Flusslandschaft 1968

Zensur

Die 4. Strafkammer des Landgerichts München I erklärt am 6. Februar 1968 „Fanny Hill“ von
John Cleland für „unzüchtig“. Am 22. Juli 1969 hebt der Bundesgerichtshof dieses Urteil zum Leidwesen mancher Mitbürger auf.1

Das Bayerische Fernsehen schaltet sich im März 1968 aus einer ARD-Satire auf Ölsucher im bayrischen „Unterdeixelham“ aus.2 Der Münchner Rundfunkrat begründet dies mit der „Verächt-
lichmachung bayrischer Lebensart".3

Nach dem bayrischen „Landesstraf- und Verordnungsgesetz“ zählen „Revuen zu jenen „öffentli-
chen Vergnügungen“ die einer behördlichen Erlaubnis bedürfen. Das Musical „Hair“ ist in New York der Renner, nicht zuletzt wegen seiner „freizügigen” Schaueffekte. Die Münchner Fassung
ist dagegen eher fad. Denn das Amt für öffentliche Ordnung wird aktiv. „Das Musical ‚Haare’ als ‚Revue’ zu durchschauen, gelang Ordnungs-Beamten mit Hilfe des ‚Großen Brockhaus’ (‚Bühnen-
darbietung von lose aneinandergereihten Szenen mit Gesang, Tanz und Artistik’). So gewappnet, gingen sie dem losen Stück zu Leibe; ‚Haare’-Produzent Werner Schmid bekam bei Androhung von Zwangsgeld und Schließung Auflagen wie diese: – Das ‚Wälzen von drei Personen am Bühnenbo-
den’, das ‚Geschlechtsverkehr- oder Unzuchtshandlungen’ andeute, sei zu ‚unterlassen’; Schmid verbarg die Szene hinter einer Decke, auf der ‚Zensiert’ steht. – ‚Entblößung des Oberkörpers’ sei ‚zugelassen’, ‚Entblößung von Geschlechtsmerkmalen’ hingegen ‚verboten’; am Mittwoch letzter Woche verbargen die nackten ‚Haare’-Hippies ihre Schambehaarung hinter schmalen Tüchern. Außerdem verfügte Münchens Gewerbeaufsichtsamt, dass der Gymnasiast David Heinemann, 15, das Preislied auf die Sodomie nicht mehr singen darf. Denn nur wer über 18 ist, soll in Bayern wissen, was Unzucht ist; Heinemann trat ab. Schmids Plan, wegen der ‚Haar’-Spaltereien vors Verwaltungsgericht zu ziehen, wurde inzwischen hinfällig: Am letzten Donnerstag inspizierten Vertreter der Staatsanwaltschaft und der Oberbayerischen Regierung das Musical und empfanden es nun als Theater. Schmid ließ die Tücher wieder fallen.“4


1 Siehe „Bonn und Karlsruhe schaffen die Unzucht ab“ von Otto Gritschneder.

2 Vgl. Was ist mit unserem Rundfunk los? Bayerische Initiative Rundfunkfreiheit, München 1976, 45.

3 Der Spiegel 2 vom 8. Januar 1973, 97.

4 Der Spiegel 45 vom 4. November 1968, 218.