Materialien 1992

Maria Mandlinger

Maria Mandlinger kam nach ihrer Schulzeit zunächst „in Stellung“. Sie heiratete und brachte zwei Kinder zur Welt. Um das Familieneinkommen aufzubessern, strickte sie Jacken für ein Trachtengeschäft. Neben einem Geldbetrag erhielt sie pro Jacke ein Knäuel Wolle. Daneben arbeitete sie zeitweilig in einer Gastwirtschaft. 1952 lernte Maria Mandlinger eine Zeitungsausträgerin kennen und begann bald darauf selbst, Zeitungen auszutragen. Im Vergleich zu ihrer bisherigen Arbeit war der Verdienst annähernd gleich, der Zeitaufwand dagegen wesentlich geringer. Die nächtliche Arbeit ermöglichte ihr, sich tagsüber um ihre mittlerweile schulpflichtigen Kinder zu kümmern. Ab 1954 bestritt Maria Mandlinger, inzwischen alleinerziehend, den Unterhalt für sich und die Kinder weitgehend allein.

Maria Mandlinger war vom 1. Februar 1952 bis zum März 1997 als Zeitungsausträgerin tätig, und zwar bis 1975 beim Münchner Merkur, dessen 138 Abonnenten in München-Altaubing sie belieferte. Die Zeitungen wurden frühmorgens per Zug aus München geliefert. Wesentlich dünner als heute, passten alle Exemplare in eine Tasche. Vergütet wurden nur tatsächlich ausgetragene Zeitungen. Urlaub der Abonnenten bedeutete für die Zeitungsausträgerinnen und -austräger also Verdienstausfall. Bis 1975 stieg bei jeder Zeitungspreiserhöhung auch der Trägerlohn. Das „Zeitungsrad“ stellte der Verlag, der bei Pannen auch einen Mechaniker zur Reparatur schickte. Als 1975 die Bayerische Zeitungsvertriebsgesellschaft (BZG) gegründet wurde, änderten sich die Arbeitsbedingungen der rund 1.200 Trägerinnen und Träger in München und im Landkreis München: Jede bzw. jeder erhielt eine Tour und trug nun sämtliche in seinem Sprengel abonnierten Zeitungen (Süddeutsche Zeitung, Münchner Merkur, tz und Abendzeitung) aus. Die zu bewältigende Strecke wurde kleiner, gleichzeitig stieg die Zahl der Abonnenten und die Arbeit wurde lukrativer. Für Maria Mandlinger bedeutete dies: sechsmal in der Woche um 2.00 Uhr nachts aufstehen und ab 4.00 Uhr bei jedem Wetter ca. 400 Zeitungen zustellen.

Mit Beginn der 90er Jahre verschlechterten sich die Arbeitsbedingungen. So weigerte sich nun die Vertriebsgesellschaft, Maria Mandlinger „ihre“ Zeitungen nach Hause zu liefern: Künftig sollte sie ca. 400 Zeitungen im 1,8 km entfernten Nachbarort abholen: Mit gewerkschaftlicher Hilfe erreichte sie die Einhaltung der Bestimmungen ihres Arbeitsvertrages durch den Arbeitgeber; die Zeitungen wurden weiterhin angeliefert.

Im April 1980 wurde Maria Mandlinger Mitglied der Gewerkschaft IG Medien. 1981 kandidierte sie für die erstmals stattfindenden Betriebsratswahlen in der Bayerischen Zeitungsvertriebsgesellschaft. Der für drei Jahre gewählte Betriebsrat bestand zu zwei Dritteln aus Frauen. Maria Mandlinger nahm ihre neue Aufgabe sehr ernst und besuchte neben ihrer Arbeit regelmäßig Schulungen der IG Medien.

Seit 1987 hatte sich die IG Medien vergeblich um einen Tarifvertrag für Zeitungsausträgerinnen und -austräger im Raum München bemüht. Im Mai 1992 rief die Gewerkschaft zum Streik auf. Gefordert wurden eine jährliche Tariferhöhung, Zuschläge für Nachtarbeit und Samstagsarbeit, das Bereitstellen eines kostenlosen Transportmittels; außerdem sollte es bei einer Unterbrechung des Abonnements keinen Verdienstausfall geben. Von Mai bis Oktober 1992 fanden 16 Streiktage in unterschiedlicher Form statt. Maria Mandlinger, damals bereits seit 40 Jahren Zeitungsausträgerin, wurde zur Leitfigur dieses Streiks.

1990 hatten 16 kleine Vertriebsfirmen mit Subunternehmen die Verteilung der Zeitungsabonnements im Raum München übernommen. Während der jeweilige Geschäftsführer dieser Firmen 75,1 Prozent der Geschäftsanteile hielt, waren die restlichen in den Händen des Süddeutschen Verlags, dessen Abonnenten den überwiegenden Teil des Umsatzes der Vertriebsgesellschaften erbrachten. Der Verlag fühlte sich deshalb besonders betroffen und versuchte (vergeblich) mit Einstweiligen Verfügungen, den Streik sowie das Verteilen von Flugblättern durch die Zeitungsausträgerinnen und -austräger verbieten zu lassen. Als Gegenmaßnahme wurden Streikbrecherkolonnen gebildet, der Verlag wiederum drohte mit fristlosen Kündigungen. Außerdem mussten die Zustellerinnen und Zusteller unentgeltlich Briefe des Verlags an die Abonnenten verteilen, worin der Streik als unmotiviert und rechtswidrig bezeichnet wurde. Aus Furcht um ihren Arbeitsplatz waren schließlich immer weniger zum Streik bereit. Ergebnis des Arbeitskampfes war deshalb auch nicht der angestrebte Tarifvertrag, sondern eine Vereinbarung, die für die Zeitungsausträgerinnen und -austräger immerhin eine stufenweise Anhebung ihres Grundlohnes sowie sechs Tage mehr Urlaub brachte. Auch sollte der Stücklohn jährlich überprüft werden. Da Münchens Zeitungen (verständlicherweise) über den Streik kaum berichteten, wurde der Arbeitskampf in der Öffentlichkeit nur wenig wahrgenommen.

Einen Tarifvertrag für Zeitungsausträger/innen gibt es in Bayern noch immer nicht.

Maria Mandlinger blieb bis 1994 Betriebsrätin. Von 1987 bis 1988 war sie zudem als von der Gewerkschaft entsandte Beisitzerin beim Münchner Sozialgericht tätig. 1991 wurde sie für ihr gewerkschaftliches Engagement für die Belange ihrer Berufsgruppe mit der Medaille „München leuchtet“ ausgezeichnet.

Brigitte Huber

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Quellen: Schriftverkehr der IG Medien sowie Interview mit Frau Mandlinger.

Lit.: Bayerl, Renate: Treppauf, treppab zum Abonnenten, in: Süddeutsche Zeitung (22.11.1988); IG Medien (Hg.): Morgenzeitung, 14.8.1992; Mandlinger, Maria: Wortmeldung, in: 2. Gewerkschaftstag IG Medien 11.-17. Oktober 1992 in Augsburg, Tagesprotokoll, 15.10.1992, S. 373.


Agnete von Specht (Hg.), Geschichte der Frauen in Bayern. Von der Völkerwanderung bis heute. Katalog zur Landesausstellung in den Ausstellungshallen im Klenzepark in Ingolstadt — 18. Juni bis 11. Oktober 1998, Augsburg 1998, 354 f.