Materialien 1980
Stellungnahme
Der Prozess. der gegen mich in Vorbereitung ist, ist ein Prozess, in dem es um den Kampf der Verfolgungsbehörden gegen oppositionelle Medien geht – hier konkret: die Piratensender. Gemeint ist die Funktion, die diese Sender in den Händen einer Opposition erfüllen und die Politik, die sie zum Inhalt haben.
Es soll ein symbolisches Urteil durchgesetzt werden, dass die tatsächlich sendenden „freien Radios“ meint. Durch eine Verurteilung von mir, die relativ reibungslos ablaufen wird und die nur die Herstellung eines Senders konkret zum Inhalt hat, soll ein exemplarisches Urteil produziert werden, das dann in allen zukünftigen Prozessen gegen Piratensender seine Wirkung haben wird. Die gesonderten Haftbedingungen, die Besuchsbeschränkungen, sind nur als Teil diese Projekts, nämlich als der Versuch, mich da auf diese Weise mit einzubeziehen, zu sehen, um es so zu rechtfertigen.
Die freien Sender hier in der Bundesrepublik, denen dieses Urteil gilt, sind Teil einer Entwicklung, die sich über ganz Westeuropa erstreckt, wobei Teile verschiedener Oppositionsbewegungen sich einer Technik bedienen, die angesichts der gigantischen staatlichen beziehungsweise privaten Manipulationsapparate, die hier in Westeuropa aufgebaut werden, inzwischen wohl eher die Qualität eines Abfallprodukts hat. Und der Zweck der jeweiligen staatlichen Maßnahmen gegen diese Sender ist deshalb auch nie der, eine Rundfunkfreiheit zu schützen oder ein Monopol zu verteidigen – das kann dann der Effekt sein – es geht darum, oppositionelle Gruppen auf einer Medientechnik zu halten, von der einerseits der Schein einer Presse- oder Medienfreiheit erhalten bleibt, andererseits aber erhofft wird, dass sie gegen die Meinung der Herrschenden, die tagtäglich von früh bis spät volles Rohr dröhnt, keine Chance hat und deren Inhalte auch jederzeit zensiert werden und deren Mitarbeiter verhaftet werden können, wenn es die politische Lage erfordert.
Die freien Sender in der BRD sind hauptsächlich in den letzten zwei Jahren eröffnet worden und objektiv nur im Zusammenhang mit der verstärkten Verfolgung linker Medien, den Prozessen gegen Druckereien, Verlage und Zeitungen seit der Staatskrise im Herbst 1977 erklärbar. Es hat sich in der Zeit und danach gezeigt, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Recht darauf, dass keine Zensur stattfindet, kein Recht ist, auf dem man bestehen kann, sondern eine milde Gabe des Staates, das in dem Moment abgeschafft wird, in dem der Staat in eine politische Krise gerät, und so lange missachtet wird, bis keine Opposition mehr zu fürchten ist. Piratensender drücken diese Erfahrung aus und machen so von einer Position der Stärke aus deutlich, was das Recht auf politische Auseinandersetzung für eine Substanz hat, die sich ja immer erst in „politischen Krisen“ herausstellt: verhaftete Drucker, Journalisten und beschlagnahmte Druckwerke. Freie Sender stellen einfach durch ihre Existenz das ganze juristische Arsenal der Verfolgungsbehörden gegen linke Medien infrage, weil sie nicht greifbar, also nicht zensierbar sind und außerdem einen viel größeren Personenkreis erreichen können, als zum Beispiel Zeitungen. Und: Piratensender sind Medien, die als einzige in Krisenzeiten nicht mit Nachrichtensperre zu belegen sind.
Daraus ergibt sich der politische Zwang der Staatsanwaltschaft, aus diesem Prozess gegen mich einen exemplarischen Prozess zu machen, der nicht bloß die ausdrücklich genannten Anklagepunkte zum Inhalt hat. Diese sind nur das Mittel, um den Verfolgern oppositioneller Medien eine juristische Orientierung zu geben. Eine Verteidigung beziehungsweise der Kampf um Medienfreiheit kann nicht auf der Ebene von Gesetzen laufen, kann bezüglich der Piratensender nicht auf dem Fernmeldeanlagengesetz laufen, weil diese Gesetze längst von anderen gebrochen wurden. Das Recht, Piratensender in Betrieb zu setzen, ergibt sich einerseits aus der politischen Dimension, die im Kampf gegen AKWs und Atomwaffen berührt wird und aus der Funktion, die die staatlichen Medien dabei übernehmen.
