Materialien 1981

Gewerkschaftsarbeit ist ihr halbes Leben

Stefanie Jahn, Betriebsrats-Vorsitzende, im Porträt

Eine gewitzte Frau muss sich zu helfen wissen. Als Stefanie Jahn zu ihrem ersten Rede-Beitrag als Betriebsrats-Mitglied auf der Betriebsversammlung von Rohde & Schwarz 1980 im Salvatorkeller ans Mikrophon trat, konnte sie nicht über’s Rednerpult schauen: »Da hab’ ich mich einfach auf einen Plastikbrotkorb gestellt und ich hab’ ganz schön gewackelt.« Die 1,58 m große Persönlichkeit muss ihre Sache – sie informierte zehn Minuten lang über Mutterschafts-Urlaub – trotz des schwankenden Standplatzes ausgezeichnet gemacht haben. Ein Jahr später war sie Betriebsrats-Vorsitzende.

Eine Sensation! Eine 29jährige Chemotechnikerin wird in einem Betrieb mit damals 2.100 Beschäftigten, davon 75 Prozent Männer, oberste freigestellte Belegschafts-Vertreterin, nachdem sie vier Jahre Mitglied der Industriegewerkschaft (IG) Metall und 21 Monate Betriebsrats-Mitglied war. »Ich denke, die Kolleginnen und Kollegen, die mich gewählt haben, haben honoriert, dass ich gut eingearbeitet war und mich sehr engagiert habe«, erklärt Stefanie Jahn ihre Wahl, die kurz vor Ostern 1981 erfolgte. »Doch ohne die solidarische Unterstützung und den notwendigen Rückhalt der Kolleginnen und Kollegen im Betriebsrat und Vertrauenskörper hätte ich diesen Sprung nie gewagt.«

Der ersten Überraschung folgte am Donnerstag nach Ostern eine zweite: Zum ersten Mal in der Firmengeschichte des 1933 gegründeten Unternehmens Rohde & Schwarz, das Messgeräte, Fernseh- und Rundfunkanlagen herstellt und im Bereich Funkerfassung sowie Betriebsfunktechnik tätig ist, fand ein Warnstreik statt. »Ich war nicht schlecht überrascht, als ich wenige Stunden nach meiner Wahl zur Betriebsrats-Vorsitzenden im Gewerkschaftshaus erfuhr, dass in allen Münchner Betrieben in einer Woche ein Warnstreik stattfinden sollte. Mit großem Herzklopfen haben wir Vertrauensleute und Betriebsräte uns an die Überzeugungsarbeit gemacht, und schließlich sind 300 Leute zum Karl-Preis-Platz mitgegangen«, erinnert sie sich.

Stefanie Jahn bringt viel Farbe in die Münchner Gewerkschaftsarbeit. Nicht nur, dass sie gelegentlich mit einem knallbunten Pullover Sitzungen von »Blaumännern« und »Weißkitteln« bereichert. Nein. Sie kommt auch mal als Nikolaus verkleidet zur Betriebsrats-Sitzung, bringt den Vertrauensleute-Leiter als Krampus mit und liest den lieben Kolleginnen und Kollegen die Leviten. Und: Sie gibt mit ihren Redebeiträgen Impulse für die gewerkschaftlichen Diskussionen.

»Wir wollen, dass Frauen in der IG Metall mehr Funktionen ausüben. Dabei gilt es, genau hinzuschauen. Viele Männer gehen immer davon aus, dass die ganze Logistik – sprich: Haushalt und Kindererziehung – einfach so funktioniert. Dabei ist es für eine Frau ungeheuer problematisch, das mit einer Vollzeitbeschäftigung auf die Reihe zu kriegen«, erläutert Stefanie Jahn. Und sie fügt hinzu: »Deshalb ist tägliche Arbeitszeitverkürzung so wichtig: Nur mit ihr kann die Zeit für’s gesellschaftliche Leben, für Freunde, für’s Privatleben ausgedehnt und die häuslichen Tätigkeiten gerecht verteilt werden. Tägliche Arbeitszeitverkürzung ist der Schlüssel, um aus dem überkommenen Geschlechter-Rollenverhalten herauszukommen.«

Stefanie Jahn kennt auch einen Ansatzpunkt, wie diese Diskussion in den nächsten Jahren geführt werden könnte: »Wir Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter müssen von Arbeitgebern einfach verlangen, dass sie Tarifverträge nur für Frauen abschließen. Dann, denke ich, käme die Diskussion um familienfreundliche Arbeitszeiten sofort auf den Punkt, und es würde endlich deutlich, dass unser derzeitiges Arbeitssystem überwiegend deshalb funktioniert, weil sehr viele Frauen ihrem für die Firma angeblich so unentbehrlichen Mann den Rücken freihalten.«

Diese wichtige Diskussion, die sicher bis in’s nächste Jahrtausend hineinreichen wird, bekommt bei Stefanie Jahn eine solide Grundlage durch die gewerkschaftliche »Kleinarbeit« im Frauen-Ausschuss und vor allem im Betrieb. Da stellt sie fest, dass Frauen ihre Überstunden immer in Freizeit und nicht mit Geld ausbezahlt bekommen wollen. Da gibt es Höhergruppierungen von Kolleginnen. Nicht zuletzt mit dem Hinweis, dass die Betroffenen eine Klage einreichen könnten, gelang es im Juni 1990, auf einen Schlag 15 Arbeiterinnen eine Lohngruppe höher zu bringen. Oder da sind Betriebsvereinbarungen, die das Arbeiten mit technischen Einrichtungen, wie zum Beispiel Bildschirmen, regeln.

