Materialien 2002

Aktionsvorbereitungen an der TU München

Die Studiengebühren, um die sich zur Zeit die Auseinandersetzung an vielen Hochschulen dreht, sollen nur ein Anfang sein …

… Bei den Plänen, die in aller Heimlichkeit an der TU München zusammen mit dem Centrum für Hochschulentwicklung ausgearbeitet wurden, geht es nicht um 650 Euro pro Semester, sondern um Beträge, die durchaus 10.000 oder 12.000 Euro im Jahr erreichen können. Aber nicht nur über das Geld will man die Hochschulen nur noch den Nachkommen der jetzigen Eliten vorbehalten, die beteiligten Unternehmen wollen sich auch Zugriffsrechte z.B. auf die Auswahl der Studierenden sichern. Olaf Bartz berichtet.

Eigentlich ist es eher beim Militär üblich, in Szenarien und Machbarkeitsstudien Handlungsabläufe vorzubereiten, die dann im Ernstfall sofort umgesetzt werden können. Ganz ähnlich gingen nun die Studiengebühren-Warlords vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE)1 vor. Ihr Alliierter in der Achse der Gebührenfreunde ist die Technische Universität München (TUM). Gemeinsam hat man nun ein Modell für Studiengebühren in prinzipiell unbegrenzter Höhe entwickelt. Damit plant erstmals eine staatliche Hochschule die Gebührenerhebung ab dem ersten Semester.

In Bayern wie auch in einigen anderen Bundesländern sind allgemeine Studiengebühren gesetzlich verboten. Aber offensichtlich rechnen CHE/TUM damit, dass sich die politische Lage ändert, und warten mit einem fertiges Konzept in der Schublade auf. So heißt es in der Mitte Mai öffentlich gewordenen Kooperationsvereinbarung, dass „zunächst eine Gesetzesänderung notwendig wäre“.2

Das Gebührenmodell selbst bietet in der Substanz für KennerInnen der Debatte nicht viel Neues. Es orientiert sich an Vorstellungen, die das CHE zusammen mit dem industrienahen3 Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft bereits 1998 in einem „Studienbeitragsmodell“4 entwickelt hat (das Wort „Studiengebühren“ wollte man seinerzeit doch eher vermeiden). Alle diese Konzepte sind an die australische Studiengebührenvariante5 angelehnt und bestehen im Kern daraus, dass zur Finanzierung der Gebühren ein Anspruch auf Darlehen besteht, welches – verzinst – nach Ende des Studiums einkommensabhängig zurückzuzahlen ist. Die Rede ist bei CHE/TUM von 1.000 $ Darlehen pro Monat, über die Gebührenhöhe wird keine spezifische Aussage getroffen, außer dass sie „geringer als das maximale Stipendienvolumen“ sein soll. Laut der ProtagonistInnen sei damit die Sozialverträglichkeit vollkommen gewährleistet.

KritikerInnen, darunter das Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS)6, halten entgegen, dass gerade das australische Beispiel zeige, dass eine erdrückende Schuldenlast verbunden mit rigiden Rückzahlungspflichten gerade AbsolventInnen ohne wohlsituierten familiären Hintergrund extrem belaste. Hinter diesen und anderen praktischen Erscheinungen steht natürlich die Kardinalfrage, ob Hochschulbildung ein Privatvergnügen und damit wesentlich durch die Individuen zu finanzieren ist oder ob sie in den Bereich der frei zugänglichen öffentlichen Dienstleistungen gehört. Da diese Frage regelmäßig in Forum Wissenschaft thematisiert wurde und wird, soll es im folgenden hauptsächlich um das Beiwerk der CHE/TUM-Kooperation gehen – ein Lehrstück in der Durchsetzung langfristiger politischer Ziele, im konkreten Fall die Einführung allgemeiner Studiengebühren in erheblicher Höhe ab dem ersten Semester.

