Materialien 1996
August Kühn
Aktion Autoren ins Klassenzimmer
Wenn ich gefragt werde, wie und warum ich zum Schreiben gekommen sei, dann antworte ich: Aus Einsicht in die Notwendigkeit! Ein ganz einfacher Durchschnittsmensch bin ich —, und ist dies nicht Voraussetzung, für eine Mehrheit meiner Mitbürger im Land, das zu schreiben, was nötig ist?
Denn noch immer überwiegt hierzulande diejenige Literatur, die ihre Tradition in feudaler Vergan-
genheit hat und für einen privilegierten Leserkreis angemessen ist, nicht aber für ein demokrati-
sches Gemeinwesen.
Mit meinen Texten, meinen Büchern versuche ich, den Lesern Anstöße zu geben für das Überden-
ken der eigenen Situation, der eigenen Geschichte und Tradition. Darum ist es mir darum zu tun, die Klarheit, die Präzision zurückzugeben, die das Deutsche in den vergangenen Jahrzehnten zu-
nehmend verloren hat —, ich schreibe ja nicht für mich und zu meiner Selbstverwirklichung, wie es zur hochgelobten Mode geworden ist, sondern für Leser.
Dementsprechend suche und finde ich meine Themen, meine „Stoffe“ im alltäglichen Leben derje-
nigen, die zur Mehrheit der Bewohner meines Landes gehören, der Arbeiter und Angestellten, Ju-
gendlichen und Hausfrauen und neuerdings, wegen meines Arbeitsquartiers im Chiemgau, auch der Bauern und Dorfhandwerker. (Die Senatoren, erfolgreichen Unternehmer, schließlich abge-
halfterten Politiker haben längst ihre honorarverwöhnten Lohnschreiber gefunden!)
Bevor ich 1971 mein erstes Buch, „Westendgeschichten, Biographisches aus einem Münchner Arbeiterviertel“ schrieb und veröffentlichte, hatte ich schon in einem optischen Werk in München Brillengläser geschliffen, danach entlassen, bei einer Boulevardzeitung als Volontär und Lokalre-
porter schon geschrieben. Nach einem Unfall in der Beweglichkeit eingeschränkt, somit „redakti-
onsunfähig“, musste ich als Verwaltungsangestellter „unterschlüpfen“.
Ende der sechziger Jahre wieder einmal arbeitslos geworden, machte ich das Schreiben schließlich zu meinem Beruf, nach den „Westendgeschichten“ entstand der Betriebsroman „Eis am Stecken“ (nun in Neuauflage beim Weltkreis-Verlag, Dortmund).
Es folgten die Familienchronik „Zeit zum Aufstehen“ (1975 beim S. Fischer Verlag, 1978 fürs ZDF verfilmt), der Schelmenroman „Jahrgang 22“ und dessen Fortsetzung „Fritz“ Wachsmuths Wun-
derjahre“, die politische Satire „Die Affären des Herrn Franz“, der umfängliche historische Roman „Die Vorstadt“.
Im vergangenen Jahr, 1984, erschien die Novelle „Wir kehren langsam zur Natur zurück“ und das Tagebuch meines langen Marsches durch die Republik, „Deutschland, ein lauer Sommer“. Einige meiner Bücher kann man in Übersetzungen in den USA und der UDSSR lesen. In meiner Heimat aber wird es zunehmend schwieriger, mit Literatur Gehör zu finden, weshalb ich 1984 ein Viertel-
jahr lang zu meinen Lesern unterwegs war, von Reit im Winkel bis Flensburg.
Häufig war ich in den vergangenen Jahren schon zu Lesungen in Schulen, Volkshochschulen, Ge-
werkschaftsseminaren und Buchhandlungen unterwegs, und gerne werde ich auch in Zukunft den Einladungen zu solchen Veranstaltungen folgen, um mit Lesern ins persönliche Gespräch zu kom-
men. Ist doch ein Schreiber, ein Autor bei seiner Arbeit am Schreibtisch sehr allein. Die Ausspra-
che mit den Literaturinteressierten kann ihm wichtige Aufschlüsse darüber geben, was von ihm erwartet und verlangt wird, besser als das ein Verlagslektor je können wird.
Meine finanzielle Lage und die hohen Lebenshaltungskosten, die um einen Schriftsteller keinen Umweg machen, erfordern es, dass ich mir eine solche Lesung mit DM 450,- honorieren lassen muss, zuzüglich der Fahrtkosten mit der Bundesbahn und der Übernachtungskosten. (Es sind meist zwei Tage, die ich dafür unterwegs sein muss!)
Da ich meiner Familie mit fünf noch schulpflichtigen Kindern nicht zumuten kann, mit einem konzentriert arbeitenden Dichter in einer Mietwohnung zu leben und zu leiden, habe ich mich in die oberbayerischen Berge zum Schreiben zurückgezogen, nach 8218 Hinterwössen, Hellenstall 10 a, Tel. 08640/8199, wo ich an den Wochentagen erreichbar bin. Am Wochenende erreicht man mich auch in 8 München, Jutastraße 16, Tel. 089 — 12934 08.
päd. extra. Magazin für Erziehung, Wissenschaft und Politik 4 vom 15. April 1985, 33.