Materialien 1991

Fremde Arbeitswelten

… Wenn ich auf mein Arbeitsleben in Deutschland zurückblicke, kann ich nur sagen, es hat sich gelohnt, dass ich mich engagiert habe. Schimpfen allein reicht nicht. Ich kenne das Betriebsverfassungsgesetz. Es ist sehr kompliziert, man muss viele Seminare mitgemacht haben. Seminar klingt immer so schön. Wenn man dann aber wieder am Arbeitsplatz ist oder im Betriebsratszimmer, wenn es um einen konkreten Fall geht, um eine Kündigung, Versetzung oder Lohnerhöhung, Akkordbestimmung und Freizeit, dann wird es schwer, diese Gesetze anzuwenden. Diese Paragraphen, dieser Wirrwarr! Hier in der Bundesrepublik gibt es so viele Paragraphen und so viele Gesetze; Natürlich kann man nicht überall dabei sein, man hat ja selbst auch Arbeit. Es muss alles funktionieren, das Geschäft muss weiterlaufen, die Kolleginnen in der Abteilung müssen zufrieden sein. Man kann nicht nur auf Sitzungen sein. Aber wenn man alles plant, dann geht es. Wenn ich weiß, dass ich übermorgen Sitzung habe, dann muss ich heute schon schauen, dass jemand da ist, wenn die Maschine ausfällt oder irgend etwas passiert. Man lernt dieses System kennen – von der Einstellung bis zur Kündigung.

Es gibt mittlerweile sehr viele ausländische Betriebsräte in München, fast in jedem Betrieb; damals war das nicht so. Wir treffen uns in unserem Gewerkschaftshaus und reden miteinander. Mittlerweile haben wir einen Ausschuss, der von der Organisation offiziell anerkannt ist. Es ist der einzige Ort, wo wir als Ausländer mitwirken können, wo wir mit unseren zwei Fingern unsere Meinung sagen können. Draußen sieht es ein bisschen anders aus. In Bezirksversammlungen haben wir leider kein Rederecht. Wir haben kein Wahlrecht, wir können auf kommunaler Ebene nicht mitentscheiden. Nicht einmal das haben wir in 20 Jahren erreicht, aber wir geben nicht auf. Mit Blick auf das Europa von 1993 gehe ich davon aus, dass zumindest die anderen europäischen ausländischen Kollegen kommunales Wahlrecht erhalten werden. In vielen Ländern Europas ist das möglich, in Deutschland noch nicht.

Ich arbeitete auch im Ausländerbeirat der Stadt München mit. Ich glaube, die Stadträte waren und sind froh, dass es so ein Gremium gibt. Zur Zeit leben 220.000 Ausländer in München, da sind allerdings auch die Streitkräfte und Konsulatsangehörigen dabei. Direkt in der Wirtschaft arbeiten 120.000. Da gibt es Probleme von der Ausbildung bis zur Aufenthaltserlaubnis. In acht Jahren haben wir über 200 Anträge vorbereitet, viele sind realisiert. Wir haben Kulturfeste organisiert und Aktionen zum Ausländergesetz gemacht. Wir haben erreicht, dass viele eine unbefristete Arbeitserlaubnis besitzen. Das ist sehr wichtig. Wir haben uns eingesetzt, dass die Zahl der Aufenthaltsberechtigungen zugenommen hat. Die betroffenen Familien sind nun absolut gefestigt nach deutschem Recht. Man kann sagen, dass diese Familien ein bisschen ruhiger schlafen können. Aus einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis kann wegen Arbeitsmangels schnell eine befristete werden. Am Ende kann die Ausweisung stehen. In dieser Richtung werden wir weiter arbeiten.