Elite vs. Rest

Im Rahmen der Gebührenkooperation CHE/TUM wurde ein Grundsatzpapier entwickelt, das in Entwurfsfassung ebenfalls jetzt an das Licht der Öffentlichkeit gedrungen ist. Dessen Abschnitt II mit der Überschrift „Strategische Ziele der TUM in Zusammenhang mit der Einführung von Bildungsbeiträgen“ spricht eine deutliche Sprache: Da die Gebühren zunächst nur in einigen Studiengängen erhoben werden sollen, genießen diese ab sofort eine Vorteilsbehandlung, während der Rest als vernachlässigbar eingestuft wird. Die zahlenden StudentInnen sollen mit dem Label „Zugehörigkeit zur Elite“ angeworben werden, ihre „Studienmittelsituation [soll] optimal gestaltet“ sein – eine hinreichende Ausstattung „Literatur, Multimedia etc.“ gibt es also nur gegen Entgelt.

Ebenfalls nonchalant über Bord werfen wollen CHE/TUM das Recht auf freien Hochschulzugang. „Die Studierenden suchen sich die TUM und die TUM sucht sich die Studierenden aus“, und als eines der strategischen Ziele deklariert die TU München: „Um ausgewählte Kunden kümmern wir uns besonders“.

So soll nicht nur die Studiensituation verbessert, auch das Drumherum soll schöner werden: „Komplettangebote, Sozialleben, bevorzugte Wohnungsbeschaffungshilfe, „Lebensfreude“„ verspricht die TU München, sobald man zahlt. Ein exklusives First-Class-Studium für diejenigen, die Gebühren entrichten, und wer sich für ein (noch) nicht gebührenpflichtiges Fach entscheidet, wird nur noch verwaltet. Alle Anstrengungen zur Verbesserung der Lage an den Hochschulen werden auf die Gebührenfächer konzentriert, der Dominoeffekt ist eingeplant: Wer nicht zahlt, erhält so schlechte Bedingungen, dass zum einen alle anderen Fächer danach streben werden, möglichst schnell Gebühren erheben zu dürfen und dass zum zweiten die StudentInnen in die kostenpflichtigen Studienrichtungen geradezu hineingetrieben werden, denn von gleichberechtigter Auswahl kann keine Rede mehr sein.

Marketing durch Schweigen

Mit Studiengebühren kann man sich eine blutige Nase holen. Das wissen auch CHE/TUM, und so gehört zur Projektbeschreibung die Aussage: „Die Komplexität des Themas sowie die Sensibilität aller Betroffenen bezüglich der Einführung von Studiengebühren, erfordert [sic! Sowohl das Komma als auch der Singular, O.B. 7] eine professionelle Kommunikation des entwickelten Lehrexzellenz- und Studiengebührenmodells. Die Entwicklung eines Kommunikationskonzeptes ist somit ein weiterer wichtiger Bestandteil des hier skizzierten Pilotprojektes.“

Die Kommunikation bestand zunächst aus Schweigen. Ein Protokoll einer Besprechung zwischen CHE und TU München vom Januar 2002 konstatierte: „Bisher ist das Thema noch „top secret“„. Außer der direkt mit der Projektausarbeitung befassten Lenkungsgruppe seien erst wenige informiert, darunter pikanterweise auch das bayerische Wissenschaftsministerium. „Der zuständige Referent kann aber ebenfalls als verschwiegen angesehen werden“, so das Protokoll. Insofern gingen die Beteiligten – zurecht, wie sich herausstellte – davon aus, „dass zumindest bis zum Ende der vorlesungsfreien Zeit [also zum Beginn des Sommersemesters 2002, O.B.] keine Informationen über das Vorhaben nach außen dringen.“

Mit vollem Erfolg gelang es auch, die StudentInnenvertretung der TU München einzubinden. Die zwei studentischen Mitglieder der Lenkungsgruppe wie auch der informierte AStA ließen sich auf die CHE/TUM-Spielregeln ein, und es bedurfte der PDS sowie des Neuen Deutschland, bis die Öffentlichkeit Mitte Mai Kenntnis von den Münchener Planspielen erhielt.8

Skurril die Reaktion des TUM-AStA. Nicht nur, dass er das ABS, dem er angehörte, nicht über das Gebührenprojekt informierte – kurz nach Bekanntwerden der Pläne beschloss er den Austritt aus dem ABS, obwohl dieses mit der Aufdeckung gar nichts zu tun hatte. Kein Wunder, dass der TUM-Kanzler Ludwig Kronthaler von „sehr konstruktiven und hilfreichen Studentenvertretern“9 sprach. Gewöhnlich gut unterrichtete Kreise verweisen zudem darauf, dass ein relevanter Teil der TUM-StudentInnenvertretung nicht einmal die überregionale Bedeutung der Gebührenpläne erkannt hat, sondern dies nur für eine lokale Angelegenheit hielt. Immerhin vermelden dieselben Quellen, dass es innerhalb der studentischen Organe der TU München mittlerweile einen Richtungsstreit gibt, an dessen Ende auch ein Wiedereintritt in das ABS stehen könnte – und eine bessere Informationspolitik, möchte man hinzufügen.

