Materialien 1954

Vor 41 Jahren: Der bayerische Metallarbeiterstreik 1954

Seit 41 Jahren stand die IG Metall Bayerns erstmals wieder im Streik. Die Erinnerung an die Ereignisse vor 41 Jahren steckt noch heute den Metallern und den Unternehmern Bayerns in den Knochen, obwohl nur wenige der heute Beteiligten diesen Streik selbst noch erlebt haben. Die IGM-Führung Bayerns traf diesmal alle mögliche Vorsorge, um nicht wie 1954 in den Streik hineinzustolpern und anschließend den Arbeitskampf aus dem Ruder laufen zu sehen. Ältere Arbeiter erinnern sich noch heute der Härte der Auseinandersetzungen, die in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellos war. Und die bayerischen Metallindustriellen denken noch heute mit Schrecken an die Auswirkungen dieses Streiks, der für Jahrzehnte das Klima in den Betrieben vergiftete.

Am 9. August 1954 traten über 100.000 der 240.000 Beschäftigten der bayerischen Metallindustrie in den Streik. Sie forderten eine Lohnerhöhung von 12 Pfennig auf den Ecklohn von 1,44 DM. Die bayerische IGM-Führung rechnete eher mit einem tarifpolitischen Spaziergang, zumal die Metaller von Nordwürttemberg/Nordbaden ihre Tarifrunde schon am 2. Juli erfolgreich abgeschlossen hatten. Auch das besondere »bayerische« Einvernehmen, das zwischen Verantwortlichen der IGM und Unternehmer herrschte, schien für eine solche Entwicklung zu sprechen. Doch diesmal kam alles anders.

Während des Streiks verweigerten sich die Unternehmer jeglicher Verhandlungen mit der IGM, solange diese nicht unverantwortliche Behauptungen und Beleidigungen zurücknähme. Die IG Metall hatte den Unternehmern vorgerechnet, dass nach Erfüllung der Gewerkschaftsforderungen im Volumen von 58 Mio. DM den Unternehmern noch immer 100 Mio. Unternehmerprofite verblieben. Darüber hinaus enthielt das Flugblatt Formulierungen wie: »Lass Dich von den Unternehmern nicht für dumm verkaufen … Mit Lügen und Verleumdungen versuchen sie, die Tatsachen auf den Kopf zu stellen …« etc.

Als vor dem Streik noch verhandelt wurde, hatten die Metallunternehmer ihre Gegenforderungen präsentiert: Erhöhung des Ecklohns um 8 Pfennig, wenn der Lohngruppenschlüssel zwischen Facharbeitern, Angelernten und Ungelernten verschlechtert wird. Bei einer solchen Verschlechterung wären 62 Prozent der Metallarbeiter mit Lohnerhöhungen von 1 bis 2 Pfennig praktisch leer ausgegangen.

Insgeheim hofften die Arbeitgeber mit ihrer Vorgehensweise auf eine Schlichtung durch die bayerische Staatsregierung. Der damalige Arbeitsminister Oechsle (SPD) fühlte sich persönlich tief getroffen, dass es ausgerechnet in Bayern zum Arbeitskampf kam, und bot unablässig seine Vermittlungsdienste an.

Eine besondere »List« der Gewerkschaftsführung, das Unternehmerlager aufzubrechen, erwies sich zunehmend als Bumerang. So wurden Betriebe aus dem Streik genommen, die bis zum endgültigen Abschluss des Arbeitskampfes die Forderungen der IGM anerkannten und honorierten. Die bayerischen Metallindustriellen billigten es, dass unsichere Mitgliedsfirmen Sonderabmachungen mit der IGM trafen. Für die IGM-Führung wurde es immer schwieriger, sich der Flucht in die Sonderabmachungen zu widersetzen. Am Ende des Ausstandes wurden 45.000 Beschäftigte gezählt, die unter die Sonderabkommen fielen. Ein schwerer Einbruch in die langsam zerbröselnde Streikfront, man darf nicht vergessen, dass der August auch Urlaubsmonat war.

