Materialien 1980

schlusswort

27. oktober 1980

in diesem prozess ging es in erster linie um das interesse der staatsanwaltschaft, die von den oppositionellen piratensendern praktisch in angriff genommene diskussion über die funktion der staatlichen und privaten medien durch ein präventives und abschreckendes urteil in den griff zu kriegen und stillzulegen. und zwar durch ein urteil, das nicht das gericht gesprochen hat, sondern durch ein urteil, das von der staatsanwaltschaft und der polizei als handlanger des innenministeriums festgelegt und durch die halbjährige u-haft zu einer unwiderruflichen tatsache geworden ist. der ablauf dieses verfahrens entspricht nämlich exakt der vorstellung des innenministers – wie man sie in den akten lesen kann – dass nämlich durch gesonderte ahndung der piratensender hier französische und italienische verhältnisse verhindert werden sollen, gleich mit dem taktischen hinweis, dass die politischen piratensender am besten in ihrem anfangsstadium zu bekämpfen sind – also am besten, wenn sie noch gar nicht gesendet haben oder vielleicht gerade damit angefangen haben, weil sie dann noch keine öffentlichkeit haben und gesonderte ahndung besser über die bühne geht.

die aufgabe dieses prozesses und des gerichts hier beschränkt sich darauf, die ganzen von der staatanwaltschaft so genannten „übertriebenen massnahmen“ der polizei, also des bka’s und lka’s, nachträglich in juristische form zu bringen. genauer gesagt: das gesetz, hier das fag (fernmeldeanlagengesetz) den politischen zielsetzungen der staatsanwaltschaft anzupassen. ein vorgang, der meines erachtens kein neuer ist: die staatsanwaltschaft schafft tatsachen, die gerichte können diese tatsachen höchstens nur mehr verbal rückgängig machen, die tatsachen bleiben und irgendwann wird für diese so genannten „übertriebenen massnahmen“ der polizei und der staatsanwaltschaft ein neues gesetz gefunden, das dann die vom innenministerium geforderte und durch die übertriebenen massnahmen der polizei umgesetzte gesonderte ahndung hier der oppositionellen piratensender abdeckt.

die frage, um die es in diesem prozess eigentlich gegangen wäre, nämlich, ob es der staatsanwaltschaft gelingt, gegen die politischen piratensender mit dem unpolitischen fag eine haftstrafe durchzusetzen, was bisher noch nie geschah – weder gegen linke sender noch gegen z.b. verbotene amateurstationen – wurde bereits von der staatsanwaltschaft, dem lka und dem bka beantwortet, die von anfang an durch teilweise gezielt falsche ermittlungen das gesamte verfahren auf eine außerjuristische ebene gebracht haben, und durch die so durchgesetzte u-haft die frage der haftstrafe schon vor dem prozess geklärt haben:

die staatsanwaltschaft konnte hier nur mit einer falschen computerinformation und etwas sehr veralteten „erkenntnissen aus früherer zeit“ und einseitigen ermittlungen versuchen – was ja auch gelungen ist – das verfahren mit dem begriff terrorismus psychologisch zu dirigieren, indem sie so einen sonderfall konstruierte und kalkulierte, dass so jede ungesetzlichkeit der ermittlungsbehörden als völlig normal erscheinen würde.

▓ es ist es ist unglaubwürdig, wenn die mitarbeiter des am modernsten ausgerüsteten polizeiapparates der welt behaupten, sie hätten mich aus versehen mit einer anderen person in verbindung gebracht.

▓ es ist absichtlich falsche ermittlungs„arbeit“, wenn der ermittlungsleiter des lka behauptet, die in meiner wohnung gefundene zeitschrift „rüstungszentrum münchen“, auf der der fingerabdruck einer seit zwei jahren flüchtigen person gefunden wurde, wäre ein halbes jahr alt, wobei ein anruf genügt, um zu erfahren, dass diese zeitung acht jahre alt ist.

