Materialien 1980

Prozesserklärung

verlesen am 8. Oktober 1980 (1. Prozesstag) vorm Landgericht München I,
20. Strafkammer

Die politischen Piratensender, die in der BRD hauptsächlich innerhalb der Auseinandersetzung um Atomanlagen senden, haben es sich nicht zur Aufgabe gemacht, das Rundfunkmonopol zu brechen – als politisches Ziel –, sondern sind aus dem Zwang heraus entstanden, innerhalb von konkreten politischen Auseinandersetzungen der Meinungsmanipulation durch Regierung und Massenmedi-
en eine Medienform entgegenzusetzen, die nicht zensierbar, kontrollierbar und beeinflussbar ist und die ein technisches Niveau hat, dessen sich die Gegenseite, nämlich Regierung, Atomlobby und Rüstungsstrategen in tausendfacher Ausführung tagtäglich bedient.

Den Piratensendern geht es nicht darum, Privatfunk durchzusetzen oder sich einen Platz innerhalb des staatlichen Rundfunksystems zu erkämpfen. Es geht darum, eine Medienform durchzusetzen, die eine eigenständige und nicht zu beeinflussende politische Entwicklung eines Teils der Bevölke-
rung möglich macht. Bedingung dafür ist, dass das Medium nicht staatlich zu kontrollieren ist, sondern allein durch Redaktion und Hörer kontrolliert und bestimmt werden kann. Weil das Me-
dium als Mittel in einer politischen Auseinandersetzung darauf gerichtet sein muss, die Identität zwischen Redaktion und Hörer bzw. zwischen politischen Inhalten und Sender herzustellen.

Die Entwicklung von freien Radios in der BRD nahm ihren Anfang in derselben Gegend, in der der Widerstand gegen AKWs seinen Anfang nahm, nämlich im Elsass mit Radio Verte – Fessenheim, das im Widerstand gegen das AKW Fessenheim entstanden ist und seitdem über die verschieden-
sten Aktionen und Probleme im Kampf gegen die zunehmende Industrialisierung des Oberrhein-
tals in deutsch und französisch berichtet.

dann:
Piratensender unfreies Westberlin
Radio Fledermaus/Heidelberg
Radio Zebra/Bremen
Radio Klabautermann/Hamburg
Radio Paranoia/Offenbach
Radio Wendland
und Radio Regenbogen/Hannover

Das ist eine Entwicklung, die sich durch Abschreckungsurteile schwerlich aufhalten lassen wird und die sich im übrigen nicht auf die BRD beschränkt, sich vielmehr über ganz Westeuropa er-
streckt.

Am 28. Juli 1976 sah sich das italienische Verfassungsgericht genötigt, das Rundfunkmonopol des Staates als verfassungswidrig zu erklären und formulierte damit das Recht auf privates, lokales Radio. Aus den rund 600 illegalen Lokalstationen, die bereits vor diesem Entscheid sendeten, wurden in kurzer Zeit über 3.000 legale Radios.

In Frankreich liefen zwar Anfang 1980 Strafverfahren gegen rund fünfundzwanzig Sender, aber zwischen fünfzig und hundert freie Stationen strahlten mehr oder weniger regelmäßig Programme aus. Die kommunistische Gewerkschaft CGT startete im November 1979 weitere fünf lokale Sen-
der, die vorzugsweise aus Arbeitervierteln heraus sendeten. Gegen Massenentlassungen in der Stahlindustrie protestierten die Gewerkschaftssender „Lorraine Coeur d’acier“ und „SOS Emploi“. In niederländischer Sprache sendet „Radio Uylenspiegel“ im französischen Flandern und „Radio corse internationale“ fordert die Unabhängigkeit von Corsika.

