Materialien 1949

Begegnungen

Georg Fischer
München 49, den 17. Oktober 1949
Forstenriederstr. 452

An den
Vorsitzenden der KPD, Landesverband Bayern,
Hermann Schirmer
München
Widenmayerstr. 25

Am Montag, den 26. September, besuchte mich am Nachmittag der amerikanische Generalkonsul. Er stellte nur kurz einige Fragen, ob in den übrigen westdeutschen Ländern ähnliche Differenzen bestehen wie in Bayern. Meine Antwort war: „Mir ist solches unbekannt.“ Eine weitere Frage über meine politischen Absichten für die Zukunft beantwortete ich damit, dass ich mir darüber noch keine Gedanken gemacht habe.

Gegen 5 Uhr nachmittags kam dann ein Herr, der sich als Italiener ausgab, mir die besten Grüße von den Freunden aus der Widerstandsbewegung der „Brigade Piave“ brachte und mir jede not-
wendige Hilfe anbot. Er habe in Italien von der Geschichte gelesen und ich sei sicher in Not. Er nannte Namen mir bekannter Partisanen, war in Belluno sehr ortskundig, sprach einwandfreies Italienisch, so dass zunächst nur der Verdacht aufkam, er sei Trotzkist. Er sagte auch im Laufe der Unterhaltung, er sei mit Ruth Fischer in Triest zusammen gewesen.

Sein Sitz sei Bolzano (Bozen) und er reise in den Ländern Italien, Deutschland und Frankreich im Auftrage der Abwehrorganisationen gegen die Kommunistischen Parteien. Seine Beziehungen zu den Partisanen in Belluno habe er aus der Kriegszeit September 1944, wo er bei Udine als Fall-
schirmspringer gelandet sei und die Verbindung mit den Leuten aus der „Brigade Piave“ bekom-
men habe. Mein Name sei ihm dort bekannt geworden und so sei er heute hier, um mit mir zu sprechen. Er hätte mich vor einem Jahr schon besuchen wollen, nun sei er endlich durch diese Vorgänge dazu ermuntert worden.

Nach langem Hin und Her sagte ich ganz überraschend und kalt zu ihm: „Wir wollen mal deutsch reden. Wie viel bieten Sie mir, wenn ich Ihr Agent werde? Was legen Sie auf den Tisch“ Er: „Gar nichts, ich will Ihnen aus Freundschaft helfen.“ Dabei kniff er ein Auge spöttisch zu.

Ich legte ihm meinen Standpunkt klar, ich sei politisch ein interessierter Mensch, aber niemals ein Agent, wer es auch sei. „Aus Überzeugung alles, für Geld nichts!“

Nach langen Ausführungen über die Sowjet-Union, Ostzone usw., die ich schweigend über mich ergehen ließ (er war selbstverständlich, was er offen zugab, ein erbitterter Gegner der Entwicklung im Osten), ritt er eine andere Tour.

„Was macht Hugo in Düsseldorf? Wie geht es ihm? Was macht sein Roman usw.?“ (Verhältnis zu Bertl)

„Was macht Heinrich Schmitt? – Wissen Sie, dass Anna Schmitt für die NKWD die deutschen Emigranten in Moskau während ihres Aufenthalts bespitzelte? – Was macht Harry Schmitt eigentlich? Man sieht ihn in München gar nicht mehr?“

Auf mein Unwissen, wo er sei, sagte er: „Er soll in Frankfurt sein. Harry kommt jede Woche einmal nach München … er ist Kurier, wissen Sie das? Warum hat man seine Braut, die Schamper, ins Par-
teihaus genommen?“

„Ich wusste davon nichts, war im Wahlkampf, anschließend in Urlaub.“

„Sie haben zusammen ein Kind usw. Sie arbeitet in der Abteilung A.u.S.“, so sagte er wörtlich, „bei Abel, dieser ist der Lehrling von Gall und ebenso Ihr Feind wie dieser. – Warum hat man die eine (er nannte den Namen) entlassen, warum die Frenzel, oder die Lamprechtinger, die Mela“, wie er sagte.

Ich: „Die Frenzel hat Unterschlagungen gemacht.“ Er: „200.- DM oder genauer 195.- DM. Stimmt’s? – Die Lamprechtinger wegen ihrer früheren Arbeit bei der CIC. Ist das so schlimm? Tausende Kommunisten haben nach dem Zusammenbruch bei den Amerikanern gearbeitet. Ehrlich und Gall haben doch auch in der Tschechei für die Amis gearbeitet. Warum macht man denen keinen Vorwurf? – Wer ist eigentlich die kleine Erika? Woher stammt die?“

Ein vielsagendes Lächeln folgte.

„Warum wird die Kurierpost in Galls Wohnung gebracht? – Bertl Eckl, die Mausi, wann geht sie nach Düsseldorf? Geht der Roman gut zu Ende? – Mit wem ist eigentlich die Hilde Morbacher verlobt. Kennen Sie ihren Verlobten?“ (Nach Hilde Morbacher hat er sich dreimal erkundigt.)

