Materialien 1987

Eklat um Literaturpreis

Dass Dachau unter seiner KZ-Vergangenheit draußen am Stadtrand leidet, kann man verstehen. Dass die Stadtoberen diese Vergangenheit mit Verdrängung zu überwinden suchen, statt sie als Vermächtnis und Auftrag aufzufassen, ist uns unverständlich. Immerhin waren auch Dachauer Bürger unter den ersten Häftlingen des KZs, und ebenfalls Dachauer Antifaschisten waren es, die am 28. April 1945 zusammen mit KZ-Häftlingen einen – allerdings gescheiterten – Aufstandsversuch gegen die SS unternahmen.

Doch nicht dieses andere Dachau, das sich auch in der KZ-Gedenkstätte dokumentiert, gehört für die Stadtoberen zum positiven Dachau-Bild. Sie verweisen statt dessen lieber auf die 1200jährige Geschichte der bayerischen Kleinstadt und die hier um die Jahrhundertwende angesiedelte Künstlerkolonie.

Um Dachau in der Welt im guten Licht erscheinen zu lassen, folgte der Stadtrat voriges Jahr der CSU-Idee, einen Dachauer Literatur-Förderpreis im Rahmen des Klagenfurter Ingeborg- Bachmann-Autorenwettbewerbs zu stiften. Dachau und Klagenfurt sind Partnerstädte.

Die Folge dieser Idee ist jedoch ein Eklat, der dem Ansehen der Stadt kaum nützlich sein wird. Die Autoren, die von der Jury in Klagenfurt mit der Verleihung dieses neuen Preises beauftragt wurden, erkoren nämlich als Preisträger das jüdische Dokumentationszentrum in Wien und die VVN – BdA in Frankfurt. Klagenfurts Bürgermeister Guggenberger weigerte sich jedoch das mit dem Preis verbundene Geld von je 25.000 Schilling an die Preisträger auszuzahlen. Mit seinem Dachauer Kollegen Reitmeier ist er der Meinung, dass die Preisvergabe durch die Autoren nicht den Intentionen Dachaus entsprochen habe.

Auf das Ersuchen unseres Bundesvorstandsmitglieds Max Oppenheimer, sich für die Freigabe des unrechtmäßig zurückgehaltenen Preises einzusetzen, antwortete Reitmeier, mit dem Dachauer Preis hätte „ein Autor als Person und Literaturschaffender und als Teilnehmer des Wettbewerbs“ gefördert werden sollen. An einen Preis für eine Institution sei zu keiner Zeit gedacht gewesen. Die Zurückhaltung des Preises hänge allein mit dem Ziel des Förderpreises und nicht mit den von den Autoren ausgewählten Institutionen zusammen.

Inzwischen denkt OB Reitmeier sogar darüber nach, ob der Förderpreis nicht besser wieder liquidiert werden sollte, damit im nächsten Jahr erst gar nicht das gleiche passieren kann wie diesmal. „Da blamieren wir uns ja“, sagte er dem Münchner Merkur.


antifaschistische rundschau 10 vom Oktober 1987, 19.

Überraschung

Jahr: 1987
Bereich: Gedenken