Materialien 1978

„Ihr ist eben alles zuzutrauen“

Münchener Justizpalast. Ich bin extra angereist für den Prozess. Oben, im zweiten Stock, erwartet mich Polizei mit umgehängten Maschinengewehren. Sie müssen die Taschen der Besucher prüfen. Im schmalen Gang zum Sitzungszimmer stehen etwa 20 Polizisten, auch sie alle schwerbewaffnet. Die meisten sind noch sehr jung, haben kindliche Gesichter.

Das wartende Publikum besteht aus Freunden der Angeklagten. Der Richter, Herr Orlin, ist ein kleiner, schmaler Mann, eher verbindlich wirkend. Neben ihm der Staatsanwalt, Herr Görlach, ein gestandener Bayer.

Die Anwälte, Anne Gaugl, Roswitha Wolff, Jürgen Arnold und Reinhold Wunderlin unterhalten sich gerade mit einem Reporter der Süddeutschen Zeitung und einem jungen Mann, der von Amnesty International kommt. Wo immer wir zu zweit oder dritt zusammenstehen, werden wir sofort von Polizisten umringt. Einer von ihnen, ganz offensichtlich nervös, schreit: Auseinandergehen!

Wir warten auf die Angeklagten. Dann kommen sie, Margit Czenki, Jutta und Johann von Rauch. Margit hat ein offenes, weiches Gesicht. Das ist sie also, die „Banklady“. Sie wurde 1972 zu 6½ Jahren verurteilt, nach vier Jahren auf Bewährung entlassen. Diese zwei Jahre Bewährung stehen mit auf dem Spiel …

„Ihr ist eben alles zuzutrauen“, so die Polizei, die auf der Suche nach Margit damals nicht davor zurückschreckte, schwerbewaffnet bei ihrer 90jährigen Großmutter in Stuttgart aufzutauchen.

In Wahrheit ist Margit eine Frau, die nur eines will: ihre Ruhe. Sie möchte im Kinderladen arbeiten, sie schreibt an einem Buch, sie ist voller Ideen. Doch findet sie keine Ruhe, nicht vor der Polizei, nicht vor Wohnungsvermietern, nicht vor der Justiz. Zum heutigen Prozess kam es so: Als im Mai des vergangenen Jahres in München alle Wohngemeinschaften observiert wurden, stand, da wo Margit wohnt, die Polizei eine ganze Woche. Wo immer sie hinging, sie folgten ihr. Die Wohngemeinschaft, in der Margit, Jutta und Johann wohnen, wurde durch die andauernde Observierung nervös und vereinbarte, der Presse Mitteilung zu machen. Außerdem wollten sie die Öffentlichkeit informieren. Sie verabredeten mit anderen, einen Wagenkorso durch die Stadt bis hin zum Amtsgericht zu machen.

Im Eingang des Gerichtes liegen zu der Zeit zwei Pakete (mit Müll, wie sich später herausstellt). Zwei „Objektschützer“ stehen Wache. Noch ist alles ziemlich friedlich. Doch dann meint einer der Beamten plötzlich, es müsse Verstärkung geholt werden. Nach einiger Zeit kommt eine Hundertschaft Polizei. Es kommt zu Tumulten, ein Polizist geht auf Johann von Rauch zu und sagt: „Kommen Sie mit, Sie haben das Paket dahingestellt.“

Während dieses Tumultes fallen die Worte von den Öfen in Dachau. Margits Antwort an die Polizisten: „Das ist der Unterschied zwischen uns und Euch. Wir würden so etwas niemals sagen. Für uns seid Ihr immer noch Menschen.“

Um 12.30 Uhr ist Mittagspause. Ich gehe auf Margit zu, die ich bis heute noch nicht kannte, versuche, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Sie ist mir sympathisch, aufgeschlossen, lebhaft. Ich mag sie. Wir gehen zusammen essen, sie erzählt mir einiges über sich. Dass der Vater gefallen ist und sie mit der Oma und der Mutter aufwuchs.

Als Margit sechs Jahre alt war, heiratete die Mutter wieder und bekam dann noch zwei Söhne. Margit kam — mit Unterbrechungen — in ein Internat, mit strenger klösterlicher Erziehung. Für begangene Sünden mussten die Kinder stundenlang knien und beten. Sie scheint nicht gerne darüber zu sprechen.

