Materialien 1987

Das Deutsche Museum im Zangengriff

Im November 1986 wurde am Deutschen Museum in München ein neuer Mitarbeiter eingestellt. Gleichzeitig verschwand ein vom Museum herausgegebenes Buch über Kernenergie aus dem Vertrieb. Zwischen beiden Vorgängen besteht ein Zusammenhang.

Der neue Mitarbeiter: Dr. Robert Schwankner, Radio-Chemiker, einst Bundessieger im Wettbewerb „Jugend forscht“. Ausweislich der Zahl seiner Veröffentlichungen ein fleißiger Wissenschaftler. Erst kamen seine Bücher, dann kam er selbst. Mit einer solchen Bugwelle kann nur in seinen neuen Wirkungskreis gerauscht kommen, wer allerhöchste Protektion genießt. In diesem Falle die des CSU-Vorsitzenden Strauß, der dem Verwaltungsrat des Museums den jungen Mann wärmstens empfahl. Näheren Aufschluss über Hintergründe dieser Empfehlung gibt ein Bericht der Süddeutschen Zeitung über eine Veranstaltung der CSU im bayerischen Landtagswahlkampf in Schwabmünchen: „Auch nach der Tschernobyl-Katastrophe, die viele Ängste freigesetzt habe, gelte es, so Schwankner, was die Strahlenbelastung anbelangt, ,die Kirche beim Dorf zu lassen’, Besonnenheit an den Tag zu legen.“

Das Buch: Kernenergie, von Dipl. Ing. (Technische Physik) Sylvia Hladky, seit 1977 am Deutschen Museum und bis zum November 1986 dort zuständig für die Abteilung moderne Energietechnik; eine Arbeit, die Ende 1985 mit Hilfe von Fördermitteln des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft erschien. 92 Seiten über Atombau, Kernspaltung, Atombombe, Kernreaktor. Vom „Manhattan-Projekt“ bis zum Kernenergieprogramm der Bundesrepublik. Hervorragend von vielen Seiten beurteilt, unter anderem äußerte sich die KWU zufrieden über die sachliche Darstellung. In der Tat eine ausgezeichnete komprimierte Zusammenfassung des Wichtigsten aus der Geschichte der Kernenergie. Auch das Verschwinden dieses Buches war durch einen Brief aus den Reihen der CSU an den Verwaltungsrat des Deutschen Museums verursacht worden. Absender: Dr. Josef Vogl, Staatssekretär im bayerischen Umweltministerium. Die Kritik: drei (von 102) Photos gäben Demonstrationen gegen Kernenergieanlagen wieder, woraus sich schließen lasse, die Autorin stände in einem kritischen Verhältnis zu dieser Technologie; außerdem wurden drei sachliche Ungenauigkeiten bemängelt. Damit hatte der Verwaltungsrat einen Vorwand, um den Verkauf des Buches einstellen zu lassen. 38 Mitarbeiter, praktisch die gesamte wissenschaftliche Belegschaft des Deutschen Museums, protestierten in einem Brief an die Museumsleitung gegen diese Zensurmaßnahme und wiesen auf den dadurch entstehenden Schaden für den Ruf und die wissenschaftliche Unabhängigkeit des Museums hin. Der inzwischen von einer längeren Reise in die USA zurückgekehrte Generaldirektor Dr. Otto Mayr reagierte betroffen und gab das Buch, ohne auf weitere Zumutungen des Verwaltungsrates zu warten, umgehend wieder für den Verkauf frei.

Dem Verwaltungsrat dürfte es nur in zweiter Linie um das Buch gegangen sein. Vielmehr wurde ein Anlass gesucht und gefunden, um — nach einigen Rochaden — Frau Hladky von der Zuständigkeit für die Moderne Energietechnik zu entbinden, die Abteilung aufzuteilen in „Alternative Energietechnik“ — zuständig Dipl.-Ing. Sylvia Hladky — und „Kernenergie“ — zuständig Dr. Robert Schwankner. Der hat nun drei Monate Zeit für eine gründliche Kritik des Buches seiner Vorgängerin.

Für die Verwertung der Erstauflage hatte Dr. Ing. e.h. Bernhard Plettner (Siemens) in einem Gespräch mit Frau Hladky auch schon eine elegante Lösung parat: Die KWU werde die Restauflage zum Ladenpreis aufkaufen. Zwecks Endlagerung wohl. Die Veröffentlichung dieser Idee verhinderte jedoch bisher ihre Ausführung. Der Aufsichtsratsvorsitzende der Siemens AG hat sich schon mehrfach als ideologischer Wachhund der Schriftenreihen des Deutschen Museums betätigt. In der Sendung „Im Deutschen Museum: Keine strahlenden Verhältnisse?“ merkte das Mittagsmagazin des Bayerischen Rundfunks dazu an: „Allzu deutlich spürt man, dass in Bayern ein führender Elektrokonzern, der selbst Kernkraftwerke herstellt, ein gewichtiges Wort im Verwaltungsrat des Deutschen Museums mitzureden hat. Sein Interesse erstreckt sich auch auf die Veröffentlichungen des Deutschen Museums, egal, ob in der rororo-Reihe „Kulturgeschichte der Naturwissenschaft und Technik“ Mitarbeiter des Museums über „Kraft, Energie und Arbeit“ oder „Planen — Entscheiden — Herrschen“ (Computertechnik ist gemeint) berichten oder ob eine junge Physikerin ein Heft über ,Kernenergie’ erarbeitet hat.“

