Materialien 1975
‚Bommi’ Baumann: Wie alles anfing – Zur Beschlagnahme eines Romans
„Am 24. November 1975 wurden in Bayern verschiedene Wohnungen und Geschäftsräume durchsucht, darunter die der „Basis Buchhandlung“, des Trikont–Verlags in München und der Druckerei „Gegendruck GmbH“ in Gaiganz bei Erlangen.
Ich berichte von der Hausdurchsuchung im Trikont–Verlag. Anwesend waren 30 – 25 Beamte, Zivilbeamte der politischen Polizei, Politstaatsanwälte aus München und Berlin und uniformierte Polizisten, bewaffnet mit Maschinenpistolen. Sie bevölkerten das ganze Haus, obwohl im Durch-
suchungsbefehl der Trikont–Verlag genannt war, nicht aber der 1. und 2. Stock, in dem sich die Räume des Verlags Frauenoffensive und Privaträume befinden. Die Beamten brachen die Türen der Privaträume auf und durchsuchten alles; offensichtlich glaubten sie, Michael Baumann in diesem Haus zu finden. Die Schreibmaschinen, die den Mietern der Räume gehören, wurden be-
schlagnahmt.
Besonders hart traf die Aktion eine Gastarbeiterfamilie, die einen Anbau des Hauses bewohnt. Dieser Anbau hat einen eigenen Eingang. Auch hier kümmerten sich die Beamten nicht um den Durchsuchungsbefehl. Sie stellten die ganze Wohnung auf den Kopf. Hier durchsuchten sie fast gründlicher als im Trikont–Verlag. Dann hinterließen sie Unordnung und die sehr erschütterte Familie.
Während der Durchsuchung, die 5 Stunden dauerte, durfte wir weder einen Anwalt verständigen („es besteht Verdunkelungsgefahr“), noch die Geschäftsführer des Verlags und die Mieter der Räume benachrichtigen.
Durchsucht wurden auch wir, unsere Handtaschen und persönlichen Sachen. Notizbücher und private Briefe nahmen sie mit. In diesen 5 Stunden wurde jeder Schritt, den wir machten, bewacht von einem Polizisten. Eine makabre Situation: beobachtet von der Maschinenpistole Kaffee zu kochen oder aufs Klo zu gehen.
Von allen Räumen des Hauses wurden Fotos und Skizzen angefertigt. Sie durchsuchten alles ausführlich. Unter den insgesamt 1.600 beschlagnahmten Büchern waren nur 300 des gesuchten Titels; 1.300 wurden noch nebenbei mitgenommen, und zwar:
- Sozialistisches Patientenkollektiv, Aus der Krankheit eine Waffe machen
- Gauche Proletarienne, Bewaffneter Kampf und Massenlinie
(die beiden zuletzt genannten Bücher sind bereits vor 3 Jahren erschienen)
und
alle Schreibmaschinen und den Composer,
mehrere tausend Prospekte und Almanache (unser sämtliches Prospektmaterial)
Tonbänder für Plattenaufnahmen
die Kundenkartei
Bankauszüge, Geschäftsbücher, Rechnungen, Korrespondenzen und dergleichen.
Wir standen nach der Aktion vor völlig leeren Regalen. Die Polizei hat uns arbeitsunfähig gemacht, unser Geschäftsbetrieb ist lahmgelegt. Für uns ist dies ein enormer Verlust, da die Polizeiaktion mitten ins Weihnachtsgeschäft fällt, das auch für einen linken Verlag die Zeit der größten Umsätze ist.
In unserer Druckerei, der Firma „Gegendruck“, inszenierte die Polizei eine Durchsuchung, die noch spektakulärer war als bei uns. Sie umstellte das Haus mit Hunden. Eine Mitarbeiterin wurde gezwungen, sich nackt auszuziehen. Die Druckplatten des Baumann-Buches wurden beschlag-
nahmt, außerdem die Druckplatten des Frauenjournals, von denen im Durchsuchungsbefehl kei-
neswegs die Rede war.
Sogar das Studio der Grafikerin, die den Umschlag des Baumann-Buches gestaltete, wurde durch-
sucht.
Am 25. und 26. November wurden weitere Exemplare des Baumann-Buches in Berlin und Frank-
furt beschlagnahmt.