Mit 20 verlässt sie das Internat, Staatsexamen als Kindergärtnerin, dann eine Ehe mit einem Hochschuldozenten. Sie hat einen Sohn, der heute 13 Jahre ist und beim Vater lebt, die Ehe ist geschieden. Ihr großes Problem ist, ihre Beziehung zu ihrem Kind, um dessen Stabilität sie sehr bemüht ist. Sie erzählt auch von ihrer Mutter, mit der sie intensive Gespräche geführt hat, und die sich natürlich große Sorgen macht um Margit. Sie wohnt in Stuttgart, ist Angestellte, und uch Diffamierungen ausgesetzt. Margit sagt, dass ihre Mutter voll zu ihr hielte und dass sie sich gut verstehen.

Margit hat Angst vor dem Prozessausgang. Sie befürchtet eine Gefängnisstrafe zu bekommen und damit automatisch auch noch die auf Bewährung ausstehenden zwei Jahre absitzen zu müssen. Noch einmal Gefängnis, dass wäre vielleicht zuviel … Es bleibt ihr erspart. Das Urteil erging am 10. März. Es lautet: 3.000 Mark Geldstrafe. Ihre Mitangeklagten Johann und Jutta werden freigesprochen. 3.000 Mark, das ist viel Geld. Trotzdem ist Margit erleichtert. Gleichzeitig aber weiß sie: die Schikanen gehen weiter. Wie lange noch?

Erika Schilling

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Am ersten Prozesstag fragt der Staatsanwalt Margit Czenki: „Was haben Sie sich eigentlich erwartet, als Sie rauskamen aus dem Gefängnis, wie wir Sie behandeln würden?“ Margit antwortet: „Ich habe erwartet, dass man mich wenigstens leben lässt.“ Darauf der Staatsanwalt erregt: „Das geht natürlich nicht, das geht natürlich nicht!“

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Eine Frau aus der Theatergruppe, Sigi, wurde während der Demonstration von einem Polizeibeamten gegen einen Pfeiler gepresst und mit dem Oberkörper dagegen geschlagen und geschüttelt. Margit leistete Nothilfe und zog den Beamten von der Frau weg. Daraufhin wurde Margit verprügelt und von einem Polizeihund in den Oberschenkel und in den Arm gebissen. Kommentar des Hundeführers: „Der braucht auch mal was Knackiges!“

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Johann von Rauch sagt zu Beginn des dritten Verhandlung tags, er habe den Eindruck, das wäre eher ein Gesinnungsprozess. Der Richter weist ihn scharf zurecht. Daraufhin ruft Margarete von Trotta im Zuschauerraum: „Er hat gesagt wäre, nicht ist!“ Sie bekommt als Ordnungsstrafe einen Tag Haft und wird im Gerichtssaal festgenommen. Knapp kann sie noch jemanden verständigen, der sich um ihr Kind kümmert.

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Entlastungszeugen werden vor Gericht inquisioniert, als seien sie selbst angeklagt. Eine Zeugin: „Ein Polizist rief: die Öfen in Dachau sind schon angeheizt für euch!“ Eine andere Zeugin: „Da kamen auf einmal Polizisten auf uns zu, da haben wir natürlich eine Kette gebildet, um uns zu schützen.“ Der Richter: „Wieso natürlich, haben Sie immer Angst, wenn Sie einen Polizisten sehen?“ Betroffenes Schweigen, die Gesichter der Zuhörerinnen erstarren. Zeugin: „Ja, ehrlich gesagt schon.“

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Margit hat vor Gericht eine Erklärung abgegeben, sie sei absolut sicher, den Beamten wiedererkannt zu haben, der das mit den Öfen in Dachau gesagt und Sigi gegen den Pfeiler geknallt hat, den Polizisten Meiler. Daraufhin müsste eigentlich gegen diesen Beamten ein Verfahren eingeleitet werden. Einzige Reaktion des Staatsanwalts: er droht Margit mit einer Klage wegen Falschaussage.


♀Emma. Zeitschrift für Frauen von Frauen 4 vom April 1978, 51.

Überraschung

Jahr: 1978
Bereich: Bürgerrechte