Materialien 1973

Katja auf dem Weg zu sich selbst

„Ich hatte das Gefühl, ich weiß nicht wo ich bin, jetzt muss ich mal rausfinden, wer ich eigentlich bin“, so beschreibt sie ihre gegenwärtige Lebenssituation: Katja Rupé, die Schauspielerin mit dem klaren, eindrucksvollen Gesicht, 28 Jahre alt und auf der Suche nach sich selbst. Sie spielte in „Wandas Paradies“, dem poetischen und zugleich tieftraurigen Film von Christa Maar das Mäd-
chen, das hinter einer Putzkammer in einem Kaufhaus ein Zuhause, ein Versteck gefunden hat, dort ein merkwürdig irreales Leben führt. Dann die Sonja in Michael Verhoevens „Ein unheimlich starker Abgang“ und die Leni in Geisendörfers Anzengruber-Verfilmung „Der Sternsteinhof“.

Wie Katja ihre Rollen sieht, das sagt viel über ihre Persönlichkeit. Sie mag „starke“ Frauen, hat jedoch ein ungewöhnliches Verständnis von „stark“. An Wanda zum Beispiel findet Katja stark, „dass sie so in sich geschlossen war: sie bestand ja nur aus Angst und schaffte sich ein ganz eige-
nes, bizarres Reich (wie als Kind, wenn man sich aus der Erwachsenenwelt rausschleicht und meint, man sei ganz für sich).“

An der „Leni“ im Sternsteinhof mochte sie deren Zähigkeit, Unbeirrbarkeit. „Jemand, der mit aller Kraft aus dem Dreck raus will …“ Und sie sieht das sicher anders und politischer, als Anzengruber es gemeint hat. Ihre liebste Rolle war aber die Sonja in „Ein unheimlich starker Abgang“.

„Irgendwie ist sie immer obenauf“, sagt Katja, „sie erlebt so viel Schlimmes, sie lässt sich nicht unterkriegen. Vor Gericht zum Beispiel, als sie verurteilt wird, ist sie ungeheuer positiv, sie ist ja — vom Gesichtspunkt der Richter aus — vorlaut, keineswegs reuig. Sie gibt nie auf. Sie ist eine Figur, die spontan kämpft, die einfach immer irgendwie weitergeht, gradlinig, voll Humor. Dadurch, dass sie nicht bewusst handelt, ist sie ungebrochen, sie macht nichts über den Kopf, ist aber ständig am agieren und reagieren. Das hat mich fasziniert, weil ich selbst ganz anders bin, eher unsicher. Und ich stelle immer wieder fest, dass Frauen — auch ich — viel weniger handeln, als sie gern würden, weil sie Angst haben, was falsch zu machen oder etwas zu machen, was etwas hervorruft, was sie dann nicht mehr verkraften können.“

Für Katjas jetzige Lebenssituation sind solche „starken“ Frauengestalten besonders wichtig. Sie hat einen entscheidenden Schritt zu sich selbst getan. Bisher hat sie in einer festen Gruppe gearbeitet. Nach dem Schulabschluss hatte sie Schauspielunterricht an Münchens berühmter Falkenberg-
schule, gründete mit anderen Schauspielschülern das Theaterkollektiv „Rote Rübe“. Katja war sieben Jahre lang dabei, gehörte zur Kerngruppe. Sie machte zusammen mit den anderen all das, was eine Schauspielerin an herkömmlichen Theatern oder beim Fernsehen nicht zu tun bekommt: sie schrieb, führte Regie, spielte, nähte Kostüme. –

„Jeder soll alles machen“, ist das Arbeitsprinzip der Roten Rübe. Katja hat dort viel gelernt. Und kam bei dieser Arbeit auf die Frauenfrage.