In der Schweiz gibt es seit 1976 den Kampf um freie Radios. Inzwischen ist die Menge der freien Sender in der Schweiz unüberschaubar geworden: „Radio Colombo“, Radio City“, „Schwarzi Katz“, „Radio Wellenhexen“, „Radio Hollywood“, „Radio Nordpol“, „Radio Banana“ und zuletzt „Radio Packeis“, das in den Auseinandersetzungen um Jugendzentren in Zürich entstanden ist.

Diese Entwicklung, die sich nicht nur auf Westeuropa, sondern auf die ganzen westlichen Indu-
strieländer erstreckt – in Canada und USA gibt es in noch viel größerem Ausmaß Piratensender – entspricht nur der elektronischen Entwicklung in den Industrieländern und der kontinuierlich wachsenden Bedeutung der elektronischen Massenmedien.

Innenminister Baum beschreibt die Bedeutung z.B. so: „Die Industrienationen stehen am Anfang einer dramatischen Expansion der Kommunikationsmöglichkeiten. Die politische Dimension der sich dynamisch entwickelnden Kommunikationstechnik liegt in den weitreichenden gesellschaft-
lichen Folgen.“

Es ist sicher kein Zufall, dass ausgerechnet in den Ländern, wo die neuen Massenmedien, also Kabelfernsehen, Bildschirm- oder Videotext, am weitesten entwickelt sind und schon verwendet werden oder in Ländern, wo das Rundfunkmonopol des Staates am deutlichsten der Manipulation dient, dass in den Ländern auch am meisten illegale Sender arbeiten.

Während sich die Regierung in Italien dem Druck der sich ständig vermehrenden illegalen Radios beugen musste, das Staatsmonopol als verfassungswidrig erklärte und Privatfunk legalisierte, um so die Entwicklung in den Griff zu kriegen, wird z.B. in der Schweiz, in Frankreich und der BRD versucht, die Forderungen nach unkontrollierten Sendeanstalten in das Staatsmonopol zu integrie-
ren.

Hier in der BRD sollen ab Mitte der 8oer Jahre über den sogenannten „offenen Kanal“ Bürgergrup-
pen, nachdem sie sich als unpolitisch legitimiert haben, die Möglichkeit bekommen, sich im soge-
nannten „Lokalradio“ über lokale Belanglosigkeiten zu unterhalten. Um so den Druck zu entschär-
fen, der angesichts der vollständigen Überwachung, Zensur und Kontrolle der staatlichen Sendean-
stalten und angesichts der wachsenden technischen Möglichkeiten, wie Satellitenfernsehen und Kabelfernsehen, entsteht. Und um die staatliche Überwachung weiterhin abzusichern und durch die neue Technik weiter auszubauen.

Der Vorsitzende der hessischen Medienkommission, Weirich, formuliert es so: „Den privaten Initiativen den Weg ebnen und gleichzeitig ausschließen, dass es zu unkontrolliertem Wildwuchs führt.“ Innenminister Baum sagt es noch deutlicher, gegen wen der Ausbau der elektronischen Medien gerichtet ist: „Das ganze Bündel rechtlicher Fragen aus dem Verhältnis von Fernmelde-
technik, Medienpolitik und Verfassung wird vielleicht zu einem der großen Verfassungsprobleme der Zukunft. Schon in der nächsten Legislaturperiode werden Weichen gestellt werden müssen, sonst drohen die staatlichen Entscheidungen unter den wachsenden Druck der autonomen und sozialen Kräfte zu geraten.“

Der ganze Streit über die zukünftige Gestaltung der elektronischen Massenmedien lässt sich auf den Gehalt reduzieren, wie die Manipulierung wohl am besten zu gewährleisten ist, wie die Regie-
rungspolitik der Bevölkerung am besten nahezubringen ist und wie verhindert werden kann, dass die Widersprüche der Bevölkerung zu dieser Politik auf relevante Weise zurückschallen können. Die SPD-Regierung ist nicht deshalb gegen Privatisierung, weil sie eine ähnliche Kommerzialisie-
rung wie in Italien befürchtet, sondern weil es ihr graut vor dem Gedanken, dass jede politische Gruppe und jede Bürgerinitiative die Möglichkeit haben könnte, mit annähernd ähnlichen techni-
schen Mitteln wie die Regierung selbst zu arbeiten.

