Materialien 2007

Deutsche Schutztruppen an die Front

Die Süddeutsche Zeitung und die Sicherheitskonferenz

Vielfältig stellt sich die deutschen Medienlandschaft dar: Unterschiedliche Zeitungen oder Sender bedienen unterschiedliche Interessen, Bildungsansprüche oder politische Neigungen. Die Bundesrepublik ist fraglos eine Demokratie und eine Zensur findet nicht statt. Wer sich den deutschen Medienkern anschaut – die beiden öffentlich-rechtlichen TV-Sender, ARD und ZDF, und die drei wesentlichen überregionalen Zeitungen, die „Süddeutsche“ (SZ), die „Frankfurter Allgemeine“ (FAZ) und die „Welt“ – findet durchaus Unterschiede. Aber es gibt mindestens eine durchgängige Gemeinsamkeit: Die Frage, warum die Bundesrepublik Deutschland sich am Afghanistan-Krieg beteiligt, wird nicht gestellt. Und weil sie nicht gestellt wird, wird sie auch nicht beantwortet. So, als gäbe es doch einheitliche Regelungen für die Medien, als fände sie eben doch statt, die Zensur.

Bei der „Welt“, die durch die Springerschen „Grundsätze“, eine Art Redaktionsstatut, und deren dort verankerte bedingungslose Solidarität mit den USA ihre Journalisten knebelt, liegen die Ursachen des ohrenbetäubenden Verschweigens auf der Hand. Die beiden Sender werden, trotz gewisser Spielräume, über Parteibuch-Intendanzen gelenkt. Die „FAZ“ hat sich seit langem zum Zentralorgan der Unternehmer erklärt und damit einen journalistischen Kastrationsprozess eingeleitet, der sie immer langweiliger und unseriöser werden lässt. Aber die „Süddeutsche“, mit fast einer halben Million täglicher Auflage, längst die größte bundesweite Tageszeitung, gilt allgemein, sieht man von ihren Wirtschaftsseiten ab, als ziemlich unabhängig. Mit brillanten Journalisten, von Leyendecker bis Prantl, ist sie im konkreten Sinne der Aufklärung verpflichtet und darf zu Recht als Qualitätszeitung bezeichnet werden. An der Hand der „SZ“ lohnt sich deshalb, die Frage nach der Unabhängigkeit deutscher Medien zu stellen.

Kurz vor der Sicherheitskonferenz in München und nicht weit von der Entscheidung des Parlamentes über die Ausweitung des Kriegseinsatzes in Afghanistan entfernt, gibt die „SZ“-Redaktion gemeinsam mit der „American Academy in Berlin“ eine sechsseitige Beilage heraus, die sich mit eben jener 43. Tagung der „Sicherheitskonferenz“ beschäftigt, die früher „Wehrkundetagung“ hieß. Der Schwerpunkt der Beilage ist an den Aufmacherartikeln auf der Seite eins unschwer zu erkennen: „Der Ernstfall für die NATO“ wird dort von Richard Holbroke, dem ehemaligen Botschafter der USA bei der UN, ausgerufen und natürlich ist er sich sicher, dass in Afghanistan die Ressourcen aller NATO-Staaten gefordert sind. Und was er genau meint, darf dann der NATO-Oberkommandierende, General Craddock, erklären, wenn er auf die servile „SZ“-Frage nach der bisherigen Einsatzbeschränkung der Deutschen in Afghanistan erklärt, dass es die Lage nur kompliziert, „wenn nationale Vorbehalte die verfügbaren Ressourcen einschränken.“ Dass Außenminister Steinmeier in einem langen, zähen Riemen über die EU-Militärpolitik zur Ausweitung des deutschen Kriegseinsatzes kein Wort verliert, wird er mit seinem beschränkten Thema erklären: Der deutschen Beamte prüft immer und zuerst seine Zuständigkeit. Und da die „SZ“ ihn in der Beilage für die EU zuständig erklärt hat, prüft der Minister nichts anderes mehr: In welcher Gesellschaft er sich im Blatt befindet, was die Tendenz der Beilage ist und warum sie überhaupt erscheint, ist ihm augenscheinlich gleichgültig.

