Materialien 1975

Der neuste Rundschlag ...

der Justiz bezieht sich auf einen Comic im 57. BLATT:

Wegen dieser Bilder und Blasen wurden zwei BLATT-Leute angeklagt, ein gemeinschaftlich be-
gangenes Verbrechen der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten begangen zu haben (§ 111).

Dass dafür schon ein Comic ausreicht, ist etwas grundsätzlich Neues. Aus diesem Grund hat sich auch der Verteidiger, RA Montag, zu grundsätzlich neuen Strategien veranlasst gesehen. Er weist der Staatsanwaltschaft zwingend logisch nach, „nicht alle zur Belastung des Angeschuldigten die-
nenden Umstände in der Anklageschrift aufgeführt zu haben“, mit der Bitte um Würdigung führt er dem Amtsgericht vor, dass die kriminelle Bosheit der BLATT-Leute das vom Staatsanwalt ver-
mutete Ausmaß bei weitem übersteigt! Es heißt dort:

„Bei der Frage, ob durch die Bildergeschichte zu strafbaren Handlungen aufgefordert wird, hat die Staatsanwaltschaft die bildliche Darstellung der Täter außer acht gelassen. Offensichtlich handelt es sich um Mitglieder einer der bekanntesten kriminellen Vereinigung der Welt, der Panzerknak-
kerbande (in der Bildergeschichte fälschlicherweise Automatenknacker).

Dies hätte den federführenden Herren der Staatsanwaltschaft aus ihrer eigenen Kinderzeit und der Lektüre der berüchtigten Donald Duck-Bildergeschichte des anderweitig posthum zu verfolgenden DISNEY, Walt bekannt sein müssen. Die Panzerknackerbande hat sich bekanntlich zusammen ge-
tan, um den allseits beliebten und geachteten Unternehmer DUCK, Dagobert, einer absolut staats-
erhaltenden Figur, sein Eigentum zu stehlen. Eine Vereinigung aber, deren Ziele oder deren Tätig-
keit darauf gerichtet sind, Straftaten zu begehen, nennt das Strafgesetz ‚kriminelle Vereinigung’ (§ 129 StGB). Schon aus der Abbildung von Mitgliedern der Panzerknackerbande lässt sich somit schlagend nachweisen, dass zu einer strafbaren Handlung aufgefordert worden ist.“

Weiter hält RA Montag dem Staatsanwalt vor, dass ihm „der verbrecherisch triebhafte Blick und die rechtsfeindlich blinkenden Zähne“ der abgebildeten Straftäter nicht aufgefallen sind.

„Weiterhin ist zweifelsohne der strafbare Charakter der gezeichneten Tat aus den Bildern 3 und 4 erkennbar, welche jedoch nicht isoliert, sondern nur im Zusammenhang mit dem Bild 5 gesehen werden können. Bei Dunkelheit und Sichelmond schleichen sich die kriminell Vereinigten an den Ort des Vergehens, wobei sie ‚raun, tuschel, hihi’ von sich geben. Gerade die Worte ‚raun, tuschel’ deuten auf die Absicht der Panzerknacker hin, unerkannt bleiben zu wollen und etwas vor dem ge-
strengen Auge des Gesetzes zu verheimlichen, während sich in den Worten ‚hihi’ die Rechtsfeind-
schaft der Delinquenten zeigt, die damit unseren Rechtsstaat verhöhnen wollen. Demgegenüber zeigt Bild 5 einen sich bei Tageslicht auf dem Bahnsteig befindenden, rechtschaffenden, billig und gerecht denkenden Durchschnittsdeutschen, dessen reines Gewissen durch die vor seiner Nase angebrachten 3 Musiknoten dokumentiert wird, wobei die aus der gesamten Figur sprechende un-
beschwerte Gesetzestreue, auf Rechtsfrieden bedachte Fröhlichkeit durch die aufwärts strebende Melodie der beiden Sechzehntelnoten noch unterstrichen wird. In der Gegenüberstellung des Zitat ‚hihi’ und der beiden Sechzehntelnoten, dem Unterschied zwischen Tag und Nacht, dem Sichel-
mond, den um die Ecke lugenden Gestalten, den Handschuhen der Panzerknacker auf Bild 4 und der Ganovensprache derselben ‚quatsch nicht’ auf Bild 4 wird die Absicht des angeschuldigten Blatt-Redakteurs deutlich, tatsächlich eine Aufforderung zu einer strafbaren Handlung gezeichnet, bzw. diese Zeichnung veröffentlicht zu haben.