Privatisierung würde einerseits die totale Kommerzialisierung bedeuten, andererseits aber – und darauf kommt es an – gesellschaftliche Polarisierung einleiten, d.h. die Regierung könnte sich nicht mehr darauf verlassen, dass z.B. ihr Atomprogramm und ihre Aufrüstungspläne wider-
spruchslos geschluckt werden, weil die vorhandenen Widerstände dazu mit selber Münze antwor-
ten könnten, d.h. das Atomprogramm und die atomare Aufrüstung nicht mehr einfach nur mit Macht, sondern mit Argumentation durchgesetzt werden müsste. Die politische Kontrolle, die der Staatsfunk gewährleistet, soll aufrechterhalten bleiben: Die Redakteure und Mitarbeiter der Rund-
funkanstalten werden durch die Geheimdienste überprüft. Ein Zitat aus dem „Spiegel“ (49/79 S. 49): „Seit 1962 wurden Redakteure und Mitarbeiter der „Deutschen Welle“ und des „Deutschland-
funks“ überprüft – eine, wie der Deutsche Journalisten Verband protestierte Praxis, die auf einer missbräuchlichen Interpretation der Rundfunkhoheit durch das Ministerium beruht.“

Der Spiegel (41/79 S. 135) veröffentlichte auch die Ergebnisse einer Emnid-Umfrage über die Rundfunkfreiheit, nach der vier von fünf befragten Redakteuren ihre journalistische Freiheit für gefährdet halten.

Bei der geheimdienstlichen Überwachung der Rundfunkanstalten geht es für die Regierung kurz gesagt darum, abzusichern, dass die Meinungen zu politischen Problemen, die von den Sicherheits-
strategen der Regierung im Bundeskanzleramt produziert werden, widerspruchslos ihr Ziel, also den zu manipulierenden Bürger erreichen. „Die Pressesitzung im Bundeskanzleramt, die jeden Morgen stattfindet, läuft nicht im Stile eines Pressevertrages ab, Informationen werden von den Regierungssprechern … wie eine Ware behandelt, von der man nur einen Teil über den Ladentisch reicht und einen Vorrat im Kühlschrank behält“, schreibt die Zeitung „Das Parlament“ und nennt diese Art der Meinungsbildung der Regierung und der Medien „Vorwärts-Strategie bei der Infor-
mation“. Pressesprecher Grünewald sagt über die Funktion der Journalisten, die zu dieser Sitzung der sogenannten „kleinen Lage“ kommen: „Wenn man ein Risiko unterlaufen und ein heikles Pro-
blem richtig präsentieren will, ist man gut beraten, wenn man – als Pressesprecher der Regierung – die Fragen selber stellt.“ d.h.: den Journalisten ihre Fragen vorschreibt.

Parallel zu diesem Manipulierungsapparat der Regierung existiert der elektronische Überwa-
chungsapparat der Geheimdienste und der Polizei, ein Apparat, der sich schon längst nicht mehr auf die Speicherung von kriminalistischen Erkenntnissen oder die Überwachung von Rundfunkan-
stalten beschränkt, sondern bewusst aufgebaut wurde, um die gesamtgesellschaftliche Entwicklung überwachen zu können, eine eventuell drohende Gesellschaftsveränderung schon im Ansatz zu er-
kennen und durch entsprechende Gesetze, die ja nach Bedarf geändert werden, zu unterdrücken.

