, Geld ist auf dein Konto für den nächsten Einkauf eingezahlt worden, nichts weiter von draußen als eine Unterschrift und die Tatsache, dass jemand an dich denkt und was für dich tut. Aber schon das bedeutet jetzt unheimlich viel für dich. Du kannst deinen ersten Einkauf machen.

Ab jetzt kommt das Warten, das Warten jeden Morgen und jeden Mittag auf Post, auf eine Nachricht von Leuten draußen. Und von Montag bis Donnerstag jeweils von eins bis drei das Warten, ob jemand zu Besuch kommt, ob der Anwalt kommt, der ist jetzt auch schon wieder einige Tage überfällig und lässt nichts von sich hören, und du weißt nicht, was los ist. Die Sachen vom Einkauf sind auch schon fast weg, von dem, was dir schmeckt, ist schon nach zwei Tagen nichts mehr da, alles weggefressen, die anderen Sachen sind selbst rationiert, werden langsam weniger, der Vorrat für Ausleihen, Tauschen, Schachern ist auch weg.

Endlich der erste Brief von draußen, von den Leuten, an die du so oft denkst, und die du doch immer wieder verdrängen musst, um es zu packen. Du hast durch einen Typen, der auf Bewährung rausgeht, die Möglichkeit, ihm einen Brief mitzugeben, ohne Zensur, aber doch mit Selbstzensur – du willst alles schreiben, was in dir vorgeht, was du brauchst, dass du rauswillst, dich wie ein gefangenes Tier fühlst und doch kannst du nur Teile schreiben, weil du Sachen nicht ausdrücken, nicht einschätzen kannst.

Deinen täglichen Terror kennst du schon im voraus, ein Tag gleicht dem anderen, nichts verändert sich; früh um 7 aufstehen, waschen, frühstücken, Gymnastik, lesen, Hofgang, allein Runden drehen, der Mittagsfraß, schlafen, warten auf Besuch, lesen, fressen, Briefe schreiben, ab und zu eine Zeitung, ein Gespräch an der Tür durch den Spion, einmal in der Woche duschen, Zelle sauber machen, Zellendurchsuchung, neue Bücher, Einkauf, ab und zu ein Brief, ein Kassiber, ein Anwaltsbesuch, ein Gerichtsschreiben und dazwischen herum sitzen, liegen, herum laufen, grübeln, nachdenken, wie man abhauen kann, up and down, einer der ausflippt, Schlüssel-
geklapper, Blicke zum Fenster hinaus, Wut, Terror, Minute für Minute, Stunde für Stunde, Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat, wie lange noch, ihr Schweine, aber das hat auch ein Ende.

Fridolin Zorn


Roter Herzfleck. Revue der Außenseiter aus Leidenschaft an der Subversion, April 1977, 63 ff.

Überraschung

Jahr: 1977
Bereich: Bürgerrechte