Es ist offensichtlich, dass die Beschlagnahmeaktion gegen das Buch nicht koordiniert war. Erst einen Tag, nachdem die Polizei die Bücher im Trikont–Verlag sicherstellen konnte, ging sie gegen unsere Auslieferung in Westberlin – Zirk und Ellenrieder – vor. Zwei Tage später wurde unser Hauptauslieferer in Frankfurt, die Sozialistische Verlagsauslieferung, besucht.
Auch Berliner Buchläden überprüften die Staatsbeamten nach dem corpus delicti. Beschlagnahmt werden konnten nur wenige Texte.
Nach dem Bekanntwerden der Aktion solidarisierten sich mehrere Buchhändler. Der Internationa-
lismus-Buchladen in Hannover verfasste ein Flugblatt, in dem er sich dazu bekannte, das Buch weiterhin zu verkaufen. Flugblatt und einige Texte wurden daraufhin einkassiert. Doch lief die Po-
lizeiaktion insgesamt lasch und ohne große Überzeugung ab. Wenn man bedenkt, dass insgesamt nur ca. 500 Exemplare beschlagnahmt werden konnten, ist die Aktion als ein Schlag ins Wasser zu werten.
Die relativ große Öffentlichkeit in der Presse, die bei ähnlichen Vorgängen in den letzten Jahren vor allem geschwiegen hat, führte dazu, dass schon am Donnerstag ein Teil der Buchhaltung und die Schreibmaschinen zurückgegeben wurden. Die Bücher blieben beschlagnahmt und ebenso die Prospekte, sowie Karteien und ein kleinerer Teil der Buchhaltung.“
(Mitarbeiterin des Trikont–Verlags nach der Polizeiaktion)
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Rechtliche Beurteilung der Beschlagnahme des Baumann-Buches und die Einzie-
hung der Druckplatten
Die Beschlagnahme des Baumann-Buches und die Einziehung der Druckplatten erfolgte auf Grund eines Beschlusses des Amtsgerichtes München vom 19.11.75 (Az.: ER VII Gs 4833/75).
Das Amtsgericht führte in der Begründung seines Beschlusses aus, das Buch strotze von Darstel-
lungen, die Gewalttätigkeiten verherrlichen bzw. zumindest verharmlosen (§ 131 StGB), es werden in ihm ferner zahlreiche Straftaten gebilligt (§ 140 StGB).
Auf unsere Beschwerde vom 3.12.75 hin nahm die Staatsanwaltschaft Stellung und führte aus, dass „in dem Buch durch die Gewaltdarstellungen eine menschenverachtende und rücksichtslose Ten-
denz zum Ausdruck kommt“. Diese Tendenz sieht Staatsanwalt Dr. Gehrig in seinem Schriftsatz u.a. in der „wiederholt vorgebrachten Parole: Wandelt Euren Hass in Energie“.
Am 14.1.76 entschied schließlich die Staatsschutzkammer beim Landgericht München I über die Beschwerde und verwarf sie als unbegründet (Az.: 5 Os 60/75). Immerhin war ein kleiner Teiler-
folg zu verzeichnen, da das Landgericht die Voraussetzungen des § 131 StGB nicht als gegeben ansieht, da dem Buch „an keiner Stelle eine grausame oder unmenschliche Schilderung von Ge-
walttaten zu entnehmen sei“.
Völlig gegensätzlich entschied die 12. Strafkammer des Landgerichtes Hannover auf eine Be-
schwerde der Verantwortlichen des Internationalismus-Buchladens in Hannover gegen die Be-
schlagnahme. Hier wird ausgeführt, die Druckschrift enthalte zahlreiche Stellen, in denen die An-
wendung von Gewalt verherrlicht bzw. verharmlost und als legitimes Kampfmittel zur Änderung der gesellschaftlichen Strukturen gepriesen werde und Gewalttaten gegen Menschen auf un-
menschliche Weise geschildert werden. Unmenschlich sei diese Schilderung „weil die Art der Schilderung die Humanität mit ihren Reaktionen von Ablehnung und Mitgefühl negiert und stattdessen von Gleichgültigkeit, Rücksichtslosigkeit oder Menschenverachtung bestimmt wird.“ Während in dem Beschluss des Landgerichts Hannover § 140 (Billigung von Straftaten) überhaupt nicht in Erwägung gezogen wurde, wird dieser Paragraph nun gerade von der Staatsschutzkammer des Landgerichtes München bejaht, da durch die Verbreitung des Buches Straftaten öffentlich ge-
billigt werden. Baumann habe an keiner Stelle des Buches wirklich Abstand von seinen Taten und den Taten seiner Genossen genommen. „Er hält sie und die gesamte anarchistische Bewegung als geschichtlichen Erfahrungswert für gut“. Das Landgericht kommt daher zu dem Schluss, dass das Baumann-Buch geeignet sei, ein psychologisches Klima zu schaffen, in dem gleichartige Untaten gedeihen.