Spiegelzitat (20/79 S. 41): „Mit dem nachrichtendienstlichen Informationssystem ist das Skelett einer Maschinerie perfekt, die technisch geeignet wäre zur politischen Vollkontrolle eines Volkes. Jeder Bürger kann beliebig häufig daraufhin durchleuchtet werden, ob er abweicht von der jeweils politisch erwünschten Norm.“

So ist z.B. die gesamte Anti-AKW-Bewegung in den Computern gespeichert, jede Bürgerinitiative, jeder Linke und sogar Mitarbeiter von amnesty international sind als potenzielle Umstürzler regi-
striert. Jeder, der politischen Gefangenen Briefe schreibt, gehört in der Computersprache zum terroristischen Umfeld, jeder, der so jemanden kennt oder etwa auf einer seiner Karteikarten no-
tiert ist, hat über Jahrzehnte hinweg mit „Bez. z. terr. Umf.“ zu rechnen und ist als solcher regi-
striert.

Der Ausbau dieses Überwachungsapparates ist darauf gerichtet, die Möglichkeit zur politischen Veränderung der Gesellschaft immer mehr dem Staat zu übertragen und den politischen Kräften der Gesellschaft mehr und mehr zu entziehen.

BKA-Chef Herold begründet diesen Umwandlungsprozess so: „Mit der Hilfe der Instrumente, die Soziologie, Kybernetik, Verhaltensforschung und Computer zur Verfügung stellen, könnten der Gesetzgebung rationale Erkenntnisse mit dem Ziel der Formulierung praktikabler Normen gelie-
fert werden. Unter dem Einfluss polizeilicher Konsultation und Beratung würden Gesetz und Recht beständig umgeformt und angepasst. Dadurch könnte ein System entstehen, das dazu befähigt, Problemen zuvorzukommen, bevor sie zutage treten. Die Polizei muss sich zum Subjekt gesell-
schaftlicher Veränderungen wandeln.“ Und sein wahrscheinlicher Nachfolger, der Direktor des Düsseldorfer LKA, Hamacher, sagt unverblümt, in welcher Tradition das Überwachungssystem der Polizei heute steht. Zitat: „Die Polizei muss Karteien führen, um wirksam arbeiten zu können. Die Alternative wäre das Haus- und Blockwartsystem.“

Das Zusammenspiel der sogenannten „Vorwärts-Strategie“ in den Massenmedien und dem alter-
nativen Blockwartsystem – zwei Bereiche, die tendenziell gar nicht mehr voneinander zu trennen sind – soll die elektronische Planung der gesellschaftlichen Entwicklung möglich machen.

Die Regierung kann sich mit Hilfe der Instrumente, die Verhaltensforschung, Kybernetik, Sozio-
logie und Computer bieten, innerhalb von Stunden ein Meinungsbild der Bevölkerung erstellen lassen, um z.B. ihre Rüstungsstrategie oder ihr Atomprogramm psychologisch so zu verpacken, dass es auf möglichst geringen Widerstand in der Bevölkerung stößt, und das Ganze dann mit Hilfe der elektronischen Massenmedien ebenfalls innerhalb kurzer Zeit bis in die letzte Hütte des Bayri-
schen Waldes transportieren.

Ein konkretes Beispiel dafür: Am 28. April 1980 wurde im Spiegelmagazin eine vertrauliche Mei-
nungsumfrage der Bundesregierung veröffentlicht, in der rauskam, dass 62 Prozent der Bevölke-
rung Widersprüche zur US-Außenpolitik haben und 6o Prozent gegen die Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenraketen in der BRD sind. Zwei Tage später ließ Schmidt über alle Medien verbreiten, dass er die Situation jetzt mit der von 1914 vor Ausbruch des 1. Weltkrieges vergleicht, dass der Frieden in Gefahr ist, die SPD ihn sichert, um so die Ängste vor einem Krieg zu beruhigen und die Aufrüstungspolitik der Regierung weiterhin psychologisch abzusichern.

Die Antikriegsbewegung hat dagegen kein einziges relevantes Medium, das den Widerstand in auch nur annähernder Weise formulieren könnte.

