Materialien 1987

Es war einmal ein Dachauer Literaturpreis ...

Nicht nur die VVN – BdA ging leer aus

Literaturpreise dienen häufig weniger der Autorenförderung, sondern sind oft zur Imageaufbesserung der Stifter gedacht. In besonderem Maße traf das für den „Dachauer Literaturpreis“ zu, der eigentlich schon 1987 im Rahmen des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs in Klagenfurt verliehen werden sollte. Zwei Jahre später wurde der Preis still und heimlich zu Grabe getragen, ohne dass er ein einziges Mal vergeben wurde.

Seit Jahrzehnten bemüht man sich in der CSU-beherrschten oberbayerischen Kleinstadt Dachau krampfhaft darum, den Ruf als KZ-Stadt loszuwerden, in der die Nazis im Frühjahr 1933 das erste deutsche Konzentrationslager errichteten. In Dachau gibt es zwar seit 1965 eine KZ-Gedenkstätte, doch in der Stadt selbst empfand man das geschichtliche Erbe nie als Vermächtnis und Auftrag, sondern immer als Belastung und Makel.

Das zeigte sich in der Beschwörung der 1200jährigen Geschichte und dem Anspruch Künstlerort zu sein (wegen einer bedeutenden Künstlerkolonie um die Jahrhundertwende) und nicht zuletzt im weitgehend erfolgreichen Kampf der CSU und des parteilosen Oberbürgermeisters Lorenz Reitmeier gegen eine „Internationale Jugendbegegnungsstätte“ in der Nähe des ehemaligen KZs. Ein findiger Kopf in der Dachauer CSU war folgerichtig zur Aufpolierung des Ansehens der Stadt auf die Idee verfallen, im Rahmen des angesehenen Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs einen „Dachauer Literaturpreis“ zu stiften, zumal die Veranstaltung in Dachaus einziger Partnerstadt Klagenfurt über die Bühne geht.

Das Motiv war von Anfang an klar, denn wäre es wirklich um die Autorenförderung gegangen, hätte man den Preis auch in der eigenen Stadt verleihen können, wo er jedoch wahrscheinlich nur von der Lokalpresse gebührend gewürdigt worden wäre. Da macht es doch allemal mehr her, wenn der Blick der kulturbeflissenen Weltöffentlichkeit, der alljährlich im Sommer auf Klagenfurt gerichtet ist, auch ein wenig auf Dachau umgelenkt wird.

Doch was der Dotierung des Preises in Höhe von 50.000 österreichischen Schilling folgte, böte reichlich Stoff für eine Posse, wäre der Hintergrund nicht so traurig. Hauptrollen spielen Dachaus Stadtoberhaupt Reitmeier und sein Klagenfurter Amtskollege Leopold Guggenberger, der sich mit seinem ganzen Einfluss innerhalb der ÖVP für die Wahl des rechtsnationalistischen Jörg Haider zum Kärtner Landeshauptmann eingesetzt hatte.

Die Klagenfurter Jury überließ die erste Verleihung des Dachauer Preises den anwesenden Autoren, die 1987 angesichts des Hickhacks um den österreichischen Bundespräsidenten Waldheim ein Zeichen setzen wollten und die Summe zu gleichen Teilen der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und dem Jüdischen Dokumentationszentrum von Simon Wiesenthai zusprachen. Doch Guggenberger verweigerte die Auszahlung, womit er nach Ansicht des Dachauer Stadtrats (einschließlich der SPD-Fraktion) „völlig korrekt“ gehandelt hatte (siehe „ar“ 10/87).

Ein Jahr später setzte der Stadtrat die Verleihung aus und stockte die Preissumme für 1989 auf 75.000 Schilling auf. In Klagenfurt kam es bei der Preisverleihung 1988 zum Eklat, als Urs Allemann, Sprecher der Autoren, die Entscheidung, den Preis im Vorjahr nicht vergeben zu haben „politisch fatal“ und „moralisch degoutant“ nannte. Als Sprecher der deutschen Verleger protestierte damals auch Ernst Reinhard Piper: „Die Vorstellung, dass Literatur dort aufhört, wo Aufklärung anfängt, finde ich verhängnisvoll.“

Im Vorfeld der diesjährigen Preisverleihung kam es dann noch dicker: Beim mitveranstaltenden ORF zeigte man sich erstaunt über die Ahnungslosigkeit eines Dachauer Journalisten: „Der Dachauer Preis ist doch zurückgezogen“, wurde er informiert. Nachfragen bei den Bürgermeistern in Dachau und Klagenfurt brachten dann das erstaunliche Demokratieverständnis zutage: Im 4-Augen-Gespräch hatte Guggenberger seinem Dachauer Kollegen geraten, den Preis zurückzunehmen. Er habe Anzeichen, dass „ungute Diskussionen von gewissen Kreisen immer wieder auf gerüttelt“ werden könnten, nannte er als Grund.

Reitmeier jedenfalls folgte dem Rat und zog etwa vier Wochen vor der Preisverleihung in einer einsamen Eilentscheidung, ohne den Stadtrat zu konsultieren, den Preis endgültig zurück. Dem Stadtrat teilte er nachträglich, in nichtöffentlicher Sitzung, seinen Beschluss mit. Die Preissumme soll jetzt für „kulturelle Aktivitäten im Rahmen der Städtepartnerschaft“ verwendet werden. So will man wohl künftig nicht schriftstellerische Arbeiten, sondern den Austausch von Trachtengruppen fördern. Die Chance, das Ansehen der Stadt zu vermehren, haben Dachaus Geschichtsverdränger damit allerdings – wieder einmal – vertan.

Walter Gierlich
(Aus „die feder“, Zeitschrift der IG Medien für Journalisten und Schriftsteller)


antifaschistische rundschau 10 vom Oktober 1989, 17.

Überraschung

Jahr: 1987
Bereich: Gedenken