Die ganze Beschwerdebegründung zeigt in dankenswerter Offenheit, dass die Staatsschutzkammer einen politischen Auftrag erfüllt – sie will einen Diskussionsbeitrag über „die anarchistische Bewe-
gung als geschichtlichen Erfahrungswert“ unterdrücken – und diese politischen Zwecke werden in juristische Formen gekleidet. Denn niemand wird ernsthaft glauben, dass dadurch, dass Baumann die Lorenz-Entführung als „Meisterwerk der europäischen Stadtguerilla“ bezeichnet, ähnliche De-
likte dieser Art begangen werden oder dass durch die Formulierung „so ein Mann wie Roy Clark, der Bombenleger, der die Bundesbahn erpresst hat, den fand ich schon sehr gut, da wollte ich auch damals das Flugblatt in der K I machen“, heute Leute zum Erpressen der Bundesbahn anregt.
Wenn das Landgericht schließlich den Schlußsatz des Buches „Ich habe es gemacht und es ist in Ordnung: Selbst die schlimmsten Erfahrungen waren richtig zu ihrer Zeit, weil anders hättest du es eben nicht gebracht, das war dein Weg und den musstest du gehen“, als Beweis dafür heranzieht, dass er seine Straftaten ausdrücklich billige, so wird hier der autobiographische Charakter des Bu-
ches total übersehen. Baumann schildert seinen Lebensweg als etwas Zwangsläufiges („Das war dein Weg und den musstest du gehen“), es ist offensichtlich nicht sein Ziel, andere zu veranlassen, den gleichen Weg zu gehen, er will zum Nachdenken anregen (vgl. S. 133 des Buches): „Wenn ich hier jetzt so ein Buch mache – so ehrlich wie möglich – glaube ich, daß es den Leuten hilft, noch einmal darüber nachzudenken, wie es gelaufen ist, und wie es eigentlich laufen könnte …“
Selbst die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist sehr vorsichtig bei der Anwendung des § 140 StGB (übrigens sicher auch ein Grund dafür, den Meinungsparagraphen 88 a zu präsentieren). So werden etwa in der Entscheidung des BGH vom 17.12.68 (BGH St 22 So 288 ff.) grundsätzliche Ausführungen gemacht. Hintergrund war hier ein Verlag, der ein Buch mit dem Titel „Südtirol – wohin?“ herausgebracht hatte, in dem Sprengstoffanschläge auf Hochspannungsleitungen sowie Eisenbahnoberleitungen und Schießereien auf Carabinieriunterkünfte geschildert werden und in dem das Recht der Südtiroler zum aktiven Widerstand gegen die italienische Staatsgewalt bejaht wird und das sich zu Widerstandstaten allgemein bekennt. Hierzu führte der BGH, der die Verant-
wortlichen des Verlages freisprach, aus, das von der erklärten Billigung ein Anreiz zu Verbrechen ausgehen müsse. Es liege keine Billigung vor, wenn eine indifferente Kundgebung erst durch außerhalb der Erklärung liegende Umstände, als erst im Wege des Rückschlusses, als zustimmende Kundgebung gewertet werden könnte.
Genau dies macht aber das Landgericht in seinem Beschluss, wenn es, dass die im Buch erwähnten Straftaten für sich noch keine Billigung im Sinne von § 140 sind, zu allgemeinen Rückschlüssen Zu-
flucht nimmt.
