Materialien 1986
Die Wahrheit von Trudering
Jetzt endlich wissen wir, wie und vor allem warum das passieren konnte in Tschernobyl. Nicht etwa menschliches Versagen hat zu dem Unglück geführt – nein, es ist alles noch viel, viel schlim-
mer. Der Super-GAU von Tschernobyl ist nichts anderes als die Fortsetzung der marxistisch-leni-
nistischen Weltrevolution mit neuen, unorthodoxen Mitteln. Einfach gesagt: Die Russen haben ihren Reaktor nicht ungern durch- und ein paar Leute draufgehen lassen, auf dass ihre „Hinter-
männer und Drahtzieher“ hierzulande endlich das erwünschte Chaos anrichten und der Sowjet-
union die „Obergewalt“ in Europa verschaffen können.
Die schonungslose Aufdeckung dieser gigantischen Verschwörung verdanken wir Franz Josef Strauß, dem Meister der scharfen Analyse, dem kühnen Übermittler der ungeschminkten Wahr-
heiten. Damit kein Irrtum aufkommt: Es handelt sich mitnichten um die Rohfassung einer aus-
schließlich für den Bayerischen Rundfunk produzierten Scheibenwischer-Sendung, in der sich Strauß als Satiriker von rechts versucht. In einem Bierzelt in München-Trudering hat er vielmehr nach Wochen der Ratlosigkeit seine Sprache wiedergefunden und 4.000 jubelnde Landsleute von der dumpfen Ungewissheit über die wahren Zusammenhänge befreit.
Gefreut haben sich die Leute auch deshalb, weil ihnen Strauß die Sicherheit mitgeben konnte, dass der teuflische Plan der Kommunisten noch nicht aufgegangen, das Schlimmste („Rot-grünes Chaos“) noch abzuwenden sei. Den „großen strategischen Sieg“ können die Russen nämlich erst nach einem weiteren Bauernopfer a la Tschernobyl einfahren, wenn sie sich nämlich ein zweites Unglück dieser Art „leisten“ und die Deutschen dann wieder so hysterisch reagieren würden. Die Parole von der kommunistischen Weltverschwörung läuft wie geschmiert durch die CSU. Keine Hoffnung also, dass Strauß in Trudering vielleicht nur die Sicherungen durchgebrannt sein könn-
ten, und sich das CSU-Kraftwerk vorübergehend selbsttätig abschaltet.
sti
Süddeutsche Zeitung vom 4. Juni 1986