Ebenfalls zum Kommunikationskonzept gehört es, bloß das „unschöne S-Wort“10 zu vermeiden. Das besagte Januar-Protokoll vermeldet: „anderer Projekttitel“, „‚Studiengebühren’ raus“. Der Vorschlag der TU München lautete „BiBeL – BildungsBeiträge für exzellente Lehre“, auch das CHE stimmte zu, aber da offenbar doch noch Bedenken vorlagen (irritierte ChristInnen?), soll das Akronym bis auf weiteres nicht verwendet werden.

Willkommen, Kapital!

Traditionell gehaltene Flugblätter sprechen seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten von der Unterwerfung der Hochschulen unter das Kapital und ähnlichem. Solche Formulierungen führen zwar zu erheblichen Ermüdungseffekten bei den LeserInnen, im konkreten Fall CHE/TUM sind sie aber mehr als angebracht.

In der Kooperationsvereinbarung heißt es bezüglich des Stipendiensystem, dass „weitere Förderungen von Unternehmen geleistet werden [sollten], die im Gegenzug die Möglichkeit erhalten, qualifizierte Studierende in Jobs zu beschäftigen bzw. als Mitarbeiter zu rekrutieren.“ Eigentlich kann ja jedes Unternehmen einstellen, wen es will – aber anscheinend möchten CHE/TUM den Förderern bevorzugte Zugriffsrechte auf ihre KundInnen einräumen. Kaum vorstellbar, wie derlei funktionieren soll, klingt dies doch stark danach, dass die StipendienempfängerInnen gleichzeitig als variable Verfügungsmasse (man könnte auch „SklavInnen“ sagen) der TU München bzw. der Sponsor-Firmen fungieren sollen. Entweder waren sich die Beteiligten nicht über den Gehalt ihrer Formulierung im klaren, was schon peinlich genug wäre, oder die TU München sieht sich tatsächlich als eine Art Zeitarbeitsfirma, die ihre „Beschäftigten“ nach Gutdünken vermietet – vergleichbar mit den Vorstellungen der Hartz-Kommission über ein neues Verhältnis von Arbeitsämtern und Arbeitslosen.

Damit nicht genug, denn eine weitere Gegenleistung ist vorgesehen und lautet: „Unternehmen könnten zudem am Auswahlverfahren zumindest beratend teilnehmen.“ Dies ist nichts anderes als ein zum Himmel schreiender Skandal. Siemens, die Allianz oder welcher Konzern auch immer erhalten das Recht, sich in die Entscheidung, wer an eine Hochschule darf und wer nicht, einzukaufen. Die strukturellen Folgen für das Hochschulsystem spotten beinahe jeder Fantasie.

Geld genug wäre u.a. dank der rot-grünen Bundesregierung vorhanden: Die Allianz-AG, deren Vorstandsvorsitzender auch im Hochschulrat der TU München sitzt, verkaufte im Januar ihren Anteil an der HypoVereinsbank und erzielte einen Erlös von zwei Milliarden Euro. Rot-grün hatte die Besteuerung von solchen Veräußerungsgewinnen von ca. 50 Prozent zuvor gestrichen – selbst der Allianz-Chef wagte vor einigen Jahren lediglich von einer Reduzierung auf 20 Prozent zu träumen. Damit entging den staatlichen Kassen also eine Milliarde Euro nach alter Rechnung und immerhin 400 Millionen Euro nach früheren Allianz-Hoffnungen. Kein Wunder, dass den Hochschulen Geld fehlt. CHE/TUM schreiben: „Angesichts der begrenzten staatlichen Finanzmittel sieht die TU München Studiengebühren als eine wichtige weitere Einnahmequelle an, ohne die eine Verbesserung der Lehre nur schwer erreichbar scheint.“ Die öffentliche Hand ist also durch milliardenschwere Steuergeschenke pleite, so dass eine gute Lehre nur noch durch Studiengebühren erreichbar scheint. Die Steuerreform-Profiteure können ihre Extraprofite wiederum dafür verwenden, den Hochschulzugang zu kontrollieren. Die Realität übertrifft mitunter jede Verschwörungstheorie.