Bis zum 19.3.76 muss die Staatsanwaltschaft nun Angklage gegen die Verantwortlichen des Tri-
kont–Verlages erheben, anderenfalls müsste die Beschlagnahme aufgehoben werden.
Würde das Strafgericht sich der Meinung der Staatsschutzkammer anschließen, könnte es gegen die Geschäftsführer des Verlages Freiheitsstrafen bis zu 2 Jahren verhängen.
Gez. Rechtsanwalt
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ZUR NEUAUFLAGE
Am 23. Juni 1976 wurde das Buch von Bommi Baumann „Wie alles anfing“ in München auf einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit übergeben. Ca. 400 Intellektuelle, Verlage und Autoren er-
klärten sich bereit, das Buch trotz des Verbots unter ihrem Namen wieder herauszugeben.
„Die Gesetze, die ihr da gegen uns erlassen habt, greifen einschneidend in unsere Menschenwürde ein und deswegen können wir sie nicht akzeptieren. – Und weil wir sie nicht akzeptieren, beachten wir sie einfach nicht.“ Ganz in diesem Sinne bezeichnete die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG die Neu-
herausgabe des Baumann-Buches als „Machtprobe mit der Staatsgewalt“. Eine Machtprobe, auf die sich auch die Bremer Initiative gegen die Zensur eingelassen hat, wenn sie zum Verkauf aller ver-
botenen Literatur aufruft und die mittlerweile von 2.000 Professoren und Assistenten unterstützt wird.
In den Berichten auf der Pressekonferenz, auf der auch ein Vertreter des schwedischen Schriftstel-
lerverbandes anwesend war, wurde nicht nur auf die Zensurgesetzgebung eingegangen, sondern auch darauf, warum man das Bommi-Buch für wichtig hält. Zwei Auszüge aus dem Beitrag von Danny (Cohn-Bendit) seien hier zitiert:
„Bommi Baumann endet sein Buch, seine Selbstkritik über bestimmte Aktivitäten mit dem Kapitel Terror und Liebe. Dieses Kapitel ist am meisten angefeindet worden, dieses mal nicht von der Staatsanwaltschaft, sondern bei den Linken – dass man einfach so nicht über Liebe reden kann. Und das bezeichnende an dem Buch ist doch – und das halte ich für eine wesentliche Aussage, auch eine revolutionäre Aussage, zu sagen, dass jede politische Strategie, die man jetzt einschlägt, lässt diese Dimension raus, nämlich die Dimension des Lebens, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil sie überhaupt nicht an den Bedürfnissen der Menschen ansetzt.“
„Wenn so einer wie der Vorster in der Bundesrepublik empfangen wird von Willy Brandt oder von Kanzler Schmidt, dann ist es zynisch zu sagen, man will ihm etwas klar machen. Es gibt schon so ein Beispiel in der Geschichte … nämlich was es bedeutet so jemand wie Hitler zu empfangen, d.h. den diplomatisch hoffähig zu machen, auch wenn man ihn kritisiert. Das ist eine total absurde Logik, jemand zu empfangen und zu sagen, die Politik, die du machst ist falsch, aber ein paar Mil-
liarden haben wir noch für euch übrig – was eigentlich die Haltung der Bundesrepublik ist. Genau an diesem Punkt flippen im wahrsten Sinne des Wortes Hunderte aus und sagen, da hilft keine De-
monstration, da hilft überhaupt nichts mehr, sondern was nur hilft ist eine Bombe ins Reisebüro der Südafrikanischen Gesellschaft. – Oder wer hat von uns nicht geträumt, das sagen wir doch mal ganz ehrlich, den Vorster hier zu entführen und den irgendwo in einer Vorstadt von Johannesburg den Schwarzen auszuliefern? Wer hat diese Gedanken nicht gehabt im Moment? Und ich finde, wer diesen Gedanken nicht hat, der ist wirklich ein Verbrecher und der, der diesen Gedanken hat, ist überhaupt ein ehrenwerter Mensch – der hat wirklich einen Zug von Menschlichkeit in sich.“
(Im Trikont–Verlag wird im Herbst 1976 eine Sammlung der wichtigsten Diskussionsbeiträge zum Baumann Buch erscheinen.)
Monika Döring u.a. (Hg.), Beschlagnahmt, Berlin 1976, 81 ff.