So eine Beilage, wenn man sie denn als Kunde bei der „SZ“ bestellen würde, kann man nicht unter 50.000 Euro erwerben. Die Arbeit der Redaktion – der Chefredakteur Hans Werner Kilz zeichnet verantwortlich, der Chef des Außenpolitischen Ressorts der „SZ“, Stefan Kornelius machte die Drecksarbeit, vier weitere Redakteure sind darin verwickelt – müsste eigentlich mit weiteren mehreren Tausend Euros zu Buche stehen. Die Beilage wird ins Englische übersetzt und kann von Schulen als „Unterrichtsmaterial“ bestellt werden. Alles über alles sind wir jetzt bei etwa 70.000 Euro. Verlage, auch der „SZ“-Verlag, müssen Geld verdienen. Keine kommerzielle Anzeige ziert die sechs Seiten, der Verlag muss all das schöne Geld aus eigener Tasche aufgebracht haben, das muss Liebe sein. Aber zu was und zu wem?

Sieht man von ein paar spekulativen Schmonzetten ab, wenn Martin Indyk zum Beispiel über eine mögliche israelisch-arabische Partnerschaft fabuliert oder Vali Nasr über den Aufstieg der Schiiten im Nahen Osten sinniert, dann geht es im wesentlichen um Hardcore in der Beilage: Ausgerechnet der Bush-Berater Frederick W. Kagan, der Erfinder einer vorgeblich neuen Strategie im Iran, darf Propaganda für die Erhöhung der amerikanischen Truppenpräsenz schreiben. John McCain, der künftige Präsidentschaftskandidat der US-Republikaner, erklärt die Russen zu Provokateuren, nur weil sie das tun, was die Amerikaner auch machen: Machtpolitik betreiben. Und Daniel Yergin, Vorsitzender der „Cambridge Energy Research Associates“, beglückt die „SZ“-Leser mit der Erkenntnis, dass die „Energiesicherheit auf die Sicherheit der gesamten Infrastruktur und der Versorgungskette ausgedehnt werden“ muss. Damit wir nicht über seine Sorgen im Unklaren gelassen werden, nennt er schnell noch den Terrorismus als Stichwort für Unsicherheit und schon wissen wir, worum es geht. Auch wenn der russische Verteidigungsminister Iwanow fast so viel Platz eingeräumt bekommt wie John McCain, ist das Übergewicht der Bush-Position in der Beilage peinlich deutlich.

Weiter vorne in der selben „SZ“, dort wo immer die wichtigen Kommentare stehen, wird die Beilage von einem Redakteur kongenial abgerundet und die Forderung der Amerikaner nach mehr deutschem Einsatz in Afghanistan als „eine schwer abweisbare Bitte“ bezeichnet. Der Kommentator ist sich sicher, dass Frau Merkel „keine realistische Chance“ hatte, die Bitte der NATO abzulehnen. Wer so formuliert, der hält den noch nicht gefällten Beschluss des Parlamentes zum Einsatz deutscher Tornados bereits für durchgewinkt. Und wahrscheinlich hat er recht. Aber die interessanten journalistischen Fragen, warum denn die Merkel keine Chance hat, warum wir seit Jahren in Afghanistan sind und wann denn die deutschen Truppen mal wieder nach Hause kommen, diese durchaus spannenden Fragen vermag die „SZ“, vermag der deutsche Medienmainstream nicht zu stellen. Frau Merkel hat in ihrer Rede zur Eröffnung der Sicherheitskonferenz auch keine sachdienlichen Hinweise zur Beantwortung dieser Fragen gegeben, wenn sie meint, dass die NATO in Afghanistan auf dem Prüfstand sei, und fordert: „Es muss alles daran gesetzt werden, dass diese Mission ein Erfolg wird.“ Auch und gerade wenn Pfarrerstöchtern das Wort „Mission“ leicht von den Lippen geht, sollte es übersetzt werden: Deutsche Truppen befinden sich an der Seite der USA in einem unerklärten Krieg, der sich in diesen Tagen weiter verschärft, missioniert werden Leute, die zufällig in einer geopolitisch wichtigen Ecke wohnen und deswegen sterben. Und es ist weder Ende noch Umfang dieses Krieges abzusehen.

Wer in den letzten Wochen Nachrichten gesehen, gehört oder gelesen hat, der wird im Zusammenhang mit den Bundeswehreinheiten in Afghanistan am dort verwendeten Begriff „deutsche Schutztruppen“ nicht vorbeigekommen sein. Manchmal schleicht sich, durch die mangelnde Bildung von Redakteuren, eine überraschende Ehrlichkeit in die Mainstream-Medien ein. „Schutztruppen“ hießen die Kolonial-Soldaten unter Lettow-Vorbeck in Deutsch-Ostafrika. Und der Dienstherr dieser Truppen war der einschlägig bekannte Weltkrieg-I-Kaiser Wilhelm.

Ulrich Gellermann
11. Februar 2007


http://www.rationalgalerie.de/archiv/index_1_121.html.

Überraschung

Jahr: 2007
Bereich: Medien