Die Zusammenarbeit der Massenmedien und des Staates, also die psychologische Manipulierung in Verbindung mit staatlicher Repression als Konzept, um politische Auseinandersetzungen still-
zulegen, wurde eindeutig klar anhand der Räumung des Bohrplatzes in Gorleben. Im Hinblick auf den zwei Wochen später stattfindenden Weltwirtschaftsgipfel, auf dem noch mal ausdrücklich der Ausbau der Atomenergie versprochen werden sollte, war es für die Regierung naheliegend, am Beispiel der Räumung in Gorleben zu demonstrieren, dass der Widerstand gegen die Atomenergie, wie er sich in Wyhl, Brokdorf und Grohnde gezeigt hat, in der BRD nicht mehr existiert, dass er für die Atomstrategie der westlichen Industrieländer keine Gefahr mehr darstellt. Die Internationale Atomenergie Organisation stellte auch einen Monat nach der Räumung zufrieden fest, dass in der BRD technische Faktoren und wirtschaftliche Sachzwänge im Begriff seien, die Opposition gegen Atomkraft zu überwinden.

Diese technischen Faktoren waren bei der Räumung in Gorleben erst die Funktionalisierung der Presse und dann die Nachrichtensperre und kriegsähnliche Besetzung des betreffenden Landkrei-
ses durch BGS und Polizei. Erst wurde die Bevölkerung in den Medien gegen die Besetzer aufge-
hetzt, indem behauptet wurde, z.B. die Besetzer wären bewaffnet und es stünde ein Blutbad bevor. Die Besetzer mussten ihre friedlichen Absichten beweisen und die Polizei konnte in aller Ruhe einen von Macht und Gewalt strotzenden Polizeieinsatz vorbereiten. Die Friedlichkeit, die zwi-
schen Demonstranten und Polizei zu demonstrieren war, d.h. die bedingungslose Räumung, sollte durch die fünf- bis zehnfache Überlegenheit des Staates erzwungen werden, konnte nur mit einem quasi Ausnahmezustand erzwungen werden, was dann durch das Ausschalten der gesamten Presse vertuscht werden sollte. Der illegale Piratensender „Radio Wendland“ hat diesen Plan durchbro-
chen und hat so der buchstäblichen Einkreisung des Widerstandes der militärischen Besetzung des ganzen Landkreises, über die die öffentlichen Medien nur ohnmächtig jammern konnten, die er-
hoffte psychologische Wirkung genommen. Diese Art der innerstaatlichen Konfliktlösung hat ihre Entsprechung in der Durchsetzung wirtschaftlicher und politischer Interessen der westlichen In-
dustrieländer nach außen. Genauso wie die Unterdrückung des Widerstandes gegen AKWs in der BRD durch militärähnliche Repression vollzogen wird, wird die militärische Besetzung rohstoff-
wichtiger Länder vorbereitet; und die Gleichschaltung der Medien innerhalb der BRD hat ihre Fortsetzung in dem Satellitensystem, das ermöglicht, die hier produzierten Meinungen bis in das entferntnteste Land der 3. Welt zu transportieren. Genauso wenig wie der Antiatombewegung hier die technische Möglichkeit gegeben wird, entsprechend zu antworten, haben die Länder der 3. Welt keine Möglichkeit, dem Satellitensystem der westlichen Industrieländer ihre Sicht der Welt entgegenzusetzen.

Auf der z.Z. stattfindenden Konferenz der UNESCO wird schwerpunktmäßig über diese Tatsachen beraten. Die „SZ“ berichtet darüber: „Die Länder der 3. Welt führen darüber Klage, dass die großen Nachrichtenagenturen auf der Nordhälfte der Erde ein Nachrichtenmonopol haben, dass es zwar einen Informationsfluß von der industrialisierten Welt in die Entwicklungsländer gibt, umgekeht aber Informationen aus der 3. Welt die Industrieländer kaum erreichen.“

Das sieht z.B. so aus: Die amerikanische Zeitung „International Herold Tribune“, die seit 1887 er-
scheint und bisher nur in Paris, London und Zürich erschien, soll nicht länger auf dem Luft- oder Seeweg nach Asien gebracht werden. Erstmals in der Geschichte des Zeitungswesens werden die in Paris druckreif erstellten Seiten mit elektronischen Mitteln via Satelliten nach Hongkong übermit-
telt. Innerhalb von nur vier Minuten erreicht so jede Zeitungsseite über den Satelliten, der über dem indischen Ozean stationiert ist, im Originalformat und als Negativfilm, die Druckerei in Hong-
kong, die daraus sofort die Druckplatten herstellen kann.