In dem Kampf gegen Atomanlagen hat es sich gezeigt, dass die Regierung auf Protest, und sei er noch so groß, nicht reagiert. Das hat sich in der Anti-Kriegsbewegung der Fünfziger Jahre gezeigt und zeigt sich heute im Kampf gegen AKWs: die Atombomben stapeln sich und die AKWs werden gebaut wie eh und je. Die Regierung ist gefangen in ihrer Rolle als zweitgrößtes westliches Industrieland, hier in Europa und der Dritten Welt, die imperialistischen Interessen der westlichen Industrie unter Führung der USA politisch durchzusetzen, wobei die Atomtechnologie das Mittel ist. Die Regierung hat die BRD zugunsten der militärischen Weltstrategie der USA im Falle eines Krieges zum atomar verseuchten Trümmerfeld erklärt. Angesichts dieser Tatsache wird klar, dass hier keine Regierung auf Forderungen der Bevölkerung nach Umweltschutz oder Abrüstung eingehen wird, so lange die politischen Strukturen so sind, so lange aus dem Protest gegen Umweltzerstörung nicht ein Angriff auf diese politischen Strukturen wird. Wenn die Gefahr und die Bedrohung, die von den AKWs und den atomaren Kriegsvorbereitungen in Europa ausgeht, bekämpft werden soll, dann geht es darum, dass sich die Linke hier Handlungsmöglichkeiten schafft, um die amerikanische Präsenz in Europa, von der alte Scheiße ausgeht, und die politischen Vertreter amerikanischer Interessen in der BRD, nämlich die SPD, anzugreifen. Da liegt die Möglichkeit, aus der Ohnmacht und der Resignation rauszukommen, die angesichts der zynischen Arroganz dieser Weltmachtstrategen entsteht, die die Vernichtung ganz Europas einkalkulieren, die die radioaktive Verseuchung inkauf nehmen, nur um eine ins Wanken gekommene Weltordnung wieder ins Lot zu kriegen, deren Hauptinhalt der ist, dass die westlichen Industrieländer unter Führung der USA sich in orgienartiger Verschwendung laben können, die nur dadurch möglich ist, dass die Völker der Dritten Welt verhungern. Dieser Zusammenhang ist real, weshalb eine Stillegung sämtlicher AKWs und die Unbrauchbarmachung aller Atomwaffen, was ja das Ziel hier ist, nur über die Zerstörung dieser politischen Strukturen möglich ist, weil das untrennbar ist.
Die staatlichen Sender sind in die Politik der Regierung voll eingespannt und übernehmen immer dann, wenn der Kampf gegen die AKWs oder Militarismus in die Phase kommt, wenn zum Beispiel der Bau eines AKWs tatsächlich infrage gestellt ist, die Funktion, die Bewegung zu spalten. In Chaoten, Kommunisten, Gewaltlose und Gewalttätige und harmlose Bürger, um so von den politischen Zielen abzulenken und eben den Bau wieder möglich zu machen. Was von diesen „öffentlichen“ Medien in einer innenpolitisch zugespitzten Situation zu erwarten ist, wurde eindeutig klar anhand der Berichterstattung zu den Todesfällen in Stammheim, wobei von der ersten Stunde an ihre Funktion nur noch darin bestand, das „Undenkbare“ als Selbstverständlichkeit zu verbreiten, politische Zusammenhänge auf den Kopf zu stellen, gleichzeitig eine beispiellose Hetze gegen sämtliche linke Medien zu inszenieren – Die öffentlichen Medien waren nurmehr Manipulationsinstrumente der Regierung und des Staatsschutzes. Die alternativen Medien konnten hier ihre Funktion als „Gegenmedien“ aufgrund der drohenden Repression nicht mehr aufrecht erhalten und sich zumeist nur mit dem resignativen Ergebnis abfinden, dass Selbstmord und Mord ja schließlich auf dasselbe hinausläuft. An diesem Punkt ist deutlich geworden, was da von „Pluralismus“ noch übrig bleibt: eine einzige Redaktion, bestehend aus Bundesanwälten, Bundeskriminalamt und dem Chefredakteur Schmidt. Piratensender erfüllen beides:
Eine freie Auseinandersetzung über alle Formen und Inhalte politischen Widerstandes und eine Gegenöffentlichkeit in Phasen politischer Auseinandersetzung, wo alle „öffentlichen“ Medien auf Staatslinie gezwungen werden.
Sie werden so zu einer Antwort auf die „Therapie der Gesellschaft“ (BKA-Chef Herold), nämlich auf die elektronische Diktatur, die über die Fahndungscomputer und über die Medien in Westeuropa errichtet wird.
Eine Verurteilung von mir, die so sicher ist, wie die nachträgliche Baugenehmigung für einen bereits gebauten Großflughafen, kann die Entwicklung im Kampf um freie Medien nicht aufhalten, weil das einfach technologische und politische Geschichte ist. Zu einem Eigentor kann der Fall hier für die Staatsanwaltschaft allerdings erst werden, wenn andere die INHALTE, um die es hier geht, aufgreifen und dann daran eine Diskussion anfängt.
München – Stadelheim, den 29. Juli 1980
Jan van de Loo
Prozess gegen Piratensender – Info, München 1980, 7 ff.