▓ und es ist auch klar, warum dem sachbearbeiter des bka nur ganz ausgewählte teile meiner arbeit zur begutachtung übergeben werden: damit er hier im prozess bestätigt, was sich die staatsanwaltschaft vorstellt: 4 sender sollten gebaut werden nach der berliner bauanleitung.

▓ es ist auch vollkommen unwichtig für einen verstoss gegen das fag, welche politischen bücher in meiner wohnung gefunden werden und mit welchen personen ich vor fünf oder sechs jahren kontakt gehabt habe.

▓ es ist auf alle fälle unglaubwürdig, wenn aus diesen punkten eine fluchtgefahr abgeleitet wird und eine halbjährige u-haft angeordnet wird, wenn doch bekannt ist, dass bezüglich des fag bisher nur geldbußen durchgesetzt wurden, also wenn eine zu erwartende geldbuße oder strafe schon vor dem prozess durch eine sechsmonatige u-haft sozusagen sichergestellt wird.

bei der durchsetzung der untersuchungshaft ging es natürlich nicht darum, eine flucht vor einer geldstrafe zu verhindern, sondern es ging darum, bereits vor dem prozess zu verurteilen, damit über den etwas unpopulären zweck des ganzen verfahrens, nämlich generalprävention gegen politische linke sender, im prozess selbst nicht mehr geredet werden braucht, weil es ja bereits gelaufen ist.

um das verfahren auf eine außerjuristische ebene zu bringen, wurde von der staatsanwaltschaft auch versucht, meine arbeiten mit der hochfrequenztechnik als besonders konspirativ darzustellen, um mich als unterstützer einer guerillagruppe bezeichnen zu können und um so den an sich windigen konkreten anklagepunkten einen tieferen sinn zu gehen.

▓ so war die staatsanwaltschaft äußerst entsetzt darüber, dass sie erst auf die existenz der werkstätte aufmerksam wurde, als sie den diesbezüglichen mietvertrag gefunden hatte, was eigentlich das normalste ist, was man sich vorstellen kann.

▓ mir wurde als konspirativität ausgelegt, dass ich bei meiner festnahme meinen namen erst im lka angeben wollte, obwohl bekannt ist, dass ich keinen ausweis dabei hatte und deshalb mein name sowieso erst auf einem polizeirevier hätte festgestellt werden können.

▓ es ist konspirativität, wenn man sich auf deutschlands straßen ohne ausweis bewegt

▓ und es ist kassibermässige konspirativität, wenn ich die politischen zusammenhänge dieses verfahrens in einer zeitung öffentlich mache, wobei doch klar ist, dass ich mich gegen die ungesetzliche prozessführung der staatsanwaltschaft in der damaligen situation nur so wehren konnte, indem ich meine politischen vorstellungen bez. der piratensender dagegensetzte und öffentlich machte und zwar nicht geheim, sondern indem ich meine erklärung auch öffentlich als eine solche bezeichnete.

diese ganzen sog. beweise für mein konspiratives verhalten machen nur die empörung der staatsanwaltschaft und der polizei darüber deutlich, dass ihre eigenen konspirativitäten bei der fahndung, bei den ermittlungen und bei der verfahrens- und prozessführung nicht so gegriffen haben, wie sie sich das eigentlich vorgestellt haben.

▓ von der existenz der werkstätte hätten sie anstatt infolge meiner festnahme und den dadurch gefundenen mietvertrag lieber durch die konspirativen rasterfahndungsmethoden über das computersystem der polizei erfahren.

▓ es gibt kein gesetz, das einen verpflichtet, den ausweis sich zu tragen. für die polizei ist jeder verdächtig, der keinen ausweis dabei hat, weil so das konspirative computersystem der polizei nicht greifen kann.