„Wir hatten so Lehrlingsstücke gemacht, und da wurde es plötzlich alles so ziemlich Männersache, bei Diskussionen waren wir Frauen immer recht still. Da kamen wir dann auf die Idee, mal nur untereinander zu reden, aus den Gesprächen kam dann schließlich das Stück ,Frauenpower’ heraus. Unsere ersten Erfahrungen, als wir Frauen uns allein zusammensetzten: wir machten das ganz sensibel, es war gar nicht aggressiv angelegt (hätte ja sein können, aus Protest gegen die Männer). Die Männer haben dann versucht, das auch mal untereinander zu machen. Die saßen dann zusammen im Nebenraum, da wurde es sehr laut, die haben sich fast die Köpfe eingeschlagen und es dann gelassen. Sie wollten, dass wir auch mit unseren Gesprächen aufhören, aber das haben wir nicht getan. Seit dem Stück ,Frauenpower’ gibt es den Begriff der ,Rübenfrauen’, wir hatten Erfolg damit. Wenn beispielsweise Interviewer kamen, dann mussten wir das machen. Es gab eine völlige Umkehrung, die Männer machten die Hausarbeit und mussten die Briefe schreiben. Von da an hat sich sehr viel geändert, das hat uns allen gut getan. Dass das Stück so ein Erfolg war, hat uns sehr überrascht, wir wollten das eigentlich nur für uns allein machen, und plötzlich kamen wir damit groß raus.“

Das liegt jetzt lange hinter ihr. Es hat sie sehr sensibilisiert. „Wenn ich jetzt Drehbücher bekomme, fällt mir auf, wie stark Frauenfiguren aus einem Wunschdenken der Männer konzipiert sind. Ich sehe, wie die Männerrollen immer toll ausgearbeitet sind, aber bei den Frauenfiguren ist ganz viel Hilflosigkeit zu spüren. Mir ging das genauso, wenn ich Männerrollen konzipiert habe. Ich sehe auch eine Gefahr darin, wenn Männer ganz spezifische Frauenfilme machen. Es wäre wichtig, dass viel mehr Frauen Filme machen, damit andere Bilder existieren als die, die Männer von Frauen haben. Wir haben ja den Kopf voll von diesen Bildern, sie wurden uns eingepflanzt, man muss so viel Verschüttetes ausgraben bis man zu einem ganz kleinen Fitzelchen ,Ich’ kommt …“

Und deshalb hat sich Katja jetzt, nach sieben Jahren Arbeit bei der Roten Rübe, zurückgezogen. Sie ist nicht im Zorn geschieden. „Ich wollte einfach eine neue Situation haben, ausgehend von den Emanzipationsgedanken, die ich schon immer bei der Arbeit bei der ,Rübe’ hatte, und den Schritt wollte ich jetzt vollziehen.“ Das Wort „Emanzipation“ befriedigt sie nicht, ist ihr wohl zu klischee-
haft. Sie streicht sich das Haar aus der Stirn und sagt langsam und nachdenklich: „Man kann es Emanzipation nennen oder Erwachsenwerden oder wie immer … Es geht sehr langsam, auch in mir, ich falle auf einmal zurück, habe plötzlich Verhaltensweisen, von denen ich dachte, die seien längst vorbei …“

Sie lebt jetzt ganz für sich in einer kleinen Schwabinger Altbauwohnung, und es fällt ihr sehr schwer. „Ich habe bisher in der Gruppe gelebt, gearbeitet, wir haben auch zusammen gewohnt, auch finanziell war alles klar, wir waren eine GmbH. Es war ein bisschen wie im Elternhaus, Schutz, Beziehungen, wo man sehr geschützt ist, wo man mit vielem nicht konfrontiert wird. Allein schon der grässliche Papierkram … Dort gab es eben jemand, der das machte, der das gern machte, da gab es so vieles, um das man sich nicht kümmern musste. In der ,Rübe’ war ich sehr selbstsi-
cher, ich war auf eine Rolle im Kollektiv festgelegt, nichts hat mich tangiert …“

