Materialien 1964
Was hat der Mörder Tschombé bei uns zu suchen?
Die verzerrten Informationen über die Ereignisse am Kongo und der Besuch Tschombés in Mün-
chen zwingen dazu, einige Punkte richtig zu stellen. 80 Prozent der kongolesischen Wirtschaft be-
finden sich in Händen belgischer, englischer und amerikanischer Kapitalisten. Deren Regierungen waren auch für die angeblich humanitäre Befreiungsaktion, auf die wir alle hereinfallen sollten, verantwortlich. Aus der relativen Untätigkeit des Ostblocks kann man den Schluss ziehen, dass er an einer wirklichen Befreiung des Kongo nicht ernsthaft interessiert ist. Tschombé ging es nicht um die friedliche Befreiung von Geiseln, was durch Verhandlungen möglich war, sondern um die gewaltsame Einnahme der Stadt Stanleyville, was das Leben der Gefangenen erst in Gefahr brach-
te. Um die Rebellen besser verteufeln zu können, wäre es ihm sogar lieber gewesen, wenn sie alle 1.000 Gefangenen umgebracht hätten und nicht nur 97. Werden dagegen bei der Einnahme von Stanleyville innerhalb weniger Stunden mehrere Hundert Aufständische abgeknallt oder werden Hunderttausend Schwarze in Angola von den NATO-Truppen Portugals ausgerottet, gilt dies als abendländische Befriedungsaktion. Zum Schutz westlicher Konzerninteressen hat Tschombé bel-
gische Panzer, amerikanische Flugzeuge, deutsche SS-Leute, südafrikanische Rassisten und fran-
zösische OAS-Terroristen eingekauft.
Der exclusive Rhein-Ruhr-Club, der seinerzeit Hitler finanzierte und kürzlich Hoggan hofierte, entblödet sich nicht, den Mörder Lumumbas zu einem Vortrag einzuladen, denselben Tschombé, von dem unsere Presse noch vor zwei Jahren berichtete, dass er seine Katanga-Gendarmerie zum Kannibalismus aufforderte. Selbst im Vatikan, der an der Union Minière beteiligt ist, hatte diese Marionette kapitalistischer Unterdrückung Privataudienz. Indem die Bundesrepublik den Verbre-
cher Tschombé einlud, zeigte sie sich als ein Glied in der weltweiten Kette der Unterdrückung. Wir haben für unsere Regierungen schon oft die Kastanien aus dem Feuer holen müssen. Wir weigern uns, bei der Ausbeutung und Unterdrückung anderer Völker mitzumachen. Hier wie dort stehen dieselben Interessen auf dem Spiel, und zweifellos würde man sich auch bei uns der gleichen Mittel bedienen, wenn sich jemand gegen die Ausbeutung des Menschen auflehnen würde.
Die Unterdrücker des kongolesischen Volkes sind auch unsere Unterdrücker!
München, 16. Dezember 1964
Aktion für internationale Solidarität1
Albrecht Goeschel (Hg.), Richtlinien und Anschläge. Materialien zur Kritik der repressiven Gesellschaft, München 1968.
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1 „Die Aktion für internationale Solidarität war ein gegen Jahresende 1964 zustande gekommener Zusammenschluss für gemeinsame Aktionen von Mitgliedern des SDS-München, der Münchner Sektion der Subversiven Aktion und der Münch-
ner Gemeinschaft für Wissenschaftlichen Sozialismus e.V., sowie für gemeinsame Aktionen von Mitgliedern des SDS-Berlin und der Berliner Sektion der Subversiven Aktion. Bereits im November 1964 waren Frank Böckelmann und Dieter Kunzel-
mann in den Münchner SDS eingetreten. Im Januar 1965 traten dann auch Rudi Dutschke, Rodolphe Gasché, Herbert Na-
gel und Bernd Rabehl in den SDS-Berlin ein. Vgl. Bergmann, Dutschke, Lefevre, Rabehl «Rebellion der Studenten oder Die neue Opposition», Reinbek bei Hamburg 1968, S. 62. Gegen Jahresende 1964 waren in den Münchner SDS auch Mitglieder der Gemeinschaft für Wissenschaftlichen Sozialismus e.V. eingetreten, mit der besonders Dieter Kunzelmann zusammenar-
beitete. Die Gemeinschaft war im April 1964 gegründet worden mit dem ausschließlichen Zweck der «Förderung und Orga-
nisierung sozialistischer Presse-, Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit» (§ 2 der Vereinssatzung vom 10. Mai 1964). Die Bun-
dessekretäre Rudolf J. Gramke und Hans-Werner Saß hatten bis September 1963 Herausgabe und Redaktion der Münchner Zeitschrift «Schwarz auf Weiß» besorgt, die bis März 1963 unter dem Titel ,Heute’ erschienen war. Die gleiche Zeitschrift war zuvor unter den Titeln ,Contra’ (bis September 1962) und ,Baubudenpoet’ (bis Juli/August 1960) publiziert worden. Die erste Ausgabe des ,Baubudenpoet’ war im Juli/August 1919 erschienen.“