▓ die staatsanwaltschaft weiß, dass ein präventives urteil gegen die piratensender nur in aller konspirativität, d.h. ohne öffentlichkeit, durchzusetzen ist, und projiziert diese ihre konspirativität auf mich in dem moment, wo ich mich dagegen verteidige, indem ich die öffentlichkeit suche.

die verschiedenen gerichte haben diese arbeitsweise der staatsanwaltschaft akzeptiert und übernommen in ihren jeweiligen beschlüssen. über das fag wurde so gut wie gar nicht mehr geredet, sondern jeder gerichtsbeschluss hatte als hauptargument den schwammigen und juristisch ungreifbaren vorwurf zum inhalt, dass ich „bezüge zum terroristischen umfeld“ haben würde. mit diesem vorwurf wurde der haftbefehl aufrechterhalten, wurden die haftbedingungen verschärft und die besuchsbeschränkungen angeordnet. dieses gericht hier hat zum beispiel in dem beschluss vom 28. april gesagt, „selbst wenn der beschuldigte mit geringer strafe zu rechnen hat, ist bei jemandem, der solche bezüge hat, damit zu rechnen, dass er sich dem verfahrcn durch flucht entzieht.“

so durchsichtig die vorwürfe der staatsanwaltschaft auch waren, sie wurden vom gericht übernommen. das heißt, das werkzeug der staatsawaltschaft für ein präventives urteil wurde vom gericht übernommen und damit auch das ziel. denn die vorwürfe an sich sind zu fadenscheinig und ungenau, als dass man sie für ernst gemeinte überlegungen halten könnte.

nachdem diese ganzen sog. vorwürfe, die ohnehin juristisch keine bedeutung haben, von meinem verteidiger stück für stück mühselig in ihre bestandteile zerlegt wurden und sie sich erwartungsgemäß in luft auflösten, wurde in dem letzten haftfortdauerbeschluss des olg auf einmal so getan, als hätte es diese terrorvorwürfe der staatsanwaltschaft nie gegeben und als würde das fag schon allein eine sechsmonatige u-haft rechtfertigen. und dann am ersten prozesstag wird plötzlich ohne nähere begründung der haftbefehl aufgehoben, wird plötzlich unterstellt, dass ich nicht mehr vor diesem prozess hier flüchte.

es ging in dem ganzen verfahren darum, die politischen wünsche der staatsanwaltschaft zu erfüllen und gleichzeitig zu verhindern, dass der politische zweck des verfahrens im prozess deutlich wird. es ging darum, mich durch die untersuchungshaft bis zum prozess daran zu hindern, mich gegen ein präventives urteil, das gegen alle linken sender in der brd gerichtet ist, zu verteidigen. denn die verteidigung dagegen kann nur stattfinden, wenn ich hier im prozess deutlich mache, was die politischen ziele und inhalte dieser sender sind. die staatsanwaltschaft erwartete, dass ich mich durch die haftverschärfungen und überhaupt die u-haft von meiner eigenen politischen meinung distanziere und hier im prozess der staatsanwaltschaft nichts mehr entgegenzusetzen habe. deshalb auch jetzt in ihrem plädoyer die empörung darüber, dass ich immer noch sage – selbst nach sechs monaten u-haft – dass die medien der brd in der situation der konfrontation zwischen staat und gesellschaft die funktion von staatsschutzmedien übernehmen und dass eine kritik an diesen medien erst zu wirklicher kritik wird, wenn ihnen auch praktisch etwas entgegengesetzt wird. wenn es nach der staatsanwaltschaft geht – und es ging bisher hauptsächlich nach ihr – dann soll ich ja nicht nur dafür bestraft werden, dass ich diese politische meinung habe, sondern dafür, dass ich diese politische einschätzung nach sechs monaten u-haft und teilweiser isolationshaft immer noch habe.

dass es meine politische identität ist, die mit diesem verfahren getroffen werden soll, und der zweck ein präventives urteil gegen jeden, der sich über die funktion der medien in der brd gedanken macht und der gleichschaltung der medien auch praktisch was entgegenzusetzen versucht, wurde durch die äußerungen der staatsanwaltschaft gegenüber der presse in der anklageschrift und im plädoyer deutlich. z.b. in der anklageschrift wurde nochmal wortwörtlich festgelegt, was die inhaltliche zielsetzung in diesem prozess sein soll – welche art von salat die staatsanwaltschaft verhindern will, wenn sie in ihrem plädoyer vorgibt, „wellensalat“ verhindern zu wollen: „… mit solchen sendeanlagen wird massiv in die funkhoheit eingegriffen. es ist allgemeinkundig, dass ähnliche piratensender bei massenstraftaten – wie in bremen und zürich – zum einsatz gebracht wurden.“ (dann wird noch an bologna erinnert)