Das Tatbestandsmerkmal der Aufforderung

Auch bei der Prüfung des Tatbestandsmerkmales der Aufforderung ist der Staatsanwaltschaft das schlagendste Argument entgangen. Den Beweis, dass es den Angeschuldigten darauf ankam, Leser der Zeitschrift BLATT Nr. 57 zu veranlassen, Automaten des Münchener Verkehrsverbundes auf die gleiche Art zu beschädigen, zeigt eindeutig eine vergleichende Betrachtung des braven, rechts-
treuen, billig und gerecht denkenden Durchschnittsdeutschen Gustav auf den Bildern 5, 6 und 7. Während das Gesicht auf dem Bild 5 noch die satte Selbstzufriedenheit eines Menschen ausdrückt, der den um sich ausgebreiteten Rechtsfrieden genießt, wird Gustav auf Bild 6 mit dem Vergehen konfrontiert, um dann auf Bild 7 die Reaktion zu zeigen, die die Angeschuldigten sich für ihre Adressaten wünschten: reine Freude.

Unterstützung einer kriminellen Vereinigung

§ 129 StGB stellt unter Strafe, für eine kriminelle Vereinigung zu werben oder sie zu unterstützen. Nachdem sich die Panzerknackerbande, wie allgemein bekannt ist, allein zu dem Zwecke zusam-
mengeschlossen hat, Vergehen und Verbrechen gegen den achtbaren Bürger und Unternehmer Dagobert Duck zu begehen, sind sie zweifelsohne eine kriminelle Vereinigung i.S. des § 129 StGB.

Hieran ändert nichts, dass wie oben ausgeführt, Interpol und dem Bundeskriminalamt von der Existenz dieser kriminellen Vereinigung noch nichts Zuverlässiges bekannt ist.

Verunglimpfung der Staates nach § 90a StGB

Auf den Bildern 2, 8 und 9 ist ein Schwein abgebildet, welches auf Bild 8 einen Sheriffstern trägt und auf Bild 2 von einer anderen Person als Polizeipräsident angesprochen wird. Im Zusammen-
hang damit, dass die Bildergeschichte auf Vorgänge in München bezug nimmt, kann es sich bei dem abgebildeten Schwein nur um den Münchener Polizeipräsidenten Schreiber handeln. Die Figur auf Bild 2, identisch mit der Figur auf Bild 10, stellt einen Vertreter der Schicht der Unter-
nehmer dar, wie aus der Tatsache auf Bild 10 abzulesen ist, wo diejenige Figur in Geld schwimmt. Diese Figur äußert sich auf Bild 2 folgendermaßen: ‚Glaubst Du, ich habe Dich zum Polizeipräsi-
denten ernannt, damit Du den Dreistigkeiten der Automatenknackerbande tatenlos zusiehst?’ Worauf Polizeipräsident Schreiber erwidert: ‚Schluck!’

Die Angeschuldigten geben damit ihre Auffassung kund, dass der Polizeipräsident Schreiber von den Unternehmern eingesetzt sei, diese ihn jederzeit kündigen und entlassen können und dass der Münchener Polizeipräsident nicht nach Gesetz und Recht, sondern nach Anweisungen der Unter-
nehmer handelt. Er wird als von den Unternehmern abhängig dargestellt, wie seine Bemerkungen ‚Schluck’, ‚Seufz!’ und ‚Schluchz!’ zeigen. In der Person des Polizeipräsidenten wird gleichfalls die gesamte Polizei als ein Teil der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland so dargestellt, als ob diese auf das Kommando der Unternehmer hören würde. Dadurch wird die Bun-
desrepublik Deutschland selbst verächtlich gemacht, denn sie wird als mit einem so nachteiligen Mangel behaftet und auf dermaßen unsittlichen Grundsätzen aufgebaut hingestellt, dass sie, würde diese Unwahrheit zutreffen, der Achtung ihrer Bürger unwert erscheinen müsste (BGHSt 3;346). Die Angeschuldigten haben diese Behauptung aufgestellt, obwohl sie aus ihrem Staatskundeun-
terricht wissen, dass diese Behauptungen nicht stimmen; sie haben böswillig gehandelt.“

Gegen die Eröffnung der Hauptverhandlung auf Grund der vorliegenden Anklageschrift erhebt RA Montag Einwendungen, „da sie von der Staatsanwaltschaft nicht ernst gemeint sein kann“.

Hinsichtlich der anderen von der Verteidigung neu eingebrachten Straftatbestände wird dieselbe „Einwendungen erheben, sobald die Staatsanwaltschaft sie formell unter Anklage gestellt hat.“

Die Gesamthöhen der BLATT-Strafen lassen sich nicht genau ermessen, weil noch nicht klar ist, wie viele Strafbefehle noch aufgrund der vielen Ermittlungsverfahren wegen erschienener oder zu erscheinender BLÄTTER folgen werden.

Klar wird, dass die Staatsanwaltschaft versucht, die Zeitung wenn nicht durch offene Zensur, dann eben durch wirtschaftliche Liquidierung aus der Pressewelt zu schaffen.


Monika Döring u.a. (Hg.), Beschlagnahmt, Berlin 1976, 122 ff.

Überraschung

Jahr: 1975
Bereich: Militanz