Die Gegenmaßnahmen der Unternehmer steigerten sowohl Wut als auch Angst und Resignation der Beschäftigten. So kündigten sie den Arbeitern das Arbeitsverhältnis und die Werkswohnungen, auf der anderen Seite wurden ihre Methoden immer raffinierter, Streikbrecher in die Betriebe zu schleusen. Schließlich empfahl der Verband der Bayerischen Metallindustrie seinen Mitgliedern noch, Lohnerhöhungen in Höhe von 8 Pfennig vorzunehmen. Man kann sich leicht vorstellen, wie unter diesen Bedingungen die Auseinandersetzungen vor den Betrieben zwischen Streikposten, Streikbrechern und anderen Unternehmerknechten immer erbitterter wurden, besonders dort, wo die gewerkschaftliche Organisation in den Betrieben schwächer war. Gewerkschafter aus anderen Branchen verstärkten hier die Streikpostenketten, riegelten manchmal die Betriebe ab. In München setzte die Polizei Gummiknüppel gegen Streikende ein, in Augsburg wurde mit dem Einsatz der Schusswaffe gedroht, ein Gebäude der Firma Siemens in Amberg, das von Streikenden umstellt war, wurde durch Hundertschaften der Bereitschaftspolizei geschützt. Innenminister Hoegner (SPD) verfügte schließlich: »Förmliche Menschenansammlungen vor den Betrieben sind aus sicherheitspolizeilichen und verkehrpolizeilichen Gründen nicht zulässig. Eine zahlenmäßige Begrenzung der Streikposten … wurde erörtert … Die jeweilige Entscheidung muss dem örtlichen Leiter der Polizeieinsatzes vorbehalten bleiben.«

Das Ende des Arbeitskampfes brachte eine Schiedskommission der bayerischen Staatsregierung nach 18 Tagen erbitterter Auseinandersetzung. Ergebnis: Erhöhung des Ecklohns um 10 Pfennig, allerdings 62 Prozent der Beschäftigten erhielten durch die Veränderung der Lohnrelation nur eine Erhöhung zwischen 3 und 5 Pfennig. Folgenschwer sollte sich der Spruch des Schiedsgerichts erweisen, dass nur Arbeitnehmer, die lediglich wegen Teilnahme an der Arbeitsniederlegung als solcher entlassen worden sind, wieder eingestellt werden. Doch die IGM empfahl den Spruch des Schiedsgerichts zur Annahme in der Urabstimmung, obwohl diese Maßregelungsklausel den Unternehmern wahre Rachefeldzüge erlaubte.

In Augsburg wurde daraufhin der Streik als Solidaritätsstreik für die über 100 von Maßregelung betroffenen Kollegen fortgesetzt. Schnell erwirkten die Unternehmer eine einstweilige Verfügung, die der IGM jede Unterstützung verbot und sie in Regress nahm. Die IGM sah sich dadurch veranlasst, die Arbeiter zur Arbeitsaufnahme aufzufordern.

Die Unternehmer nahmen fürchterliche Rache und säuberten ihre Betriebe von aktiven Gewerkschaftskadern: 852 Metaller, darunter 60 Betriebsräte, wurden von ihren Firmen nicht wieder eingestellt und fanden aufgrund von »Schwarzen Listen« keine Arbeit mehr. In 1.500 Prozessen mussten sich Streikposten wegen Landfriedensbruch, Körperverletzung oder Beleidigung verantworten.

Der Gewerkschaftshistoriker Pirker (Die Blinde Macht) urteilte: »Die IG Metall kam als Organisation noch glimpflich aus dem bayrischen Metallarbeiterstreik heraus. Er hatte zwar die bürokratischen Schwächen der Organisation bloßgelegt, aber es wäre den Unternehmern angesichts dieser Schwächen leicht möglich gewesen, den Streik bis zum Zusammenbruch der Gewerkschaft durchzustehen. Daran war aber weder dem Verein der Bayrischen Metallindustrie noch der Metallindustrie in Westdeutschland gelegen.«


Arbeiterstimme 109 vom September 1995, 9.