Materialien 1985
Hiersemann beleidigt?
Gelingt es der SPD die WAA-Gegner zu spalten?
Jeder, der mit sachlichem Blick die sog. „Krawalle“ von München unter die Lupe nimmt, kommt zu dem Ergebnis, dass der Polizeieinsatz eine geplante und gezielt durchgeführte Operation war, um eine Diffamierung der Münchner Demo zu erreichen und so die Spaltung der Anti-WAA-Bewegung zu provozieren.
Wir können davon ausgehen, dass sich auch die Führungsspitze der SPD dieser Tatsachen voll bewusst ist. Trotzdem scheut sie nicht davor zurück, sich den Sprachgebrauch der CSU zu eigen zu machen, und wider besseren Wissens von uns WAA-Gegnern als von „Schreiern und Chaoten“ zu sprechen.
Was steckt dahinter?
Im Vorfeld der Demo hatte es ein recht widerliches Gerangel um die Sprecher auf der Abschlusskundgebung gegeben. Hirsemann hatte sich nur durch Erpressung und gegen den ausdrücklichen Willen der Bürgerinitiativen als Redner durchsetzen können (wir berichteten in der letzten RADI- AKTIV ausführlich darüber). Dieser Einsatz hat gezeigt, wie wichtig der SPD-Spitze diese Rede — u.a. als Auftakt für den Landtagswahlkampf — war.
Dass dieser Auftakt so kläglich scheiterte und Hirsemann als die „neue Kraft für Bayern“ schon nach drei Minuten von der Rednerbühne abtrat, weil mindestens die Hälfte der anwesenden Demonstranten ihren Unmut lautstark kundtaten, ist deshalb natürlich besonders peinlich.
Aber anstatt einmal nachzudenken und sich zu überlegen, warum zigtausende von WAA-Gegnern spontan mit Empörung reagieren, wenn ein Vertreter der Partei zu reden beginnt, die jahrelang selbst an der Umsetzung der Atom- und WAA-Pläne maßgeblich beteiligt war, bläst sich Hirsemann auf: Mehr als die Hälfte der Demonstranten, die durch Pfiffe und andere Unmutsäußerungen ihre Einschätzung der SPD-Politik offen zeigten, diffamierte er als eine kleine radikale Minderheit und als „Chaoten und Schreier“. Wilde Verschwörungstheorien wurden von Hirsemann aufgestellt, wer angeblich hinter seinem Desaster steckt. Als hätten Zehntausende auf ein geheimnisvolles Signal der Demonstrationsleitung hin als Marionetten funktioniert. Originalton Hirsemann: „Die, die gepfiffen haben, waren keine Bayern. Das waren Berufsdemonstranten.“ Soviel Plattheit und Dreistigkeit kannten wir in den letzten Jahren nur von der CSU.
Kommt jetzt die Spaltung?
Diesen Weg will Hirsemann offenbar weiter beschreiten. Schon hat er die nächsten Stationen angekündigt. Die SPD wolle zusammen mit dem Bund Naturschutz ein eigenes „Widerstandsbündnis“ eingehen. „Ungebetene, zu Radau und Gewalt neigende Randgruppen, denen es nicht um die Sache, sondern um Rabatz geht, müssen von diesem Pakt ausgeschlossen bleiben“, diffamierte Hirsemann die WAA-Gegner.
Damit spricht die „neue Kraft für Bayern“ all denjenigen AKW-Gegnern einen ernsthaften, effektiven Widerstand gegen die WAA ab, die nicht gewillt sind, den Vorstellungen der SPD in Sachen Anti-WAA-Bewegung zu entsprechen.
Mit dieser Aussage gibt Hirsemann die WAA-Gegner der Polizei gegenüber zum Abschuss frei — und das vor dem Hintergrund, dass viele dieser Leute bereits schon zu einer Zeit gegen die WAA und AKWs protestierten, als die SPD als Regierungspartei die WAA und Atompolitik der BRD mit allen Mitteln vorangetrieben hat.
Es bleibt nur zu hoffen, dass die aktive Basis der SPD, die vor allem in Oberpfalz sehr engagiert und konsequent gegen die WAA kämpft, diesen Schritt nicht mitmacht.
Uns ist nicht klar, wie die wenigen SPD-Köpfe im Bund Naturschutz diese Politik gegenüber der aktiven Basis des BN vertreten will, insbesondere denjenigen gegenüber, die in den letzten Jahren dem Bund Naturschutz in dem Glauben beigetreten sind, gemeinsam mit den Bürgerinitiativen einen geschlossenen Widerstand gegen die WAA leisten zu können.
Mit dem geplanten Extra-Bündnis erweckt die SPD den Anschein, sich von sog. „Krawallmachern“ absetzen zu wollen. Tatsächlich bedeutet die Durchführung dieses Plans, daß sich die SPD real von der gesamten Basis der Anti-AKW-Bewegung distanzieren würde. Es hat diese Spaltung in der Anti-AKW-Bewegung nämlich noch nie gegeben, was eine ihrer großen Stärken war und ist!
Und einer Tatsache sollte sich die SPD bewusst sein: Eine so machtvolle und erfolgreiche Demonstration wie in München wird sie alleine nicht auf die Beine stellen können. Insofern braucht die SPD die Anti-WAA-Bewegung — und nicht umgekehrt. Letzteres sollten die Bürgerinitiativen bei den kommenden Auseinandersetzungen deutlich zum Ausdruck bringen.
Lasst Euch nicht einschüchtern!
RadiAktiv – bayerisches Anti Atom Magazin Extra vom Oktober 1985, 4.