Materialien 1981

Der lange Atem

— ein gewöhnlicher Fall politischer Zensur
von Christoph Boekel

Zur Vorgeschichte: Im Frühjahr 1977 wurde von der Hochschule für Fernsehen und Film, München, das Treatment zu meinem Abschlussfilm unter dem Arbeitstitel „Der Kampf gegen die Wiederbewaffnung“ genehmigt und ein Produktionsvertrag abgeschlossen. Ich drehte daraufhin die Teile des Films, in denen Oskar Neumann, ein ehemaliger KPD-Funktionär, der sich in den 50er Jahren heftig gegen die Wiederaufrüstung engagiert hatte, aus seiner Sicht über die damaligen Ereignisse erzählt.

Im Januar 1980 legte ich nach gründlichen Recherchen ein umfassendes Drehbuch vor, auf dessen Grundlage zwei Nachkalkulationen bewilligt wurden. Die Hochschule bestreitet allerdings inzwischen, dieses Drehbuch jemals gesehen zu haben.

Im März 1981 war die Produktion abgeschlossen. Im Mai zeigte ich den Film in einem Münchner Kino. Die Resonanz war für einen Dokumentarfilm gut: 900 Besucher in insgesamt vier Vorstellungen. Die Vorführung war allerdings von der HFF nicht autorisiert worden, es gab Ärger, die Sache konnte aber beigelegt werden. Anfang Juli schickte die HFF — der Film war inzwischen von der zuständigen Fachabteilung abgenommen worden — an eine der drei an der Auswertung des Films interessierten Verleihfirmen einen Vertrag über die nichtkommerzielle Nutzung des Films. Diese Verleihfirma hatte bereits Verträge mit den Lizenzgebern von eingeschnittenem Archivmaterial abgeschlossen. Die HFF unterzeichnete allerdings ihr eigenes Vertragsangebot nie. Möglicherweise spielte dabei eine Rolle, dass die öffentliche Aufführung im Mai im monatlichen Verfassungsschutzbericht des inzwischen hinlänglich bekannten Herrn Langemann als verfassungsfeindliche Aktivität gewertet wurde.

Im September 1981 erfolgte die Abnahme durch die Prüfungskommission, die über meine Examensarbeit zu befinden hatte. Der Vorsitzende der Prüfungskommission und Präsident der Hochschule, Prof. Dr. Jedele, verlangte eine Prüfung des Films durch einen Juristen und einen Historiker.

Am 9. Oktober verbot die HFF per Telegramm die im Rahmen der Internationalen Filmwoche in Mannheim auf den 10. Oktober 1981 festgelegte Aufführung des Films mit der irreführenden Begründung, der Film verletze die Rechte Dritter. Was damit gemeint war, konnte ich erst in Erfahrung bringen, als man mir Einsicht in die fälschlicherweise als Gutachten bezeichnete Stellungnahme des Rechtsanwaltes der Hochschule gewährte. Diese Stellungnahme war so geheim, dass nicht einmal ich als Betroffener mir eine Ablichtung machen durfte. Ich sprach mir den Text auf Band (Textauszüge im Anhang).

Zu der angeblichen Verletzung der Rechte Dritter: Es wird unterstellt, ich hätte in dem Film die ehrverletzende Behauptung aufgestellt, der ehemalige Feldmarschall Erich von Manstein sei von einem britischen Militärgericht unter anderem wegen der Ermordung von Juden zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Diese Behauptung wäre in der Tat ehrverletzend, nur: ich habe sie nie aufgestellt. Ich zitiere lediglich aus einem Prozessbericht der Süddeutschen Zeitung, wonach Manstein unter anderem wegen Duldung des Judenmordes, ausgeführt durch die Einsatzgruppen der SS, verurteilt wurde.

Es wird mir also eine nie aufgestellte Behauptung unterschoben und daraus dann die Verletzung der Persönlichkeitsrechte von Mansteins konstruiert.