bei straßenkämpfen, an denen 15.000 menschen teilnehmen und ein sender dafür mobilisiert, ist klar, wo da zuerst der salat entsteht, auch wenn überhaupt nicht klar ist, weshalb da auf der straße gekämpft wird, findet der salat als erstes auf der straße statt und nicht im ukw-rundfunkbereich. entweder entsteht polizistensalat oder demonstrantensalat. das hängt von den jeweiligen kräfteverhältnissen ab. auf alle fälle entsteht kein wellensalat.

genauso in bremen und in zürich. in bremen wurde die bundeswehr angegriffen als eine armee der nato, und zwar in einer politischen situation, in der in den medien offen die ausweitung des militärischen bereichs der nato und der bundeswehr diskutiert wird; in einer situation, in der in den medien offen die militärische besetzung rohstoffwichtiger länder propagiert wird und in einer situation, in der mit dem einsatz von atombomben gedroht wird für den fall, dass die sicherheit der westlichen länder nicht mehr anders zu gewährleisten ist. der piratensender radio „zebra“ hat in bremen für diese demonstration gegen die bundeswehr mobilisiert. das sagt allerdings nichts über den von der staatsanwaltschaft so bezeichneten „massiven“ eingriff in die funkhoheit im sinne von ungestörtem rundfunkbetrieb. massiv wurde lediglich in die inhaltliche gleichschaltung der öffentlichen medien eingegriffen. in die gleichschaltung der medien als kritiklose vervielfältiger der jeweils militärischen überlegungen der regierung.

ich habe in der erklärung vom 29. juli in der zeitschrift blatt die funktion der öffentlichen medien als staatsschutzmedien an dem beispiel beschrieben, an dem diese funktion bisher am deutlichsten rausgekommen ist. nämlich an dem beispiel der todesfälle in stammheim im herbst 1977. man braucht sich bloß an die unmittelbare reaktion der medien in ganz europa erinnern, um die gesonderte berichterstattung in der brd zu erkennen: während fast alle medien im europäischen ausland unmittelbar nach der bekanntgabe der todesfälle durchaus die möglichkeit einer geheimdienstlichen hinrichtung sahen, als letzte möglichkeit der deutschen regierung in der konkreten auseinandersetzung mit der raf als sieger hervorzugehen, berichteten die medien der brd von anfang an nur das, was ihnen von den sicherheitsbehörden gesagt wurde.

die frankfurter rundschau berichtete z.b. am 24. oktober 1977 über die berichterstattung zu diesem thema in italien: „… bis weit in die demokratisch-linke presse hinein schreibt man den ‚selbstmord’ in anführungszeichen …“

die frankfurter rundschau als liberalste tageszeitung der brd hingegen schrieb am 19. oktober 1977: „a. baader, g. ensslin und jan carl raspe nahmen sich am dienstag morgen in ihren zellen in stammheim das leben.“ das schrieb diese zeitung und so ähnlich jede andere zeitung der brd, auch bevor irgendein untersuchungsausschuss überhaupt gebildet war geschweige denn irgendetwas untersucht hat.

nachdem die staatsanwaltschaft diesen teil meiner erklärung dafür benutzt hat, mich als „politsektierer“ zu beschimpfen, schließe ich mich noch mal der meinung meines verteidigers an, dass die medien der brd bei der berichterstattung zum thema „terrorismus“ nicht nach dem grundsatz der freien berichterstattung berichten.

dieses beispiel der berichterstattung anhand der todesfälle in stammheim ist ein beispiel, ein krasses beispiel für die tendenzielle funktion der medien gegenüber einer opposition und in einer situation der konfrontation …

Jan van de Loo


Prozess gegen Piratensender – Info, München 1980, 38 ff.

Überraschung

Jahr: 1980
Bereich: Medien