„Erni Ziegler hat doch bei Ihnen gearbeitet. Ihr Verlobter ist doch Student in München. Heißt er nicht Stock und ist er nicht mit dem Vulkanisier-Stock in Ingolstadt verwandt? – Was ist mit Inge Schneider? Kennen Sie ihren Verlobten? Wer ist der Vater ihres Kindes? Wissen Sie nicht. dass der Vater Ficker heißt? Ficker war ein armer Mann. Kennen Sie den ganzen Roman Ficker? – Wer ist eigentlich dieser Polland aus Dachau? Sie haben doch den Mann eingestellt.“

Auf meine Frage, war noch in der SVZ beschäftigt sei, sagte er „Mala“. „Und weiter“, sagte ich. „Ach ja, die Blonde aus der Ostzone, vor einem Jahr aus der Ostzone gekommen.“ (Gisela Koch)

„Kennen Sie die Portierloge?“ „Natürlich, Alex, Alex Steinleitner, ein guter Mensch. – Otto Huber, die spanische Wand für Gall, ein vorgeschobener Mann. – Alois Pfaller, ein guter Arbeiter, als Org.Leiter fleißig. Hadek, Haucke ohne Kommentar. – Feuerer ein kleines Licht,“ seiner Meinung nach.

„Wann kommt Oskar Neumann in die Redaktion? Er ist doch für 1. November vorgesehen. – Wie steht die Ließmann politisch? – Ihr Freund Scheringer, was macht er? Unserer Auffassung nach ist Scheringer ein 100prozentiger Nationalsozialist. Zu ihm kommen heute hohe SA Standartenführer u.a. ehem. hohe Gestapobeamte usw. – Schirmer, ein guter Charakter, macht schlechte Politik. Ehrlich macht viele Fehler.“

Ich: „Was habe ich für Funktionen gehabt, wenn Sie scheinbar alles wissen?“

„Sie: Kommunal, SVZ, Geschäftsführer … Finanzkommission.“

Ich: „Weiter?“

„Ach ja, Isardruck, was macht Isardruck? Mit dem Finanzamt alles in Ordnung?“

Ich. „Selbstverständlich.“

Er. „Glauben Sie? Ich nicht. – Wer wird Ihr Nachfolger?“

Ich: „Keine Ahnung.“

Er: „Es wird jemand von Nürnberg kommen. – Sie haben keine Freunde in Berlin. Sie waren das letzte Mal vor 9 Monaten in Berlin. Sie waren sehr oft in Berlin. In Frankfurt haben Sie einige Leute, die Sie schätzen. – Wo kommt Born eigentlich her?“

Ich: „Sie wissen doch selbst alles.“

„Nun gut“, sagte er, „er kommt aus der russischen Kriegsgefangenschaft.“ Spöttisch: „Er sollte eigentlich nach Frankfurt kommen. Seine Schwester ist doch als Putzfrau im Parteihaus beschäf-
tigt. – Wer ist eigentlich Irrgang? Ist er Mitglied des Landesvorstandes? Was ist mit Wolf – Mün-
chen, der in der VVN eine Rolle spielt? – Wer ist Bauer Karl, der in Frankfurt Personalpolitik macht? – Spöcker Sepp, was ist mit dem?“ (dreimal erwähnt)

„Es sind vier Sepp im Parteihaus.“ Er zählte sie auf: „Sepp Spöcker, Sepp Gall, Sepp Kornberger und der Kantinenwirt. – Was ist Lettenbauer für ein komischer Mann, der im Kreisvorstand ist?“

Ich: „Er säuft.“ Dies nahm er mit besonderer Genugtuung zur Kenntnis.

„Holy Max ist krank. Er hat zwei Brüder, einen in Freising und einen in München.“

Am Schluss noch einmal Angebot mitzuarbeiten. Nicht zu spitzeln, sondern von ihnen gesammel-
tes Material zu sichten, dass sie keine falsche Einschätzung bekommen, da ich den Apparat doch besser kenne wie sie.

Wenn ich Interesse hätte, würde er mich weiter auf dem Laufenden halten, was sich im Parteihaus abspielt.

Nach sechs Stunden verabschiedete er sich gegen 11 Uhr.

Seitdem hat er um eine neue Besprechung nachgesucht; ich habe aber immer abgelehnt.

27. September

Am Dienstag Mittag erschien der aus der Ostzone geflüchtete Peter Abel, jetzt in München 5, Baaderstr. 15 (bei Stocker) wohnhaft, und erzählte mir unglaubliche Vorfälle über zwei Sekreta-
riatsmitglieder Gall und Feuerer, im Zusammenhang mit dem Amerikaner, der mich besuchte. Ich selbst kann diese Dinge nicht überprüfen, ist auch nicht meine Aufgabe. Hinweisen aber muss ich auf den Fall. Abel selbst ist bereit, vor verantwortlichen Genossen, auch vor Reimann, auszusagen. Es bleibt Dir überlassen, weiteres zu veranlassen oder es auch nicht zu tun. Abel besuchte wieder-
holt Hugo Ehrlich im Parteihaus, bis ihm Gall das Betreten des Parteihauses verbot. Abel trägt viele Ausweise aus der Ostzone bei sich und ist angeblich weg, weil er von hier aus seine Rehabili-
tation betreiben will. Er kennt Gall aus dem Sudetenland.

Fischer

Kornberger und meine Frau waren Zeugen dieser Besprechungen.


Sammlung KPD, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.

Überraschung

Jahr: 1949
Bereich: KPD