Weiter heißt es: „Auch die Szenen des Films, in denen Konrad Adenauer und Franz Josef Strauß direkt oder indirekt unterstellt wird, bei der Verfolgung politischer Ziele bewusst die Unwahrheit gesagt zu haben, können gleichfalls als Ehrverletzungen aufgefasst werden und rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.“ Dazu ist folgendes zu sagen: Franz Josef Strauß wird in dem ganzen Film nur ein einziges Mal erwähnt. Oskar Neumann zitiert den ja hinlänglich bekannten Strauß-Satz, es möge jedem die Hand abfallen, der jemals wieder ein Gewehr anfasse, und interpretiert in einem Nebensatz diesen im Wahlkampf 1949 gefallenen Ausspruch des nachmaligen Verteidigungsministers als „zum Zweck des Stimmengewinns“ getätigt. Was an dieser nun gewiss schon mehrere hundert Mal in Publikationen vorgenommenen Bewertung des Strauß-Wortes ehrrührig sein soll, vermag ich nicht auszumachen. Darüberhinaus: Wenn in Dokumentarfilmen betroffene Personen nicht mehr ihre persönliche Meinung sagen dürfen, kann man den Dokumentarfilm endgültig begraben.

Was Adenauer betrifft, so behaupte ich in dem Film nicht nur, er habe zur Durchsetzung politischer Ziele bewusst die Unwahrheit gesagt, sondern ich zeige dazu eine Reihe von Fakten. Und damit stehe ich ja keineswegs alleine: kein geringerer als der ehemalige Bundespräsident Gustav Heinemann hat in seinen Schriften und in Bundestagsreden stets diese Darstellung gegeben, übrigens auch Helmut Schmidt. Und Gustav Heinemann ist ja wegen der bewussten Irreführung der Öffentlichkeit in der Frage einer Wiederaufrüstung durch Adenauer als Innenminister 1950 zurückgetreten.

Weiter wird mir vorgeworfen: „Schließlich wird insbesondere der ersten deutschen Bundesregierung in ihrer Gesamtheit im Zusammenhang mit der Wiederbewaffnung durch die geschichtsverfälschend einseitige Darstellung der Vorgänge ein geradezu verfassungswidriges Verhalten unterstellt. Auch dieser Tatbestand könnte zum Anlass für rechtliche Maßnahmen gegen den Film genommen werden.“ Was damit gemeint sein könnte, ist schwer verständlich.

Der Anwalt der Hochschule kommt zu dem Schluss, dass die öffentliche Vorführung des Films untersagt werden müsse, da anderenfalls die Hochschule möglicherweise mit Prozessen zu rechnen habe, gleichzeitig Gefahr laufe, mit dem einseitigen Inhalt des Filmes identifiziert zu werden.

Zu der Einseitigkeit ist noch folgendes festzustellen: gewiss ist dieser Film parteilich. Ich mache keinen Hehl aus meiner Sympathie für die damalige antimilitaristische Opposition und meiner ablehnenden Haltung gegenüber Adenauers Wiederaufrüstungspolitik. Für „Ausgewogenheit“ ist doch reichlich gesorgt durch Darstellungen in Fernsehen, Presse, Rundfunk und Geschichtsbüchern, die zu einer anderen Beurteilung der damaligen Vorgänge kommen.

Ende Oktober schaltete ich meinen Anwalt Christian Ude ein. Er bat die HFF um Präzisierung der Vorwürfe und bot für den Fall nachweislicher Fehler Schnitte an. Darauf gab die HFF trotz mehrfacher Anmahnung bis heute keine sachbezogene Antwort.

