Materialien 1959

Abscheulicher Simplicissimus!

Freunde, es ist schon maßlos traurig, wie die teure Ordnungszelle Bayern immer mehr verpreußt! Forsche, Zickezacke und Ruckzuck, von unerwünschten Zugereisten heimtückisch unters Volk gehustet, haben den einst so friedlichen Beamtenkörper durch und durch verseucht. Messerscharfe Staatsanwälte, meist nordischen Geblütes, wühlen Tag für Tag das Unterste zuoberst, bis sie, spätestens zum Weißwurstläuten, eine neue Strafakte auf den Tisch des Vorgesetzten legen können. Und die flotten Anträge, die die jüngeren Spunde unter ihnen der Madame Justitia machen, lassen diese längst nicht mehr erröten; sie hat ihr Klimakterium schon seit Jahrzehnten hinter sich und möcht’ ihr’ Ruah!

So bleibt es bei der neuen Forsche, beim Ruckzuck, und so konnte es geschehen, dass am Ostermittwoch, dem 1. April, der lästerliche SIMPLICISSIMUS, der um neun Uhr an die Händler ausgeliefert worden war, bereits um zehn Uhr, zackzack, und hastenichjesehn, beschlagnahmt wurde.

Der Staatsanwalt, der treffsicher aus der Hüfte schoß, konnte zwei Beförderungspunkte buchen: einmal, weil er, ungeachtet der durch harte Kühlhausostereier behinderten Peristaltik am Ostermittwochmorgen pünktlich im Amte hinterm Schreibtisch saß, zum anderen, weil er, bereits eine ganze Stunde vor dem Weißwurstläuten von der Materialverwaltung einen neuen Aktendeckel fordern konnte.

Der Ukas, den der messerscharfe Staatsanwalt, in Eile ausgebrütet hatte, wurde, noch pfotenwarm, eilends dem Landeskriminalamt zugeleitet und von diesem ferngeschrieben in das ganze Bayerland hinausgewichst. Wir führen ihn hier dem geneigten Leser abgelichtet vor, er ging

1. an alle Landpolizeidirektionen und Kriminalaußenstellen in Bayern,

2. an alle sonstigen Polizeidienststellen in Bayern mit Fernschreiber,

3. an das Bundeskriminalamt und alle LK.-Ämter,

4. nachrichtlich: an das Bayer. Staatsministerium des Inneren – Landesjugendamt.

Gleichzeitig pfiff der Münchener Oberinspektor Brumberger, der beauftragt war, die gedruckte Unzucht aufzuspüren, seinen Hanseln und sagte ihnen, was zu tun sei. Ehrbar, als gestandene Bürgersleut verkleidet, die Faust im Hosensack um den Rosenkranz geballt, zogen sie, eine schneidige Vorausabteilung des Staatsanwalts, leuchtenden Auges los, denn die Aussicht, ihr allgemeines Scham- und Sittlichkeitsgefühl in geschlechtlicher Hinsicht gefährden zu können, wird ihnen in München nur höchst selten zuteil.

Bei Grossisten, vor Zeitungskiosken und in braven Buchhandlungen lüfteten sie den grünen Felbel, fragten listig nach der neuesten Nummer des SIMPLICISSIMUS – aber sobald ihnen eine solche zum Zwecke des käuflichen Erwerbes ausgehändigt wurde, legten sie die durch unzählige amtliche Zugriffe schwielig gewordenen Pratzen drauf, geschickt Amtshandlung und Züchtigkeit verbindend.

Die Schlau- und Brumberger haben vortrefflich gearbeitet: es sind uns nur zwei Fälle gemeldet worden, wo man sie nicht gleich als Kriminalbeamte erkannte.

Das war am Ostermittwoch-Vormittag. Die Fahndung nach dem unzüchtigen SIMPLICISSIMUS überstürzte sich geradezu. Bereits am späten Nachmittag waren Rosenheim und Augsburg heimgesucht. Dann machten die Kriminalpolizei sowie die ordinäre Polizei Feierabend, weil’s schon fünfe war. Diese Polizei, sozusagen das Unteroffizierskorps der Justiz, setzte sich aus Gründen einer oft unzureichenden Bildung leider vornehmlich aus Eingeborenen zusammen, und die sind weniger wepsig als die zugereisten, akademisch behauenen messerscharfen Staatsanwälte. Sie lassen sich auf solche preußischen Hitzigkeiten nur ungern ein.

Geliebter Leser, nun kommt’s!

Wir, der betroffene SIMPLICISSIMUS, wurden Stunde um Stunde von den heimgesuchten Verschleißern angerufen – von der Staatsanwaltschaft erfuhren wir rein gar nichts. Auch Donnerstag, am Freitag, ja bis heute, eine Woche nach dem ersten Beschlagnahmetag, haben wir immer noch nichts von denen gehört, die die Geschichte ausgeheckt und sie betrieben haben.

Aber das, was unbedarfte Bundesbürger sportlich oder guten Ton nennen, hat ein messerscharfer Münchener Staatsanwalt noch lange nicht nötig.

