Materialien 1966

Hilfe! – Opposition!

Ich bin Demokrat, deutscher, genauer: bundesdeutscher Demokrat! Das möchte ich vorausschicken.

Neulich nämlich, da war ich sehr mutig. Ich verstehe es ja nachträglich selbst nicht …

Also, neulich schreite ich in Schwabing, in der Hohenzollernstraße, munter fürbass. Und da sehe ich in einem Fenster ein Plakat: »RATIONALTHEATER – ein politisches Kabarett«. S. Exzellenz, fürstl. Durchlaucht von Bismarck, war auch auf dem Plakat. Also ging ich hinein. Meine Frau sagte mir hinterher auch, wie leicht hätte mich jemand sehen können.

Hängen da an den roten Wänden hohe und höchste Persönlichkeiten … Nein, ich kann es nicht wiedergeben, impertinent, so etwas! Montierte Gruppenbilder, pfui Teufel. Aber ich hatte schon bezahlt, und so hielt ich Maß und nahm einen Platz ein. Nicht, dass Sie denken …, ich bin Demokrat! Aber früher hätte man so etwas verboten. Dann traten die Mitwirkenden auf den Plan, genauer gesagt auf die kleinen Kleinkunstbretter. Ich habe mir ihre Namen gemerkt, für alle Fälle!

Einer, Alf Brüstellin, blond, blauäugig, wäre der Stolz jeder Leibstandarte gewesen. »Heute Satiriker, die Zeiten werden freundlicher«, meint mein Nachbar, auch ein solch subversives Element. Typisch für die Verderbnis, die solche Anstalten mit sich bringen: Rainer Uthoff, ein sympathischer Junge, Eignung zum Versicherungsvertreter, war lange Kartenabreißer bei der Lach- und Schießgesellschaft. Ein gewisser Jochen Busse dagegen ist echter Komödiant, kann Tierstimmen imitieren und bauchreden, weshalb ich ihn für besonders gefährlich für die öffentliche Ordnung halte.

Wo kommen wir denn da hin, wenn über erhabenste Güter der Nation gelacht wird? Am Klavier sitzt einer namens Ekke Kühn. Als ob es nicht genug aufrechte Männergesangvereine gäbe, die dringend einen geübten Pianisten bräuchten. Sogar eine Dame wurde vom häuslichen Herd weg zu diesen gefährlichen Existenzen gelockt: Brigitte Koesters. Die Texte stammen, so konnte ich erfahren, von Kühn, Uthoff und einer hintergründigen Person namens Hannes Stütz.

Und was da alles gesagt und gesungen wird! Sogar unsere soziale Marktwirtschaft ist diesen Leuten nicht heilig. Und gar gegen die Konzentration der Wirtschaft ist man und malt schwarz: »Dann wird die Luft Privatbesitz von irgendeinem Zitzewitz.« Als ob die von Zitzewitz irgend jemand wären! »Dann kauft man eure Frauen auf und lässt euch nur zur Miete …« Hat man noch Worte? Die haben noch welche, nämlich über unseren Bundesminister der Justiz, S. E. Herrn Jäger: »Ein Mann von messerscharfer Intelligenz. Und wo einer messerscharf denkt, brauchen andere nur den Kopf hinzuhalten.«

So reden die über den Mann mit dem Fallbeil im Tornister! Und ich habe sogar dazu in die Hände geklatscht (hl. Franz Josef, verzeih’ mir). Meine Frau hat auch gesagt, das war sehr leichtsinnig von mir. Aber dann habe ich mir gesagt: »Rainer, habe ich gesagt, du bist ein gefestigter Demokrat, dir kann so etwas gar nichts anhaben.« D’rum gehe ich jetzt öfters hin. Damit nicht labilere Mitbürger dort Platz finden, nur deshalb. Man muss etwas tun für die Demokratie! Ich rufe alle Gleichgesinnten auf, es mir nachzutun.

Übrigens, vielleicht sind diese sogenannten Kabarettisten gar nicht so vaterlandslos. Für den Ausgang des nächsten Krieges stellten sie folgende Prognose: »Es wurde zwar nicht das Sudetenland, doch der Himmel ist in deutscher Hand.« Das geht weit über die bisher bekannten Ansprüche hinaus. »Heute gehört uns Deutschland …«

August Kühn


Münchner Palette 11/1966 und: August Kühns Münchner Geschichten, Frankfurt am Main 1977, 103 ff.

Überraschung

Jahr: 1966
Bereich: Kunst/Kultur