Im Dezember 1981 konnte ich eine weitere, als Gutachten bezeichnete Stellungnahme, die die HFF von einem Historiker eingeholt hatte, einsehen. In der Öffentlichkeit wird dieser Historiker von der HFF gerne als Mitarbeiter des Institutes für Zeitgeschichte ausgegeben. Das ist nicht richtig. Er war der HFF lediglich vom Direktor dieses Instituts genannt worden. Dieser bayrische Historiker, Hermann Graml, hat sich durch seine Publikationen als äußerst konservativer Zeitgeschichtler ausgewiesen. Seine extrem konservative Position wurde in der Wanderausstellung „Es geht ums Leben“ der Gustav-Heinemann-Initiative und der Abrüstungsinitiative der Bremer Kirchengemeinden deutlich gemacht. Auch Graml kann in seiner Stellungnahme keinen einzigen Fehler meiner Darstellung nachweisen. Er kommt lediglich zu einer anderen Beurteilung der Ereignisse und bemängelt, dass der Film nicht die ganze Weltgeschichte auf einmal erklärt. Als Kostprobe den ersten und vorletzten Satz seiner Stellungnahme: „Der genannte Film hat mit den Realitäten der späten 40er und 50er Jahre so wenig zu tun, dass der Historiker den offenbar erhobenen Anspruch des Films, einen geschichtlichen Vorgang oder doch einen Ausschnitt aus diesem Vorgang wenigstens mit dem Bemühen um Objektivität bzw. um Wirklichkeits- und Wahrheitsnähe zu zeigen, als geradezu grotesk bezeichnen muss.“ „Dass jedoch der Film die Erklärungen Neumanns nicht mit einem einzigen kommentierenden Satz relativiert, wird nur dann verständlich, wenn man endgültig akzeptiert, dass nicht ein historischer Aufklärungsfilm, sondern ein Film im Sinne kommunistischer Propaganda beabsichtigt war“.

Die inhaltliche Auseinandersetzung mit Gramls Stellungnahme durch meinen Anwalt, der ebenfalls Zeitgeschichte mit dem Schwerpunkt 50er Jahre studiert hat, blieb durch die HFF bis heute unbeantwortet.

Mitte Februar 1982 sah ich mich durch das beharrliche Schweigen der HFF gezwungen, den Fall an die Öffentlichkeit zu bringen. Daraufhin erhielt ich von der HFF einen vordatierten Brief, in dem das Aufführungsverbot wiederholt wurde. Als Begründung wurden lediglich „erhebliche rechtliche Bedenken“ angeführt und weiter: Herr Graml stelle „dem Film vor allem in historischer Hinsicht ein äußerst negatives Zeugnis aus“. Mein Vorschlag, sollten Fehler nachzuweisen sein, diese zu korrigieren, wurde kommentarlos abgelehnt, ebenso mein Angebot, der HFF die Produktionskosten zu erstatten und den Film freizukaufen.

Den Vorwurf der Zensur weist die HFF weit von sich. Sie sei schließlich Produzent und habe das Recht, mit ihren Produktionen zu machen, was sie wolle.

Auf der Berlinale 1982 beschloss der Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm, deren Mitglied ich bin, eine Protestresolution mit der Forderung nach Freigabe des Films.

In Oberhausen erhielt „Der lange Atem“ den Preis der deutschen Filmkritik für das Jahr 1982 mit folgender Begründung:

„Der Film belegt mit sorgfältig recherchiertem dokumentarischen Material, dass die Remilitarisierung der Bundesrepublik Deutschland durch die Regierung Adenauer gegen den Willen einer großen Mehrheit der Bevölkerung durchgeführt wurde und macht eine unterdrückte Tradition der heutigen Friedensbewegung bewusst. Die Jury der Arbeitsgemeinschaft der Filmjournalisten bedauert, dass dieser wichtige Film von der HFF zurückgehalten wird und fordert seine unverzügliche Freigabe.“

Für die HFF wurde die Geschichte immer unangenehmer. Ein bekannter Fernsehdokumentarist, den die HFF als Dozent verpflichtet hatte, sagte aus Protest seine Lehrveranstaltung ab.

Im Sommer 1982 bot die HFF Verhandlungen an, lehnte aber eine Freigabe des Films weiterhin kategorisch ab. Es konnte schließlich ein Vergleich ausgehandelt werden, in dem die Hochschule mir wenigstens die Rechte an meinem Drehbuch, die durch den Produktionsvertrag an sie übergegangen waren, wieder zurückgab. So war der Weg frei, den Film ein zweitesmal zu produzieren.

