Materialien 1992

Gisela Elsners Tod – ein tragisches Lehrstück

Als 1964 Gisela Elsners „Riesenzwerge“ im Rowohlt-Verlag erschien, der verlogenen Gesellschaft die Maske vom hässlichen Gesicht riss und die Kritiker begeisterte, war es schick, etwas links zu sein, man hatte als etwas linker Verlag ein etwas linkes aufgeschlossenes Publikum und konnte leidlich daran verdienen, wie ja fixe Jungen(s) immer wieder durch Vermarktung aller Arten von Protest eine schnelle Mark machen. Als ich dieser Tage beim Rowohlt-Verlag anrief und nach Büchern von Gisela Elsner fragte, sagte mir eine freundliche Dame, die seien nicht mehr im Programm – halt, da gäbe es vielleicht noch ein oder zwei lieferbare Taschenbücher, sie wolle sich schlau machen und wieder durchrufen: Ja, das Taschenbuch „Die Zähmung“ und „Berührungsverbot“.

Zwischen diesen beiden Marken liegt die Story der Erfolgsschriftstellerin Gisela Elsner, die im Mai „radikal bis in den Tod“ ihrem Leben ein Ende setzte. Es darf gemutmaßt werden, ob sie am Untergang des ,realen Sozialismus’ zerbrach, an der Perfidie des Kapitals, an der Tatsache, dass sie zum Nobody der Literatur herabgestuft worden war, an wirtschaftlicher Not oder übersteigerten Ansprüchen oder Erwartungen welcher Art auch.

Es darf gemutmaßt werden, ob ihr Verlag – Rowohlt ist seit geraumer Zeit ja nicht mehr Rowohlt, sondern Holtzbrinck – sie ,nur’ aus wirtschaftlichen oder aus politischen Gründen hat fallen lassen.

Gisela Elsner war aus dem gut situierten Bürgertum gekommen. Sie wusste, worüber und wogegen sie schrieb, denn sie hatte ihren Stall verlassen: „Sich irgendwo zwischen den Klassen einzurichten, das ist für jemand meiner Herkunft nicht möglich. Entweder man bleibt in dem Stall, wo man geboren wurde, oder man schlägt sich auf die andere Seite.“ Sie hatte sich auf die andere Seite geschlagen, und „der Stall“ hatte, wie Gerd Deumlich schrieb, ihr das nicht verziehen. Die Zeit kam, dass er sich an ihr rächen konnte.

Schriftsteller leben von Honorar, das für jedes verkaufte Buch gezahlt wird, jährlich abgerechnet. Die Zwischenzeit wird durch Vorschüsse überbrückt. An der Höhe des Vorschusses erkennt der Schriftsteller seinen Marktwert. Ist der unter eine bestimmte Menge verkaufter Bücher gesunken, oder will man sich aus irgendwelchen anderen Gründen von den Beständen trennen, dann wird der Ladenpreis aufgehoben und die Restauflage zum Billigstpreis ,verramscht’.

Solch ein Ausverkauf ist für den Schriftsteller meist schmerzvoll, schmälert er doch die eigenen Einnahmen, ruiniert aber auch den Ruf, zumindest dann, wenn es sich um den Total-Ausverkauf des Werkes eines Schriftstellers handelt. Er signalisiert der Branche wie dem Publikum: Die/der ist out. Lasst die Finger davon. Und da kein anderer Verleger – trotzdem die Rechte am Werk an den Schriftsteller zurückfallen, ,selbstverständlich’, wie Rowohlt zu betonen bemüht ist – den Titel in absehbarer Zeit zum Originalpreis wieder anbieten kann, ist der Schriftsteller praktisch enteignet, ohne Gesetz und ohne Urteil, jeder Möglichkeit zur Verwertung seines geistigen Eigentums beraubt. Das ist nun mal so und deshalb wird jungen Talenten, die die Karriere eines kritischen Schriftstellers anstreben, empfohlen, sich vorher eine(n) Lebensgefährten(in) in gesicherter Stellung – möglichst beamtet – zu suchen.

Nein, jeder Verleger hat bei uns die Freiheit, selbst zu entscheiden, was er verlegt und was er aus dem Programm streicht, wie jeder Fabrikant frei ist, Seife oder Käse oder irgendetwas anderes zu produzieren, wovon er meint, dass er Geld damit verdienen könne (oder Stricke, Kapitalisten daran aufzuhängen, vorausgesetzt, es bestehe Nachfrage). Und die Nachfrage geht manchmal seltsame Wege. So produzierte der ebenfalls zum Holtzbrinck-Imperium gehörende Fischer Taschenbuchverlag im Verlauf der wilden 68er Jahre nicht nur Bakunin und andere Klassiker des Anarchismus, verlegte den ,Werkkreis der Literatur der Arbeitswelt’ und sozusagen als Höhepunkt Martin Damus ,Funktionen der Bildenden Kunst im Spätkapitalismus’, sicherlich gegen die politischen Überzeugungen des Inhabers, der aber Gewinnerwartungen an solche Titel knüpfte. Doch das ist vorbei. Verleger gehen heute nicht mehr in die Kulturgeschichte ein wie Cotta und Vieweg, Suhrkamp und Rowohlt, sondern Verlage werden auf den Wirtschaftsseiten der Presse erwähnt, wie Bertelsmann, Springer, Burda und Bauer und der schon erwähnte Holtzbrinck.

Wir sollten das Andenken Gisela Elsners – um wieder zu ihr zurückzukommen – ehrenvoll bewahren, indem wir ihre Bücher nicht in den Raritätenschränken der Sammler zu einer exotischen Marginalie der deutschen Literatur werden lassen.

RLT


Freidenker. Organ des Deutschen Freidenker-Verbandes e.V. 3 vom September 1992, 125 f.

Überraschung

Jahr: 1992
Bereich: Kunst/Kultur