Materialien 2009

Selbstdarstellung

Auszüge aus der Schulstreikzeitung
Münchner Schülerinitiative
(Fabian Bennewitz und Julia ten Pas – Pressesprecher)

Angelehnt an die Schulstreiks in Berlin und in vielen anderen Städten haben Münchner Schüler/Innen, Student/Innen, Azubis und Berufstätige die Schülerinitiative München gegründet. Wir wollen auch in München und Umgebung Streiks auf die Beine stellen, um für ein gerechteres und fortschrittliches Bildungssystem zu kämpfen.

Wir geben uns nicht zufrieden mit einer Politik der Kürzungen und der sozialen Ausgrenzung!

Wie soll das Lernen in einer Klasse von 30 Schülern noch Spaß machen, wie soll ein Lehrer auf jeden Einzelnen eingehen können? Wir bekommen frontal möglichst viel Unterrichtsstoff eingetrichtert, für lebhafte Diskussionen und eine kritische Auseinandersetzung mit dem zu lernenden Stoff bleibt kaum Zeit, individuelle Fähigkeiten und Interessen werden aus dem Schulalltag gänzlich verdrängt. Aber auch außerhalb der Schule wird die Zeit dafür knapp: Im G8 ist eine 50-Stunden-Woche schon für 12jährige (mit Hausaufgaben, Projekten und Sport) keineswegs die Ausnahme (www.teachersnews.net).

Laut der bayrischen SPD zahlen Familien nach Berechnungen von Eltern pro Schüler bis zu 1.000 Euro an Kosten pro Schuljahr und das nennt sich Lehrmittelfreiheit! Von Ausgaben für Unterlagen oder Kopiergelder über Mittagsverpflegung und Fahrtkosten bis zur Klassenfahrt fallen im Laufe eines Schuljahrs viele Kosten an, die für Schüler aus sozial schwachen Familien ein ernsthaftes Problem darstellen. Hinzu kommt die Erhebung horrender Studiengebühren: für viele junge Menschen ein schier unüberwindbares Hindernis auf dem Weg zum Wunschberuf.

Von Chancengleichheit kann hier keine Rede sein: Bildung hängt immer mehr vom Geldbeutel der Eltern ab. Das fängt schon in der Grundschule an: Zehnjährige werden anhand von ihren Noten in nur drei Fächern auf getrennte Schulen sortiert. Diese Spaltung pflanzt sich oft durch das gesamte gesellschaftliche und berufliche Leben fort und führt so zu gesellschaftlicher Ausgrenzung einerseits und Elitebildung andererseits.

Nach dem PISA-Bundesländervergleich haben Kinder aus der Oberschicht in Bayern siebenmal höhere Chancen das Gymnasium zu besuchen als Arbeiterkinder und Kinder mit Migrationshintergrund.

Uns Schülern werden kaum Möglichkeiten eingeräumt, eigene Ideen, Wünsche und Vorschläge an den Schulen mit einzubringen. Wir bekommen zwar fleißig Demokratie gelehrt, erfahren sie aber selbst nicht!

Die Zustände an vielen Schulen sind katastrophal: Es fehlen Lehrer und Räume, überfüllte Klassenzimmer sind die Folge, es gibt kaum technische Ausstattung, und die Gebäude müssten dringend saniert werden. Unter diesen Voraussetzungen ist ein ansprechendes, entspanntes Lernen unmöglich.

Laut DGB sind bundesweit akut 30 Milliarden Euro notwendig, um die gröbsten Mängel im Bildungswesen zu beheben. Aber die Politiker geben Steuereinnahmen lieber für Banken aus als eine gute Bildung für alle Schüler zu gewähren. Wir .müssen selbst aktiv werden, wenn wir Veränderungen wollen.

Die Schülerinitiative München ist Teil der bundesweiten Schülerbewegung „Bildungsblockaden einreißen!“, die aus 17 verschiedenen Schülerbündnissen in diversen Städten Deutschlands besteht. Zur bundesweiten Koordination gab es vom 10. bis zum 12. Oktober 2008 eine Schülerkonferenz in Berlin, an der wir aus München mit sieben Leuten teilgenommen haben.

Mit uns solidarisiert sich auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

Mittlerweile zählen wir als Schülerinitiative München ca. 40 Mitglieder zwischen 15 und 25 Jahren. Wir sind an keine politischen Parteien gebunden und treffen uns wöchentlich, um Mängel und Lösungswege zu diskutieren, Forderungen zu formulieren und konkrete Aktionen zu planen wie diesen Bildungsstreik. Im Dezember wird die nächste bundesweite Konferenz in Kassel stattfinden.