Beate Rose und ich drehten DER LÄNGERE ATEM. Das war kein Vergnügen und auch nicht billig. So gibt es also zwei nahezu identische Filme, wovon der eine vom Produzenten zensiert ist, der andere, weil wir selbst Produzenten sind, gezeigt werden kann.

Ich hätte natürlich auf die Freigabe des Filmes klagen können. Die HFF kündigte für diesen Fall an, bis in die letzte Instanz zu gehen. Mit der üblichen Verschleppungstaktik hätte das bis zum Ende dieses Jahrzehntes gedauert.

ANHANG

DIE „GUTACHTEN“

Die HFF schiebt als Begründung ihres Aufführungsverbotes sogenannte „Gutachten“ vor. Dies geht unter anderem aus einem Telegramm hervor, mit dem die Vorführung des Films „Der lange Atem“ im Rahmen der Internationalen Filmwoche Mannheim 1981 kurzfristig untersagt wurde:

BEI DER VORLIEGENDEN FASSUNG WERDEN NACH DEN DER HOCHSCHULE JETZT ZUGEGANGENEN GUTACHTEN DURCH DIE OEFFENTLICHE VORFUEHRUNG RECHTE DRITTER VERLETZT.

Bereits mit der Bezeichnung „Gutachten“ wird die Öffentlichkeit irregeführt. Es wird der Anschein von unabhängigen, über den Parteien stehenden Beurteilungen erweckt. In Wirklichkeit handelt es sich bei dem „Rechtsgutachter“ um den Anwalt der Hochschule, der im Sinne seines Auftraggebers ein bereits intendiertes Aufführungsverbot juristisch zu untermauern versucht. Auch die Behauptung, es würden Rechte Dritter verletzt, ist irreführend. Gemeinhin versteht man darunter im Filmbereich das Nichtablösen von Fremdrechten an eingeschnittenen Filmmaterialien oder Musiken. Davon kann keine Rede sein; es verbirgt sich etwas ganz anderes hinter dieser Formulierung (s.u.).

Im folgenden zitiere ich aus dem an den Präsidenten der HFF, Prof. Dr. Helmut Jedele, gerichteten „Gutachten“ und der juristischen Würdigung und Entgegnung durch meinen Anwalt Christian Ude.

„Gewichtigster“ Vorwurf:

„Am gewichtigsten ist … die unrichtige Behauptung, Generalfeldmarschall von Manstein sei von einem britischen Militärgericht unter anderem wegen der Ermordung von Juden zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Diese falsche Behauptung erfüllt den Tatbestand der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener gemäß § 189 StGB.“

Sachliche Richtigstellung durch meinen Anwalt:

„Es ist … nicht richtig, dass der Film die Behauptung aufstelle, Generalfeldmarschall von Manstein sei von einem britischen Militärgericht unter anderem ‚wegen der Ermordung von Juden’ zu einer Haftstrafe verurteilt worden … In Wahrheit referiert der Film nur, dass von Manstein vom britischen Militärgericht neben vielen anderen Kriegsverbrechen die ‚Liquidierung von Juden und Andersrassigen durch die Einsatzgruppen der SS’ zur Last gelegt wurde, also die die von Ermordungen durch SS-Einheiten und nicht die Anordnung dieser Verbrechen gegenüber eigenen Befehlsuntergebenen. Diese Darstellung ist m.W. historisch korrekt und wurde in der zeitgenössischen Tagespresse, die in der entsprechenden Filmpassage nur wortgetreu referiert wird, auch in dieser Form gegeben, ohne dass jemals eine Berichtigung vorgenommen werden musste.

Mein Mandant legt auf diesen einzelnen Schuldvorwurf in der langen Kette schwerster Kriegsverbrechen aber keinen besonderen Wert und ist bereit, diese Stelle, falls rechtliche bzw. historische Bedenken in irgendeiner Weise substantiiert werden können, zu schneiden bzw. unkenntlich zu machen. Eine rechtliche Würdigung der Behauptung, das Zitat des Militärgerichtsurteils erfülle den Straftatbestand der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener, erspare ich mir im Interesse einer sachlichen Atmosphäre.“

Mit anderen Worten: Was am „gewichtigsten“ ist, erweist sich bei näherem Hinsehen als eine mir unterschobene, von mir nie getätigte Behauptung. Das Vorgehen des „Gutachters“, daraus eine Straftat zu konstruieren, ist mehr als unseriös.

