Materialien 1974

Sozialarbeit: Arbeit mit proletarischen Kindern

„Die Kinder schlugen mit nassen Handtüchern und Gürteln aufeinander ein, bewarfen sich mit Schuhen, Äpfeln, Boccia-Kugeln, Steinen und anderen harten Gegenständen. In der ersten Nacht überfielen sie sich zimmerweise oder warteten auf feindliche Überfälle“ (Auszug aus einem Feri-
enaufenthaltsbericht)

Die Aufgabe bestehender Sozialverbände in der Jugendarbeit ist, Aggressionen, Frustrationen und Verschleißerscheinungen der spätkapitalistischen Gesellschaft in politisch ungefährlichen Räumen abzureagieren. Durch die Institutionalisierung der Regeneration benötigter Arbeitskraft wird der Eindruck geschaffen, dass diese Krankheitssymptome unvermeidlich, naturgegeben und unverän-
derlich seien. Im Gegensatz dazu betont eine emanzipatorische Erziehung die prinzipielle Abhän-
gigkeit dieser Symptome von der jeweiligen Produktionsweise. Sie ist deshalb ohne die Perspektive einer gesellschaftlichen Umwälzung undenkbar.

Unter Emanzipation verstehen wir also primär die Befreiung von den Bedingungen entfremdeter Arbeit im Produktionsprozess und zweitens, als Folge, Befreiung von irrationalen gesellschaftli-
chen Zwängen und Denkstrukturen. Zunächst kann es nur darum gehen, der Arbeiterklasse Ein-
blick in ihre Klassenlage zu geben, und Jugendliche dazu anzuleiten, sich von den Repressionen, denen sie aufgrund sozioökonomischer Verhältnisse ausgesetzt sind, zu befreien.

„Zu meinen, die Jugendlichen seien ungeachtet ihrer verschiedenen materiellen Lebensverhältnis-
se zu revolutionärem Handeln langfristig zu motivieren und könnten als revolutionäres Subjekt effektiv tätig werden, spiegelt nicht nur einen Mangel der vorgenommenen Klassenanalyse wider, sondern auch die Hybris idealistischer Pädagogen, die meinen, die Pädagogen und ihre Ideen seien es, die die Welt bewegen. Emanzipatorisch verstandene Jugendarbeit, die ihre Intentionen nicht verfehlen will, ist in kapitalistischer Gesellschaft nur möglich als Vorbereitung und Teil antikapita-
listischer Praxis.“ (lessing, hellmut / liebel, manfred: jugend in der klassengesellschaft. marxisti-
sche jugendforschung und antikapitalistische jugendarbeit, münchen juventa verlag 1974)

Kindern und Jugendlichen, die in einem Projekt betreut werden, kann nur von solchen Betreuern geholfen werden, deren Motive über moralische Entrüstung hinausgehen und die sich nicht nur um Einsicht in die gesellschaftliche Lage dieser Jugendlichen bemühen, indem sie versuchen, die Mechanismen dieser Gesellschaft zu verstehen, deren Auswirkungen die Lage dieser Jugendlichen bestimmen, sondern die dazu übergehen, die Verhältnisse zu verändern, die diese Lage bestim-
men. Sie stellen sich damit auf die Seite der Unterdrückten, der Ausgebeuteten, damit auch auf die Seite derer, von denen eine revolutionäre Umwälzung ausgehen muss.

Wir suchen Mitarbeiter, die sich, ausgehend von dem wechselseitigen Verhältnis zwischen Theorie und Praxis, an der Weiterentwicklung einer Konzeption für proletarische Kinder (Gruppenbe-
wusstsein, Gruppendisziplin, Solidarität, kritische Antizipation der zukünftigen Arbeits- und Kon-
sumsphäre, usw.) und an der Einübung von Verhaltensweisen und Fähigkeiten beteiligen, die für das Fernziel Klassenbewusstsein notwendig sind.

Für eine effektive Mitarbeit sind Kenntnisse wünschenswert in Sozialisationsforschung und Polit-Ökonomie.

Unsere Arbeit beinhaltet:
> Praktische politische Arbeit mit proletarischen Kindern in Ferienaufenthalten;
> Theoretische Aufarbeitung der Sozialisation proletarischer Kinder mit praktischem Erfahrungs-
feld;
> Einübung der stringenten Durchführung einer selbst zu planenden geschlossenen Konzeption;
> Einübung reflektierten Erzieherverhaltens;
> Einübung von Teamarbeit in Streßsituationen.

Kontaktadresse: ARBEITSKREIS EMANZIPATORISCHE ERZIEHUNG
J. Hinderer, 8 München 40, Willi-Graf-Straße 5


Knast + Randnotizen – Zeitschrift für Strafgefangene, Strafentlassene, Randgruppen und Menschen, die sich mit ihnen solidarisieren, hg. vom Sozialen Selbsthilfe Komitee (SSHK e.V.) 5 vom April/Mai 1974, 15 f.

Überraschung

Jahr: 1974
Bereich: Kinder