Materialien 1986

Grußwort zur Frauendemonstration am 20. Juli in Wackersdorf

5. Juli 1986

Sehr verehrte Frau Korte,

die von Ihnen für den 20.7.86 geplante Demonstration in Wackersdorf ist für Sie und Ihre Mit-
streiterinnen gewiss kein Spaziergang. Die dortigen Machthaber ließen in den letzten Wochen und Monaten keinen Zweifel daran, zu welchen Mitteln zu greifen sie gewillt und fähig sind, um den Widerstand der Bevölkerung gegen den Bau der WAA zu brechen. Bürgerkriegähnliche Zustände wurden in Kauf genommen oder sogar provoziert, um unser aller Widerstand als staatsfeindliche Aktion von „Kriminellen und Chaoten“ zu klassifizieren und mit den Mitteln der Staatsgewalt schließlich zu unterdrücken. Aber mit jedem Wasserwerferstrahl, mit jedem Hartgummigeschoss und mit jedem Giftgaseinsatz entlarven sich die Machthaber selbst und beweisen ihr höchst man-
gelhaftes Demokratieverständnis. Ist doch der gewaltfreie Widerstand eines der wichtigsten legiti-
men demokratischen Mittel der unmissverständlichen oppositionellen Meinungsäußerungen, im Falle Wackersdorf inzwischen wahrscheinlich sogar einer Majorität der Bevölkerung in der Bun-
desrepublik Deutschland. Doch ist es für die gegenwärtig bei uns Regierenden natürlich leichter, Demonstrationen zu verbieten, zu unterdrücken oder mit Gewalt aufzulösen, als sich argumentativ mit den berechtigten Bedenken der Bevölkerung auseinanderzusetzen. Dazu fehlen ihnen offenbar nicht nur Wille und Kraft, sondern auch Wissen und intellektuelle Fähigkeiten.

In der Diskussion mit den Demonstranten müssten die Herren der Macht ja wohl zugeben, dass alle Atomkraftanlagen schon im störungsfreien Normalbetrieb gesundheitsschädigend, durch ihre unvermeidlichen Unfälle aber äußerst lebensbedrohlich sind. Sie müssten zugeben, dass die Ge-
winnung von Atomkraft auf einer sehr komplizierten, undurchsichtigen und auf die Dauer unbe-
herrschbaren Technologie beruht. Sie könnten unserem Argument nichts entgegensetzen, dass von den zahlreichen gefährlichen Atomkraftanlagen eine WAA die gefährlichste ist, und zwar weil sie das Zigfache der Radioaktivität eines AKW enthält und in die Umgebung entlässt, weil sie noch störanfälliger ist als ein AKW, zudem aber auch noch überflüssig und sinnlos ist. Denn eine WAA hat nichts zu tun mit der Entsorgung abgebrannter, hochradioaktiver Brennstäbe, im Gegenteil, das Volumen des schließlich zur Endlagerung kommenden radioaktiven Abfalls nimmt durch die Wiederaufarbeitung sogar noch zu. Der einzige Sinn einer WAA ist die Gewinnung von Plutonium, das aber – nachdem der Schnelle Brüter „gestorben“ ist – nur noch zur Produktion von Atombom-
ben zu gebrauchen ist. Aber das gerade will niemand von uns. Noch mehr Atomwaffen können wir auf der Erde nicht brauchen. Unsere einzige Lebenschance ist doch der Abbau sämtlicher Atom-
waffen in allen Staaten der Erde. Die WAA ist der Angelpunkt zwischen atomarer Bewaffnung und „friedlicher“ Nutzung der Atomkraft. Auch das dürfen wir nicht vergessen, wenn wir diesem gefrä-
ßigen Moloch den Garaus machen wollen.

Heute wünsche ich Ihnen und Ihren Mitstreiterinnen die Kraft des Herzens und des Körpers, die nötig ist, um diesen uns alle belastenden Kampf durchzustehen. Unsere Kinder und Folgegenera-
tionen werden Ihnen rückschauend für Ihr Tun zu danken wissen.

Mit vielen guten Wünschen für Ihre weitere Arbeit grüßt Sie herzlich
Ihr
Herbert Begemann


Material Cornelia Blomeyer

Überraschung

Jahr: 1986
Bereich: Atomkraft