Dagegen beinhaltet der Münchener Glaspalast, in dem Staatsanwaltschaft, Amts- und Strafgericht Tür an Türe mit dem Erzbischöflichen Ordinariat wirken, die als besonders emsig bekannte Justiz-Pressestelle, der ein ganzer Oberlandesgerichtsrat vorsteht. Eine solche amtliche Pressestelle ist, so sollte man meinen, wohl dazu da, Zeitungsleuten auf Ansuchen und gegebenenfalls mit genügender Vorsicht unentgeltlich Auskünfte zu geben.

Ihr irregeleiteten Demokraten! Nein, während wir bis heute noch auf eine amtliche Erklärung warten, hatte sich schon am ersten Tag der Beschlagnahme-Safari jener Oberlandesgerichtsrat an das amtliche kostenlose Telephon gehängt und die Münchner Reporter unaufgefordert von dem Unternehmen unterrichtet. Dank ihm, dem Herrn Oberlandesgerichtsrat – durch seine Emsigkeit erfuhren wir es am nächsten Tage wenigstens aus der Presse.

Am Donnerstag war der Schrei des Münchener Staatsanwalts schon bis Nürnberg vorgedrungen, am Freitag wurde in Hessen, in Hagen und in Bielefeld beschlagnahmt, und als die Woche rum war, hatte man gerade Hamburg und Elmshorn hinter sich gebracht, indes Berlin, Frankfurt und andere Städte aus unerfindlichen Gründen unbehelligt blieben.

Wir vom SIMPLICISSIMUS hatten alle Hände voll zu tun, die Nachbestellungen auf den
Weg zu bringen. Nach vier Tagen waren wir ausverkauft.

Was haben wir nun eigentlich verbrochen? Wir haben den SIMPLICISSIMUS als BLU-
BU, als Blut- und Busen-Illustrierte, herausgebracht, als Satire auf das Gehabe der derzeitigen Illustrierten. Nachahmen konnten wir sie nicht, das wäre Abklatsch, aber keine Satire gewesen. Kurzum, wir haben einmal das deutlich gesagt, was die Illustrierten seit Jahren jede Woche, aber ohne dass man sie fassen kann, schämig durch die Blume sagen. BLUBU war ein Test, der uns bestätigte, dass man mit scharfen Titel-Girls jede Menge Zaster raffen kann: der SIMPLICISSIMUS, der bis dahin nie solche Titelbilder brachte und auch in Zukunft keine solchen bringen wird, war wie noch nie und ohne Überbleibsel ausverkauft! So muss man’s also machen!

Und endlich: niemand kann uns vorwerfen, dass wir geheuchelt hätten – wir haben das Kind beim Namen genannt. Unsere Leser haben sich in nahezu unzähligen Zuschriften und Telegrammen auf unsere Seite gestellt, und nur zwei waren dagegen.

Auch ein Industrieller, der uns wegen eines politischen Titelbildeis seit zwei Jahren keine Anzeigen mehr gibt, war böse. Nun, Freunde, auch hier haben wir in die Wespen gegriffen – doch darüber soll Euch in einer der kommenden Nummern genau berichtet werden.

Um es gleich zu sagen: Wir wollen da keine Namen nennen, aber doch deutlich dartun, wie hinterhältig sich heutzutage gewisse Leute der Wirtschaft zusammen tun, um den SIMPLICISSIMUS auszuhungern.

Wenn wir aus dem Erfolg unserer BLUBU-Nummer etwas gelernt haben, so dies, dass wir wieder munterer werden müssen. Nun, ich, der Herausgeber, weiß am besten, was uns hier nottut und wo es bei uns fehlt. Gebt uns noch etwas Zeit!

So. und nun hocken im Münchener Justizpalast die Nachwüchslinge, die taufrischen Referendare, über unserem Strafrahmen und addieren fleißig, was sie uns oder vielmehr mir, dem Verantwortlichen, zugedacht haben. Sollen sie uns den Kanthaken unterschieben, wenden werden sie uns nicht können.

Denn was die republikanische bayerische Justiz anbelangt, so haben wir hier unsere Untertanenhemmungen schon seit langem überwunden. Heute stehen wir nachgerade auf du und du mit Kriminalern, mit Staatsanwälten, Richtern und Gerichtsdienern, und ein Vormittag, vor einer bayerischen Richtertheke verbracht, ist kein verlorener Vormittag: Da sitzt im schönen Kranze die gelehrte Jurisprudenz, verdaut ihr Frühstück, der Schöffe drückt verschämt die Augen ein, die Schöffin hat die fliegende Hitz’, der Sittenstaatsanwalt kaut Fingernägel, und mitunter sitzt sogar der Präsident des Amtsgerichts im Saal. Ach, und vielleicht ist er baß enttäuscht, wenn es in dem jeweiligen Simplicissimus-Prozess nicht so gepfeffert zugeht, wie er als lebensbeengter Familienvater mit Recht erwarten durfte.

Na, sollen sie uns!


Simplicissimus 16 vom 18. April 1959, 243.

Überraschung

Jahr: 1959
Bereich: Zensur