Materialien 2005
Neue Aufgaben für die Polizei
Die CSU hat einen Entwurf zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes vorgelegt
In der letzten Legislaturperiode hatte die bayerische Staatsregierung ihren Gesetzesentwurf zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes nach massiven Protesten von Opposition, Experten und Verbänden zurückgenommen – jetzt startet sie einen neuen Anlauf. Aber auch diese Vorlage stieß bei der Anhörung im bayerischen Landtag im März auf grundlegende Kritik – nur die Polizei begrüßt die Ausweitung ihrer Befugnisse. Der Gesetzesentwurf wurde von vielen Fachleuten als „nebulös“ bezeichnet, Rechtsanwalt Hartmut Wächtler von der Bayerischen Strafverteidigerinitiative stellte fest: „Ich habe mehrere Tage gebraucht, bis ich das Gesetz verstanden habe.“ Damit dürfte gesichert sein, dass Laien, also die meisten Betroffenen, dieses Gesetz nur mit Hilfe eines Anwalts durchschauen können.
Die wichtigsten Kritikpunkte an diesem Entwurf sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden:
Das Gesetz weitet die Möglichkeit der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) über den Bereich der Aufklärung von Straftaten hinaus in den Bereich der „Prävention“ aus. Das bedeutet, dass Abhörmaßnahmen bereits dann gestattet werden, wenn der konkrete Verdacht vorliegt, dass zukünftig eine Straftat begangen wird. Dass auf diese Art und Weise der Präventionsgedanke pervertiert wird, weil nicht mehr versucht wird, Straftaten vorzubeugen, indem die Ursachen bekämpft werden, sondern stattdessen „vorbeugend“ große Teile der Bevölkerung kriminalisiert werden, haben wir bereits im vorletzten Info ausführlicher kritisiert.
Aber auch über die grundlegende Kritik hinaus gibt es hier wichtige Argumente: Der schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert stellte klar, dass eine „vorbeugende Straftatenbekämpfung“ als Grund für einen Lauschangriff verfassungsrechtlich nicht ausreiche: „Die Annahme, jemand werde irgendwann in Zukunft eine schwerwiegende Straftat begehen, kann noch nicht als dringende Gefahr anerkannt werden“, sagte er.
Das Gesetz fordert nur das Vorliegen eines konkreten Verdachts, nicht einmal die einschlägige Formulierung einer dringenden Gefahr wird verwendet. Das bedeutet, dass diese angebliche Gefahr noch nicht einmal unmittelbar bevorstehen muss. Hier wird einer angeblich vorbeugenden TKÜ über längere Zeiträume Tür und Tor geöffnet.
Der Katalog der Straftaten, bei denen eine präventive TKÜ angeordnet werden kann, umfasst die bevorstehende Begehung „schwerwiegender Straftaten“. Da die Strafandrohungen im Strafgesetzbuch Höchststrafen, die in der Praxis höchst selten verhängt werden, festschreibt, kann es passieren, dass wegen der etwaigen bevorstehenden Begehung eines Delikts abgehört wird, das dann mit Geldstrafe, oder sehr niedriger Freiheitsstrafe – in der Regel auf Bewährung – geahndet würde. Es ist also falsch, wenn behauptet wird, dass es sich allesamt um Straftaten handelt, die den Bereich der mittleren Kriminalität deutlich übersteigen. Hier wurde der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit also bis zum Zerreißen gedehnt.
Nachbesserungsbedarf sieht die Justiz auch für die vorgeschriebene Genehmigung einer Abhörmaßnahme durch einen Richter. «Es muss sichergestellt sein, dass in einen so sensiblen Bereich wie die Wohnraumüberwachung nicht so locker durch Eilkompetenz der Polizei eingegriffen werden kann», sagte der Augsburger Landgerichtspräsident Manfred Wick. Wichtige Mängel, die der bayerische Datenschutzbeauftragte Vetter in seinem Bericht beanstandet hatte, wurden nicht behoben:
▒ In dem Entwurf fehlt eine Berichtspflicht an den Landtag, wie sie zum Beispiel für die Wohnraumüberwachung vorgesehen ist. Eine Kontrolle der TKÜ ist also nicht vorgesehen, auch eine Verpflichtung zur Evaluierung der Maßnahmen lehnt die Staatsregierung ab.
▒ Für Gespräche, die dem „Kernbereich privater Lebensgestaltung“ zuzurechnen sind, hatte der Datenschutzbeauftragte ein Datenerhebungsverbot gefordert, das Gesetz sieht jedoch nur eine Löschungspflicht vor. Also erst mal fleißig intimste Geheimnisse abhören und dann – vielleicht – die Daten wieder löschen … als wenn der Bruch des letzten Rests an Privatsphäre durch eine nachträgliche Löschung der Daten zu heilen wäre.
▒ Die Regelung bedeutet eine weitere Einschränkung des Zeugnisverweigerungsrechts: Was nutzt es, die Aussage verweigern zu können, wenn bereits präventiv alle möglichen Aussagen aufgezeichnet wurden und verwertet werden dürfen, wenn sie nicht jenem ominösen „Kernbereich privater Lebensgestaltung“ zuzurechnen sind?
(21. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für den Datenschutz, Berichtszeitraum 2003/2004, LT-Drs. 15/2074)
Die Gruppe der so genannten Geheimnisträger, also Anwälte, Journalisten, Therapeuten und Ärzte etc. wird in dem Gesetzesentwurf ohne vernünftige Begründung noch einmal gegenüber der bundesweiten Regelung in der Strafprozessordnung eingeschränkt. Außerdem gilt auch hier, dass erst einmal abgehört und dann entschieden wird, ob vielleicht Tatsachen vorliegen, die diese Maßnahme rechtswidrig machen. Rechtsanwalt Wächtler stellte bei der Anhörung fest, dass er als Verteidiger bei seinen Gesprächen naturgemäß ständig einen Bezug zu Straftaten habe – hier wäre also permanent ein „konkreter Verdacht“ gegeben.
Mit „präventiven“ Maßnahmen gerät die Arbeit der Polizei in immer größere Nähe zur geheimdienstlichen Tätigkeit. Dies ist durchaus gewollt, macht die CSU doch immer wieder Vorstöße auf Bundesebene, um gesetzliche Grundlagen für die Zusammenarbeit von Polizei und Geheimdiensten zu schaffen. Und ausgerechnet der bayerische Datenschutzbeauftragte ist der Ansicht, dass eine engere Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz möglich und erlaubt sei und hat dies so in die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder eingebracht.
So weit die Kritikpunkte der Experten. Es wäre an der Zeit, dass all die, die hier unter Generalverdacht gestellt werden, ganz präventiv ihren Protest gegen diesen Eingriff in ihre Privatsphäre kundtun.
Rechtsanwalt Hartmut Wächtler wird am 13. Juni 2005 zum Thema Polizeiaufgabengesetz referieren – siehe dazu die Veranstaltungsankündigung.
Freidenkerinfo vom Mai 2005, 3 ff.