Und es ist eine Fülle von sozialen Problemen vorhanden. »Bei uns im Betrieb gibt es, für jeden Laien erkennbar, psychisch kranke Menschen. Das ist ja auch ganz logisch, denn im Betrieb gibt es genauso viele Alkoholiker oder Tablettenabhängige wie vor dem Werkstor. Und der Betriebsrat ist als Sozialstation überfordert. Seit Jahren arbeiten wir darauf hin, einen Betriebs-Psychologen beziehungsweise einen Sozialarbeiter zu bekommen. Aber das stößt bei der Firmenleitung auf taube Ohren, dabei sind es doch ihre Angestellten und Arbeiter.«

Ein offenes Ohr für alle Sorgen der Beschäftigten braucht Stefanie Jahn immer. Oft ist ihr von Kolleginnen schon anvertraut worden, dass sie am Arbeitsplatz sexuell belästigt worden sind. »Zu einer Klage ist es bisher noch nicht gekommen, denn wo keine Zeugen sind, würde Aussage gegen Aussage stehen. Aber es kommt nicht selten vor, dass eine Kollegin sagt: >Ich bin so froh, dass ich mit jemandem darüber geredet hab’. Mir geht’s jetzt viel besser! <«

Viel besser geht es Stefanie Jahn seit neuem auch in ihrem Verhältnis zu anderen IG-Metall-Funktionären. Seit März 1990 sitzt sie sogar in der Ortsverwaltung, dem obersten Gremium auf München-Ebene nach der Vertreterversammlung. Vor zehn Jahren noch ist sie wegen ihres Engagements in der Friedensbewegung – sie war zum Beispiel Rednerin beim Ostermarsch 1982 in München – stark angefeindet worden. Eine Auseinandersetzung auf der IG-Metall-Frauenkonferenz 1982 hat sie dabei in ganz besonderer Erinnerung: Die damalige IG-Metall-Spitze in Person von Hans Mayr und Eugen Loderer sprach sich vehement gegen die Unterstützung des Bielefelder und Krefelder Appells aus, Stefanie Jahn und viele Frauen waren dafür. »Als Hans Mayr seine Rede beendet hatte, war es zunächst mucksmäuschenstill. Auf einmal fing eine Kollegin das Ostermarsch-Lied zu singen an: >Marschieren wir gegen den Osten? Nein! Marschieren wir gegen den Westen? Nein! Wir marschieren für ‚ne Welt, die von Waffen nichts mehr hält …< Und der ganze Saal stimmte lauthals ein. Das war ein starkes Gefühl – Frauen-Solidarität.«

Ausdruck von Solidarität ist für Stefanie Jahn auch die IG-Metall-Mitgliedschaft. »Gewerkschaft heißt für mich: Ich steh’ nicht allein in meinem Arbeitsleben«, definiert sie. »Und ich habe Kontakt zu Leuten in der ganzen Bundesrepublik, wobei einiges an Freundschaften übriggeblieben ist, auch wenn man sich selten sieht, vielleicht nur einmal im Jahr.«

Pro Jahr auf 10 – 12 Wochenenden und im Schnitt 1 – 2 Abende pro Woche schätzt Stefanie Jahn die zeitliche Beanspruchung durch ihre gewerkschaftliche Betätigung. »Ich kann nicht bei jeder Veranstaltung dabei sein. Ich muss auch Nein sagen können«, stellt sie ihr – vernünftiges – Motto vor. Stefanie Jahn hat zum Beispiel darauf verzichtet, beim DGB-Chor mitzusingen.

Als Stefanie Jahn bei ihrer »Funktionsträger 1 – Schulung« vom Seminar-Leiter einen Zettel mit sämtlichen, für Betriebsrats-Tätigkeiten wichtigen Paragraphen-Nummern vorgestellt bekam, dachte sie: »Das lerne ich nie. Heute, bedingt durch viele konkrete Fälle, kann ich die Paragraphen gut auseinanderhalten und hab’ mich sogar in noch mehr Gesetze eingearbeitet.«

Diese große Vorschriften- und Sachkenntnis, verquickt mit einer schnellen Auffassungsgabe und dem Blick fürs Wesentliche dürften der Hauptgrund für die großen Erfolge der Betriebsrats-Vorsitzenden Stefanie Jahn sein. Seit der Betriebsratswahl 1990 gibt es bei Rohde & Schwarz nur noch Metaller und Metallerinnen im Betriebsrat – die DAG-Konkurrenz hat aufgegeben. Und auch gegenüber der Firmenleitung hat sich Stefanie Jahn (»Mein Motto ist: Ich lass’ mir nichts gefallen.«) mittlerweile gehörigen Respekt verschafft. Aus »der Kleinen vom Betriebsrat« ist die »geschätzte Betriebsrats-Vorsitzende Jahn« geworden. Noch 1981 haben Betriebsrats-Kollegen von Stefanie Jahn veranlasst, dass das Rednerpult umgearbeitet wird. »Die Werkschreinerei hat ein einklappbares Podesterl gezimmert, wie eine Treppe«, berichtet Stefanie Jahn. Und auf diesem Podest steht jetzt immer wieder Stefanie Jahn, wenn sie etwas zu sagen hat, ganz oben. Und sie hat viel zu sagen.

Wolfgang Peschel


Landeshauptstadt München (Hg.), Arbeit ist das halbe Leben … Münchner Arbeitswelten damals und heute. Geschichtswettbewerb 1991, München 1992, 128 ff.