Die CHE/TUM-Pläne zeigen eins sonnenklar: Studiengebühren sind nicht allein eine soziale Frage. Sie bilden darüber hinaus ein zentrales Vehikel, um die Hochschulen den Marktmechanismen zu unterwerfen und den Wissenschaftsbetrieb dem öffentlichen Sektor zu entziehen, dem Zugriff des Kapitals auszuliefern. Nimmt man dann noch den Effekt hinzu, dass die TU München ihren Zahl-StudentInnen eine „Jobgarantie“ liefern möchte, ergibt sich zudem ein gewaltiger Anpassungsdruck dahingehend, alle Fächer so marktgängig wie möglich zu gestalten. Bei der Auseinandersetzung um Studiengebühren geht es also um nichts weniger als um eine Grundsatzentscheidung, in welche Richtung das Hochschulsystem gesteuert wird.

Olaf Bartz

Anmerkungen

1 Das CHE ist ein Gemeinschaftsprojekt der Bertelsmann-Stiftung und der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Seit seiner Gründung 1994 arbeitet es als eine Art „Think Tank“ daran, die Hochschulen Deutschlands in Richtung von Wettbewerbs- und Marktprinzipien umzugestalten. Die Forderung nach Studiengebühren ist das hervorstechende „ceterum censeo“ der CHE-Tätigkeit.

2 Die Vereinbarung zwischen CHE und TUM inklusive einiger flankierender Dokumente ist im Netz unter www.asta.tu-darmstadt.de/hopo/tum/ zu finden.

3 Begriffe wie „industrienah“ gilt es genau zu spezifizieren. Der Stifterverband ist die zentrale Schaltstelle für Zuwendungen aus der Wirtschaft an die Hochschulen. Bezeichnend die Besetzung des Präsidiums: Bei vier von fünf Mitgliedern wird die Firmenzugehörigkeit genannt (Oetker Holding, E.ON, BASF, ALTANA AG). Unter den 21 weiteren auf der Homepage www.stifterverband.org genannten „persönlichen Mitgliedern“ finden sich praktisch alle Industriekapitäne von Rang und Namen: Die Vorstandsvorsitzenden u.a. von BMW, Telekom, Siemens, VW, Allianz, ThyssenKrupp, IBM Deutschland, Bayer, DaimlerChrysler, Deutscher Bank, RWE

4 Vgl. www.che.de/projekte/assets/images/Stgebmod.pdf – der semantische Trick, Studiengebühren nicht Studiengebühren zu nennen, wurde nicht konsequent bis in den Dateinamen hinein umgesetzt.

5 Das so genannte „Higher Education Contribution System“ (HECS). Homepage: www.hecs.gov.au.

6 Das 1999 gegründete ABS hat sich zum Ziel gesetzt, die Studiengebührenfreiheit in der BRD zu verteidigen bzw. wiederherzustellen. Ihm gehören u.a. zahlreiche ASten, Jugendverbände, die PDS sowie die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) an. Auch der BdWi ist seit Anbeginn eine tragende Säule des ABS. Homepage: www.studis.de/abs/

7 Es ist immer wieder faszinierend zu beobachten, wie Institutionen, die zugleich über mangelnde Fähigkeiten von StudentInnen z.B. im Bereich der Rechtschreibung schimpfen, selbst keineswegs fehlerfreie Texte verfassen.

8 Vgl. Pressemitteilung von Marita Böttcher, PDS-MdB, vom 16. Mai 2002 sowie den Artikel: Studieren nur gegen Bares? von Jürgen Amendt und Andreas Keller im Neuen Deutschland vom selben Tag.

9 Zitiert im Beitrag von Jochen Leffers, Die Strippenzieher suchen Verbündete, bei Spiegel Online, 17. Mai 2002, www.spiegel.de/unispiegel/geld/0,1518,druck-196662,00.html.

10 Ebd.


Forum Wissenschaft 3-2002 – http://www.linksnet.de/de/artikel/18229, (27. August 2002).

Überraschung

Jahr: 2002
Bereich: StudentInnen