Der „Gutachter“ fährt fort:

„Auch die Szenen des Films, in denen Konrad Adenauer und Franz Josef Strauß direkt oder indirekt unterstellt wird, bei der Verfolgung politischer Ziele bewusst die Unwahrheit gesagt zu haben, können gleichfalls als Ehrverletzungen aufgefasst werden und rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.“

Dem hält mein Anwalt entgegen:

„Weder verständlich noch substantiiert ist die weitere Behauptung, der Film unterstelle den Politikern Konrad Adenauer und Franz-Josef Strauß, bei der Verfolgung politischer Ziele bewusst die Unwahrheit gesagt zu haben, und dies könne als Ehrverletzung aufgefasst werden. Leider sagt das ‚Gutachten’ nicht einmal aus, welche Aussagen des Filmes überhaupt gemeint sind. Erst recht wird kein Nachweis geführt, dass eine Aussage des Films unrichtig sei (nur dann aber kann eine rechtswidrige Ehrverletzung vorliegen). Jedenfalls wird sich weder durch Aufführungsverbote oder Androhung rechtlicher Schritte im Jahre 1981 ungeschehen machen lassen, dass Franz-Josef Strauß vor der Gründung der Bundeswehr öffentlich den Wunsch äußerte, jedem Deutschen, der ein Gewehr ergreife, möge die Hand abfallen. Ebenso unbestreitbar ist, dass Konrad Adenauer die Absicht zur Remilitarisierung im Deutschen Bundestag noch zu einem Zeitpunkt bestritten hat, als bereits Vorbereitungen hierfür getroffen wurden. Es mutet befremdlich an, über die Zulässigkeit derartiger zeitgeschichtlicher Fakten in einem Dokumentarfilm streiten zu müssen.“

Dritter Vorwurf:

„Schließlich wird insbesondere der ersten deutschen Bundesregierung in ihrer Gesamtheit im Zusammenhang mit der Wiederbewaffnung durch die geschichtsverfälschend einseitige Darstellung der Vorgänge ein geradezu verfassungswidriges Verhalten unterstellt. Auch dieser Tatbestand könnte zum Anlass für rechtliche Maßnahmen gegen den Film genommen werden.“

Christian Ude:

„Unverständlich ist schließlich der dritte Einwand des Gutachters, der Bundesregierung ‚in ihrer Gesamtheit’ werde im Film im Zusammenhang mit der Wiederbewaffnung verfassungswidriges Verhalten vorgeworfen und dies könne Anlass zu rechtlichen Maßnahmen gegen den Film sein. Diese Kritik ist schon deshalb unerklärlich, weil der Film ausdrücklich hervorhebt und würdigt, dass der damalige Innenminister und spätere Bundespräsident Dr. Gustav Heinemann aus Protest gegen das Vorgehen des Bundeskanzlers im Zusammenhang mit der Wiederbewaffnung aus dem Kabinett ausgeschieden ist. So weit der Film eine Kritik am Vorgehen der Bundesregierung referiert, trifft sie also ausdrücklich nicht ‚die Bundesregierung in ihrer Gesamtheit’, sondern nur den Bundeskanzler und den Teil des Kabinetts, der sich mit den Methoden des Regierungschefs einverstanden erklärte. Im übrigen referiert der Film die Kritik an der Bundesregierung, indem er den damaligen Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, Dr. Kurt Schumacher, mit dem Vorwurf zu Wort kommen lässt, der Regierungskoalition fehle für die Remilitarisierung die ‚Legitimierung’, da die Bevölkerung bei keiner Wahl mit diesem Problem konfrontiert worden sei. Es stellt sich ernsthaft die Frage, ob die Hochschule für Fernsehen und Film die Wiedergabe von historisch zu nennenden Grundsatzreden des Oppositionsführers im Deutschen Bundestag für unzulässig hält und diese Auffassung auch in einer öffentlichen Auseinandersetzung vertreten will.“