Was die Ausländerfeindlichkeit angeht, das ist mittlerweile eine Problematik. Die größte überhaupt in meinen 20 Jahren. Als ich hierher kam, war das kein Thema. Wir wurden empfangen, wir waren beschäftigt. Am Arbeitsplatz hat es ganz kurzfristig Spannungen gegeben, weil wir eben Menschen waren, die anders aussahen: mit Schnurrbart, dunkelhäutig und mit schlechten Sprachkenntnissen. Aber nach relativ kurzer Zeit haben die deutschen Kollegen am Arbeitsplatz gesehen, dass die Ausländer doch nicht so waren. Sie waren ein bisschen überrascht. Wir mussten alle miteinander arbeiten. Draußen im Privatleben war es nicht so einfach. Es waren eben andere Sitten. Hier war alles so pünktlich, hier war alles so ruhig zu bestimmten Zeiten, nach 22 Uhr, die Kinder haben nicht so getobt. Irgendwie ist das Temperament bei Südländern doch anders. Da hat es ab und zu mit Nachbarn Knatsch gegeben. Aber beim ersten Grillfest vor dem Haus, das habe ich organisiert, habe ich einfach Leute eingeladen auf die grüne Wiese. Jeder hat etwas mitgebracht, und das Verhältnis wurde sofort besser. Wir haben uns aber auch einpassen müssen, weil es hier eben andere Formungen gibt. Die Nachbarn und Kollegen haben sich ebenfalls ein bisschen umgestellt und gesehen, dass nicht alles so steril sein muss. Arbeit hat es genug gegeben, und deswegen ist diese Ausländerfeindlichkeit nicht aufgetreten. Aber jetzt fragt sich natürlich der Einheimische, der Deutsche, wieso kriege ich die Kündigung, wieso bekommt sie nicht der ausländische Kollege. Da kommen die Emotionen. Die Dinge haben sich mit steigender Arbeitslosigkeit entwickelt, mit der Ungewissheit für die Zukunft. Seit der Vereinigung Deutschlands und diesen Vorfällen in Ostdeutschland ist die Ausländerfeindlichkeit rapide nach oben gegangen. Das wurde natürlich auch in die Betriebe hineingetragen. Die deutschen Kollegen reden mehr darüber als vorher.

Ich verurteile die Politiker – und zwar Politiker aller Couleur – die das schüren, die ihre politischen Ziele damit verwirklichen wollen, um Stimmen bei der Bevölkerung zu fangen. Bei den kleinen, armen Ausländern kann man ruhig mal klopfen, bei denen verliert man keine Stimme, es ist kein Wählerpotential. Wir hoffen, dass da ein bisschen mehr Verständnis kommt. Man spürt die Feindlichkeit in den Betrieben weniger als auf der Straße. Bei Kündigungen sind alle gleich betroffen. Ein Sozialplan wird aufgestellt. Der wird genau nach den Punkten Alter, Betriebszugehörigkeit, Familienstand usw. durchgezogen. Es spielt überhaupt keine Rolle, ob einer Ali oder Franz heißt. In der Nachbarschaft oder draußen in der Stadt, auf der Straße hört man verschiedene Sprüche und Schimpfworte: Was wollen die Kanaken schon wieder? Man sieht Parolen: Ausländer raus, Deutschland den Deutschen. Da muss man nachdenken. Oder wenn ein griechischer oder jugoslawischer Kollege etwas nach Knoblauch riecht, heißt es: »Na, du Koblauchfresser, hast du wieder Knoblauch gegessen?« Da sind wir jetzt alle gefragt, wenn wir ein gleichberechtigtes, starkes, modernes Europa haben wollen, dann sind wir wirklich alle gefragt, nicht nur Europa, sondern die ganze Welt. Die Menschen sind doch irgendwie alle gleich. Alle essen, schlafen, arbeiten.

Mischa Gloginic


Landeshauptstadt München (Hg.), Arbeit ist das halbe Leben … Münchner Arbeitswelten damals und heute. Lesebuch zur Geschichte des Münchner Alltags. Geschichtswettbewerb 1991, München 1992, 83 f.

Überraschung

Jahr: 1991
Bereich: AusländerInnen