Materialien 2006

Zensur findet statt – Polizei diktiert Inhalte und Form der Gegenveranstaltungen

München, 5. Februar 2006. Polizei malträtiert und zensiert Demonstration gegen die Nato-Sicher-
heitskonferenz und inhaftiert etwa 60 TeilnehmerInnen. Etwa einem Drittel der Inhaftierten wird zur Last gelegt, Rumsfeld durch die Parole „Rumsfeld Massenmörder“ beleidigt zu haben. Bayeri-
scher Verwaltungsgerichtshof weist Teile des Auflagenbescheides zurück.

Polizei verhindert Meinungsäußerung – Die offensichtlich von offizieller Seite ungewollte Meinungsäußerung „Rumsfeld Massenmörder“ führte zu Prügel- und Pfeffergaseinsätzen und etlichen Ingewahrsamnahmen (ca. 20 Personen). Damit spielt sich die Polizei zur Zensurbehörde auf. Diese Äußerung zielt nicht auf die Beleidigung der Person Rumsfeld, sondern auf seine Funk-
tion als Kriegsminister ab.

Polizei verbreitet Chaos und Angst – Wie immer frisiert die Polizei ihre Festnahmestatistik nach oben – und damit die angebliche Anzahl vermeintlicher Gewalttäter. Der Trick: Regelungen des Versammlungsrechts werden übermäßig repressiv ausgelegt. Etwa ein Drittel der Verhaftun-
gen wurden so erst durch den Einsatz der Polizei verursacht.

Angriffe gegen Lautsprecherwagen — Nachdem die Auflage des KVR, der Polizei jederzeit Zutritt zum Lautsprecherwagen zu ermöglichen, gerichtlich abgewiesen wurde, schaffte die Polizei Fakten, indem sie unter fadenscheinigen Begründungen mehrmals den Lautsprecherwagen angriff und durchsuchte.

Kesselzug und Kesselzwang – Die Demonstration wurde durch einen mehrreihigen Polizeikor-
don von der Umgebung gewaltsam abgeschirmt. Etliche TeilnehmerInnen wurden am Verlassen oder Betreten der Demonstration gewaltsam gehindert und damit rechtlich de facto in Polizeige-
wahrsam genommen. Dieses Verhalten der Polizei wurde bereits in etlichen Urteilen etwa des Bundesverfassungsgerichts als rechtswidriger Freiheitsentzug gerügt.

Kreisverwaltungsreferat unterliegt vor Gericht – Der Praxis des Kreisverwaltungsreferats, durch bis zu 17-seitige Auflagenbescheide Versammlungen weit über jeden rechtlichen Rahmen hinaus einzuschränken, wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof endlich ein Riegel vorge-
schoben. Insbesondere Regelungen, mit denen das Referat de facto das Strafgesetzbuch unzulässig ausweiten wollte, wurden vom Gericht als unzulänglich und zu unbestimmt abgelehnt.

Klagewellen der letzten Jahre ändern rechtswidrige Polizeipraxis – Die Klagen der letz-
ten Jahre – unterstützt durch die Rote Hilfe e.V. – und die richterliche Feststellung der Rechtswi-
drigkeit etlicher Ingewahrsamnahmen führten endlich zu einer Anpassung der Polizeipraxis.

Dies betrifft insbesondere die schikanösen und überlangen Haftzeiten, die ohne richterliche Über-
prüfung stattfanden. Gegen etwa 22 Uhr wurden die letzten Personen freigelassen. Jedoch ist auch die Praxis, die Ingewahrsamgenommenen bis nach der Versammlung hinter Gitter zu sperren, nach geltender Rechtsprechung eindeutig rechtswidrig. Wir werden auch gegen diese ungesetzliche polizeiliche Eigenermächtigung vorgehen.

Paula Schreiber, Pressesprecherin der Roten Hilfe e.V., Ortsgruppe München, stellt fest: „Die poli-
zeiliche Praxis, bei jeder Versammlung mit Schlagstock und Pfefferspray gegen die TeilnehmerIn-
nen vorzugehen und einige Dutzend TeilnehmerInnen unter fadenscheinigsten Begründungen festzunehmen, dient lediglich der Aufrechterhaltung eines von der Polizei selbst geschaffenen Ge-
fahrenbildes. Die Gewalt geht zu allererst von der Polizei aus.“


Bestand „Rote Hilfe“, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

Überraschung

Jahr: 2006
Bereich: Sicherheitskonferenz