Worauf zielt die Kritik des Siemens-Mannes zum Beispiel an dem oben erwähnten Buch „Kraft, Energie und Arbeit“? Im einführenden Kapitel „Die unerschöpflichen Energien“ bezieht der Autor, Joachim Varchmin, die Muskelkraft in die Betrachtung ein. Herrn Plettner ist das aus zwei Gründen nicht recht, wie er dem damaligen Generaldirektor Stillger am 13. Juli 1981 schrieb:

„Gewiss kann man die Muskelkraft nicht quantifizieren; sie hat in einer Statistik über die Energiedarbietung bzw. den Verbrauch auch gar nichts zu suchen. Diese Statistik braucht man aber, wenn man über Energie redet.“ Unerschöpfliche Energien sind nicht die Energien, über die die Siemens AG reden möchte. Nicht ihr Geschäft. Gravierend aber zweitens: „Warum die Muskelkraft mit in die Betrachtung einbezogen wurde, wird bei der Lektüre des ersten Kapitels so recht klar … Sie gab Gelegenheit, gegen die Sklavenhaltung in der Antike, im neuzeitlichen Orient und vor allem in den Kolonien in Nord- und Südamerika zu polemisieren … Die Behandlung des Mittelalters gab dann Gelegenheit, die Leibeigenschaft und die damit verbundenen Frondienste zu brandmarken.“ Tatsächlich beschäftigt sich Joachim Varchmin mit der Frage der Verfügungsgewalt über Kraft und Energie. Dass man solche Frage nicht stelle! „Alles in allem, sehr geehrter Herr Stillger, ist es mir unbegreiflich, wie Sie zulassen konnten, dass eine derartig unqualifizierte Arbeit unter dem Schirm des Deutschen Museums erscheinen konnte … Ich bitte Sie zu überlegen, ob und wie diese entsetzliche Panne behoben werden kann und was zu unternehmen ist, um ähnliche Vorkommnisse in Zukunft zu verhindern. Kopie dieses Briefes gebe ich Herrn Dr. Moll und an die anderen Herren des Verwaltungsrates.“

Die Eingriffe des Verwaltungsrates des Deutschen Museums und der CSU zielen darauf ab, das Deutsche Museum wieder zur Walhalla „der Meisterwerke der Naturwissenschaften und der Technik“ zu machen, wie seine ursprüngliche vollständige, aber so nie realisierte Bezeichnung lautete. Technik auf dem Silbertablett. Keine Fragen.

Es sind dieselben Kräfte, die die Einrichtung einer ständigen Kommission Technikfolgenabschätzung hintertreiben, wie sie von Teilen der CDU, der SPD, den Grünen und dem Verband Deutscher Ingenieure (VDI) gefordert wird. Es sind dieselben Kräfte, die den Ansatz bekämpfen, Technik als Element eines ganzheitlichen Erklärungszusammenhanges aller Variablen des Entwicklungsprozesses zu behandeln, wie er etwa von der französischen Zeitschrift Annales, Economies, Sociétés, Civilisations vertreten wird.

Über die Folgen für das Deutsche Museum sei noch einmal aus der oben genannten Sendung des Bayerischen Rundfunks zitiert: „Als 1978 derselbe Elektrokonzern Frederic Vesters Ausstellung ,Unsere Welt, ein vernetztes System’ — gemeinsam mit anderen Sponsoren — unterstützte, versuchte er nachträglich, den bedeutenden Umweltforscher zu bewegen, das Kapitel ,Kernenergie’ nicht mit auf Wanderschaft zu schicken. Vester, inzwischen Professor an der Universität der Bundeswehr, hat die versuchte Einflussnahme auf die Arbeit und die Stellung der jungen Physikerin Sylvia Hladky so empört, dass er gestern in einem geharnischten Brief an Otto Mayr, den Generaldirektor des Deutschen Museums, seine Mitgliedschaft aufgekündigt hat … Vester steht mit seiner aufgekündigten Mitgliedschaft im Freundeskreis des Deutschen Museums nicht allein da: Jahr für Jahr beobachtet das Deutsche Museum sorgenvoll einen Rückgang dieser Mitglieder … Das Deutsche Museum schmort im eigenen Saft, völlig entgegen den Absichten seines Begründers. Immer mehr hochqualifizierte Mitarbeiter ergreifen die Flucht oder halten nach einer Fluchtmöglichkeit Ausschau. Wer hinter die Kulissen dieses wohl bedeutendsten technischen Museums der Welt schaut (1,4 Millionen Besucher im letzten Jahr), entdeckt nichts Strahlendes, spürt nur Druck, der zu Bedrücktheit geworden ist.“

Ralf Schmitt, München


Kommune. Forum für Politik, Ökonomie, Kultur 4 vom April 1987, 10 ff.

Überraschung

Jahr: 1987
Bereich: Atomkraft