Und auch mit der Arbeit tut sie sich so allein schwer. Denn außer Rollen spielen in Filmen oder Fernsehstücken will sie auch selbst ein Stück schreiben, will Regie führen. „In der ,Rübe’ war ich sicher produktiver, da haben wir zusammengearbeitet, uns gegenseitig angeregt, das ging schneller; sicher oberflächlicher, aber auch spontaner. Das eigene Arbeiten jetzt ist mehr eine Suche, ein viel langwierigerer Prozess. Wenn ich allein bin, verwerfe ich immer wieder alles, was ich gerade gemacht habe, suche nach einer Totalität, während ich in der Zusammenarbeit mit anderen gezwungen war, einfach was rauszuwerfen. Kollektivarbeit lebt von der Anpassung des Einzelnen an ein Thema, während man allein sehr viel mehr von sich selbst ausgeht, viel von sich reinbringt, es wird subjektiver.“

Die ,Rote Rübe’ ist ja ein eindeutig politisches Theater. Was hat Katja politisiert? Persönliche Erfahrungen, Erlebnisse von Unterdrückung? „Ich hab vielleicht eine ungewöhnliche Jugend gehabt. Ich bin in einem Bauerndorf aufgewachsen, bin in die Dorfschule gegangen, dort war ich immer was Besseres, später kam ich in ein sehr reines Internat, da waren die anderen alle was Bessres. Dadurch habe ich mich nie ganz zugehörig gefühlt, das finde ich heute gut, ich glaube, dass jemand sehr starke Schwierigkeiten hat, wenn er in einer bestimmten Gesellschaftsklasse
stark verankert ist.“

Das erste, was sie ohne das Rübenkollektiv gemacht hat, ist der Beitrag in „Deutschland im Herbst“, die Szene, wo der Fremde zu der Pianistin in die Wohnung kommt. Eine unverständliche Szene, weil der Beitrag stark gekürzt wurde, um Szenen von Polizeikontrollen beispielsweise.

Katja versucht zu erklären, worum es ihr in diesem Beitrag ging. „Das allgemeine Misstrauen: niemand weiß, warum er kontrolliert wird, auch der Zuschauer weiß nicht, wer nun verdächtig ist und wer nicht. Wir wollten dem Zuschauer die Freiheit lassen, suchen zu können, wollten hinter all dem Chaos und dem Misstrauen die Menschen zeigen und wie das Misstrauen aufgesetzt ist, aber jede Handlung unheimlich bestimmt. Beispielsweise die Frau und der Mann: wenn das alles nicht wäre, würden sie sich vielleicht sehr gut verstehen können. Doch man ist hilflos in solchen Situa-
tionen, man kann sich weder auf Gefühle, noch auf Menschenkenntnis oder Instinkt, man kann sich auf gar nichts mehr verlassen — es ist die totale Verunsicherung …“

Auch Katja ist im Augenblick verunsichert – eine Verunsicherung, die sie sich bewusst selbst ge-
schaffen hat, die sie als positiv erlebt. Ihre Pläne, das Drehbuch, an dem sie schreibt? „Eigentlich wollte ich die ,Häutungen’ von Verena Stefan verfilmen, aber uns wurde klar, dass ,Häutungen’ zu stark von der Sprache lebt. Jetzt denke ich an einen mehr phantastischen Film: fünf Frauen, die eigentlich totale Außenseiterinnen sind. Sie tun sich zusammen, schlagen sich durchs Land — eigentlich eine Art Abenteuerfilm …“ Sie bricht ab, hat es noch nicht im Griff. „Wahrscheinlich wird das nicht das erste sein, was ich mache“, sagt sie nachdenklich.

Friederike Münch


♀Emma. Zeitschrift für Frauen von Frauen 5 vom Mai 1978, 16 f.

Überraschung

Jahr: 1973
Bereich: Kunst/Kultur