Bildungsblockaden einreißen! Schulstreiks in Berlin:

In Berlin streikten 8.000 Schüler/Innen und Student/Innen, um anschließend vom Potsdamer Platz bis zum Alexanderplatz durch Berlins Zentrum und zur Senatsverwaltung für Bildung zu ziehen. Fast etwas ironisch ist es, dass die rot-rote Landesregierung in Berlin Deutschlands Spitzenreiter bei Kürzungen im Bildungsbereich ist. Die Lehrmittelfreiheit ist weitgehend abgeschafft, immer mehr Schulen werden privatisiert, und die Politiker geben das Geld nicht für Bildung und Jugendprojekte, sondern für Image-Kampagnen aus. Anstatt die Bildung zu verbessern und soziale Projekte zu unterstützen, fließen die Gelder in die Folgen verfehlter Jugendpolitik, nämlich in den Ausbau der Kameraüberwachung, in den Jugendstrafvollzug und in Wachdienste an Schulen. (www.lsv-berlin.de)

Die private Nachhilfe ist ein enormer Markt geworden und ein Privileg, das sich eben nicht jeder leisten kann. Die Berliner Unterrichtsverweigerer fordern einen kostenfreien Zugang zu allen Bildungsangeboten des Staates. Dazu zählen betriebliche und tarifliche Ausbildungs-, Studien- und Arbeitsplätze für alle!

Die Proteste richteten sich gegen das Abitur nach 12 Jahren, das ähnlich G8 auch in Berlin eingeführt wurde, gegen das dreigliedrige Schulsystem und die soziale Ungerechtigkeit, die dies bedeutet, und gegen den Lehrermangel. Konkret fordern die Berliner Schüler/Innen die sofortige Einstellung von 3.000 Lehrer/Innen, damit kleinere Klassen möglich werden. Die Wut ist bei vielen Lehrer/Innen genauso groß wie bei Schüler/Innen. Auch sie sind häufig überfordert mit den immer größeren Klassen und leiden unter den Arbeitszeitverlängerungen der letzten Jahre von 22 auf 26 Stunden. Einige Lehrer/Innen unterstützten die Streiks, während die Schuldirektor/Innen teilweise repressive Maßnahmen ergriffen. Zum Beispiel wurden die Schüler/Innen in der Sophie-Scholl-Schule in Schöneberg eingesperrt, sodass sie über den Zaun klettern mussten, um sich den Protesten anzuschließen.

Der Schulstreik macht Geschichte

Schulstreik ist nichts Neues, nicht einmal in München. Wir können auf eine lange Tradition zurückblicken.

Die Schulstreiks waren jeweils sehr verschieden motiviert – hier ein kleiner Überblick der jüngeren Ereignisse:

„Gegenschule – Schule selbstgemacht“
Im Schuljahr 2001/02 folgte auf radikale Schulkritik auch radikale Aktion: Das Luisengymnasium wurde für einen Tag besetzt, und die Schüler organisierten den Unterricht selbst nach ihren Vorstellungen.

Mobilisierung zum Tag X
An einem Tag, an dem ein Krieg beginnt, kann und darf der Alltag nicht normal weitergehen. Das fand eine kleine Schülergruppe und mobilisierte für den Tag X, Tag des Kriegsbeginns. Am 20. März 2003 war die Leopoldstrasse von Schülermassen gefüllt, die gegen den Krieg protestierten. Bundesweit fanden an diesem Tag Proteste von Schülern statt.

Keine Macht für G8!
Ohne jegliche Mitsprache von Schüler-, Lehrer- oder Elternvertretungen kürzte die Bayerische Landesregierung die gymnasiale Schulzeit von 9 auf 8 Jahre. Diese Reform fand völlig überstürzt und ungeplant statt, außerdem bedeutet sie eine extreme Mehrbelastung für Schüler und Lehrer. Die LandesSchülerVertretung (LSV = inoffizielle Organisation aller Bezirksschülersprecher Bayerns) rief für den 16. März 2004 zu einem Schulstreik gegen das G8 auf. Die Kundgebung fand auf der Praterinsel statt, trotz reger Teilnahme reagierte die CSU nicht. Alle Befürchtungen haben sich bewahrheitet, das G8 ist heute Realität für Tausende von bayerischen Schülern und Lehrern.

Büchergeld? Wir zahlen keinen Cent!
Als die CSU im Herbst 2004 die Einführung von Büchergeld und Studiengebühren ankündigte, bildete sich kurz darauf das Aktionsbündnis für kostenlose Bildung (AKB). Kleinen Guerilla-Aktionen in der Innenstadt folgte schließlich am 18. März 2005 ein Schulstreik, an dem circa 2.500 Schüler teilnahmen. Der Versuch, im Lauf der Demo das Willi-Graf-Gymnasium zu besetzen, scheiterte, da sich Lehrer und Hausmeister zur Wehr setzten. Am 21. und 22. Juli rief das AKB erneut zum Schulstreik auf, dieses mal zwei Tage lang. Zu Beginn des neuen Schuljahres kam es zum massenhaften Boykott des neu eingeführten Büchergeldes. Der Protest war erfolgreich, und im nächsten Schuljahr war das Büchergeld bereits wieder abgeschafft!


Deutscher Freidenker-Verband (Hg.), Konferenz „Bildung ist Menschenrecht“ 4. Oktober 2008 im comcenter Brühl in Erfurt, Offenbach 2009, 231 ff.

Überraschung

Jahr: 2009
Bereich: SchülerInnen