Die Entgegnung und sachliche Richtigstellung durch meinen Anwalt blieb unbeantwortet. Auf die Bitte um Präzisierung der Vorwürfe und das selbstverständliche Angebot, sollten Fehler nachzuweisen sein, diese zu korrigieren, gab die HFF trotz mehrfacher Anmahnung bis heute keine Antwort. Die Mär von der Verletzung der Rechte Dritter wurde jedoch weitergesponnen. Im Mai 1982 wiederholte der Bayerische Kultusminister Hans Maier auf die Anfrage eines SPD-Landtagsabgeordneten den Vorwurf, der Film stelle „ehrverletzende Behauptungen“ auf.

Zurück zum „Gutachten“. Der „Gutachter“ fasst zusammen und geht mangels stichhaltiger Einwände zum ideologischen Teil seiner Ausführungen über:

„Es kann nicht angehen, dass die Hochschule als Produzentin der öffentlichen Vorführung eines Films zustimmt, wenn dadurch Rechte Dritter in strafrechtlich relevanter Weise verletzt werden. Darüber hinaus stellt sich der Film, der nach den Feststellungen von Herrn Graml durch eine völlig einseitige Darstellung und Weglassungen die historische Wahrheit verfälscht und zugleich den Anschein eines geschichtlichen Aufklärungsfilmes erwecken will, in Wirklichkeit als kommunistischer Propagandafilm dar. Dazu trägt besonders auch der Kommentator Oskar Neumann mit seiner sachlich scheinenden, aber absolut einseitigen Darstellung bei …

Eine öffentliche Vorführung des Films als Produktion der Hochschule würde zu einer Identifikation der Hochschule mit dem eindeutig kommunistisch-propagandistischen Gedankengut des Films führen, die mit der öffentlich-rechtlichen Stellung und Aufgabe der Hochschule unvereinbar wäre. Im Rahmen Ihrer Dienstpflichten als Präsident der Hochschule sind Sie daher gehalten, die öffentliche Aufführung eines solchen Films zu unterbinden. Eine andere Entscheidung würde eine Verletzung Ihrer persönlichen Dienst- und Aufsichtspflichten darstellen. Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass die öffentliche Vorführung des Films als einer Produktion der Hochschule für Fernsehen und Film erheblichen rechtlichen Bedenken begegnet. Der Film verletzt einerseits in seiner Darstellung in teilweise strafrechtlich relevanter Weise die Rechte Dritter und zeigt andererseits als kommunistischer Propagandafilm eine politische Tendenz, die mit dem öffentlich-rechtlichen Status der Hochschule unvereinbar ist.“

Außer dieser als „Rechtsgutachten“ bezeichneten Auftragsarbeit gab die HFF zur Legitimierung ihres Aufführungsverbotes bei dem rechtskonservativen Zeitgeschichtler Hermann Graml eine ebenfalls als „Gutachten“ ausgegebene Stellungnahme in Auftrag. Dass man die Vorgänge um die Gründung der Bundeswehr auch anders beurteilen kann als dies die offizielle bundesrepublikanische Geschichtsschreibung tut, ist diesem „Gutachter“ unfassbar:

„Der genannte Film hat mit den Realitäten der späten 40er und 50er Jahre so wenig zu tun, dass der Historiker den offenbar erhobenen Anspruch des Films, einen geschichtlichen Vorgang oder doch einen Ausschnitt aus diesem Vorgang wenigstens mit dem Bemühen um Objektivität bzw. um Wirklichkeits- und Wahrheitsnähe zu zeigen, als geradezu grotesk bezeichnen muss … Der Film verweigert dem Zuschauer die politische Situation, in der sich die Wiederbewaffnung Westdeutschlands vollzogen hat … Der Kalte Krieg … wird in dem Film nicht etwa unzulänglich behandelt, er wird nicht einmal erwähnt … Der Film stellt die Wiederbewaffnung Westdeutschlands simpel als Ergebnis einer Verschwörung etlicher amerikanischer Politiker, Industrieller und Bankiers dar, die dabei die Unterstützung einer von Adenauer geführten kleinen Gruppe in der Bundesrepublik fanden, und zwar als Ergebnis einer Verschwörung, für die weder plausible Gründe noch einsehbare Anlässe und gar keine Entwicklungsbedingungen gezeigt werden. Das ist – auch wenn Vergleiche stets hinken – doch so ähnlich, als würde man über den Widerstand im Dritten Reich einen Film drehen, in dem der Zuschauer nicht erfährt, dass es das nationalsozialistische Deutschland, Hitler und den zweiten Weltkrieg gegeben hat. Als Resultat eines solchen Verfahrens bietet jedenfalls dieser Film eine ungewöhnlich plumpe und törichte kommunistische Propagandaversion der damaligen Vorgänge.“

Dazu mein Anwalt Christian Ude:

„1. Das Thema des Films ist seit der Projektbeschreibung vom 22. März 1977 ‚Der Kampf gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands’, nicht hingegen die Zeitgeschichte seit 1945. Es ist deshalb verfehlt, dem Film vorzuhalten, dass die Entwicklung in der Deutschen Demokratischen Republik und der Kalte Krieg nicht abgehandelt werden. Aufgabe des Filmes ist es nicht, einen schon an den Schulen gelehrten, allgemein bekannten Abschnitt der Zeitgeschichte zusammenfassend noch einmal darzustellen, sondern im Gegenteil, einen thematisch eng begrenzten, weithin vergessenen oder verdrängten Vorgang der Zeitgeschichte ins Bewusstsein zu rücken.“

Graml fährt fort:

„2. Der Film informiert den Zuschauer falsch über die mit der Wiederbewaffnung verfolgten Ziele. Die Ausklammerung der sowjetischen Politik und aller sonstigen politischen Realitäten nutzend, behauptet der Film, die Wiederbewaffnung Westdeutschlands habe die Eroberung und ‚Rekolonisierung’ Ostdeutschlands und Osteuropas bis zum Ural ermöglichen sollen …“

Das mit der „Rekolonisierung“ behauptet nicht der Film, von der „Kolonisierung des Ostens“ spricht Konrad Adenauer 1953 auf der Grünen Woche in Berlin. Der Film bringt lediglich einen Original-Tonbandmitschnitt.

Christian Ude:

„2. Dasselbe ist zu der Kritik anzumerken, der Film informiere unzureichend über die Ziele der Wiederbewaffnung. Auch hier gilt: Die offizielle Begründung der Wiederbewaffnung ist jedem Bundesbürger zwangsläufig bestens bekannt, sie ist auch schon tausendfach in öffentlich geförderten oder vollständig öffentlich finanzierten Filmen dargestellt worden. Aufgabe dieses Films war es demgegenüber, unbekannte Hintergrundinformationen zu liefern, die in der Argumentation des Widerstands gegen die Wiederbewaffnung eine Rolle gespielt haben.“

Historiker Graml:

„3. Der Film behauptet entgegen der historischen Wahrheit, dass die Wiederbewaffnung Westdeutschlands gegen den Willen der Bevölkerung erfolgt sei, der die Regierung Adenauer nicht einmal die Chance gegeben habe, ihre Meinung zur Wiederbewaffnung deutlich zum Ausdruck zu bringen. Tatsächlich aber konnte sich die Regierung Adenauer, trotz einer zweifellos breiten Abneigung gegen die Wiederbewaffnung, auch in dieser Frage stets auf eine Mehrheit der Bevölkerung stützen, und das harte Vorgehen der Regierung gegen die kommunistisch gelenkten Volksbefragungsaktionen, die im Film eine so große Rolle spielen, ändert nichts daran, dass bei den Bundestagswahlen von 1953, als die Regierung den EVG-Vertrag längst unterzeichnet hatte, eine klare Majorität der Wähler für die Regierungskoalition stimmte und damit auch jenen wichtigsten und umkämpftesten Schritt der Regierung billigte.