Dass der Sinn dieses Satellitensystems Manipulierung ist und genau die Fortsetzung der sogenann-
ten „Vorwärtsstrategie“ bei der Information nach innen, wird deutlich, wenn die „SZ“ zu dem Pro-
blem weiter schreibt: „Kompliziert wird die Situation dadurch, dass manche Entwicklungsländer ihre Sicht der Probleme nun auch den Industrienationen aufzwingen wollen, diese aber nicht da-
rauf verzichten möchten, ihre Produkte, besonders etwa über das Satellitensystem, in andere Kul-
turkreise zu senden.“ Das Satellitensystem dient nicht einer Erweiterung der Meinungsvielfalt auf internationaler Ebene, sondern steht im direkten Zusammenhang mit militärischen und wirt-
schaftlichen Interessen der westlichen Industrienationen in der 3. Welt.

Die sogenannte „McBride-Kommission“ hat in einem Bericht festgestellt, dass die westlichen Zei-
tungen, unter anderen die „NZZ“, regelmäßige Träger von Publizistik für die Rüstungsindustrie in der 3. Welt sind, und dass das ein Ergebnis eines intensivierten militärischen Vordringens in der 3. Welt ist.

Die sogenannte „Vorwärtsstrategie“ oder – wie es auch genannt wird – der Siegeszug der Massen-
medien nach innen und nach außen ist voneinander nicht zu trennen, denn es dient jeweils dem-
selben Zweck, nämlich die wirtschaftliche Ausbeutung der 3. Welt abzusichern.

Piratensender, also autonome und gegen jede Überwachung und Zensur abgeschottete Medien, laufen konträr zu dem Mediensystem in der BRD, weil sie konkrete politische Probleme der Bevöl-
kerung konsequent formulieren und selbst Teil des jeweiligen politischen Kampfes sind und jeder Betroffene die Möglichkeit hat, in diesen Sendern zu Wort zu kommen.

Es geht darum deutlich zu machen, dass mit den Massenmedien hier, also den Massemedien und dem Computersystem der Polizei und der Geheimdienste, ein elektronischer Apparat aufgebaut wird, der nur den Zweck hat, die BRD von jeder relevanten Opposition freizuhalten, um dieses Land auf seine militärische und wirtschaftliche Funktion innerhalb der Industrieländer zu redu-
zieren. Die Unterdrückung der Antiatombewegung hier durch Medien und Polizei steht im Zu-
sammenhang mit der geplanten Intervention in rohstoffwichtige Länder. Das Mediensystem hier ist nicht zu trennen von dem Nachrichtenmonopol der westlichen Länder, das bis in das entfernte-
ste Land der 3. Welt reicht. So ist jedes politische Problem hier nicht zu trennen von dem Ausbeu-
tungsverhältnis der Industrieländer gegenüber der 3. Welt,

sei es die Atomtechnologie,

seien es die Aufrüstungspläne,

oder sei es der sogenannte Siegeszug der neuen Medien,

alles dient nur dem Zweck, das Ausbeutungsverhältnis zu sichern.

Das bedeutet: Ein Sender hier wird erst tatsächlich frei, wenn er zum Werkzeug wird, um dieses Verhältnis zu durchbrechen.

Ein Sender ist nur ein Mittel!

Jan van de Loo


Prozess gegen Piratensender – Info, München 1980, 14 ff.

Überraschung

Jahr: 1980
Bereich: Medien