Sowohl die damalige KPD wie die unabhängig von den Kommunisten gegen die Wiederbewaffnung agitierenden neutralistischen Gruppen und Personen (z.B. Nauheimer Kreis, Niemöller, Heinemann) stellten zahlenmäßig schwache und politisch einflusslose Bewegungen am Rande der westdeutschen Gesellschaft dar.“

Entgegnung meines Anwalts:

„3. Dass die Regierung Adenauer trotz oder wegen der Wiederbewaffnung bei den Bundestagswahlen 1953 eine Mehrheit erhielt, ist keinem potentiellen Filmbetrachter unbekannt. Dem Film kann deshalb nicht ernstlich vorgeworfen werden, diesen Sachverhalt ‚zu verschweigen’. Dem ‚Gutachten’ ist weiterhin entgegenzuhalten,

a) dass die im Film enthaltenen Aussagen über die Einstellung der Bevölkerung auf Meinungsumfragen gegründet sind;

b) dass die Einstellung zu Sachfragen und das Wahlverhalten bei stark personifizierten Wahlen (Kanzlerwahl) durchaus ‚auseinanderfallen’ können.“

„Gutachten“:

„4. Der Film erweckt einen falschen Eindruck von der Einstellung der SPD und der Gewerkschaften zur Wiederbewaffnung. SPD und Gewerkschaften können keineswegs, wie es im Film an einigen Stellen geschieht, einfach für die Front der Gegner der Wiederbewaffnung reklamiert werden. Zwar gab es sowohl in der SPD wie in den Gewerkschaften pazifistische und zeitweilig auch neutralistische Strömungen, die Führer aber und die Mehrzahl der Wähler bzw. Mitglieder waren weder grundsätzliche Gegner einer wirtschaftlichen und politischen Westintegration der Bundesrepublik noch grundsätzliche Gegner der Wiederbewaffnung.“

Gegenhalt:

„4. Der Film lässt Sprecher der SPD selbst zu Wort kommen, die Ablehnung der Wiederbewaffnung war in dem vom Film dargestellten Zeitraum offizielle Politik der SPD. Dass später ein Meinungsumschwung erfolgte, ist wiederum allgemein bekannt.“

Historisches „Gutachten“:

„5. Vor dem Hintergrund all dieser offensichtlich aus propagandistischen Absichten geschehenen Verfälschungen der historischen Tatsachen gibt der Film im übrigen einem Vertreter der damaligen KPD, Oskar Neumann, Gelegenheit zu einer groben propagandistischen Verzeichnung der Motive, die seinerzeit die KPD bei ihrer Opposition gegen die westdeutsche Wiederbewaffnung geleitet haben … Dass Neumann selbst seine damaligen Propagandaparolen, die in den Jahren der Diskussionen um die Wiederbewaffnung lediglich zur Werbung pazifistischer und neutralistischer Bundesgenossen bestimmt waren, wiederholt, ist nicht weiter verwunderlich. Dass jedoch der Film die Erklärungen Neumanns nicht mit einem einzigen kommentierenden Satz relativiert, wird nur dann verständlich, wenn man endgültig akzeptiert, dass nicht ein historischer Aufklärungsfilm, sondern ein Film im Sinne kommunistischer Propaganda beabsichtigt war.“

Christian Ude:

„5. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein Interview-Partner in diesem Interview die Chance erhält, sich und seine politischen Freunde in ein günstiges Licht zu rücken. Dürfte dies in einem Dokumentarfilm nicht mehr geschehen, müsste auf die Darstellungsformen Erzählung und Interview verzichtet werden.“


Dokumentarfilm von Christoph Boekel und Beate Rose mit Oskar Neumann, Konrad Adenauer und der Friedensbewegung der 50er Jahre: Der längere Atem. Antimilitaristische Opposition und Wiederaufrüstung in Westdeutschland 1945 – 1955. Herausgeber: UNIDOC-Film GmbH, Dantestraße 29, 8000 München 19, München 1983, 7 ff.

Überraschung

Jahr: 1981
Bereich: Zensur